Zwei Wochen vergingen. Die Presse schwärmte in höchsten Tönen von Vater und seinen Holzklötzen, und alles wirkte irgendwie ein bisschen unwirklich. Es war der reine Schock, im Dagbladet und anderen Zeitungen auf seine unrasierte Visage zu stoßen. Mutter und ich schnitten alle Artikel über ihn aus und klebten sie ins Familienalbum, worüber Vater aber nur schnaubte, er fand es lächerlich und kleinbürgerlich. Durch einen Bekannten von Franzen wurde ihm ein billiges Atelier in Parkveien angeboten, was Vater natürlich dankend annahm, jetzt, wo er Kohle in Aussicht hatte. Die langen Winterabende unten im Keller griffen seine Gesundheit an, meinte er - und außerdem war das Licht da unten so schlecht. Das Atelier im Parkveien lag auf dem Dachboden und hatte vier große Glasfenster, die zum Himmel hochblickten.
»Mach das!«, sagte Mutter. »Schlag zu! Darauf wartest du doch schon, seit wir uns kennengelernt haben.«
Und Vater schlug zu. Zusammen mit Leffy und zwei anderen Kumpels machte er sich an die Renovierung des alten Bodenraums, der früher als Lager eines Schuhgeschäfts gedient hatte. Sie rissen zwei Trennwände ein, warfen eine Tonne alten Dreck hinaus und klotzten los. Leffy, der Bekannte bei der Heilsarmee hatte, besorgte zwei Stühle und einen Tisch und außerdem ein Sofa, »falls es mal spät für dich und dein Modell wird«.
Zweimal rief Vater an und sagte, er und Leffy würden im Atelier »knacken«, aber daran war wohl kaum ein Modell schuld. Dass sie lieber dort übernachteten, hing sicher eher damit zusammen, dass meistens ein oder zwei Kästen Bier mit dabei waren, wenn Leffy und Vater viel zu tun hatten. Diese »Handpilse« hatte Leffy sich extra ausbedungen, behauptete Vater.
Der Prof und ich hatten in der Schule mehr als genug zu tun. Wir gingen jetzt in die Zehnte, und ich begriff langsam, dass meine Noten ziemlich wichtig dafür waren, wo ich nach der Schule landen würde. Dem Prof konnte das dagegen egal sein. Wenn er nicht plötzlich unter die Räder eines LKW geriet oder einen Ziegelstein auf den Kopf bekam, dann konnte er machen, was er wollte.
Eines Dienstagnachmittags wollten wir ins Kino gehen. Aber als ich den Prof abholen kam, merkte ich sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. So etwas spürt man einfach. Die Türklingel hatte ein ziemlich erregtes Gespräch unterbrochen. Der Prof und seine Eltern sahen ein bisschen verlegen aus, als ich ins Wohnzimmer kam.
»Tut mir leid«, sagte ich, »wenn ich störe. Aber …« Ich sah auf die Uhr. »Wenn wir noch die Vorstellung um sieben sehen wollen, dann müssen wir uns beeilen.«
»‘Tut mir leid‘ ist der richtige Ausdruck«, sagte der Prof. »Ich kann nämlich nicht mitkommen.«
»Doch, das kannst du wohl!«, widersprach sein Vater.
»Na gut«, meinte der Prof ungeduldig. »Aber ich will eben nicht. Diese Mistkerle sollen nicht einfach so davonkommen. Ich habe heute Abend Wichtigeres zu tun, als Robert de Niro als Taxifahrer zu beglotzen.«
»Ist was passiert?«, fragte ich. »Wer sind die ‚Mistkerle‘?«
»Wenn du auch nicht ins Kino willst, dann kann ich dir alles erklären«, antwortete der Prof. »Aber um Himmels willen, wenn du lieber Taxidriver sehen willst, dann kann ich das gut verstehen. Starker Film. Ich habe ihn schon zweimal gesehen.«
»Hör auf mit dem Quatsch!«, sagte ich. »Ich seh’ doch, dass etwas passiert ist.«
»Es geht um Tante Edith«, sagte seine Mutter mit dünner Stimme. »Sie …«
»Wir gehen auf mein Zimmer«, erklärte der Prof energisch und schob mich vor sich her.
Ich ließ mich aufs Bett fallen. Der Prof schloss hinter sich die Tür. Er räusperte sich gewaltig, als er hinter dem Schreibtisch Platz nahm. Ungefähr wie ein Bulle in einem billigen Fernsehkrimi aus den USA.
»Nun sag schon«, sagte ich. »Es liegt wieder irgendein Mist an. Irgendein Mist, in den wir unsere Nasen stecken sollen. Was ist mit deiner Tante passiert?«
»Eins nach dem anderen«, sagte er. »Erinnerst du dich an Tante Edith?«
»Natürlich.«
Der Prof und ich hatten eine Tendenz, in einen Schlamassel nach dem anderen zu geraten, und bei einem der gefährlichsten Fälle, in denen wir unsere Finger gehabt hatten, hatte Tante Edith eine gewisse Rolle gespielt. Sie war eine nette, lustige Dame um die Sechzig, und sie wohnte draußen in Sandvika.
»Sie ist niedergeschlagen worden«, sagte der Prof. »So richtig voll draufgehauen. Liegt im Krankenhaus.«
»Himmel!«, sagte ich. »Dick eine reingesemmelt, und weg war die Rente? Ist es ernst, oder was?«
»Nicht doch. Das heißt, es ist schon ernst genug. Rein physisch hat sie sich arg am einen Knie verletzt, aber du kannst dir ja vorstellen … ich meine, die Frau ist doch nicht mehr die Jüngste, verstehst du. Das Schlimmste, was Leute in dem Alter sich vorstellen können, ist, auf offener Straße eine reingesemmelt zu kriegen. Die Zeitungen sind doch jeden Tag voll von solchen Geschichten, ist doch klar, dass sie dann Angst haben. Und dann passiert genau das! Der Arzt, der uns angerufen hat, hat gesagt, sie hätte einen Schock abgekriegt, aber jetzt ginge es ihr ein bisschen besser. Meine Eltern gehen jetzt ins Krankenhaus, um zu sehen, ob sie etwas für sie tun können.«
Kaum hatte der Prof das gesagt, hörte ich, wie sich die Wohnungstür schloss. Herr und Frau Erlandsen machten sich mit Birnen und Bananen auf den Weg.
»Ich dachte, du wolltest mit ihnen gehen?«, fragte ich. »Lass dich von mir nicht abhalten.«
Der Prof hob abwehrend beide Hände. »Später. Wenn die Alten genug geplappert haben. Ich möchte unter vier Augen ein paar Worte mit ihr wechseln. Das heißt, ich hab natürlich nichts dagegen, dass du mitkommst.«
»Sag schon die Wahrheit!«, verlangte ich. »Dir wär’s am liebsten, wenn ich mitkomme. Du hast mir noch nicht mal die Hälfte von allem erzählt, was du über diese Sache weißt. Ich kenne dich. Ich seh’s dir an den Augen an, dass du noch etwas auf Lager hast.«
Und gleichzeitig dachte ich: Kann das denn nie ein Ende nehmen? Warum um alles in der Welt latschen der Prof und ich immer wieder in andrer Leute Probleme hinein?
»Doch«, gab der Prof zu. »Ich hab dir noch nicht alles aufgetischt. Und ich möchte wirklich, dass du mit ins Krankenhaus kommst. Zwei Nasen schnüffeln besser als eine, das haben wir ja schon ein paarmal festgestellt.«
»Komm zur Sache!«, stöhnte ich.
»Ich finde es bloß ein bisschen komisch, dass sie ihr die Kohle nicht geklaut haben. Ihre Tasche mit über fünfzehnhundert Eiern haben die Leute, die ihr helfen wollten, vom Boden aufgelesen.«
»Hm«, sagte ich. »Sie?«
»Ja, sie waren offenbar zu zweit.«
»Und sie wollten bloß ganz einfach deine Tante den Asphalt abknutschen lassen?«
Der Prof sah mich resigniert an. »So sieht es aus! Das heißt natürlich nicht, dass es auch wirklich so ist. Ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand Tante Edith genug hasst, um ihr so was anzutun. Sie ist doch so lieb, wie der Tag lang ist. Wer zum Teufel kann sie denn für seine Feindin halten?«
»Jedenfalls keiner, der schon mal ihre Waffeln gegessen hat«, gab ich zu. »Aber du liest doch sicher noch Zeitungen, nehme ich an?«
»Wie meinst du das?«
»Jeder zweite Artikel handelt davon, Prof! DIE BLINDE GEWALT! Leute, die einfach Amok laufen, scheinbar ohne Grund. Leute, die von irgendwas bis zum Äußersten gedrängt und durch irgendeine Bagatelle zu wilden Hunden werden. Vielleicht hat ihnen ihr Hut nicht gefallen?«
»Sehr komisch! Dann hätten sie sich doch nicht damit begnügt, sie einfach umzuwerfen? Und gleich zwei, die gleichzeitig durchknallen? Nein, das ergibt keinen Sinn.«
»Na gut«, sagte ich. »Vielleicht hatten sie es ja auch einfach schrecklich eilig und sind deswegen so gerannt. Und dann schmeißen sie in der Eile deine Tante um und geraten in Panik, als ihnen aufgeht, dass sie verletzt ist.«
»Die Theorie ist auch nicht stichhaltig. Denn nach allem, was ich gehört habe, sind diese beiden Typen nicht gerannt.«
»Dann erzähl endlich«, sagte ich ungeduldig. »Her mit dem Rest.«
»Mehr weiß ich nicht. Deshalb will ich doch gerade mit ihr reden. Alles, was wir im Moment wissen, ist, dass zwei Typen die Alte umgesäbelt haben und dass die ganze Kiste ziemlich geplant aussieht. Und dass sie nicht auf ihre Kohle scharf waren.«
»Sie können doch auch in Panik geraten sein. Und die ganze Beute im Stich gelassen haben.«
»Das ist natürlich eine Möglichkeit«, gab der Prof zu. »Aber irgendwie glaub ich nicht daran. Überleg doch selber! Wenn wir beide losziehen würden, um eine alte Dame zusammenzufalten und ihre Tasche zu klauen, wären wir dann blöd genug, die Tasche einfach liegen zu lassen? Wenn sie sie festgehalten und um Hilfe gerufen hätte, dann wäre das etwas anderes. Aber Tante Ediths Tasche lag mehrere Meter von ihr entfernt auf dem Bürgersteig.«
»Okay«, sagte ich. »Es wirkt wirklich geheimnisvoll. Wo ist es passiert? Draußen in Sandvika?«
»Nix. In Majorstua.«
»Und es waren zwei Typen?«
»Hat mein Vater gesagt.«
»Alter?«
»Keine Ahnung. Über siebzig waren sie wohl kaum.«
»Okay«, sagte ich. »Dann vergessen wir das Kino und werfen einen Blick auf Tante Edith.«
»Nur, wenn du das willst«, sagte der Prof.
»Wollen und wollen«, meinte ich. »Ich hoffe jedenfalls, du kapierst, dass wir in dieser Sache die Bullerei nicht ausstechen können. Okay, wir haben früher ein paar Sachen herausgefunden, aber keiner von den Fällen, an denen wir herumgefummelt haben, hatte Ähnlichkeit mit diesem. Zwei anonyme Gewalttäter in Oslo zu finden, ist Arbeit für die Bullen.«
»Weiß ich doch auch. Aber ich bin eben neugierig, Mann. Mir kribbelt’s im Magen.«
»Das Gefühl kenn ich«, sagte ich.
Wir nahmen die Straßenbahn in die Innenstadt und gingen von Stortingsgata aus zum Krankenhaus. Da meldeten wir uns am Informationsschalter und erfuhren, wo wir die Tante vom Prof finden konnten. Ich hatte sie mir irgendwie in einem luftigen Zimmer zusammen mit zwei, drei anderen Tanten vorgestellt, die auch auf die Nase gefallen waren, aber als wir uns unseren Weg durch das Labyrinth gesucht hatten, fanden wir sie schnöde hinter einem Wandschirm, mitten auf einem Flur, wo immer wieder eilige Schwestern vorüberliefen.
»Spitze!«, fauchte der Prof mit zusammengebissenen Zähnen. »Und dafür hat sie ihr ganzes Leben lang Steuern bezahlt, was? Um auf dem Flur zu liegen!«
Ich sagte nichts. Soviel ich wusste, hatte Tante Edith noch Glück gehabt, weil sie überhaupt einen Krankenhausplatz gefunden hatte. Überall in Oslo starben alte Menschen allein deshalb, weil die Politiker Leute, die ihr Leben hinter sich hatten, nicht »priorisierten«. Dass gerade diese älteren Jungs und Mädels denselben Politikern noch vor wenigen Jahren den Hintern abgewischt hatten, hatten diese Machtmenschen offenbar vergessen.
Tante Edith weinte natürlich zuerst eine Runde, als der Prof seinen runden Kopf in ihr Kabuff steckte, aber zum Glück waren das nur Freudentränen. Sie begrüßte mich munter und konnte erzählen, dass die Eltern vom Prof gerade erst gegangen waren. Auf einem improvisierten Nachttisch, der eigentlich ein Hocker war, stand eine Vase mit gelben Tulpen.
»Wie geht’s dir denn?«, erkundigte sich der Prof.
Sie setzte sich im Bett auf und schnitt eine Grimasse. »Ach, ich will mich nicht beklagen. Damals, als ich zu Hause die Kellertreppe runtergefallen bin, war’s schlimmer. Aber meine Kniescheibe scheint arg angeschlagen zu sein. Es dauert sicher einige Zeit, bis ich wieder auf den Beinen bin.«
»Erzähl uns, was passiert ist!«, bat der Prof eifrig.
Tante Edith schüttelte traurig den Kopf. »Das weiß ich ja selber kaum. Alles ging doch so schnell.«
»Zwei Typen?«, fragte ich.
»Ja, etwas älter als ihr. Um die Zwanzig, nehme ich an. Sie kamen mir auf der Straße entgegen, und als sie an mir vorbeigingen, hörte ich so ein sausendes Geräusch. Ich wusste nicht, was das war, also habe ich mich umgedreht. Und damit war es passiert. Eine Faust oder ein Ellbogen traf mich am Kinn - und mehr weiß ich nicht, als Nächstes bin ich dann auf dem Bürgersteig wieder aufgewacht. Viele Leute strömten zusammen, aber ich merkte ja schnell, dass ich nicht aufstehen konnte. Irgendwer hat einen Krankenwagen gerufen, ja, das war fast ein bisschen peinlich. Ich will ja niemandem zur Last fallen. Aber die Leute waren so nett! Ein junges Mädchen hat sich sogar die Jacke ausgezogen und mir unter den Kopf gelegt, bis der Krankenwagen kam.«
»Und die Polizei?«, fragte der Prof.
»Auch die waren erstklassig. Die Wache liegt ja gleich um die Ecke. Sie waren schon vor dem Krankenwagen zur Stelle und haben sich erkundigt, wie es mir ging. Zwei richtig nette junge Männer. Ich war ja nicht gerade so gut in Form, und da haben sie versprochen, morgen hier vorbeizuschauen und meine Aussage aufzunehmen. Ja, ich konnte ihnen auch nicht mehr sagen, als ich bereits erzählt habe. Die beiden Kanaillen waren Anfang zwanzig, und sie trugen solche zerlöcherten Jeans, wie sie im Moment so modern sind.«
»Hm«, grunzte der Prof. »Nicht gerade ein überzeugender Steckbrief!«
»Nein, das nicht«, gab Tante Edith zu. »Aber das war wirklich das Einzige, was ich mir merken konnte. Wahrscheinlich, weil ich diese Mode ganz entsetzlich finde. Früher hat man seine Kleider geflickt, so gut man konnte, und heute ist es modern, wie ein Penner auszusehen. Ja, ich verstehe wohl die Zeit, in der wir leben, nicht mehr so recht. Findet ihr nicht auch, dass …«
»Selbstverständlich«, sagte der Prof und versteckte sein rechtes Knie unter dem Tisch. Er hatte nicht warten können, bis seine Jeans von selber verschlissen waren, sondern zur Schere gegriffen. »Ein sausendes Geräusch, hast du gesagt?«
»Ja … ja, es war genau wie ein Dampfventil oder so was.«
»Nicht die Faust, die durch die Luft kam, meinst du?«
»Nein, nein. Dieses Geräusch hatte … wie soll ich sagen … etwas Technisches. Ja, ich habe das auch der Polizei erzählt, aber die sind daraus auch nicht schlau geworden. Ich war sicher auch hysterisch, meine Güte, das ist ja so peinlich. Aber ich hatte solche Angst!«
»Das kann ich verstehen«, sagte ich. »Aber der Prof sagt, sie hätten dein Geld nicht geklaut. Das ist ja fast unglaublich!«
»Ja, da hab ich wirklich Glück gehabt.« Sie lächelte listig. »Ich glaub wirklich, der da oben hat damit etwas zu tun gehabt. Das war nämlich gar nicht mein Geld. Wir haben gesammelt - für die Mission. Ja, das Geld ist auch schon unterwegs. Die Schwestern hier haben das heute Nachmittag erledigt. Sie sind alle ganz fantastisch. Und Dr. Bremer …«
Sie machte sich daran, Dr. Bremers Qualitäten als Mensch und als Arzt zu beschreiben. Der Mann war sicher in Ordnung, aber bei Tante Edith hörte er sich an wie eine Mischung aus Jesus und Martin Luther King. Und als sie mit ihm fertig war, wandte sie sich den verschiedenen Schwestern zu, mit denen sie in den Stunden, in denen sie schon hier lag, zu tun gehabt hatte.
Ich hob die Augenbrauen, um dem Prof ein Zeichen zu geben. Höchste Zeit für den Absprung, meinte ich.
Das begriff er. »Können wir etwas für dich tun, Tante Edith? Wir müssen jetzt los.«
Er wirkte ziemlich unzufrieden, das merkte ich. Er hatte wohl damit gerechnet, mehr zu erfahren.
»Ja, das könnt ihr! Ich hab das vorhin total vergessen, als deine Eltern hier waren. Aber mein Mantel … Ich weiß einfach nicht, wo der geblieben ist. Ich habe die Schwestern gefragt, aber sie sagen, er wäre nicht hier.«
»Das kann doch nicht so schwer sein«, sagte ich. »Du sagst, ein Krankenwagen hätte dich abgeholt und hierhergebracht. Also liegt dein Mantel wahrscheinlich auf der Unfallstation. Sicher haben sie ihn in der Eile vergessen.«
»Ja, das klingt jedenfalls überzeugend«, sagte sie eifrig. »Wenn ihr für mich dort anrufen könntet ...«
»Wir schauen vorbei«, sagte der Prof. »Das liegt doch fast auf dem Weg. Wenn sie ihn haben, dann bringen wir ihn dir morgen mit.«
»Ja, wenn ihr so lieb wärt ...«
Der Vorhang wurde aufgerissen. Da stand eine ziemlich solide Krankenschwester, um es höflich zu sagen. Hundertfünfzigkiloklasse, tippte ich. Sie lächelte von einem Ohr zum anderen und hielt einen riesigen Strauß roter Rosen in den Händen.
»Frau Erlandsen! Haben Sie je so etwas Schönes gesehen?!«
»Nein, um Himmels willen, soll der für mich sein?« Tante Edith war wie vor den Kopf gestoßen.
»Ja. Ein Bote hat ihn eben gebracht. Einen Moment, dann bringe ich eine Vase.« Sie gab mir den Strauß.
»Aber wer in aller Welt kann auf diese wunderschöne Idee gekommen sein?«, wunderte Tante Edith sich.
»Das können wir vielleicht herausfinden«, antwortete der Prof. »Da hängt doch eine Karte.«
Er zog zwischen den grünen Blättern und den roten Blüten einen weißen Umschlag hervor und fischte die Karte heraus.
Und machte ein unangenehm langes Gesicht.
»Was ist los?«, fragte Tante Edith ängstlich. »Stimmt etwas nicht?«
Ich riss dem Prof die Karte weg.
Es war eine kurze, maschinengeschriebene Nachricht. Ich las laut vor: »DAS MIT DEM SALTO TUT UNS LEID!«
Die Karte war unterschrieben: »DIE BLAUEN WÖLFE«.
»Die Blauen Wölfe?« Tante Edith schien nur noch Bahnhof zu verstehen. »Das begreife ich nicht, da muss jemand sich einen Witz mit mir erlauben. Aber so schöne Rosen!«
Ich untersuchte Karte und Umschlag. Aber abgesehen von dem kurzen Text, den ich gerade vorgelesen hatte, fand ich weder ein geschriebenes noch ein gedrucktes Wort. Mit anderen Worten: Es war ganz unmöglich festzustellen, wo die Blumen gekauft worden waren und wer sie geschickt hatte.
Außer, dass die Absender ein paar blaue Wölfe waren, natürlich. Und das sagte mir ungefähr soviel wie ein leeres Blatt.
Ich nahm Karte und Umschlag mit, und wir gingen, als Schwester Signe mit der Vase zurückkam.