Man muss also ein Fuchs sein, um die Schlingen zu erkennen, und ein Löwe, um die Wölfe zu schrecken. Diejenigen, welche sich einfach auf die Natur des Löwen festlegen, verstehen hiervon nichts. Ein kluger Herrscher kann und darf daher sein Wort nicht halten, wenn ihm dies zum Nachteil gereicht und wenn die Gründe fortgefallen sind, die ihn veranlasst hatten, sein Versprechen zu geben. Wären alle Menschen gut, dann wäre diese Regel schlecht; da sie aber schlecht sind und ihr Wort dir gegenüber nicht halten würden, brauchst auch du dein Wort ihnen gegenüber nicht zu halten. Aber man muss eine solche Fuchsnatur zu verschleiern wissen und ein großer Lügner und Heuchler sein: Die Menschen sind so einfältig und gehorchen so sehr den Bedürfnissen des Augenblicks, dass derjenige, welcher betrügt, stets jemanden finden wird, der sich betrügen lässt.
Der Fürst, Kap. 18
Der politische Beamte und Theoretiker der Politik, der Historiker seiner Heimatstadt Florenz und Verfasser von zwei Komödien, Niccolò Machiavelli, gilt als wortgewaltiger Anwalt skrupelloser Machtpolitik. In Wahrheit ist er kein Zyniker, der die Macht um ihrer selbst willen preist und sich für ihre aller Moral spottende Ausübung einsetzt. Machiavelli entbindet zwar den Politiker von der Moral, suspendiert ihn aber nicht grundsätzlich von ihr, sondern nur unter gewissen Bedingungen. Statt einer prinzipiellen Missachtung vertritt er lediglich eine provisorische Amoral.
Zu den Gründen zählen politische Erfordernisse der Zeit. Machiavelli lebt in einer Epoche politischer Wirren und, ideengeschichtlich gesehen, in einer Umbruchszeit, in der der Nachhall antiken und mittelalterlichen Denkens mit Vorklängen der Moderne sich mischt. Ein spätmittelalterliches, eher pessimistisches Menschenbild verbindet sich mit einem pragmatischen Denken und einer politischen Technik, für die Machiavelli dank seiner humanistischen Bildung eine skeptische Nüchternheit mitbringt.
Die geistige Umbruchszeit fällt übrigens beiderseits der Alpen höchst unterschiedlich aus. Nördlich des Gebirges ist es die Zeit der Reformation, in der Theologen wie Martin Luther (Wittenberg), Ulrich Zwingli (Zürich) und Johann Calvin (Genf) die Kirche reformieren wollen, Städte und Fürsten sich gegen den Kaiser stellen, blutige Konfessionskriege namenloses Leid bringen und die Einheit der weltlichen Christenheit zerfällt. Südlich der Alpen hingegen, wo die Reformation keinen Fuß fasst, in Machiavellis Denken nicht einmal erwähnt wird, ist es die Epoche des Humanismus. Dieser breitet sich freilich auch nördlich der Alpen aus und findet mit Erasmus von Rotterdam (1469–1536) und Thomas Morus (1478–1535) zwei überragende Vertreter: Während die Reformation Europa spaltet, wohnt im Humanismus eine Kraft der Einheit.
Von einer selbstbewussten Bürgerschaft getragen und von ehrgeizigen weltlichen und geistlichen Führern gefördert, gelangen in der Zeit des Humanismus Kunst, Literatur und Wissenschaften zu einer Blüte, die dort, wo sie sprachgebunden ist, dank der noch gemeinsamen Gelehrtensprache, des Lateinischen, Staatsgrenzen überschreitet.
Ähnlich wie Cicero im antiken Rom und unter seinen Zeitgenossen Thomas Morus, vorher ansatzweise auch Dante und Marsilius, ist Machiavelli beides, aktiver Politiker und politischer Denker zugleich. Diese Doppelrolle, die sowohl seiner Begabung als auch seinen Interessen entspricht, ermöglicht ein erfahrungsgesättigtes, den Erfordernissen der Zeit gerecht werdendes Denken.
Machiavellis zweites Vaterland, nächst Florenz Italien, existiert nicht als ein einheitlicher Staat, dieser wird erst im 19. Jahrhundert geschaffen. Das Land ist in viele Herrschaften zersplittert, von denen das Herzogtum Mailand, die Republik Venedig, der Kirchenstaat, das Königreich Neapel und Machiavellis Heimat Florenz die fünf wichtigsten sind. Lorenzo I. de’ Medici, dem schon zu Lebzeiten «der Prächtige» (Il Magnifico) genannten Herrscher über Florenz, gelingt es, hinter der Fassade einer republikanischen Verfassung eine geradezu fürstliche Machtposition aufzubauen und sie weitgehend zum Wohl seines Gemeinwesens auszuüben. Mit Hilfe einer raffinierten Balancepolitik bringt er Italiens größere Herrschaften in ein friedliches Gleichgewicht, bei dem seine Heimatstadt, zu einer bis heute bewunderten Metropole der Kultur aufgestiegen, das Zünglein an der Waage spielt.
Bald nach Lorenzos Tod lösen sich in Florenz einander widersprechende Verfassungen ab, wobei binnen 25 Jahren beinahe alle Verfassungsmodelle durchprobiert werden. Italien wiederum, das politisch umtriebigste Land der Zeit, wird von konkurrierenden Mächten aus dem Ausland, von Frankreich, Spanien und dem deutschen Kaiser, bedroht. Diese beinahe ausweglose Situation motiviert Machiavelli, den Florentiner und italienischen Patrioten, als einen verzweifelten Rettungsversuch Il Principe, zu Deutsch: Der Fürst zu schreiben.
Der Autor entstammt einer alten republikanisch gesinnten Bürgerfamilie. Mangels eigenen Vermögens streben deren männliche Mitglieder Beamtenposten an, zu deren Vorbereitung humanistische Studien dienen. Bei Niccolò Machiavelli tragen sie bald Früchte. Die Bürgervertretung, der Große Rat, übergibt dem erst knapp 30-jährigen eines der Ämter, die in der kurzatmigen Rotation der Rats- und Ausschussmitglieder für politische Kontinuität sorgen: Während 14 Jahren übt Machiavelli das Amt eines Sekretärs der Republik aus. Es wird allerdings immer wieder durch andere Aufgaben unterbrochen, etwa durch den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn, die Mitwirkung bei der Rückeroberung von Pisa. Ihr geht eine von Machiavelli initiierte Militärreform, der Aufbau eines Volksheeres, voran (vgl. die Schrift Über die Kriegskunst, 1519/20).
Hinzu kommen zahlreiche diplomatische Missionen. Bei ihnen lernt Machiavelli die Bedeutung des Militärs für die Politik kennen und schätzt als Grund für die wirtschaftliche und politische Überlegenheit Frankreichs dessen Aufhebung feudaler Zersplitterung in einem absolutistisch regierten Zentralstaat ein (vgl. die Darstellung der Zustände Frankreichs, 1510). Die zahllosen Gesandtschaftsbriefe und Legationsberichte, die Machiavelli während der Missionen schreibt, und die Denkschriften, die er als Sekretär verfasst, lesen sich wie ein Steinbruch, der für seine beiden politischen Hauptschriften reiches Erfahrungsmaterial beisteuert.
Im Alter von 32 Jahren heiratet Machiavelli. Von seiner Frau, die seine Untreuen geduldig trägt, bekommt er im Laufe der Jahre sechs Kinder. Im Jahr 1512, nach Rückkehr der Medici, wird der 43-jährige seiner Ämter enthoben. Auf 14 Jahre politischer Mitwirkung folgt die ebenso lange Zeit einer bis zum Tode dauernden politischen Untätigkeit. Auf einem kleinen ererbten Landgut in Sant’ Andrea nahe Florenz verfasst Machiavelli seine zwei politisch wichtigsten Werke, den schmalen Essay Der Fürst (1513) und die etwa viermal so umfangreichen Erörterungen über die erste Dekade des Titus Livius (Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio, 1513–1519).
Knapp ein Jahrzehnt nach der Verbannung wird Machiavelli offiziell rehabilitiert. Schon im Jahr zuvor, 1520, erhält er von einem Medici, dem Kardinal Giulio und späteren Papst Clemens VII., den mit einer jährlichen Vergütung verbundenen Auftrag, eine Geschichte von Florenz zu schreiben. Sie beginnt nicht wie vorher üblich mit dem Altertum, sondern mit der Völkerwanderung und dem Zerfall des Römischen Reiches.
Machiavelli legt den acht Büchern keine sorgfältige Quellenforschung zugrunde, sondern bedient sich unbekümmert bekannter Chroniken und Geschichtsdarstellungen. Neu ist, dass er nicht nur auf die Diplomatie, das Kriegswesen und Staatsaktionen sowie die führenden Personen Wert legt. Er achtet ebenso auf die gesellschaftliche Dynamik, wobei der christliche Gedanke einer Heilsgeschichte keine Rolle mehr spielt. Machiavelli interessiert sich ausschließlich für eine säkulare Geschichte.
Bei einem weiteren Auftrag, dem Entwurf einer Verfassung, plädiert Machiavelli für eine Republik. Trotzdem hält man ihn für einen Medici-Sympathisanten, weshalb die neue republikanische Regierung die Bewerbung um eine Sekretärsstelle am 10. Juni 1527 fast einstimmig ablehnt. Nicht einmal zwei Wochen später, am 21. Juni, erliegt der 58-jährige, von den Anstrengungen und Enttäuschungen der letzten Jahre zermürbt, einer kurz zuvor ausgebrochenen Krankheit. Am folgenden Tag wird er in der Familiengruft der Florentiner Kirche Santa Croce beigesetzt: ein Mensch, der nach Auskunft seiner Korrespondenz eine offenherzige, leutselige Person war, der sein Vaterland liebte, außer der Politik aber nichts für wichtiger hielt als Liebe, Freunde und Spaß.
Seinen Ruhm erlebt Machiavelli nicht mehr. Erst ein halbes Jahrzehnt nach seinem Tod erscheinen die politischen Hauptwerke, die republikanischen Erörterungen (1531) und der unvergleichlich wirkungsmächtigere Text, der viel gescholtene, aber auch mit Hochachtung aufgenommene Fürst (1532).
«Wer auch immer auf den Kopf eines leeren Blattes Papier den Namen Machiavelli setzt, kann sich einer gewissen Angst nicht erwehren; nach Hunderten von anderen versucht auch er, die Sphinx ins Verhör zu nehmen, dessen Prosa in jedem Satze klar und durchsichtig ist und im Ganzen zweideutig.» So schreibt, hier etwas gekürzt, der französische politische Denker Raymond Aron zu Beginn seiner Abhandlung Machiavel et Marx (1969). Fraglos hat er damit nicht ganz unrecht. Nur wer den Fürst oberflächlich liest und sich dabei vom spielerisch-leichten Duktus des Textes leiten und verleiten lässt, wird den gesamten Text für «klar und durchsichtig» halten. Wer ihn aber gründlich studiert, macht manch gegenteilige Erfahrung. Bald angesichts widersprüchlicher Behauptungen, freilich nicht im Wesentlichen, bald wegen fließender Übergänge von nüchterner Analyse zu tänzelnder Ironie, nicht zuletzt wegen etlicher Übertreibungen und gedanklicher Sprünge kann man ins Stolpern geraten. Arons Diagnose «im Ganzen zweideutig» wird aber Machiavellis Essay nicht gerecht.
Wie sehr wenigen politischen Schriften gelingt es dem Fürst, nicht nur in die Ideengeschichte, sondern sogar in die Weltliteratur einzugehen. Die vor mehr als einem halben Jahrtausend verfasste Botschaft, dass ein Herrscher, wenn erforderlich, in skrupelloser Rücksichtslosigkeit handele, erlangt als Machiavellismus sprichwörtliche Bedeutung. Im Englischen bezeichnet der Vorname als «Old Nick» sogar den Teufel.
Das den Fürst beherrschende Thema ist die politische Macht. Es geht aber nicht um deren Legitimation oder sogar Selbstlegitimation, sondern um deren Erwerb und Erhalt. Zweifellos ist dieses Thema, die Machtfunktionalität, in der politischen Theorie nicht neu, ohnehin nicht in der politischen Praxis. Neu gegenüber der Tradition ist, dass Machiavelli sich auf diesen Gegenstand als sein einziges Thema festlegt. Nur dieses, die Herrschaft von (nichtdynastischen) Fürsten, untersucht er von beiden Seiten aus, sowohl vom Herrscher als auch den Untertanen, dem Volk. So zeichnet sich der Fürst durch eine geniale Einseitigkeit aus, bei der sich eine Kühnheit und Originalität politischen Denkens mit politischer Leidenschaft verbindet. In einer bis zum Tabubruch gesteigerten Provokation vertritt der Autor, dieser intellektuell und moralisch extravagante Querkopf, bewusst verstörende Thesen.
Ein Zweites ist neu: Machiavelli befasst sich nicht bloß mit den beiden üblichen Dimensionen von Macht, deren Erwerb und Erhalt. Ihn interessiert auch eine dritte Dimension, die am deutlichsten in der Eroberung anderer Gemeinwesen zutage tritt: die Größe (grandezza). Der Fürst soll in seinem Medium, der Macht, so weit herausragen, dass er «in die Geschichte eingeht» und mitlaufend, durch eine im expansiven Sinn grandiose Herrschaft, nicht bloß sich, den Herrscher, sondern ebenso die Beherrschten, das Volk, adelt.
Auf das Thema der politischen Macht eingeschworen, behandelt der Autor seinen Gegenstand mit derselben Rücksichtslosigkeit wie der Fürst seine Macht: so gut wie ohne Abschweifungen, ohne Neben-, ohne Hilfsthemen. Dabei tritt eine dritte Neuerung zutage: Machiavelli erörtert sein Exklusivthema auch in methodischer Exklusivität. Im vorangehenden politischen Denken finden sich neben begriffsanalytischen auch phänomenologische, neben deskriptiven auch normative Argumente und bei den normativen sowohl technische als auch pragmatische, nicht zuletzt genuin moralische Argumente. Für Machiavelli zählen letztlich nur machtfunktionale Überlegungen, für die er als Renaissance-Humanist häufig historische, bald antike, bald zeitgenössische Belege anführt.
Der literarischen Gattung nach ist der Text ein Fürstenspiegel. Machiavelli reiht sich also in eine Tradition ein, die das abendländische Denken namentlich seit Cicero und Seneca, also seit vielen Jahrhunderten, kennt und der sich islamische Denker wie al-Fārābī anschließen. Für das christliche Mittelalter sei an ihr berühmtestes Beispiel, Thomas von Aquins Schrift Über die Herrschaft der Fürsten (1271), erinnert und für Machiavellis Epoche an Bartolomeo Platinas Schrift Vom wahren Fürsten (De vero principe, um 1481). Ein weiteres Beispiel, Erasmus’ Fürstenspiegel, entsteht kurz nach Machiavellis Schrift.
In Platinas «vero» klingt schon im Titel an, was sich für Thomas und Erasmus von selbst versteht: Es sind jene moralischen Anforderungen an den Herrscher darzulegen, die sich bei Thomas im Wesentlichen aus einer aristotelisch-christlichen Tugendethik, bei Platina aus einem säkularisierten Humanismus ergeben. Im Fürst hingegen verliert die Moral zwar nicht jede Bedeutung, denn der Autor nennt Verbrechen durchaus Verbrechen, bei Kapitel 8 sogar im Titel. Die Moral spielt aber nicht länger die tragende Rolle einer Kritikinstanz. Statt einen zur Unmoral neigenden Fürsten zur moralischen Räson zu rufen, wird die Moral in fürstliche Dienste gestellt. Dadurch geht ihr Wesen, eine von jedem und ausnahmslos zu befolgende Verbindlichkeit, verloren. Machiavelli interessiert sich nicht für einen rechtschaffenen Herrscher, sondern ausschließlich für den erfolgreichen Machtpolitiker. An die Stelle des moralischen Gegensatzes von Gut und Böse tritt die machtfunktionale Antithese von Gelingen und Misslingen, von Erfolg und Scheitern: Der Fürst singt ein Loblied auf den expansiv-erfolgreichen Machtmenschen.
In diesem Lob liegt die vierte Neuerung. Häufig interpretiert man sie als Plädoyer für reine Amoral. Dieses Verständnis übersieht aber Machiavellis leitende Frage: Wie kann ein Herrscher seine Macht erwerben, dann erhalten und schließlich bis zum Ruhm steigern? Lediglich wegen dieser Frage, so die fraglos überzeugende These, hat die übliche Moral keinen genuinen Ort. Sie gehört nicht zum Thema, Punkt. Wer das Gegenteil behauptet, müsste zeigen, dass ein Fürst, der sich einer genuinen Moral unterwirft, seine Herrschaft sowohl leichter erwerben als auch sicherer erhalten, nicht zuletzt großartiger steigern kann. Dieser Gegenbeweis ist aber schwerlich zu erbringen. Selbst wenn er gelänge, wäre die Moral jedoch nicht als solche, sondern nur instrumentell, als ein Weg zur Macht, gerechtfertigt. Man übernähme die gewiss paradoxe Aufgabe einer amoralischen Legitimation von Moral.
Manche Interpreten halten den Fürst für eine Gelegenheitsschrift, verfasst unter dem Zwang einer doppelten, einer persönlichen und einer politischen Not. In der Tat gibt es beide Zwänge, trotzdem trifft die Einschätzung nicht zu. Der Essay ist nicht bloß in elegantem Italienisch verfasst, mit Kapitelüberschriften in der Gelehrtensprache, dem Latein. Er ist auch gut komponiert, in den entscheidenden Gedankenschritten trotz der genannten Schwierigkeiten wohlüberlegt und vor allem von einem Erfahrungsmaterial getragen, dessen Reichtum der Autor sowohl seiner humanistischen Bildung als auch der eigenen politischen Tätigkeit verdankt. Selbst wenn der Fürst gegenüber den Briefen, Gesandtschaftsberichten und kleineren Schriften inhaltlich nichts grundsätzlich Neues enthält, zeichnet er sich literarisch nicht durchwegs, aber immer wieder durch eine Verdichtung von lakonischer Kürze aus: Machiavelli schreibt eine elegante, nicht selten sogar glänzende Prosa.
Die «Widmung» der Schrift nennt den Gegenstand und die Methode: Aus zeitgenössischer und historischer Erfahrung will Machiavelli Regeln für die Fürstenherrschaft gewinnen. Die dann folgenden Erörterungen gliedern sich in vier Hauptteile und ein Schlusskapitel, wobei man die letzten Kapitel auch anders ordnen kann:
In den Kapiteln 1 bis 11 werden zunächst die Arten der Herrschaft klassifiziert. Danach geht es, ab dem zweiten Satz schon, ausschließlich um die Fürstenherrschaft. Einen Höhepunkt bildet Kapitel 6, das sich mit der neuen, das heißt nicht ererbten, sondern durch eigene Waffen und eigene Tüchtigkeit erworbenen Fürstenherrschaft befasst. Als dafür wichtigste Beispiele werden Moses, Romulus, Kyros und Theseus genannt.
Kapitel 12 bis 14 nennt lediglich die Bedeutung guter Gesetze, befasst sich ansonsten ausschließlich mit dem als unverzichtbar eingeschätzten Herrschaftsmittel, dem Militärwesen in seinen Organisations- und Rekrutierungsformen. Machiavelli warnt davor, sich auf Söldner oder auf Hilfstruppen von Verbündeten zu verlassen, stattdessen plädiert er für ein Heer aus der eigenen Bürgerschaft.
Kapitel 15 bis 19 handeln über die von Interpreten als nur provisorisch einzuschätzende Amoral. Denn die der personalen Moral widersprechenden Herrschaftswege gelten bloß unter wohlbestimmten Bedingungen als unerlässlich.
Dem letzten Hauptteil, Kapitel 20 bis 25, fehlt es an klarer Einheitlichkeit: Auf Überlegungen zum Festungsbau, den man besser unterlasse (Kap. 20), folgen sukzessiv Ratschläge zur Reputation des Fürsten (Kap. 21), zu seinen Ministern (Kap. 22), über das Meiden von Schmeichlern (Kap. 23), über den Herrschaftsverlust der Fürsten Italiens (Kap. 24) und, so zwei Grundbegriffe der Schrift, über die Macht der launischen Glücksgöttin Fortuna und über deren Gegenmacht, die eigene Tüchtigkeit (virtù, Kap. 25).
Das Schlusskapitel 26 schlägt den politischen Bogen zur Widmung. Ohne Lorenzo I. de’ Medici namentlich zu erwähnen, ruft Machiavelli «Euer erlauchtes Geschlecht» auf, sich Italiens zu bemächtigen und dabei von den Barbaren – gemeint sind alle ausländischen Mächte, also Frankreich, Spanien und der deutsche Kaiser, unausgesprochen vielleicht auch der Papst, sofern er weltliche Herrschaftsansprüche stellt – zu befreien. Wie Dante, so geht es auch Machiavelli, dem zweiten großen politischen Denker aus Florenz, um die Rettung Italiens.
Im Verlauf der Schrift, so lautet ein verbreitetes Verständnis, rechtfertigt Machiavelli den sprichwörtlich gewordenen «Machiavellismus»: eine nach Ansicht philosophischer Gegner skrupellose, aller moralischen Vorgaben ledige Machtpolitik. In Wahrheit vertritt er zwar Regeln einer amoralischen Politik, die sich aber analog zu Descartes’ «morale par provision» nur wie gesagt auf eine provisorische A-Moral belaufen. Die Regeln sind nämlich bloß unter zwei Bedingungen gültig, unter der anthropologischen oder aber aus politischer Vorsicht gemachten Voraussetzung, dass die Menschen schlecht sind, und unter der empirischen Annahme, dass die «menschliche» Waffe dagegen, das Gesetz, zumindest derzeit versagt.
Die erste Bedingung kann man als eine unnötig pessimistische Anthropologie verwerfen. Denn die Menschen sind in der Tat nicht immer, wie Machiavelli behauptet, «undankbar, wankelmütig, verlogen, heuchlerisch und raffgierig». Die Annahme lässt sich aber auch als Klugheitsannahme eines vor- und umsichtigen Herrschers verstehen und in diesem Sinn rundum anerkennen: Ein der Realität verpflichteter Herrscher muss sich für die Situation wappnen, dass entweder seine Konkurrenten, seine Beamten oder seine Untertanen oder sie allesamt sich als undankbar, wankelmütig und heuchlerisch erweisen. Um von dieser Situation nicht überrascht zu werden und dann politischen Schaden zu erleiden, ist es besser, sowohl mit ihr zu rechnen als auch vorbeugend zu agieren, also lieber selbst unmoralisch zu handeln, als zur Beute fremder Unmoral zu werden.
Machiavellis zweite Randbedingung ist ebenfalls plausibel, freilich nicht grundsätzlich, wohl aber unter den damaligen Verhältnissen. Der Fürst nimmt seinen durchgehend machtfunktionalen Blick unter den damaligen politischen Verhältnissen ein, dem offensichtlichen Fehlen von Rechtssicherheit. Indirekt kommt damit ein weiterer Grundbegriff ins Spiel, die necessità, die Notwendigkeit: Sowohl um der eigenen Macht als auch um des Gemeinwohls willen sieht sich der Herrscher gezwungen, der personalen Moral jedes Eigenrecht zu verweigern und sich auf zwei andere Dinge zu stützen: auf die beiden schon genannten Grundbegriffe, die eigene Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit, die virtù, und auf deren Konkurrenz-, aber auch Komplementärbegriff, die nichtverfügbare und trotzdem beeinflussbare fortuna. Sofern diese die eigenen Pläne behindert, soll man sie nicht als eine Macht hinnehmen, vor der man wegen ihrer Überlegenheit zurückweicht, sondern – heißt es in Kapitel 25 – als einen schwächeren Gegner (der Text sagt «Weib»), den man zu besiegen vermag.
Nur dort jedenfalls, wo die Macht der Gesetze nicht ausreicht, darf man auf die «Gewalt der Tiere» zurückgreifen und die Kraft des Löwen mit der List des Fuchses verbinden, also beispielsweise Grausamkeit statt Milde üben und sein Wort lieber brechen als halten. Damit wird ein Prinzip, dem die Mächtigen schon immer folgen, unverblümt ausgesprochen. Zu dem, was die Fürsten bislang unter Propaganda und Ideologie verstecken, werden sie hier, ohne sich zu schämen, ausdrücklich aufgefordert. Die vorher bloß praktizierte Kunst, durch Propaganda den der Macht dienenden schönen Schein zu erzeugen, wird jetzt zu einem vernünftigen, erfahrungsgesättigten Prinzip erhoben: Allein derjenige Herrscher hat nachhaltigen politischen Erfolg, der sich von moralischen Skrupeln befreit.
Der Fürst handelt also von einem Herrscher, der unter realistischen, das heißt bei Machiavelli stets: schlechtestmöglichen Bedingungen, sein Amt dennoch gut ausübt. Die Moral wird nicht aus Prinzip, mithin grundsätzlich suspendiert, sondern nur im Namen eines Zweckes, dem man einen moralischen Rang nicht absprechen kann, der Sicherung und Blüte des Gemeinwesens. Freilich darf der Herrscher außer dem Gemeinwohl auch sein eigenes Wohl suchen, also seine Macht behaupten und nach Ruhm streben. Infolgedessen gibt es zwei Leitzwecke, und diese können einander widerstreiten.
Erstaunlicherweise erliegt Machiavelli hier einem Optimismus. Im Gegensatz zu dem sonst vorherrschenden, mit Pessimismus gewürzten Realismus glaubt er, wie schon etliche politische Denker vor ihm, an die Koinzidenz von Gemeinwohl und Herrscherwohl. Denn gegen Ende, im vorletzten Kapitel, nennt er beide Ziele in einem Atemzug, als ob es zwischen ihnen keinen Konflikt geben könnte: «ihm [sc. dem Herrscher] zur Ehre und der gesamten Bevölkerung Italiens zum Wohl». Falls das Herrscherwohl denn doch mit dem Gemeinwohl kollidieren sollte, kann man schwerlich erwarten, dass der Herrscher das Gemeinwohl vorzieht. Hier dürfte die Tradition seit Platon, Aristoteles und Cicero wirklichkeitsnäher sein, wenn sie den «gelungenen» Verfassungen, die sich am Gemeinwohl orientieren, die «entarteten» entgegenstellen, die lieber dem Herrscherwohl dienen. Machiavelli hingegen vertritt stillschweigend die fraglos wirklichkeitsfremde Ansicht, das Herrscherwohl falle stets mit dem Gemeinwohl, am Ende sogar mit dem Wohl eines jeden Bürgers zusammen.
Davon abgesehen, setzt er keineswegs die Politik von jeder Moral frei. Er stellt vielmehr, erneut realistisch, die Möglichkeit einer strukturellen Verwicklung fest: Es gibt zwei verschiedene Moralen, wobei die eine mit ihren Erfordernissen des Gemeinwohls der anderen, der persönlichen Moral von Ehrlichkeit und Milde widersprechen kann. Nur in diesem Fall, durchaus einem Notfall, dann freilich ohne jeden Skrupel, darf sich der Herrscher, mehr noch: muss er sich über die persönliche Moral hinwegsetzen und den Notwendigkeiten des Gemeinwohls vorbehaltlos den Vorrang geben. Denn nur dadurch, unter Verzicht auf die persönliche Moral, wird er seinem Amt gerecht und dient ohne Abstriche den Interessen seines Gemeinwesens.
Man interpretiert Machiavellis politische Innovation gern in Begriffen von Emanzipation, von Befreiung aus einer der Politik fremden Fessel. Eine derartige Emanzipation trifft zu, aber nur mit drei Einschränkungen. Erstens findet die Emanzipation eher gegenüber der Theorie des Politischen als gegenüber der Politik selbst statt, da die politische Geschichte allzu viele Beispiele einer wenig moralischen, oft genug sogar klarerweise unmoralischen Politik bietet. Zweitens vertritt der Fürst nicht jene große Emanzipation, die die Politik von allen Fesseln der Moral freispricht. Machiavelli gibt sich, hier vermutlich sachgerecht, mit der kleinen Emanzipation zufrieden, der Befreiung politischer Herrschaft von den Verbindlichkeiten der persönlichen Moral. Selbst diese Emanzipation hält er, drittens, nicht für grundsätzlich, vielmehr nur für den Notfall zulässig, dass man beim Gegner beispielsweise mit einem Wortbruch zu rechnen hat. Achtet man auf diese letzte Einschränkung, so sieht man, dass die in der persönlichen Moral geltenden Verpflichtungen nicht eigentlich außer Kraft gesetzt werden, sondern ihre politische Anerkennung unausgesprochen an Wechselseitigkeit gebunden wird.
Machiavellis ostentatives Desinteresse an den üblichen moralischen Ansprüchen hat also einen guten moralischen Grund. Ein Herrscher, der sich aus Gründen persönlicher Moral selbst dort seinem wortbrüchigen Gegner als «Beute» anbietet, wo er den Wortbruch zu gewärtigen hat, verletzt seine politische Verantwortung. Weder unmoralisch noch amoralisch ist also Machiavellis Fürst, sondern im Kantischen Sinn pragmatisch, wegen seines Bezuges aufs politische Gemeinwohl sogar sozialpragmatisch.
Machiavelli trägt seine Grundbotschaft, die nur provisorische Amoral, am deutlichsten in den Kapiteln 18 und 19 vor. Auf den ersten Blick liest man dort einander gegenläufige Empfehlungen, denn auf die amoralische Aufforderung zum Wortbruch folgt ein Plädoyer für Rücksichtnahme. Beiden Empfehlungen ist aber die Machtfunktionalität gemeinsam. Der Wortbruch ist dort geboten, wo man ihn vom Gegner zu erwarten hat. Mit der ebenfalls gebotenen Rücksichtnahme hingegen vermeidet der Herrscher Reaktionen, die wie Verachtung und Hass unnötige Feinde schaffen. Denn im Widerspruch zur «machiavellistischen» Lesart des Fürst liegt nach Machiavelli das beste Herrschaftsmittel nicht in rücksichtsloser Gewalt, sondern in der Hochachtung seitens der Bürger. Der Fürst des Principe ist kein Despot, der mittels weniger, treu ergebener Gefolgsleute über die Interessen und Ansichten der Mehrheit seiner Untertanen bedenkenlos hinwegregiert. Im Gegenteil bemüht er sich, darf man sagen, um eine in Freiheit zustande kommende Achtung. Allerdings begnügt er sich mit einer «machiavellistischen» Hochachtung: Der Herrscher darf sie in Heuchelei pflegen, denn der Schein moralischen Verhaltens ist ihm wichtiger als das Sein.
Auch dies darf man nicht übersehen: Eine nur selten vorgenommene Verletzung der üblichen Moral ist im höheren Maß machtfunktional, denn die bloße Ausnahme, erklärt Machiavelli, verspricht, weil sie überraschend kommt, den größeren Erfolg.
Schließlich führt Machiavelli getreu der Tradition von Cicero über Thomas bis zu den humanistischen Zeitgenossen zahlreiche lobenswerte Eigenschaften an. In Kapitel 18 bündelt er sie in fünf Charakterzügen, in «Milde, Treue, Aufrichtigkeit, Menschlichkeit und Frömmigkeit». Dabei kommt es auf dreierlei an: Erstens sind die guten Eigenschaften tatsächlich gefordert – mit schamloser Grausamkeit kann man zwar Macht, aber nicht Ruhm erlangen. Zweitens muss man die Tugenden nicht wirklich besitzen, der Anschein genügt; als ein Meister der Heuchelei und Verstellung vermag der erfolgreiche Fürst die Menschen zu umgarnen und durch schauspielerische Verlogenheit sie für sich zu gewinnen. Schließlich hat man auf die Gunst der Stunde zu achten, um «vom Guten so lange nicht abzulassen, wie es möglich ist, aber sich zum Bösen zu wenden, sobald es nötig ist».
Machiavelli widmet seine zweite politische Hauptschrift, die Erörterungen, der damals aktuellen Alternative zur Fürstenherrschaft, einer republikanischen Ordnung. Trotzdem bleibt er bei derselben Grundfrage, wie man in einer feindlichen Umwelt die politische Macht erwerben, bewahren und zu Größe steigern kann. Der Fürst behandelt sie im Blick auf einen Alleinherrscher, die Erörterungen im Blick auf eine Republik, für Machiavelli selbstverständlich die seiner Heimatstadt Florenz. Als Vorbild dient ihm die frühe (Adels-)Republik Rom, wie sie Titus Livius (59 v. Chr.–17 n. Chr.) in den ersten zehn Büchern, der ersten Dekade, seiner Geschichte Roms beschreibt. Machiavelli empfiehlt drei Mittel: die Ausübung der Religion, die Wahrung der Bürgertugend und die periodische Erneuerung der Republik durch Rückführung auf ihre Anfänge. Zugleich verpflichtet er das Gemeinwesen auf drei Zwecke: auf Freiheit (libertà) der Bürger, auf Größe (grandezza) und auf das Gemeinwohl (bene commune).
Machiavelli arbeitet an seinen beiden Hauptschriften zur selben Zeit, so dass man hier keine Veränderung der politischen Grundeinstellung, keinen Lernprozess annehmen kann, der sich einer neuen Erfahrung oder anderen Lebenshaltung verdankt. Entweder war Machiavelli gegen die Alternative «Fürstenherrschaft oder Republik» unentschieden, mithin politisch neutral. Oder er war ein politischer Opportunist, der sich die Möglichkeit offenhält, je nach politischer Lage in fürstliche oder aber in republikanische Dienste zu treten.
Nach einer dritten Interpretation braucht das zersplitterte Italien vorübergehend einen Fürsten, der in rücksichtsloser Härte das Land zur Einheit führt, um es danach in eine Republik umzuwandeln. Gegen diese Interpretation, einer vorübergehenden Alleinherrschaft als notwendiger Zwischenstation zu einer Republik Italien, spricht ein sachlicher Einwand: Warum soll ein Fürst seine einmal errungene Macht abgeben, statt, wie die Medici es tatsächlich versuchen, sie in eine Art von Erbmonarchie umzuwandeln? Den fraglos mühsamen Weg zu einer Alleinherrschaft nur aus Altruismus auf sich zu nehmen, um nämlich nach Erwerb der Alleinherrschaft die Macht in die Hände des Volkes zu übergeben, dürfte jedenfalls mehr ein frommer Wunsch als eine in Machiavellis Sinn realistische Psychologie sein. Wenn sich der Autor im letzten Kapitel des Fürsten an «Euer erlauchtes Geschlecht» wendet, so lässt er selbst jenes dynastische Denken anklingen, das die Medici, sofern es ihnen möglich war, zweifellos gepflegt haben. Daher erscheint eine Verbindung der beiden anderen Deutungen als sachgemäßer: Um sich unter beiden Randbedingungen, einer fürstlichen und einer republikanischen Herrschaft, die Rückkehr in ein politisches Amt offenzuhalten, setzt Machiavelli beiden Verfassungen ein politisches Denkmal. In seinem Innersten dürfte der humanistisch gebildete Machiavelli jedoch die Republik bevorzugt haben.
Der republikanisch gesinnte Kommentar zu Livius gliedert sich in drei Bücher von insgesamt 142 Kapiteln. Die Gliederung ist klar: Das erste Buch befasst sich mit der inneren Politik, das zweite mit der äußeren Politik und der Kriegsführung, das dritte schließlich mit den handelnden Personen.
Machiavelli greift zahlreiche ihm bedeutsam erscheinende Ereignisse und Figuren heraus und gewinnt im Kontrast mit anderen gewisse Handlungsmaximen, die er teils verallgemeinert, teils im Rahmen von Beispielen belässt. Er sieht etwa in der Uneinigkeit zwischen dem römischen Volk und dem Senat einen Beitrag zur Freiheit und zur Macht der Republik (Buch I, Kap. 4). Er hält es für nötig, gegen Bürger, die die Freiheit gefährden, Anklage erheben zu können (Kap. 3). Er betont das Gewicht der Religion, die jedoch – hier im Gegensatz zu dem nirgendwo erwähnten Augustinus – durch die Schuld der römischen Kirche verloren ging, mit der Folge, dass das Land zerfiel (Kap. 12). Sowohl Fürsten als auch Republikaner, die keine eigene Kriegsmacht haben, sind zu tadeln. Wohlgeordnete Republiken setzen Belohnungen und Strafen fest, erlauben aber nie, dass ein Bürger, nur weil er sich große Verdienste erworben hat, für ein Verbrechen nicht bestraft werde (Kap. 24). Auch schwache Republiken treffen ihre Entschlüsse mehr aus Not als aus eigener Wahl (Kap. 38). Ferner gilt die Menge als weiser und beständiger denn ein Fürst (Kap. 58).
Nach Buch II ist für die Eroberung des römischen Reiches mehr die Tüchtigkeit als das Glück verantwortlich (Kap. 1–2; vgl. Kap. 30). Im Gegensatz zu einer verbreiteten Ansicht ist nicht das Geld der Nerv des Krieges, vielmehr sind es gute Soldaten (Kap. 10). Schmähung und Beschimpfung erzeugen Hass gegen ihren Urheber und nützen ihm gar nichts (Kap. 26).
Buch III zufolge ist es ein Zeichen von Weisheit, sich zur rechten Zeit töricht zu stellen (Kap. 2). Um in einer Republik mit seinem Ansehen etwas Gutes auszurichten, muss man zuerst den Neid überwinden (Kap. 30); Betrug im Krieg ist ruhmvoll (Kap. 40); erzwungene Versprechen braucht man nicht zu halten (Kap. 42).
Einige dieser Maximen tauchen schon im Fürst auf, die meisten anderen wären dort ebenso zuhause. Weder gibt Machiavelli seinen mitleidlos realistischen Blick auf noch sein Bemühen, aus der Geschichte Lehren zu ziehen. Der Unterschied liegt in der Grundstimmung: Die Maximen des Fürst dienen einem durch eigene Leistungen an die Macht gekommenen Herrscher, die der Erörterungen, gewonnen im Gespräch mit einem republikanisch gesinnten Geschichtsschreiber, tragen zum Bestand und Wohl einer am alten Rom orientierten Republik bei.
Die Geschichte des politischen Denkens der Neuzeit besteht zu einem erheblichen Teil in der Wirkungsgeschichte von Machiavelli. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wird Der Fürst zu einem festen Bestandteil des europäischen Kulturguts und bleibt nicht weniger als drei Jahrhunderte im Zentrum vieler Debatten. Er findet sogar Eingang in das große europäische Theater, beispielsweise in Shakespeares Drama Heinrich VI., in dem sich Richard, der verwachsene Herzog von Gloucester, rühmt, mit seiner diabolischen Bösartigkeit den «mörderischen Machiavelli» noch zu übertrumpfen. Später, im meisterhaften Richard III., wird der Machiavellismus der Titelfigur in seiner übelsten Form vorgeführt.
Den Reigen der oft boshaften Kritiken eröffnet der mit seinem Königshaus verwandte englische Kardinal Reginald Pole (1500–1558); seiner Ansicht nach ist Der Fürst mit dem Finger Satans geschrieben worden. Der nächst Machiavelli wichtigste politische Denker des 16. Jahrhunderts, der Begründer der neuzeitlichen Staatsphilosophie, Jean Bodin (1529–1596), ist machiavellifreundlicher. Er lehnt zwar dessen Amoral ab, plädiert aber in Übereinstimmung mit Machiavelli für die Trennung des Staates von Religion und Kirche.
Eine führende Autorität der Gegenreformation, der Jesuit Giovanni Botero (um 1544–1617), versucht, Machiavellis relative Innovation, die Klugheitsregeln zum Wohl der Staatsmacht, in die Tradition des christlichen Naturrechts zu integrieren. Noch mehr Zustimmung findet Machiavelli bei den großen Philosophen. Francis Bacon lobt den politischen Realismus, der «offen und unverstellt» darlegt, «was die Menschen zu tun pflegen, nicht, was sie zu tun verpflichtet wären» (De augmentis scientiarum, 1623, VII, 2). Jean-Jacques Rousseau erklärt in seinem staatsphilosophischen Hauptwerk, dem Gesellschaftsvertrag (1762), Machiavelli zu einem raffinierten Aufklärer, der unter dem Vorwand («en feignant»), die Könige zu belehren, in Wirklichkeit die Völker gelehrt habe (III 6): Der künftige Philosoph auf dem Königsthron hingegen, Friedrich II., verfasst einen leidenschaftlichen Anti-Machiavel.
Johann Gottfried Herder verbindet in den Briefen zur Beförderung der Humanität (Nr. 58) die Wertschätzung Machiavellis mit einer Historisierung, die sich bei Fichte, Hegel und Ranke fortsetzt und bis zu Italiens nationaler Einheitsbewegung, dem Risorgimento («Wiedererstehung»), reicht. Hegel beispielsweise rühmt wie ähnlich später der Historiker Leopold von Ranke (1795–1886) den Florentiner als einen Staatsmann, der angesichts des Elends von Italien «mit kalter Besonnenheit die notwendige Idee der Rettung Italiens durch Verbindung desselben in einem Staat» fasst.
Während Friedrich Nietzsche (1844–1900) den «Machiavellismus der Macht» zum «Typus der Vollkommenheit in der Politik» steigert, empfiehlt Lenin (1870–1924) den Fürst als Gift gegen die Dummheit. In seinem Heimatland wird Machiavelli politisch instrumentalisiert. Der faschistische Duce, Benito Mussolini, sucht für seine Politik eine philosophische Rechtfertigung, sein kommunistischer Gegenspieler Antonio Gramsci (1891–1937) liest den Fürst im Sinne eines «frühe[n] Jakobinismus». Carl Schmitt (1888–1985) identifiziert sich auf spielerische Weise mit Machiavelli, nennt er doch sein Haus in Plettenberg «San Casciano», nach dem Landhaus bei San Casciano, in dem Machiavelli seine beiden Hauptwerke verfasst. Leo Strauss (1899–1973) hingegen bewundert zwar beide Werke als visionäre, revolutionäre Bücher, erneuert aber den Geist der bösen Anklagen.
Diese wenigen Beispiele deuten das weite Spektrum von Reaktionen an: Vieldeutig und unerschöpflich zu sein, ist die Signatur eines Klassikers. Ist er aber modern? Vergleicht man die anstößigen Stellen des Fürst mit der Tradition, so fällt eine als modern erscheinende Entmoralisierung auf. Die Antriebskraft moralischen Handelns, die griechische aretê und römische virtus, verliert als virtù ihren moralischen Gehalt. Zugleich koppelt sich das zweite Moment moralischer Praxis, die phronêsis bzw. prudentia, von der Moral ab. Die Tragweite dieses Vorgangs darf man jedoch nicht überschätzen:
Dass Menschen lieber ihrem Eigeninteresse folgen, ist so selbstverständlich, dass das Neue der Neuzeit, ihre politische Modernität, darin nicht liegen kann, sodass eine erste Korrektur nötig wird: Nicht eine Entmoralisierung geht auf das Konto von Machiavelli, sondern eine gründliche Umwertung. Die längst bekannte, moralisch aber negativ bewertete Gerissenheit erhält einen positiven Rang.
Die zweite Korrektur richtet sich auf die Reichweite der Umwertung. Weil Machiavelli zur Grausamkeit statt Milde oder zum Wortbruch statt zum Einhalten des Wortes rät, scheint er für die vollendete Entmoralisierung, die pure Amoral, zu plädieren. Die betreffenden Stellen befassen sich aber nicht mit dem Gesamtbereich der Politik, sondern nur mit einem Drittel, mit den Regenten. Für die beiden anderen Drittel, für die politischen Institutionen und den Gesetzgeber, findet keine Entmoralisierung statt. Überdies erfolgt der beim ersten Drittel erhobene Widerspruch gegen die Moral im Namen eines Zweckes, der seit der Antike die Herrschaft legitimiert, des Gemeinwohls. Infolgedessen eignet sich der Vorwurf des Machiavellismus zwar noch immer zur Diskreditierung des Gegners, Machiavelli selbst war aber kein Machiavellist.
Lektüreempfehlung Man lese aus Der Fürst besonders die Widmung und die Kapitel 1, 3, 6, 15–19 und 25–26. Von den Erörterungen nehme man sich nach dem Vorwort die Kapitel 1, 4, 7, 12, 24, 38, 58 und aus Buch II die Kapitel 1–2, 26, 40 und 42 vor.