14. Alexander Hamilton (1757–1804),
John Jay (1745–1829),
James Madison (1751–1836)

Die geistige Grundlage einer konstitutionellen Demokratie

Die Bedeutung des Themas liegt auf der Hand: Es geht um nichts Geringeres als um die Existenz der Union, die Sicherheit und Wohlfahrt der Teile, an denen sie sich zusammensetzt, und das Schicksal eines Imperiums, das in vielfacher Hinsicht das interessanteste der Welt ist.

Federalist, Essay Nr. 1

In den an das Volk des Staates von New York gerichteten 85 «Papers», also Essays bzw. Abhandlungen, tritt das politische «System» der USA und ihr Selbstbewusstsein, sogar Sendungsbewusstsein, auf eine bis heute maßgebliche Weise zutage. Ihre Federalist Papers (1787/88), die Föderalisten-Essays, sind nächst der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten und ihrer Verfassung der für dieses Gemeinwesen wohl wichtigste Text. Im Federalist tritt ein starkes Selbstbehauptungsinteresse zutage, das mit aufklärerischem Optimismus in ein Menschheitsinteresse übergeht: Ein nordamerikanischer Patriotismus wird zu einem moralischen Kosmopolitismus überhöht.

Die Texte, in einer historischen Situation geboren und auf ein aktuelles politisches Ziel ausgerichtet, nehmen sich die Auslegung und Verteidigung einer neuen Verfassung vor. Trotz dieser historischen und politischen Bindung, vermutlich sogar ihretwegen, allerdings auch wegen ihrer bemerkenswerten argumentativen Kraft und ideengeschichtlichen Tiefe haben sie eine weit über die Zeit hinausreichende Bedeutung. Für die an bedeutenden Denkern keineswegs armen Vereinigten Staaten sind es ihr wichtigster Beitrag zum politischen Denken des Abendlandes. An der Geburtsstunde der Vereinigten Staaten stehen jedenfalls keine philosophischen Abhandlungen, sondern politische, freilich durchaus philosophisch inspirierte Texte.

Mit ihrem politischen Anlass und ihrer klaren politischen Intention sind die Texte ein selten gelungenes Beispiel für ein im emphatischen Sinn politisches Denken. Den drei Autoren geht es um das für ein Gemeinwesen wichtigste Dokument, die damals zur Abstimmung anstehende Verfassung. Die Grundfrage lautete: Soll eine Föderation, das heißt ein Bundesstaat, errichtet werden, in dem die Gliedstaaten einen beträchtlichen Teil ihrer Selbständigkeit aufgeben, oder eher eine Konföderation, ein Staatenbund, in dem die Mitgliedstaaten ihre Souveränität behalten, gemeinsame Aufgaben aber über gemeinsame Organe regeln?

Angesichts dieser zweifellos hochbrisanten Alternative praktizieren die Autoren ein Diskussionsniveau, zugleich eine sowohl politische als auch intellektuelle Leidenschaft, über das heutige Debatten, etwa diejenigen, die im Umkreis der Europäischen Union geführt werden, neidisch sein können. Ebenfalls darf man neidisch auf das Niveau der drei New Yorker Zeitungen sein: The Independent Journal, The New York Packet und The Daily Advertizer, in denen die Essays erscheinen.

Mehr als die Hälfte der Essays, nämlich 51 (Nr. 1, 6–9, 11–13, 15–17, 21–36, 59–61, 65–85), stammen vermutlich aus der Feder von Hamilton, mehr als ein Drittel, 29 Essays (Nr. 10, 14, 18–20; eventuell in Zusammenarbeit mit Hamilton: 37–58, 62–63), verfasst Madison, während Jay nach seinen vier Beiträgen vor allem zur Außenpolitik (Nr. 2–5) erkrankt, später folgt aus seiner Feder noch Nr. 64.

In ihrer politischen Mentalität sind die drei Autoren durchaus verschieden. Mit gebotener Vereinfachung charakterisiert, ist Hamilton ein Pragmatiker, Madison der Programmdenker und Jay ein Diplomat und Richter. Gemeinsam ist ihnen jugendlicher Elan, eine mit Nüchternheit gepaarte juristische und politische Erfahrung und, so wird sich bewahrheiten, eine glänzende politische Zukunft. Alle drei sind in ihrem Staat, Hamilton und Jay in New York, Madison in Virginia, als Politiker und Gesetzgeber hervorgetreten und übernehmen später wichtige politische Ämter.

Der Jüngste und Eloquenteste, ein Einwanderer aus der Karibik, mithin Aufsteiger, nicht Patrizier, ist Alexander Hamilton (1757–1804; in einem Duell verstorben). Wegen seiner überragenden Bedeutung wird er 2015 zur Titelfigur eines erfolgreichen Musicals. Mit seinem Plädoyer für eine starke Bundesgewalt tritt er gegen Thomas Jefferson, den späteren dritten Präsidenten der USA (1801–1809), auf. Hamilton ist Gründer und Führer der Föderalisten, der ältere Jefferson (1743–1826), immerhin der Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, wird später die Demokratische Partei gründen. Der pragmatisch denkende Hamilton, im Unabhängigkeitskrieg Adjutant von George Washington, dem Nationalhelden und ersten US-Präsidenten (1787–1796), den er in Philadelphia vertritt, wird in der jungen Republik ihr erster Schatzsekretär, also Finanzminister (1789–1795). In diesem Amt ordnet er die durch den Unabhängigkeitskrieg zerrütteten Staatsfinanzen, setzt sich für Schutzzölle ein und gründet die erste Nationalbank der Vereinigten Staaten.

Der in Philadelphia einflussreichere James Madison (1751–1836) stammt aus der ländlichen Aristokratie Virginias. Er ist Mitarbeiter am Entwurf der ersten Menschenrechtserklärung, der Virginia Bill of Rights (1776), wird später, im Jahr 1801, unter Präsident Jefferson Secretary of State, also Außenminister, danach, als Nachfolger von Jefferson, Präsident (1808–1817). In dieser Zeit beendet er den seit 1812 herrschenden Krieg mit England durch den Genfer Frieden (24. Dezember 1814). Später wird er Rektor der Universität von Virginia.

John Jay (1745–1829), der einzige gebürtige New Yorker, ist schon in jungen Jahren, als 31-Jähriger, oberster Richter der Vereinigten Staaten, später Secretary of State (1784–1789), danach Gouverneur von New York (1795–1801).

Nur gut ein Jahrzehnt vor der Verfassungsdebatte, am 4. Juli 1776, erklärten die 13 an der nordamerikanischen Ostküste gegründeten englischen Kolonien ihre Unabhängigkeit gegen Großbritannien. Die im Krieg mit ihrem Mutterland siegreichen Kolonien – danach sind sie einzelne vollsouveräne Staaten, die Neuenglandstaaten – sind auf der Grundlage der ersten nordamerikanischen Verfassung, den Articles of Confederation, nur in einem losen Bund miteinander verbunden. Über drei damals politisch existentielle Fragen kommt es bald zum Streit: über die Verteilung der Kriegslasten, über die Ansprüche auf die noch unerschlossenen Gebiete, die sich im Westen an die Kolonien anschließen, und über die Ausgabe (Emission) von Papiergeld, die einige Staaten vornehmen. Hinzu treten in einigen Staaten Unruhen, vereinzelt sogar Aufstände wie in Massachusetts ein Tumult bankrotter Farmer im Herbst 1787.

Schon im Jahr 1780 regt Hamilton einen Verfassungskonvent an. Später, im Jahr 1786, treten in Annapolis, der Hauptstadt von einem der Südstaaten, nämlich Maryland, Vertreter aller Staaten zusammen. Das Hauptthema sind zwar handelspolitische Probleme. Einige Politiker nutzten jedoch die Gelegenheit, um eine grundlegende Verfassungsreform einzuleiten. Auf der zu diesem Zweck in Philadelphia einberufenen Versammlung einigt man sich auf eine mehr als nur behutsame Verfassungsreform. Man beschließt, die bisherige, konföderative Verfassung zu ersetzen. Nach dreimonatigen Verhandlungen setzen sich die Befürworter der neuen Verfassung gegen ihre Gegner durch und die zu einem Verfassungskonvent mutierte Versammlung verabschiedet am 17. September einen Verfassungsentwurf.

Der Entwurf bleibt heftig umstritten. Weder überzeugt noch zum Schweigen gebracht, halten die Gegner ihren Widerstand gegen die neue Verfassung aufrecht. Aus Sorge, die Gegner würden sich durchsetzen, melden sich nun Befürworter aus und in New York, dem schon wegen seiner Größe besonders wichtigen Staat, in einer langen Serie von Artikeln zu Wort. Sie richten sich nicht etwa an die gesamte Bürgerschaft der zu gründenden Bundesstaaten, sondern lediglich an die eigene Bürgerschaft, «das Volk des Staates New York».

Publiziert wurden die Texte, ihrem Gewicht nach wahre Abhandlungen, unter dem für ein hochgebildetes Publikum geschickt gewählten Verfasserpseudonym «Publius». Publius Valerius Agricola Poplicola hieß nämlich einer der Römer, die den etruskischen König vertrieben, der später zum Gesetzgeber und damit zum Begründer der Römischen Republik wurde. Das Vorbild der drei US-Autoren, Publius, steht für das verfassungsrechtliche Selbstverständnis der 13 Neuenglandstaaten: für die Vertreibung eines Königtums und die an dessen Stelle zu errichtende Republik.

Der Auftritt in römischem Gewand entspricht dem Stil der Zeit; Publius’ Gegenpartei, die Verteidigung der Antiföderalisten, ihre Apologie für einen bloßen Staatenbund, tritt als Brutus, also Verschwörer gegen Caesar, oder als Cato, als Vertreter altrömischer Sittenstrenge, auf.

Schon während des Erscheinens werden die Abhandlungen in zwei Bänden als The Federalist, als Der Föderalist veröffentlicht und spätestens dadurch zum wichtigsten Dokument für drei ineinander verschränkte Aufgaben: für den Kommentar zu einem Verfassungsentwurf, der dann angenommen wird, für den historischen Hintergrund der damaligen Verfassungsdebatte und für die Theorie eines modernen konstitutionellen und repräsentativ-demokratischen Bundesstaates.

In ihrem Heimatstaat New York sind die Föderalisten nicht sonderlich erfolgreich. Im Unterschied zu vielen anderen Staaten bleiben sie im selbstbewussten Konvent von New York den Antiföderalisten zahlenmäßig unterlegen. Diese beugt sich zwar am Ende, am 26. Juli 1787, und auch dann nur knapp, der Mehrheit, aber nicht etwa den Argumenten der Föderalisten, sondern lediglich der Mehrheit der der Verfassung zustimmenden Staaten. Bei einem so großen, auch mächtigen Einzelstaat wie New York ist das Interesse, die volle Souveränität zu behalten, durchaus verständlich.

Die Bedeutung der Föderalisten liegt also nicht im tagespolitischen Erfolg, der vielmehr ausblieb, sondern in einer vor allem US-internen ideenpolitischen Langzeitwirkung: Im Federalist drückt sich das politische Selbstverständnis der USA als konstitutionelle Republik aus. In ihrer Verbindung von argumentativer Nüchternheit mit rhetorischer Emphase – der Öffentlichkeit wird geschmeichelt, der Gegner höflich, aber deutlich angegriffen (z.B. Nr. 37: «seine Absichten können nicht ehrlich, sie müssen tadelnswert sein») – und einem Blick für das jeweils Wesentliche geben die Texte ein Vorbild für politische Diskurse ab.

Die 85 Abhandlungen widmen sich einer politischen Idee, die, wie die Verfasser stolz hervorheben, in den USA zum ersten Mal politische Wirklichkeit werden kann. Es ist die Idee einer im wörtlichen Sinn konstitutionellen Demokratie bzw. Republik, also eines Verfassungsstaates, der sich durch ein geschriebenes, von der Souveränität des Volkes ermächtigtes Grundgesetz konstituiert. Seinetwegen darf alle Staatsgewalt nur nach Maßgabe und in den Grenzen der Verfassung ausgeübt werden.

Der aus einem schriftlichen Gesellschaftsvertrag hervorgehende Verfassungsstaat ist dem politischen Denken schon vertraut. Eine zweite wahrhafte Neuerung kommt allerdings hinzu, vom Verfassungskonvent in Philadelphia in einem mühsamen Kompromiss erfunden und vom Federalist auf den Begriff gebracht. Sie besteht in dem einen veritablen Bundesstaat auszeichnenden Prinzip der zwei Kammern, denen eine zweidimensionale Gleichheit zugrunde liegt, die Bürgergleichheit im Repräsentantenhaus und die Staatengleichheit im Senat.

Die vom Geist der europäischen Aufklärung inspirierten Essays sind mit dem großen Selbstbewusstsein einer für ihr Gemeinwesen welthistorischen Stunde geschrieben. Sie erörtern alle wichtigen Aufgaben eines modernen Verfassungsstaates. Die Frage, ob sie auch deren Probleme offenbaren, hängt von der politischen Einschätzung ab: Der Gedanke der Sozialstaatlichkeit fehlt; Frauen und Farbige sind nicht gleichberechtigt; Fragen nach dem guten Leben werden – erfreulicherweise, sagen die einen, leider, erklären die anderen – ausgeklammert.

Die drei Verfasser entfalten das Konzept einer wahren Republik, jener Staatsform also, in der die Bürgerschaft ein Gemeinwesen, eine res publica im wörtlichen Sinn, kreiert: Die Herrschaft, die unter Nicht-Engeln nun einmal notwendig ist, wird von den Betroffenen selbst ausgeübt (Nr. 39). Bewundernswert ist die Fähigkeit, grundsätzliche Überlegungen (über die Herkunft, Verteilung und Kontrolle politischer Macht) sowohl mit historischen Vergleichen (mit der Antike, mit England, dem deutschen Reich, der Schweiz usw.) als auch mit konkreten Erwägungen zu verbinden, angefangen mit den Streitkräften über die Staatseinkünfte bis zur angemessenen Besoldung des Präsidenten.

Da es der Politischen Philosophie nicht schaden würde, wenn sie an dieser Verbindung Maß nähme, empfiehlt sich ihr, die Federalist Papers in den Kanon klassischer Texte aufzunehmen. Dafür spricht außerdem der Umstand, dass sie eines der Modelle moderner Demokratie entfalten, schließlich der Umstand, dass sie einer für politische Diskurse typischen Gefahr erliegen, der Gefahr des blinden Flecks: Publius verteidigt zwar das Prinzip der Gleichheit und schließt doch wie angedeutet Frauen, Sklaven, Besitzlose und Indianer davon aus.

Die erste Abhandlung springt ohne eine überflüssige Einleitung direkt in eine Diagnose, «nach der die bestehende Regierung nicht leistungsfähig ist». Es schließt die sich daraus ergebende Bedeutung des Themas an: «die Existenz der Union, die Sicherheit und Wohlfahrt der Teile und das Schicksal eines Imperiums, das in vielfacher Hinsicht das interessanteste der Welt ist». Dann folgt die staatstheoretische Grundfrage, ob menschliche Gesellschaften wirklich fähig sind, ein gutes Regierungssystem durch Nachdenken und Wahl («good government from reflection and choice», Nr. 1) einzurichten, oder ihre politische Verfassung nur von Zufall und Gewalt abhängt. Wegen der welthistorischen Bedeutung der Aufgabe sieht Hamilton «die Motive der Vaterlandsliebe durch die der Menschenliebe» (ebd.) ergänzt.

Der erste Text beläuft sich nicht nur auf einen Appell, die neue Verfassung anzunehmen, andernfalls werde die Union gespalten. Er stellt auch das Programm für die folgenden Abhandlungen vor, gegliedert in sechs Teile, wobei der vierte Teil mit mehr als der Hälfte aller Essays den weitaus größten Raum einnimmt.

Am Beginn steht der Nutzen der Union für ihr politisches Wohlergehen (Nr. 2–14). Es folgen die Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Konföderation, um die Union zu erhalten (Nr. 15–22), und, als Therapie der gefährlichen Diagnose, die Forderung nach einer durchsetzungsfähigen Regierung (Nr. 23–36). Daran schließen sich Überlegungen zur Übereinstimmung der vorgeschlagenen Verfassung mit einer veritablen Republik an (Nr. 37–85, also 48 Essays), ferner die Entsprechung der Bundesverfassung mit der Verfassung des Staates New York (Nr. 85: nur 1 Essay). Dem angekündigten sechsten Teil, der zusätzlichen Sicherheit, die die Bundesverfassung für die Freiheit und für das Eigentum bedeutet, ist kein eigener Essay gewidmet; das Thema wird da und dort mitbehandelt.

Unter Berufung auf Montesquieu erklären die Gegner, als ein Bundesstaat würden die USA zu einem Großstaat, der als solcher kein freiheitliches Gemeinwesen bleiben könne. Dem stellt der Federalist die klare Gegenthese entgegen: der Bundesstaat als eine Barriere gegen innere Parteiungen (factions) und gegen Aufstände eine gefestigte Union, die für den Frieden und die Freiheit der Einzelstaaten von großer Bedeutung sein wird.

Nach einem ersten Gegenargument gegen die Ablehnung des von den Föderalisten befürworteten Bundesstaates ist zwischen einer Versammlungsdemokratie und einer repräsentativ verfassten Republik zu unterscheiden. Während dort kleine Gemeinwesen angemessen sein mögen, die allerdings, lehrt die Geschichte, «Brutstätten unaufhörlicher Zwietracht» seien, schütze man sich hier, bei einer großräumigen Republik, vor Aufruhr und Unordnung und werde von inneren Parteiungen geschützt (Nr. 9: Hamilton und Nr. 10: Madison). Dazu braucht es freilich, so ein zweites Gegenargument, eine kluge institutionelle Ordnung, in der die Legislative kontrolliert wird, die Gerichtsbarkeit unabhängig ist und die ungleiche Eigentumsverteilung überwunden wird. Hinzu kommen, drittes Gegenargument, Handelsvorteile (Nr. 11), höhere Staatseinkünfte (Nr. 12) und geringere Kosten für den Staatsapparat (Nr. 13).

Am Ende des ersten Teils werden die «vielen Bande der Zuneigung» beschworen, die das amerikanische Volk eint, und wird mit Stolz auf die Revolution verwiesen, die, «in den Annalen der menschlichen Gesellschaften ohne Parallele», in der neuen Verfassung eine politische Ordnung vollendet, «die auf Erden kein Vorbild hat» (Nr. 14: Madison).

Der zweite Teil, die fast ausschließlich von Hamilton verfasste Mängeldiagnose der gegenwärtigen konföderativen Struktur, beginnt mit der deprimierenden Behauptung, «dass wir beinahe das letzte Stadium nationaler Erniedrigung erreicht haben» (Nr. 15: Hamilton). Die Gründe dafür liegen im Individualegoismus, in den eine uneingeschränkte Souveränität der Einzelstaaten zurückfällt (ebd.) und der nur durch Gewalt zu bekämpfen ist (Nr. 16: Hamilton).

Im Essay Nr. 17 klingt das Prinzip der Subsidiarität an, denn all die Angelegenheiten, die durch regionale Gesetzgebung besser zu regeln sind, sollen nie zum «Gegenstand einer allgemeinen Rechtsprechung werden». Daran schließt sich die Hoffnung, sollten sich trotzdem bloße Gier und allgemeine Herrschsucht ausbreiten, werde die Instanz, auf die sich Publius häufig beruft – der gesunde Menschenverstand der Abgeordneten –, dem schon Einhalt gebieten. Während Handel, Finanzen, Diplomatie und Krieg der nationalen Regierung überantwortet werden, soll vor allem die Straf- und Zivilgerichtsbarkeit in der Kompetenz der Einzelstaaten verbleiben.

Der ausschließlich von Hamilton verfasste dritte Teil über eine durchsetzungsfähige Zentralregierung zerfällt, wie einleitend angekündigt, in drei Teile, die sich diesen Fragen widmen: Was sind die Aufgaben der Zentralregierung; welches Maß an Macht ist dafür verantwortlich; und wie sind die Menschen, auf die die Macht wirken soll? Im Vordergrund steht die gemeinsame Verteidigung, für deren Führung und Finanzierung die Zentralregierung uneingeschränkte Befugnisse erhalten soll (Nr. 23). Das Recht der Einzelstaaten, für ihren Bedarf Steuern einzuziehen, bleibt dabei unangetastet.

Der umfangreichste vierte Teil, der wie gesagt weit mehr als die Hälfte des Gesamttextes ausmacht, widmet sich einer ebenso detaillierten wie umfassenden Prüfung des Verfassungsentwurfes. Von Madison verfasst, werden einleitend die vier ineinander verschachtelten Leitaufgaben wiederholt. Die Verfassung soll für die erforderliche Stabilität, für eine nach innen und außen gerichtete Durchsetzungsfähigkeit der Regierung sorgen, zugleich der Freiheit und der republikanischen Regierungsform die ihnen gebührende Beachtung zollen und dabei die Vollmachten der Zentralregierung von denen der Einzelstaaten angemessen trennen (Nr. 37). Um ihrem Grundsatz gerecht zu werden, die Menschheit zu befähigen, sich selbst zu regieren, leitet eine Republik all ihre Befugnisse direkt oder indirekt vom gesamten Volk, nicht etwa von einer privilegierten Klasse ab (Nr. 59: Madison).

Im Einzelnen werden (1) die Gewaltenteilung behandelt, wobei Legislative, Exekutive und Judikative nicht absolut getrennt sein müssen (Nr. 47–48: Madison); (2) das Repräsentantenhaus, das verdienten Männern (!) aller Art offensteht, ausdrücklich unabhängig davon, ob sie in Amerika geboren oder – so Hamilton – eingewandert, ob sie jung oder alt sind. Weder Armut oder Reichtum, irgendeine besondere Profession oder ein besonderes religiöses Bekenntnis dürfen eine Rolle spielen (Nr. 52: Madison); (3) der Senat ist auch als ein «Gerichtshof für Amtsanklagen» einzurichten, für den «ein höheres Maß an Kenntnissen und charakterlicher Stabilität» als für das Repräsentantenhaus erforderlich ist (Nr. 62); (4) der Präsident, der zugehörige Wahlmodus, die Amtsdauer von vier Jahren, die – bis heute nicht zulässige – unbegrenzte Wiederwählbarkeit und vor allem die Kompetenzen; schließlich (5) die Bundesgerichtsbarkeit, die wie die gesamte Judikative unter Berufung auf Montesquieu als unbestreitbar unvergleichlich schwächste der drei Gewalten angesehen wird, denn sie habe weder Einfluss auf das Schwert noch auf die Geldbörse (Nr. 78: Hamilton). Im Verlauf der Geschichte wird allerdings die Macht der Judikative, namentlich durch das Recht auf Normenkontrolle, in den USA und in anderen Ländern erheblich zunehmen.

Essay Nr. 84 weist die Forderung nach einem Grundrechtskatalog mit zwei republiktheoretischen Argumenten zurück: Die bisherigen Bills of Rights seien Einschränkungen von Hoheitsrechten an die Untertanen, sodass sie «nichts mit Verfassungen zu tun haben, die erklärtermaßen auf der Macht des Volkes beruhen». Im Übrigen seien sie nicht nur unnötig, sondern auch gefährlich, da sie «Beschränkungen von Befugnissen enthalten», die gar nicht zu gewähren sind.

Im Schlussessay Nr. 85 geht der Federalist nur zum geringen Teil auf die fünfte Aufgabe, den Vergleich mit der Staatsverfassung von New York, ein. Hamilton bekräftigt den Appell, die zwar nicht vollkommene, aber doch vorbildliche Verfassung anzunehmen. Denn nur dann seien die Gefahren von Anarchie, Bürgerkrieg, einer dauernden Entfremdung zwischen den [US-]Staaten und auch die einer Militärdiktatur durch einen siegreichen Demagogen zu bewältigen.

Seit Platon und Aristoteles spielen anthropologische Überlegungen im politischen Denken, insbesondere in der Verfassungslehre, eine wesentliche Rolle. Der Federalist baut auf zwei anthropologischen Grundbegriffen auf: auf passion, Leidenschaft, und auf reason, Vernunft. Man kann hier von einer realistischen, jeden weltfremden Optimismus von sich weisenden Aufklärung sprechen; «Erfahrung [sowohl die der Geschichte als noch mehr der eigenen Krisenjahre 1783–1787] ist das Orakel der Wahrheit» (Nr. 20 und 138). Eine kluge politische Ordnung leugnet nicht die Kraft der Leidenschaften, begrenzt aber ihre Reichweite und öffnet gegen die Launen des Tages der Vernunft Chancen auf Wirksamkeit.

«Wären die Menschen Engel, so bedürften sie keiner Regierung. Und wenn Engel über die Menschen herrschten, so wäre weder eine äußere noch eine innere Kontrolle der Regierung notwendig» (Nr. 51: Madison).

Des Weiteren verschränken die Essays zwei Annahmen miteinander. Von schottischen Philosophen, namentlich Thomas Reid (1710–1796) beeinflusst, verbindet sich ein immer wieder betontes Vertrauen in den Common Sense, den «gesunden Menschenverstand», aber auch Gemeinsinn, und das Urteilsvermögen der Bürger mit einem Misstrauen, was zu einer realistischen Einschätzung der realen Menschen führt: Solange der Mensch die Freiheit hat, seinen Verstand, der fehlbar ist, zu gebrauchen, solange wird es auch unterschiedliche Meinungen geben. «Und solange sein Verstand mit seiner Eigenliebe verbunden ist, werden seine Meinungen und Leidenschaften sich wechselseitig beeinflussen. Erstere werden die Ziele vorgeben, denen Letztere sich anschließen.»

Das Misstrauen des Federalist richtet sich sowohl gegen die einzelnen Bürger als auch die Menge, nicht zuletzt gegen die Regierung. Wegen des Misstrauens gegen die Bürger sollen sie Repräsentanten wählen, statt direkt durchs Volk zu regieren, denn die aufgeklärte Sicht und charakterliche Stärke der Volksvertreter lässt diese «über lokal bedingte Vorurteile und ungerechte Vorhaben erhaben sein» (Nr. 10: Madison). Da aber das Erhabensein nur eine begrenzte Tragweite hat, plädiert der Federalist für das sprichwörtlich gewordene Sicherungssystem von institutionellen «checks and balances»: von sich wechselseitig in der Waage haltenden Einschränkungen. In Übereinstimmung mit dem vorliegenden Verfassungsentwurf vertraut der Federalist auf das Zusammenspiel von zwei in sich komplexen Beziehungsgeflechten, dem der politischen Institution und der Vielzahl gesellschaftlicher und religiöser Gruppen. Zum fein austarierten institutionellen Arrangement tritt als weiterer Faktor noch der gesellschaftliche und religiöse Pluralismus hinzu.

Das Ergebnis – ein System von Ermächtigung und Machtbegrenzung – ist im Gegensatz zu den «gewachsenen» europäischen Nationalstaaten eine ganz neuartige Konstruktion, aus der eine Nation sui generis hervorgeht, betont Hamilton im Essay Nr. 6.

Nach dem ausdrücklichen Ziel ihrer Autoren ist der Federalist als ein Plädoyer für den Bundesstaat eine Parteischrift. Später, nachdem endlich die bundesstaatliche Verfassung angenommen wurde, konnte das Plädoyer zu einer autoritativen Auslegung der Verfassungsordnung aufsteigen. Dabei spielt ein Oberster Richter, der erklärte Föderalist John Marshall, eine überragende Rolle. Im Urteil «Marbury vs. Madison» (1803) reklamiert er für das Oberste Gericht, den Supreme Court, das Prüfungsrecht zu Gesetzen der Legislative. Über dieses Normenkontrollrecht entwickelt sich das Verfassungsverständnis des Federalist zur Grundlage der US-amerikanischen Theorie und Praxis der Verfassung. Die führenden Verfassungskommentare des beginnenden 19. Jahrhunderts, der des Kanzlers James Kent (Commentaries on American Law, 1826) und der des Bundesrichters Joseph Story (Commentaries on the Constitution, 1833), folgen dieser Linie. Seither beruft sich das Oberste Gericht in Hunderten von Urteilen auf den Federalist als authentische Quelle für das Verfassungsverständnis. Gleiches gilt für die Vielzahl oft konkurrierender Deutungen der politischen Ordnung der USA in den politischen und intellektuellen Diskursen von Juristen, Politikern, Historikern und Sozialwissenschaftlern. Ungeachtet ihrer vielfältigen Kontroversen stimmen sie darin überein: Der Federalist hat die Grundgedanken der US-Republik in Form von Essays in ein überzeugendes Gesamtverständnis gebracht.

Lektüreempfehlung  Man beginne mit den ersten vier Essays und schließe die Essays Nr. 10, 14, 37 und 47 an.