18
Geschlagen
Zurück zu Hause komme ich mir wie ein großer Versager vor und lasse mich bäuchlings aufs Bett fallen. Wie komme ich bloß aus dieser Stimmung heraus? Es muss einen Weg geben. Einen Weg, das Chaos zu beseitigen, das ich aus meinem Leben gemacht habe, und neu anzufangen.
Es klingelt an der Tür. Verschwinde, Herrgott, geh einfach weg, denke ich. Ich bleibe auf dem Bett liegen und rühre mich nicht, will niemanden sehen, mit niemandem reden, nichts kaufen, kein Geld spenden, das ich nicht habe. Ich will nicht die Haustür öffnen und ein normaler Mensch sein.
Aber wer auch immer dort steht, geht nicht weg. Es klingelt weiter. Hauptsächlich vor lauter Ärger stehe ich auf und stapfe nach unten. Warum können die Leute mich nicht einfach in Ruhe lassen?
Und dann verraucht meine Wut, denn vor der Tür steht Simon.
Es fühlt sich an wie ein Schlag in den Magen. Seit unserer Nicht-Hochzeit sind zehn Tage vergangen, und das habe ich geahnt, ja gefürchtet. Sein Gesicht zu sehen überfordert mich. Das blaue T-Shirt, die Jeans, der angespannte Kiefer, auf trotzige Art leicht angehoben – er sucht meinen Blick.
»Simon.« Zumindest versuche ich, »Simon« zu sagen, doch es kommt kaum mehr als ein Krächzen heraus.
»Rilla.«
»Es tut mir so leid.« Während ich diese Worte herausstoße, sagt er gleichzeitig: »Ich verstehe nicht, was passiert ist.« Er sieht mich durchdringend an, die Hände in den Hosentaschen vergraben.
Ich versuche, tief durchzuatmen, doch die Luft scheint in meiner Brust stecken zu bleiben. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin im T-Shirt nach unten gelaufen, und als ich Simon vor der Tür stehen sehe, fange ich an zu zittern. Was, was soll ich jetzt sagen, was soll ich tun? Ich ertrage das nicht, ertrage es nicht, ihn anzusehen. Dann platze ich mit etwas heraus, von dem ich noch nicht einmal wusste, dass ich es gedacht habe.
»Warum hast du mich gefragt, ob ich dich heirate?«
Simon nimmt die Hände aus den Hosentaschen. Ich sehe ihm an, dass ich ihn überrascht habe. Ganz bestimmt habe ich auch mich überrascht. Nun schweigen wir beide, und andere Geräusche treten umso deutlicher hervor – das überdrehte Zwitschern der Spatzen, das Motorenbrummen vorbeifahrender Autos, das Rattern eines Presslufthammers, das Geschrammel der Vihuela aus der Erdgeschosswohnung – und es gibt Geräusche innerhalb der Geräusche. Plötzlich höre ich alles, auch weit Entferntes – Flugzeuge, Stimmen, Züge, Hunde, Flüstern, Zittern, den Wind. Meinen Herzschlag. Es könnte auch Simons sein.
»Ich habe gemerkt, dass du dich zurückziehst. Dass du mir entgleitest«, sagt er.
Er holt tief Luft und schließt einen Moment die Augen, dann öffnet er sie wieder und blickt zum Himmel hoch. Jetzt fallen mir die Bartstoppeln an seinem Kinn auf, wie ungewöhnlich blass er ist, die Schatten um seine Augen.
Ich verschränke die Arme über der Brust. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Du hast länger gebraucht, um auf meine Nachrichten zu antworten. Wenn ich dich gefragt habe, ob wir was unternehmen, warst du beschäftigt. Es ist schwer, das genau zu benennen. Ich habe gespürt, dass du dich zurückziehst, deshalb habe ich dich gefragt, ob du mich heiratest. Ich hatte Panik.« Er hebt den Kopf. »Ich hatte Panik, okay?«
Und jetzt hat Simon mich überrascht. Was auch immer ich als Antwort erwartet habe, damit habe ich nicht gerechnet.
An jenem schicksalhaften Tag hatten wir uns Felstümpel in Bexhill angesehen und Seeanemonen gezählt. Wer findet die meisten? Ich zählte die offenen, die die Tentakel zitternd in die Seeluft streckten, und Simon die geschlossenen, kaum sichtbaren, die rund wie Pilze waren. Die Felsen waren glitschig von Moos und Algen, und es regnete, und keiner von uns hatte eine Regenjacke dabei. Den Vormittag über waren wir durch die Stadt spaziert, hatten Kaffee getrunken und bei Oxfam nach Büchern geschaut. Er hatte mich seit einigen Wochen gefragt, ob wir uns nicht einen Tag freinehmen wollten, und ich hatte stets abgelehnt mit der Begründung, zu viele Gutachten schreiben zu müssen, doch dann gab ich nach.
Als ich genug von Seeanemonen hatte, wischte ich mir den Regen aus den Augen, beugte mich hinunter, um zerbrochene Muscheln und Kieselsteine aller Farbschattierungen zu sammeln. Einen roten, einen senfgelben, einen in Meersalz, einen schwarzen, alle möglichen Arten von Kieseln, die ich Simon reichte, damit er sie für mich aufbewahrte. Ich richtete mich auf, rutschte aus und fiel Simon in die Arme. Ich versuchte nicht einmal, mich davor zu schützen, ins Wasser zu stürzen. Ich hielt die Augen geschlossen, die Arme ausgebreitet, und lächelte wie ein Idiot.
»Lass uns heiraten«, flüsterte er, die Wange an meine gepresst.
Eine Weile sagte ich nichts, dann flüsterte ich »Okay«, die Augen noch immer geschlossen.
Kurz umarmten wir uns fest, nur eine Sekunde, unsere Herzen schlugen aneinander, doch das war es. Es gab keinen weiteren Hinweis darauf, dass gerade etwas Folgenschweres geschehen war.
»Vielleicht habe ich mich geirrt, vielleicht habe ich es mir nur eingebildet«, sagt Simon jetzt.
Aber ich muss ehrlich sein, das bin ich ihm schuldig. Ich schüttle den Kopf. »Nein, das hast du dir nicht eingebildet.«
Ich trete auf die Veranda zum Schaukelsessel und lasse mich hineinplumpsen. Ich stochere mit einem Fingernagel in einem Riss im Holz, Holzsplitter rieseln auf den Boden. Eine Weile sage ich nichts, und auch Simon schweigt. Er lehnt sich gegen das Verandageländer.
»Ich kann nicht … Ich hätte nicht Ja sagen dürfen. Ich … es ist eine Menge los«, sage ich schließlich.
»Verstehe«, sagt Simon. »Das ist wohl die lahmste Erklärung, die ich jemals gehört habe.«
»Ich muss mir über ein paar Dinge klarwerden, okay?« Ich gebe einen ungeduldigen Laut von mir. »Ich kann einfach nicht … ich kann das einfach nicht. Verstehst du das nicht? Ich kann noch nicht einmal versuchen, es dir zu erklären – zu erklären, was ich selbst nicht verstehe. Ich kann das nicht. Das macht alles irgendwie … kleiner. Ich kann es dir nicht erklären, du musst es einfach hinnehmen.«
»Ich könnte dir helfen, was immer es ist.«
Er sieht mich jetzt an, aber ich kann ihn nicht ansehen. Er ist nicht nah genug, aber es ist, als könnte ich seine Haut unter dem Geruch des Dornenstrauchs riechen, der direkt vor der Veranda steht, unter dem Geruch seines Rasierwassers, unter dem von den feuchten Blättern auf dem Boden. Und das ist zu viel.
Ich schließe die Augen und presse die Finger auf die Lider. »Ich will keine Hilfe von dir. Ich weiß nicht einmal …«
Gedanken steigen in mir auf. Meine Schwester Rose, ich habe eine Schwester, ich weiß nicht, wo sie ist. Sie sind auf einmal da und gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Abrupt stehe ich auf. Es rauscht in meinen Ohren. Mein Vater spricht auf mich ein. Wir dürfen nicht mehr darüber reden, das verstehst du doch, Rilla, nicht? Verstehst du das? Es ist wichtig, dass du verstehst, was passieren könnte. Bitte, du musst das verstehen. Mein Vater bittet mich verzweifelt, still zu sein. Und da ist die vertraute Panik, mein verkrampfter Magen, das Wissen, dass ich Schaden anrichte und Dinge zerbreche, die ich eigentlich nicht anfassen darf.
»Ich muss reingehen«, sage ich jetzt, mir ist schwindlig. »Es tut mir leid. Ich weiß, ich habe dich verletzt, und das tut mir wirklich leid, aber mehr kann ich dir nicht sagen.«
Ich muss weg. Das Bedürfnis zu entkommen, ist so stark, dass ich mich zwingen muss, nicht zu rennen. Ich weiß nicht, was Simon tun wird. Ich weiß nicht, ob er geht oder ob er noch eine Weile allein auf der Veranda bleibt, aber ich kann nicht an ihn denken. Er stößt sich vom Geländer ab. Als ich auf die Haustür zugehe, sehe ich aus den Augenwinkeln eine kleine Maus, die an etwas knabbert, kurz erstarrt, als sie uns sieht, und dann davoneilt. Normalerweise fallen mir Kleinigkeiten wie diese nicht auf, Simon entdeckt Mäuse und Hasen auf dem Feld, ungewöhnliche Pflanzen und Blumen.
Ich zeige ihm die Maus nicht, sondern drehe mich um, öffne die Haustür und stürze ins Haus. Ich schließe die Tür und lehne mich von innen mit dem Rücken dagegen, die Augen fest geschlossen. Irgendwie rechne ich damit, dass Simon jeden Moment klopft, aber das tut er nicht. Langsam gehe ich die Treppe zu meiner Wohnung hinauf, so dumpf, dass ich noch nicht einmal mein Bedauern spüre, meine Schuld oder meine Trauer. Jedenfalls nicht sehr.