Der Prof ging mit großen Schritten in Richtung Unfallstation. Ich hatte ihn lange nicht mehr so energisch erlebt. Der Schweiß troff von seiner Stirn.
»Jetzt mach mal halblang«, sagte ich. »Dieser verdammte Mantel wird ja wohl nicht durchbrennen.«
»Weiß ich. Aber dieser Mist mit Tante Edith geht mir total auf den Keks. muss mir meine Wut ablaufen. Sag eine Weile nichts Blödes, bitte.«
Der letzte Spruch machte mich leicht sauer. Und als es dann auch noch anfing zu regnen, ging es mir gar nicht viel besser. Im Grunde fand ich es reichlich schwachsinnig, dass wir in diesem Fall Detektiv spielen sollten - falls der Prof das nun vorhatte. Ich meinte immer noch das, was ich vorhin gesagt hatte: Das Ganze war Sache der Bullen. Und trotzdem musste ich mir innerlich eingestehen, dass nicht nur der Prof jetzt Ameisen im Bauch hatte. Die Blauen Wölfe, dachte ich. Wer zum Kranich ist das? Sollte ich die Karte so verstehen, dass die Täter die Rosen geschickt hatten? Und wenn es so war, warum tat ihnen alles leid? Und warum nannten sie sich Die Blauen Wölfe?
Ich packte den Prof am Kragen und brachte ihn zum Stehen.
»Hör zu, Prof! Ich mach mit, wenn du unbedingt schnüffeln willst. Aber nur, wenn du dir deine miese Laune an den Hut steckst. Und schmink dir diesen frechen Ton ab. Ist das klar?«
Er sah mich mit großen Augen an. Regenwasser floss über seine Stirn. Einen Moment lang glaubte ich, er wollte mir eine scheuern, aber dann schien die Luft aus dem Ballon zu entweichen. Er sank irgendwie in sich zusammen und sah nur noch traurig und niedergeschlagen aus.
»Alles klar, Peter. Ich hab mich im Tonfall vergriffen. Ich hab dir den Mist an den Kopf geworfen, den ich für diese Schlägertypen reserviert hatte. Tut mir leid.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte ich und fing an, weiterzugehen. »Aber wenn wir in dieser Sache weiterkommen wollen, dann dürfen wir nicht mit einem halben Liter Adrenalin durch die Gegend toben. In dieser Lösung schwimmen die Gedanken nur schlecht.«
»Da hast du recht«, sagte er. »Was kommt dir an der Geschichte am merkwürdigsten vor? Ich meine, abgesehen davon, dass sie ihr die Kohle nicht geklaut haben?«
Ich zuckte die Schultern. »Diese Karte, nehm’ ich an. Die Blauen Wölfe. Kein Firmenstempel oder so auf der Rückseite. Nur ein Stück weißer Karton. Dieser Strauß ist wohl kaum mit einem richtigen Boten gekommen.«
»Glaub ich auch nicht. Hast du sie noch? Die Karte?«
Ich fischte sie aus meiner Hosentasche und gab sie dem Prof.
Er stieß einen Pfiff aus. »Das ist überhaupt keine normale Karte. Die ist einfach aus einem größeren Pappstück herausgeschnitten worden. Fühl mal!«
Ich bekam die Karte zurück. Die Kanten waren uneben, das spürte ich, wenn ich mit den Fingerspitzen darüberfuhr.
»Stimmt«, sagte ich. »Und was sagst du zum Text selber? Ganz zu schweigen von diesen Blauen Wölfen?«
»Keine Ahnung. Wirklich keinen blassen Schimmer. Aber was mir im Moment am heftigsten durch die Birne wirbelt, ist das, was Tante Edith von diesem Geräusch erzählt hat, das sie gehört hat, kurz bevor es knallte.«
»Ein Sausen«, sagte ich. »Hat sie es nicht so beschrieben?«
»Ja«, antwortete der Prof. »Ungefähr so.«
»Sausende Blaue Wölfe«, sagte ich. »Die ihrem Opfer Blumensträuße für mehrere hundert Eier schicken und ihr Tun bedauern. Falls sie es überhaupt waren.«
»Ja«, meinte der Prof. »Falls sie es waren.«
Im Wartezimmer auf der Unfallstation saß eine triste Bande und wartete auf Behandlung. Ein Alter mit einem Arm in einer provisorischen Schlinge, die jemand aus einem Schal hergestellt hatte. Neben ihm saß ein Typ in Vaters Alter mit blutverschmierter Stirn, er sah krank und bekifft aus. Neben ihm wiederum saß ein Paar mit einem kleinen Baby, das unangenehm ruhig in den Armen der Mutter lag. Wir gingen an diesen Leuten vorbei und wandten uns an eine junge Dame in weißer Tracht. Der Prof erklärte, weshalb wir gekommen waren.
»Tja«, sagte sie und lächelte freundlich. »Ich seh’ mal nach, ob ich etwas herausfinden kann. Was war das denn für ein Mantel?«
»Oh verdammt!«, sagte der Prof. »Wir haben total vergessen, danach zu fragen.« Er dachte nach. »Ich glaube, wir gehen von einem schwarzen Pelzmantel aus. Hab sie nie in einem anderen gesehen, abgesehen vom Hochsommer.«
»Ja, das ist ja nicht gerade eine gute Beschreibung«, sagte die Schwester. »Ich meine, ich weiß doch nicht, wer ihr seid. Wenn wir so einen Mantel haben, müssen wir erst im Krankenhaus fragen, ehe wir ihn euch geben können.«
»Das ist doch klar«, sagte ich. »Sie hat mit den Schwestern auf ihrer Station darüber gesprochen, das ist sicher kein Problem.«
»Wir müssen ihn auch nicht um jeden Preis jetzt schon mitnehmen«, warf der Prof dazwischen. »Sie wird ihn ja noch wochenlang nicht brauchen können. Aber wenn Sie ihn hier haben, kann ich sie jedenfalls beruhigen. Ich glaube, das ist im Moment das Wichtigste.«
Die Schwester nickte und bat uns, einen Moment zu warten, dann verschwand sie in einem Bürozimmer. Wir warteten, und nachdem aus dem Moment zwanzig Minuten geworden waren, kam ein Typ in weißem Kittel und winkte uns in ein Zimmer.
Und da, auf einem Kleiderbügel, hing ein schwarzer Pelzmantel.
»Das ist er!«, sagte der Prof. »Ich bin ganz sicher. Und ich wette, dass sie ein Namensschildchen hineingenäht hat, so was nimmt sie immer sehr genau.«
»Und was soll auf diesem Namensschildchen stehen?«, fragte der Mann und musterte uns leicht skeptisch.
»Auf dem Schildchen soll ‚Edith Erlandsen‘ stehen«, antwortete der Prof. »Sonst ist es der falsche Mantel.«
Der Typ ging nachsehen. Wir gingen hinterher.
»Da!«, rief der Prof. »Ganz oben unter dem Kragen.«
»Edith Erlandsen«, las der Mann vor. »Stimmt. Aber ich glaube, Beate soll doch erst im Krankenhaus anrufen, ehe ich ihn euch gebe. Das …«
»Zum Teufel!«, fiel ich ihm ins Wort. »Habt ihr denn keine Augen im Kopf? Nun seht euch das doch an!«
Ich zog den Mantel besser ins Licht. Abgesehen davon, dass Tante Ediths Pelz ziemlich verdreckt war, nachdem sie sich darin in der Gosse gewälzt hatte, passte etwas daran nicht zu der Ordnungsfrau, als die ich sie kannte. Keiner könnte mir einreden, dass Tante Edith sich ein großes blaues Kreuz hinten auf ihren Mantel gemalt hätte!
»Zum Kranich!«, sagte der Prof und fuhr vorsichtig mit den Fingern über das X. »In diesem Fall erschlägt eine Spur ja die andere.«
»Fall?«, fragte der Typ verwirrt.
»Vergessen Sie das!«, antwortete der Prof. »Wir holen den Pelz in den nächsten Tagen ab. Meine Mutter soll das mit dem Krankenhaus verabreden.«
»Aber der … der Pelz ist ja vollständig ruiniert«, sagte der Mann.
»Genau!« stimmte der Prof zu.