Als ich wieder zu mir kam, standen vor mir auf dem Tisch zwei Glas Cola. Am Nachbartisch saß der Mann, der mein Vater war, mit einem unsicheren Lächeln. So einem Lächeln, für das Charlie Brown in den Peanuts Spezialist ist. Ziemlich schief.
Ich schüttelte den Kopf. »Da war ich doch wirklich kurz eingedöst. Ich hab geträumt, du hättest Marita als meine Schwester bezeichnet.«
»Ein wahrer Traum«, antwortete Vater. »Fast wenigstens. Ich bin dein Vater. Und ich bin ihr Vater. Aber ihr seid nicht in derselben Form gegossen worden, um das mal so zu sagen.«
»Du meinst also … du meinst, sie ist gar nicht deine neue Freundin.«
»Genau. Die Kombination Tochter und Geliebte find ich doch ein bisschen heftig.« Plötzlich wirkte sein Lächeln etwas sicherer. »Peter! Jetzt komm wieder auf die Erde. Ich geb' ja zu, dass ich mich in der letzten Zeit ganz schön dusselig benommen habe, aber jetzt heul du hier bloß nicht rum, weil du eine neue Schwester hast.«
Rumheulen? Etwas Seltsames passierte. In meinem Bauch schien etwas loszublubbern. Und das Blubbern stieg in die Luftröhre oder in die Speiseröhre, egal, in welche blöde Röhre, und als es meine Mundhöhle erreichte, platzte es und wurde zu Lachen.
»Du spinnst!« sagte ich, als das Geblubber sich langsam legte. »Und das war also dein großes Geheimnis? Der Prof und ich waren sicher, dass du dich in eine Umweltterroristin verknallt hättest. Mutter hat bisher bloß gerafft, dass du dich mit einer anderen eingelassen hast.«
Ich erzählte, wie der Prof und ich uns bis zum Bau der Blauen Wölfe vorgeschnüffelt hatten.
»Und jetzt packst du gefälligst endlich aus!« sagte ich dann. »Ich find, das bist du mir schuldig. Übrigens, gibt es in dieser Bude was zu essen? Ich habe einen Hunger wie ein Wolf. Wie ein blauer Wolf.«
Also bestellten wir. Vater schmiss mir eine Runde lun leverpostei und schlug selber zu mit knusprig gebratener Scholle. Dann fing er an zu erzählen. »Von der Sache mit Marita hatte ich wirklich keine Ahnung. Ich wusste einfach nicht, dass ich neben dir und My noch ein Kind hatte.«
»Himmel«, sagte ich. »Wie ist so was möglich?«
»Wie das möglich ist, hast du ja wohl schon mitbekommen. Wenn nicht, dann musst du den Prof fragen. Aber was ich meine, ist… nein, verstehst du, Mia und ich waren zusammen, ehe ich deine Mutter kennengelernt habe. Verstehst du?«
Ich nickte.
»Gut. Jahre später sind wir uns dann auf einer Party begegnet, und dann haben wir … haben wir ...«
»Aus alter Freundschaft ein bisschen miteinander...?« schlug ich vor.
Vater goss sich den doppelten Schnaps hinter die Binde. »Ja, haben wir. Sie war damals mit einem Typen namens Kåre zusammen, den auch Mutter kannte. Wir hatten mit anderen Worten mehrere Gründe, um diese Episode zu verschweigen. Teufel auch, sie war doch gar nicht weiter wichtig. Ich wusste, mit wem ich zusammenleben wollte, und Mia ging das auch so. Es war … es war einfach nur passiert, um uns zu erzählen, dass wir nicht mehr böse aufeinander waren. Denn das waren wir damals, als wir uns getrennt hatten.«
»Aber wenn sie schwanger geworden ist«, meinte ich, »dann musst du dich doch gefragt haben, ob du vielleicht der Vater sein könntest.«
»Eben nicht. Bald nach diesem verdammten Fest sind sie und Kåre nach Dänemark gegangen. Kåre ist ein ganz anderer Typ als ich, hatte damals schon allerlei Geschäfte laufen und ist langsam hochgekommen. Hat massenhaft Geld verdient, während ich arm wie eine Kirchenmaus an meinen Totempfählen herumgeschnitzt habe. Um es kurz zu machen, Mia wusste eben, wie es mit meinen Zukunftsaussichten aussah, und deshalb wollte sie lieber Kåre als Vater für ihr Kind haben, statt sich von Kåre zu trennen und auf meine minimalen Unterhaltszahlungen zu warten. Und sie wollte auch meine Beziehung zu Mutter nicht zerstören. Das alles habe ich erst in den letzten Wochen erfahren. Verstehst du, dass deinem Vater so einiges in der Birne herumgegangen ist?«
»Klar doch. Aber wie hast du das alles rausgefunden? Diese Mia kann Marita doch nicht erzählt haben, dass Kåre gar nicht ihr Vater ist?«
»Doch. Aber das war erst vor etwa zwei Jahren. Damals haben Kåre und Mia sich scheiden lassen, und Mia hat Marita die Wahrheit erzählt.«
»Und wie kann sie so sicher sein, dass du der Vater bist und nicht Kåre?«
»Sie hat sicher nachgerechnet, stelle ich mir vor. Frauen sind gut im Kopfrechnen, vor allem in solchen Zuammenhängen. Ich habe jedenfalls keinen Grund, an ihrem Wort zu zweifeln, Lügen würden ihr doch nichts bringen. Wenn sie sagt, dass sie sicher ist, dann ist sie sicher. Fertig und aus. Ich bin einfach Maritas Vater.«
»Und dann taucht Marita in Oslo auf«, sagte ich. »Und lässt die Bombe platzen. Aber warum erst zwei Jahre, nachdem sie von dir erfahren hat?«
»Für sie war ich doch bloß ein Name. Ihr Vater war immer Kåre gewesen, nicht wahr? Es kam ihr wohl nicht natürlich vor, einfach anzutanzen und mir guten Tag zu sagen, nachdem sie die Wahrheit erfahren hatte.«
»Hat sie dir auf der Vernissage erzählt, dass sie deine Tochter ist?«
»Ja, das war vielleicht ein Hammer!«
»Hab ich gemerkt. Aber wieso hast du sie eingeladen, wenn du nicht wusstest, wer sie ist? Und was ist mit den Blauen Wölfen, diesem Bild, das schon in Privatbesitz war? Das gehörte doch damals schon Mia, wenn ich das nicht missverstanden habe.«
»Ich habe weder Marita noch ihre Kumpels eingeladen«, antwortete er. »Sie sind einfach aufgetaucht. Marita hatte schon länger ein Auge auf mich und fand die Gelegenheit wohl günstig.« Er zuckte die Schultern. »Auf einer Vernissage tauchen öfters ungebetene Gäste auf. Ich hatte diesen Punk, der so lecker gekotzt hat, auch nicht eingeladen.«
»Aber das Bild?«
Vater lachte. »Das befand sich erst in dem Moment, als Franzen den Zettel daran geklebt hatte, in Privatbesitz. Marita hat mich einfach gebeten, es ihr zu schenken. Und das konnte ich ihr doch nicht verweigern.«
»Und der Titel hat ihr die Idee für diese Organisation gegeben?«
»Nein, die Idee für den Namen der Organisation.«
»Ja, ja, das hab ich doch gemeint.«
»Ich hatte langsam das Gefühl, in einer Klemme zu stecken«,
fuhr Vater fort. »Erstens war sie ja in Gesetzesbrüche verwickelt. Und das konnte ich nicht jedem auf die Nase binden. Und zweitens hatte ich so verdammt wenig Lust, Mutter von meinem Seitensprung von damals zu erzählen.«
»Himmel, das ist doch zwanzig Jahre her.«
»Weiß ich. Aber es ist eben unter etwas besonderen Umständen passiert. Zum Beispiel wünschte sich deine Mutter damals gerade so sehr ein Kind. Und das mit Kåre … nein, ich meinte das, was ich am Telefon gesagt habe, nämlich, dass ich Zeit brauche. Marita lief ja mit ihren Aktionen immer schlimmer Amok. Ich wollte verhindern, dass sie eingebuchtet wird. Das hab ich ja auch geschafft, wenn auch um den Preis, dass ich jetzt selbst gesucht werde. Hatte sie schon seit zwei Stunden verfolgt, weil ich wusste, dass sie an diesem Tag zuschlagen wollten. Wenn ich nicht genau in diesem Moment eingegriffen hätte, dann säße sie jetzt im Knast.«
»Und jetzt musst du an ihrer Stelle sitzen?«
»Aber nein. Ich habe schon mit einem Anwalt telefoniert, den Mia in Oslo kennt. Er meint, dass alles gut laufen wird. Ich darf nur nicht verraten, dass ich die Frau kenne, an der ich gezogen habe. Ich soll einfach sagen, dass ich gerade vorbeikam und sah, was anlag, und dass ich mit diesen Irren sympathisiere. Niemand kann beweisen, dass ich selber im Laden war; das war ich nämlich nicht.« Er trank von seinem Bier. »Ich werde wohl mit einer Geldstrafe davonkommen, nehme ich an. Und einigen Stunden Verhör. Der Anwalt meint, ich könnte ganz ruhig bleiben, müßte mich aber so bald wie möglich stellen. Ich brauchte nur einfach ein paar Tage hier mit Mia und Marita. Du verstehst doch sicher, dass wir ganz schön viel zu bereden hatten. Und Marita musste doch ganz schnell aus Oslo verschwinden.«
»Ja«, sagte ich. »Meinst du, sie lässt solche Aktionen in Zukunft sausen?«
Plötzlich gefiel mir der Gedanke gar nicht, sie hinter Gittern zu sehen.
Vater zwinkerte mir zu. »Wer weiß? Du hast dir eine Schwester zugelegt, die zäher als der Zar ist, das kann ich dir nur sagen. Ich kann sie jedenfalls nicht zähmen. Weiß auch gar nicht, ob ich das will. Aber in der nächsten Zeit wird sie wohl ihr Tempo ein paar Stufen runterdrehen. Das ist wirklich komisch. Bei Schäden in Millionenhöhe reagieren Bullerei und Versicherungen doch leicht sauer. Ich glaube, das hat sie kapiert.«
»Der Prof und ich haben viel darüber diskutiert«, sagte ich. »Gar nicht leicht, in solchen Fällen die Grenze zu ziehen.«
»Ja.« Plötzlich war Vater sehr nachdenklich. »Das ist verdammt schwierig. Der Feind ist nicht immer leicht zu definieren, um es mal so zu sagen.«
»Nein«, stimmte ich zu und dachte an Tante Edith und ihren Pelzmantel.
»Wo wohnt ihr denn eigentlich?« fragte der Alte und fuchtelte dem Kellner hinterher. »In der Jugendherberge?«
»Nein«, antwortete ich. »Wir wohnen gleich bei euch nebenan. Haben uns ein Zimmer im Admiral genommen.«
Er starrte mich an. Lange.
Dann öffnete er den Mund, und wir sagten im Chor: »Du bist zu spießig, Peter Pettersen!!!«
Und da erschienen meine Schwester und der Prof. Sie kamen Arm in Arm angetanzt und waren gelinde gesagt unspiessig.
ENDE