Mit heruntergelassener Hose

Wir waren auf frischer Tat ertappt. Schlicht und ergreifend. Terje, der mit dem Zeigefinger am Lichtschalter in der Tür stand, glotzte uns mit offenem Mund an, als ob wir grün wären und eine Einfachfahrkarte vom Mars um den Hals hängen hätten. So verstrichen ein paar unglaublich lange Sekunden. Dann erwachte er offenbar und brüllte: »Jan!«

»Hallo, Terje«, sagte der Prof. »Jetzt hast du aber großes Glück. Genauso gut könnte die Bullerei hier stehen.«

Jan kam angerannt, er hielt noch immer die Pizza mit zu viel Peperoni in der Hand. »Was zum Teufel? Einbruch?«

»Hat wohl keinen Sinn, das abzustreiten«, antwortete der Prof.

»Aber wir haben's nicht auf silberne Löffel oder Kohle abgesehen.«

Terje lief zu ihm herüber und packte ihn. »Was zum Teufel macht ihr hier?«

»Lass uns doch erst mal erklären«, rief ich mit wild hämmerndem Herzen. »Wir haben eine Glasscheibe eingeschlagen, und die werden wir natürlich bezahlen. Mehr ist wirklich nicht passiert. Und der Prof hat recht, wenn er sagt, ihr hättet heute Abend Glück gehabt. Jetzt könnte auch die Bullerei hier stehen. Gestern Abend war zum Beispiel bei uns zu Hause eine Razzia. Und was glaubt ihr, was sie gefunden haben? Genau die Pamphlete, die hier in eurem Kleiderschrank liegen. Nur hatten wir die nicht kiloweise. Aber ich kann euch sagen, dass die Bullen trotzdem sehr zufrieden waren. Und hier bei euch würden sie vor Glück in Ohnmacht fallen!«

Der Prof befreite sich aus Terjes Griff. »Peter hat recht. Wir müssen jetzt alle vier reden. Kann sogar sein, dass die Zeit brennt.«

Terje wollte sich wieder auf den Prof stürzen, aber Jan ließ die Pizza fallen und warf sich dazwischen. »Warte, Terje.«

Terje wartete. Er schien große Lust zu haben, dem Prof eine zu scheuern.

»Wer seid ihr?« fragte Jan. »Und was zum Teufel habt ihr hier zu suchen?«

»Wir werden alles erklären«, antwortete ich. »Aber können wir uns dazu nicht ins Wohnzimmer setzen? Ich gehe davon aus, dass ihr auf keinen Fall die Bullerei anrufen wollt.«

»Außerdem wird die Pizza kalt«, fügte der Prof hinzu. »Hoffentlich habt ihr einen Bissen übrig, es kann nämlich einige Zeit dauern.«

 

Und es dauerte einige Zeit. Sehr viel Zeit. Aber der Prof und ich fanden es wichtig, gründlich ans Werk zu gehen, damit keine Missverständnisse entstehen könnten. Deshalb erzählten wir zuerst von Vaters Vernissage, vom Bild und von Marita. Dann gingen wir weiter zur Tante vom Prof, und von dort erzählten wir alles bis zu dem Moment, den wir vorhin erlebt haben, nämlich mitten bei einem Einbruch mit heruntergelassener Hose erwischt zu werden.

Terje schob dem Prof widerwillig ein Stück Pizza herüber. »Was sagst du dazu, Jan?«

»Schöne Geschichte! Und ich hab noch gesagt, es wäre ein dicker Fehler, der Alten den Blumenstrauß zu schicken. Jedenfalls war es total schwachsinnig, auch noch einen Gruß von uns dazuzugeben !«

»Sieh mich nicht an«, sagte Terje sauer. »Schließlich hat Marita das durchgedrückt.« Er sah mich an. »Und was machen wir jetzt? Uns gegenseitig anzeigen?«

»Schlechte Idee«, antwortete ich. »Und mir ist im Moment am wichtigsten, dass ich mit meinem Vater reden kann. Habt ihr eine Ahnung, wo der sich rumtreibt?«

»Vielleicht«, antwortete Jan. »Aber weder Terje noch ich haben so ganz gerafft, welche Rolle er spielt, er ist jedenfalls kein Mitglied in unserer Gruppe.«

»Was? Aber ich war ganz sicher … ich meine, ich hab ihn doch in der Glotze gesehen!«

»Ist von nirgendwoher aufgetaucht«, erklärte Terje. »Fing an, an Marita herumzuzerren. Er muss uns verfolgt haben.«

»Und danach? Nachdem ihr abgehauen seid?«

»Wir haben uns getrennt. Das heißt, ich glaube, dein Vater ist mit Marita zusammen verschwunden. Wir hatten verabredet, uns hier um zwölf zu treffen, falls was schieflaufen sollte. Aber Marita ist nicht aufgetaucht. Sie ...«

»Moment mal«, unterbrach der Prof. »Jetzt fangt ihr am falschen Ende an. Peter und ich haben euch der Reihe nach alles ganz genau erzählt, jetzt seid ihr dran. Diese Geschichte fängt absolut nicht mit der Aktion gegen den Pelzladen am Rathaus an.«

Jan machte sich noch ein Bier auf und grunzte widerwillig. »Na gut. Aber wenn ihr uns anzeigt, dann werdet ihr's bitter bereuen.«

»Niemand wird hier angezeigt!« sagte der Prof. »Ich dachte, das wäre abgemacht?«

»Schon gut«, erwiderte Terje. »Aber wir riskieren viel mehr dabei als ihr beide.«

»Das ist ja wohl nur richtig«, meinte ich. »Ihr habt ja schließlich auch viel mehr Mist gebaut als wir.«

»Mist?« Terje sah mich angriffslustig an.

»Schluss!« rief der Prof. »Lasst uns jetzt die Karten auf den Tisch legen, ja? Wir haben schließlich nicht die ganze Nacht!«

»Es fing damit an, dass Terje und ich in London waren«, erzählte Jan. »Wir haben uns immer schon für Tiere interessiert, und da drüben haben wir zufällig Leute kennengelernt, die zu Animal Liberation gehören, das ist eine Organisation, die behauptet, Tiere hätten Rechte, genau wie Menschen. Sie haben uns eine Menge Literatur mitgegeben, und dadurch haben wir uns gründlich über Tierversuche und Zucht informiert. Wir haben ganz einfach zwei Jahre hier in diesem Zimmer gesessen und gelesen. Haufenweise Berichte aus aller Welt, ich kapier fast nicht, wie wir das gebracht haben, das meiste war doch zum Kotzen! Habt ihr eine Ahnung, wie ...«

»Ja, die haben wir«, sagte der Prof. »Und es ist wirklich übel. Vierhundert Millionen Tiere werden jedes Jahr zu Tode gefoltert, nicht wahr?«

»So ungefähr, ja. Und das meiste ist einfach Quatsch, es dient weder der Wissenschaft noch sonst wem. Millionen von Tieren werden zum Beispiel geopfert, damit schicke Tanten noch besser duften oder in einem neuen Pelz herumstolzieren können.«

»Jetzt schweif nicht allzu weit ab«, sagte ich. »Weder der Prof noch ich züchten Pelztiere oder machen Tierversuche, uns braucht ihr nicht davon zu überzeugen, dass das alles große Scheiße ist.«

Jan nickte. »Schließlich wollten wir auch selber versuchen, etwas zu tun. Aber hier bei uns gab es keine Organisation, die für uns interessant war. Deshalb beschlossen wir, unsere eigene zu starten. Und wir wollten jedenfalls nicht einmal pro Woche auf einem Treffen herumsitzen und sabbeln oder an die Behörden schreiben. Wie gesagt, wir wollten etwas tun!«

»Und dann haben wir von einer Gruppe in Kopenhagen gehört«, sagte Terje. »Die Pelze vollsprühte und Angriffe auf verschiedene tierfeindliche Einrichtungen startete. Nach viel Hin und Her sind wir in Kontakt zu ihnen gekommen. Und …«

»Und damit kommt Marita mit ins Bild«, fiel Jan ihm ins Wort. »Sie war die Kontaktperson, die wir getroffen haben, und am Ende ist sie dann mit uns gekommen, um uns am Anfang zu helfen.«

»Kopenhagen?« fragte ich. »Aber Marita ist doch Norwegerin?«

»Ja, das stimmt«, sagte Terje. »Aber sie wohnt in Kopenhagen. Schon seit zehn Jahren. Sie wohnt da mit ihrer Mutter. Aber weil sie sich in Norwegen gut auskennt, ist sie eben mit uns gekommen.«

»Wann war das ?« fragte ich. »Kurz vor der Vernissage von meinem Vater?«

»Meinst du die Ausstellung?« Jan sah mich fragend an.

»Ja.«

»Doch, das war ungefähr damals. Und auf der Ausstellung haben wir die Idee für unseren Gruppennamen bekommen. Das heißt, Marita hatte diese Idee. Ein Bild da unten hat ihr einen Eingebung verpasst.«

»Aber warum seid ihr auf der Vernissage aufgetaucht?« fragte der Prof. »Da waren doch sonst nur geladene Gäste.«

»Das hat Marita arrangiert«, antwortete Jan. »Sie kannte doch deinen Vater, und wir sind meistens pleite und haben gar nichts gegen ein paar Gratis-Gläser und was zu beißen. Außerdem find ich solche Ausstellungen meistens geil. Die Sachen von deinem Vater sind doch einfach der Hammer!«

»Wie gesagt, wir haben euch durch die Telefonnummer auf der Verkaufsliste der Ausstellung gefunden«, sagte ich. »Obwohl ja gerade das Bild in Privatbesitz war, wie sie das nennen. Aber daneben stand auch eine Adresse, und zwar eine in Kopenhagen. Irgendeine Mia. Wisst ihr irgendwas über sie? Ich meine, es muss doch einen Zusammenhang zwischen ihr und euch geben.«

»Das ist Maritas Mutter«, sagte Jan. »Marita muss deinem Vater die Telefonnummer gegeben haben, weil sie damals hier gewohnt hat. Falls irgendwas mit dem Bild schiefgeht. Aber niemand hat hier angerufen.«

Der Prof putzte sich gründlich die Nase und stopfte sein Taschentuch wieder in seine Hosentasche. »Ich glaube, Peter fände es nicht uninteressant, eure Ansichten über diese Beziehung zwischen Marita und seinem Vater zu hören.«

Alle drei sahen mich an. »Ist ja wohl nicht so merkwürdig«, sagte ich. »Er ist ja immerhin mit der Frau abgehauen. Er hat einmal kurz zu Hause angerufen, mehr haben wir seit Tagen nicht von ihm gehört.«

»Ich weiß, dass sie sich dauernd mit ihm getroffen hat«, antwortete Terje. »Und das ist so ungefähr alles, was ich dir dazu sagen kann.«

»Das ist alles, was du sagen willst«, korrigierte Jan. »Aber ich kann noch hinzufügen, dass mein Bruder mehrere Versuche gemacht hat, Marita anzubaggern. Ohne besonderen Erfolg. Was er nicht verrät, ist, dass er eifersüchtig auf deinen Vater ist, Peter!«

»Quatsch!« sagte Terje. »Jetzt redest du Quatsch!«

»Egal«, sagte ich. »Habt ihr eine Vorstellung, wo sie jetzt sein können?«

In diesem Moment klingelte das Telefon.

Terje nahm ab. »Ja, hier Terje. Was? Marita? Wo in allen sieben Höllen steckst du denn?«

Er warf uns einen langen Blick zu. Ich legte den Zeigefinger auf die Lippen und hoffte, er würde begreifen, dass offiziell weder ich noch der Prof vorhanden waren.

»In Kopenhagen? Ja, ich glaube, du solltest noch eine Weile da unten bleiben. Jan und ich müssen uns nach diesem Bericht im Fernsehen auch schwer zurückhalten. Was? Nein, von denen habe ich noch nichts gehört … Wenn wir Glück haben, dann passiert auch weiter nichts.«

Mein Vater? formte ich mit den Lippen. Terje nickte.

»Und dieser Bartaffe, wo steckt der? Ist der bei dir? Was? Ja, das ist wichtig, zum Henker! Der ist doch der einzige von uns, den sie erkannt haben. Bei ihm zu Hause hat es schon eine Razzia gegeben, das wissen wir. So. Okay, in Ordnung. Sag ihm, er soll ganz ruhig bleiben. Ich weiß ja nicht, was du an ihm findest, aber ich möchte ihn auch nicht im Knast sehen. Okay. Ja, wir rufen an, wenn die Lage sich beruhigt hat. Ja. Mach's gut!«

»Kopenhagen?« fragte ich, als er aufgelegt hatte. »Der Alte ist da, nicht wahr?«

Terje nickte. »Du hast ja die Adresse. Und die Telefonnummer. Hoffentlich hat die Bullerei die nicht auch.«

»Nein«, sagte ich. »Die haben sie nicht.«

»Komm.« Der Prof stand auf. »Mein Magen knurrt, und ich bin hundemüde.«

Auf dem Weg zur Straßenbahn sagte ich kein Wort. Ich dachte immer nur: Anrufen? Nicht anrufen! Anrufen? Nicht anrufen!

»Nicht anrufen«, sagte der Prof, als die Straßenbahn kam. »Es macht einen größeren Knall, wenn du einfach auftauchst. Ja, ich mach natürlich den Reiseleiter, wenn du willst.«