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Die fünf großen Themen rund um die grüne Halbinsel in der blauen Adria. Lassen Sie sich inspirieren!
© Dumont Bildarchiv/Frank Heuer
Ganz im Süden Istriens ragt Kap Kamenjak ins Meer hinaus.
Farbenfrohe Skelette geben mit dem Dudelsack den Takt vor, gefolgt von einer Menschenschar: Bettler, Handwerker und der Papst reihen sich im Totentanz von Beram hintereinander. Das wohl berühmteste Fresko Istriens ist jedoch nur eines von vielen: Auf der Halbinsel gibt es in rund 140 Kirchen Wandmalereien zu entdecken, die auch ohne Worte viel zu erzählen haben.
© Dumont Bildarchiv/Frank Heuer
Der Totentanz in der Kirche von Beran
MAN muss schon genau hinsehen, um alles zu erkennen: Das Abbild Jesu, hoch über seiner Apostelschar, ist stellenweise stark abgeblättert. Die Wandmalerei im Kirchlein Sveti Rok (Hl. Rochus) in Roč stammt noch aus einer Zeit, in der die meisten Menschen weder lesen noch schreiben konnten: »Im Mittelalter haben Fresken das Wort Gottes aus der Bibel bildlich übermittelt, wie eine Art Comiczeichnung«, sagt Zdenka Majcan. Ihre Reiseagentur Istrianatravel bringt Urlaubern die Tradition istrischer Fresken näher – nicht nur durch Erzählungen.
Die Wandmalereien – die meist Maria, Jesus, die Heiligen, Schutzpatrone oder biblische Motive darstellen – wurden nicht nur angebetet. Zugleich mahnten sie die Gläubigen, nicht vom rechten Weg abzukommen: Wer es dennoch tat, musste damit rechnen, eine der abgebildeten Szenen am eigenen Leib zu erleben – etwa die Qual des Jüngsten Gerichts. Diese Furcht wurde während der Blütezeit der Fresken, die in Istrien vom 11. bis 16. Jh. dauerte, durchaus real empfunden
© Istra/Infozentrum Istrien
Detail aus der Nikola-Kirche in Pazin
»Später setzte ein gewisser Fanatismus ein, der dazu führte, dass viele Kirchenwände weiß übertüncht wurden«, erzählt Zdenka Majcan. Mancherorts kratzten die Kirchgänger den auf den Fresken dargestellten Menschen gar die Augen aus. Nachdem sich der mittelalterliche Eifer gelegt hatte, geriet die Freskenmalerei allmählich in Vergessenheit. »Unter mehreren Schichten Putz entdecken wir heute den versteckten Kunstschatz wieder«, so Zdenka Majcan.
Auch eine der bedeutendsten Wandmalereien in Istrien, der Totentanz im Kirchlein Marija na Škrilinah (Hl. Maria im Fels) in Beram, unweit von Pazin, wurde erst vor gut 100 Jahren bei Restaurierungssarbeiten entdeckt. Die wunderschönen Wandmalereien waren mit Putz überdeckt: Bei jedem neuen Kunststil wurde der ältere übermalt, so die gängige Praxis.
Überhaupt umfasst die Freskomalerei nicht nur eine Schicht: Vor dem Bemalen wurden die Kirchenwände zunächst grob abgeschmirgelt und anschließend mehrere Male mit Kalkstein und feinem Sand verputzt. Die letzte Schicht kam erst an dem Tag hinzu, an dem die entsprechende, noch feuchte Stelle an der Wand tatsächlich bemalt wurde.
Eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlägt das »Haus der Fresken« (Kuća fresaka) im Dorf Draguć: Hier wurde ein moderner, für ganz Istrien zentraler Infopunkt eingerichtet. Mit Wechselausstellungen, interaktiven Spielen und Karten wird die mittelalterliche Kunst vermittelt – praktische Tipps, wo es die schönsten Fresken zu entdecken gibt, inklusive.
Kerzenlicht erhellt das Atelier von Hari Vidović, aus den Lautsprechern dringt Renaissance-Musik: So wird der Fresken-Workshop in Roč begleitet. »Jeder kann eine Freske gestalten, auch ohne Vorkenntnisse«, verspricht Organisatorin Zdenka Majcan. Damit alles klappt, wird zunächst eine Skizze gezeichnet und anschließend auf flache, graue Steinplatten, genannt Tavelice, übertragen. Drei Stunden dauert der Fresken-Workshop in Roč, inklusive Kirchenbesichtigung, Anleitung und Materialkosten (auch auf Deutsch möglich, ab 300 Kuna/Person je nach Teilnehmerzahl). Infos: Istriana Travel, Vrh 28, 52420 Buzet, Tel. 052 66 70 22, www.istrianatravel.hr
Alter K.-u.-k.-Glanz hängt über den Seebädern in der Kvarner-Bucht: Die vornehme Pracht der Habsburger Donaumonarchie blüht hier wieder auf mit illustren Fassaden, schmucken Hotels und köstlichen Backtraditionen. Vieles scheint fast wie damals, als der Kaiser noch hier tanzte.
© Dorothea Schmid/laif
Stilecht begrüßt »Wolferl« im Mozart-Hotel in Opatja.
DAS »Wolferl« darf nicht fehlen: Als Büste thront Mozart in dem nach ihm benannten Hotel in Opatija, hinter herrschaftlicher Gründerzeitfassade. Überhaupt erinnert in dem einst mondänen K.-u.-k.-Seebad vieles an die »Goldenen Jahre« der Donaumonarchie: Opatija, das frühere Abbazzia, wurde bereits 1889 zum »K.-u.-k.-Curort« ernannt. Mit mildem Klima und subtropischer Vegetation lockte der Sehnsuchtsort vor allem in den Wintermonaten Kurgäste an.
Ab Wien reiste der Adel, später auch das wohlhabende Bürgertum, mit der Südbahn an die »österreichische Riviera«. Weiter ging es vom beschaulichen Vorort Matulj mit der Pferdekutsche nach Opatija. Daran wird heute ein- bis zweimal pro Jahr angeknüpft, wenn der Original K.-u.-k.-Salonzug Majestic Imperator Train de Luxe erneut rollt: rote Teppiche, Kirschholz und schwere Brokatvorhänge verleihen Speisewagen, Rauch- oder Damensalon aristokratisches Ambiente. Schon Kaiser Franz Joseph I. und Gattin »Sisi« nutzten die luxuriös ausgestatteten Waggons. Der Kaiser soll sich in Opatija übrigens gerne mit seiner Geliebten, der Wiener Burgtheater-Schauspielerin Katharina Schratt getroffen haben.
In Opatija angekommen, residierte die Hautevolee in eleganten Nobelherbergen, etwa im »Kronprinzessin Stephanie«, das heute als Smart Selection Hotel Imperial mit Kronleuchtern und ausladenden Fluren auch weniger betuchte Gäste aufnimmt. Im legendären Kristallsaal des 1884 erbauten Hotels Quarnero, heute Reminisens Premium Hotel Kvarner, wurde Walzer getanzt. Alljährlich Mitte Juli verwandelt sich nicht nur dieses Hotel, sondern das Herz von Opatija in eine »Kaiserstadt« (Carski grad): Bei dieser Nostalgie-Nacht flaniert das Kaiserpaar, gefolgt von anderen Schauspielern in prächtigen Ballroben, durch Opatija, begleitet von klassischer Musik und Tanz unter Sternen. Auch beim Wiener Ball im September in Opatija wird im Dreivierteltakt getanzt. Er gilt als Höhepunkt der Wiener Woche, bei der in vielen örtlichen Cafés natürlich »Išleri“« – die berühmten Törtchen aus Opatijas Partnerstadt Bad Ischl –, »Kremšnite« (Cremeschnitten) und andere köstliche Kuchen nicht fehlen dürfen. Frische Sachertorten wurden einst direkt aus Wien ins frühere Café Glacier angeliefert, das im Juraj Šporer Kunstpavillon untergebracht war. Längst schon werden Kuchen, Strudel und andere Mehlspeisen in bester K.-u.-k.-Tradition vor Ort gebacken: Als eine der besten Adressen gilt das nostalgische Café Wagner im Hotel Milenij (Millenium).
Die Blütezeit der K.-u.-k.-Seebäder an der Adria fand mit dem Niedergang der Donaumonarchie 1918 ein jähes Ende. Im sozialistischen Jugoslawien wurden die mondänen Villen verstaatlicht, aus dem »Kronprinzessin Stephanie« wurde für einige Jahre – ehe Tito mit Stalin brach – das »Hotel Moskau«. Erst im neuen Kroatien knüpft man mit wieder herausgeputzten Gründerzeit-Fassaden an die alten Traditionen an.
Einmal in das versunkene Österreich am Meer eintauchen: Dazu gibt es wohl keinen nostalgischeren Ort als die Seeterrasse des Café Wagner im Hotel Milenij in Opatija. Kellner in weiß gestärkten Hemden servieren die wohl köstlichste Sachertorte südlich von Wien! Warm eingemummelt, lässt es sich dort schon im Februar unter freiem Himmel gut aushalten, mit Blick auf den palmenbestandenen Park und die Franz-Joseph-Flanierpromenade. Als würde der Kaiser hier gleich vorbeispazieren! (Ul. Viktora Cara Emina 6, Opatija, Tel. 051 20 20 71, So.–Do. 7–22, Fr.–Sa. 7–23 Uhr)
© rechts Frank Heuer/laif
Wenn das nicht verlockend klingt: Die Thalasso-Therapie zaubert mit Algen, Aerosol und Meerwasser nicht nur straffe Haut, sondern mildert auch so manche Beschwerden. Auch bei anderen Kur- und Wellnessanwendungen lässt es sich in der Kvarner-Bucht herrlich entspannen.
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DASS das Meer heilende Kräfte besitzt, entdeckte schon Hippokrates im antiken Griechenland: Der »Vater der Heilkunde« behandelte Fischer mit Wunden an den Händen – und stellte fest, dass diese mit warmen Meerwasserumschlägen besonders gut abheilten. Hippokrates’ Behandlungsmethoden mit Salzwasser gelten als Vorläufer der Thalasso-Therapie.
Auf diese setzt man in den mondänen K.-u.-k.-Seebädern Opatija und Crikvenica: Schon die feine Gesellschaft der Österreichisch-Ungarischen Monarchie schätzte die Heilwirkung des Meeres (griech. Thalassa) und nutzte die Anwendungen vorbeugend, aber auch heilend. Eine Thalasso-Therapie ist jedoch nicht nur ein Badeurlaub am Meer, sondern basiert auf mehreren Säulen – auch wenn der Begriff nicht geschützt ist und die Anwendungen schon in den Schweizer Bergen angeboten werden.
Eine echte Thalasso-Therapie könne jedoch nur an der Küste durchgeführt werden, sagt Ivana Mijatović, die das Thalasso Spa Lepa Vida in den Salinen im slowenischen Sečovlje leitet. Diese Auflage fordert auch der Europäische Heilbäderverband: maximal 300 m vom Meer entfernt, unbehandeltes Meerwasser in der Wanne oder im Pool, allergenarme Seeluft, Schlick- oder Algenpackungen und Aerosol, zerstäubte Meerespartikel in der Luft, zudem eine Heliotherapie mit natürlichen Sonnenstrahlen. Eine Kombination dieser Faktoren soll sich vor allem positiv auf Rheuma, Neurodermitis oder allgemeine Erschöpfungszustände auswirken.
Im Thalasso Spa Lepa Vida kommt zudem Salzlake auf die Haut, so genanntes acqua madre, das bei der Meersalzgewinnung in den angrenzenden Salzbecken zurückbleibt. Es kann bis zu zehn Mal dickflüssiger als Wasser sein. Zudem sei dieses sehr mineralstoffreich, so Ivana Mijatović. Überhaupt enthält Meersalz über 80 Mineralien und Spurenelemente, die einen positiven Effekt haben.
Doch nicht nur die Thalasso-Therapie kommt an der Adria zum Einsatz. Die Insel Lošinj, wo schon im späten 19. Jh. der Habsburger Adel lustwandelte und später über 30 000 Kinder aus der DDR ihr Asthma im örtlichen Sanatorium kurierten, setzt heute auf mehr als 1000 Pflanzenarten: Deren ätherische Öle vermengen sich mit dem Aerosol in der Luft – und schaffen so eine »kostenlose Aromatherapie«. Das Zusammenspiel von mediterranen Kräuterdüften, Sonne, Salzwasser und mildem Klima wird hier, aber auch anderswo in der Region, als »Kvarner-Effekt« vermarktet.
Nicht nur an der Küste hat der Gesundheitstourismus eine lange Tradition: Im inneren Istrien sprudeln die einzigen Thermalquellen, Istarske Toplice. Schon die Römer nutzten sie für medizinische Kuren. Und natürlich locken die Wellness-Zentren in den großen Hotels mit globalen Entspannungstrends wie Hot-Stone-Massagen mit heißen Lavasteinen, japanischen Shiatsu-Körperanwendungen oder Detox-Behandlungen – Wellness pur!
Die Schlammpackung mit schwarzgrauem, feinem Schlick spannt beim Trocknen auf dem Körper ein wenig. Nach dem Abbrausen mit Meerwasser fühlt sich die Haut jedoch unglaublich weich an! Ein Tag im Spa von Sečovlje ist Wellness pur! Behandelt wird nur mit Produkten aus den Salinen, an die das Freiluft-Spa angrenzt. Minimalistische Massagepavillons und Holzstege umgeben den zentralen Meerwasserpool. Höchstens 50 Gäste können gleichzeitig verwöhnt werden – mittlerweile stammt jeder fünfte Gast aus Deutschland oder Österreich. Da alles im Freien stattfindet, ist nur bei schönem Wetter geöffnet (Mai bis Oktober, Reservierung mehrere Tage im Voraus empfohlen, Seča 115, 6320 Portorož, Tel. 00386 5 672 13 60, www.thalasso-lepavida.si).
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Der Weg ans Meer führt durch eine wildromantische Karstlandschaft: Im wasserlöslichen Kalkstein haben sich eigenartige geologische Formen herausgebildet. In den verschlungenen Höhlensystemen tief im Erdinnern lebt ein ungewöhnlicher Zeitgenosse – der Grottenolm.
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Phantastische Unterwelt in Postojna
BEIM angekündigten Besuch des österreichischen Kaisers sollte alles glänzen: Eine Gruppe von Arbeitern wurde abgestellt, um den Höhleneingang der Postojnska jama feierlich zu beleuchten. Einer von ihnen, der slowenische Lampenwart Luka Čeč, entfernte sich jedoch von seinen Kollegen und stieg durch eine Wand in einen bislang unbekannten Höhleneingang. Als er wiederkam, rief er: »Hier ist eine neue Welt, hier ist das Paradies!« An jenem Tag im April 1818 entdeckte Luka Čeč, dass die Karsthöhle Postojnska jama weit mehr als die bis dahin bekannten 300 m umfasst – sondern sich als imposantes Höhlensystem über rund 24 km Länge unter der Erdoberfläche ausbreitet.
Das unterirdische Labyrinth wurde schon bald mit Strom und einer Elektrobahn ausgestattet, die Besucher ins Erdinnere bringt – mehr als 36 Millionen Gäste waren es in den vergangenen 200 Jahren. Das dürfte einem scheuen Zeitgenossen nicht ganz recht sein: dem Grottenolm. In freier Wildbahn bekommt man das Tierchen kaum zu Gesicht, dafür jedoch im »Konzertsaal«, einer Halle in der Höhlenwelt von Postojna: Dort lebt der pigmentlose, weißlich-fleischfarbene Schwanzlurch in einem Aquarium. Hübsch ist er nicht gerade, dafür umso faszinierender: Er ist blind, benötigt kein Licht und kommt gar mehrere Jahrzehnte (!) ohne Nahrung aus. Sein asketischer Lebenswandel im Dunkel der Karstwelt lässt ihn bis zu 100 Jahre alt werden.
Dass im Erdinneren ein eigenes, ganz gemähliches Tempo vorherrscht, zeigen auch die Tropfsteinformationen: Stalaktiten und Stalagmiten wachsen nur einen Zentimeter – pro Jahrhundert! Das Wahrzeichen der Postojnska jama, der fünf Meter hohe Stalagmit »Brilliant«, der vom Boden empor ragt, benötigte entsprechend 50 000 Jahre, bis er seine heutige stattliche Größe erreicht hat! Solche Tropfsteinformationen entstehen durch feine Risse im durchlässigen, wasserlöslichen Kalkstein, der die Karstlandschaft dominiert: Sickert das kalkhaltige Wasser in die unterirdischen Hohlräume und vermengt sich dort mit der Luft, kommt es zu solchen Tropfsteingebilden.
Weit verzweigte Höhlensysteme sind die bekannteste Eigenheit einer Karstlandschaft. Stürzen die unterirdischen Hohlräume ein, entsteht ein trichterförmiges Tal, das Doline genannt wird. Dieser international gebräuchliche Fachbegriff stammt übrigens aus der Gegend: Unweit der Höhlen von Postojna erstreckt sich die Velika dolina (»Große Doline«) in den Škocjanske jame (Höhlen von Škocjan) als eines der beeindruckendsten Naturphänomene dieser Art. Die 165 m tiefe Einsturzdoline entstand, als ein unterirdischer Hohlraum einbrach. Das ist gut 100 000 Jahre her. Seither hat der Fluß Reka hier eine 2,5 km lange Schlucht durch die Kalksteinlandschaft ausgewaschen. An deren Ende verschwindet er in einer Felswand und kommt erst 34 km weiter, nahe der Adria, wieder an die Erdoberfläche. In der Fachsprache heißt solch ein Schluckloch Ponor, ebenfalls ein Begriff aus dem Südslawischen. Größere eingestürzte Hohlräume nennt man Polje (dt. Feld); als eines der größten weltweit gilt die gesamte Lika im Hinterland von Rijeka.
Die Postojnske jame sind ein Besuchermagnet, ohne Zweifel. Fernab der gut besuchten Haupthöhlen, die mit dem Besucherzug erkundet werden, wartet jedoch ein anderes Abenteuer: »Auf den Spuren von Luka Čeč« heißt eine recht anspruchsvolle Führung. Mit orangefarbenem Schutzoverall und gelbem Helm ausgestattet geht es durch die Tiefen der Höhle – inklusive Klettern und Abseilen. Das Besondere daran: Die Tour wird in ihrem Verlauf immer einfacher, dank der Hilfsmittel, die in den vergangenen 200 Jahren – also seit Luka Čeč die Postojnske jame entdeckt hat – entwickelt wurden (www.postojnska-jama.eu/de/avanture-de-de).
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Ein ebenso scheues wie geheimnisvolles Wesen: der Grottenolm
Der jugoslawische Ministerpräsident Josip Broz Tito war ihrem Charme erlegen: Mindestens vier Monate pro Jahr verbrachte der ebenso charismatische wie umstrittene Ex-Staatschef auf den Brijuni-Inseln. Dort ließ er von Häftlingen luxuriöse Villen ausbauen, bekochte Hollywood-Stargrößen und empfing die politische Weltelite. Titos Geist ist bis heute auf der Inselgruppe allgegenwärtig.
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Gleich legt das Boot ab zu den Inseln.
WENN Koki hustet, ist das kein beliebiges Krächzen. Der Gelbhauben-Kakadu, Jahrgang 1959, imitiert nämlich den Raucherhusten von Tito! Auch wenn der frühere jugoslawische Staatschef seit bald vier Jahrzehnten nicht mehr lebt, erinnert sich Koki ebenso daran wie an dessen Lachen und Fluchen. So umgarnt der legendäre Papagei die Besucher des Nationalparks Brijuni, wo sein Käfig in Hafennähe auf der Hauptinsel Veli Brijun steht – damit ihm nicht langweilig wird.
Koki, den Tito seiner Enkelin Šaša zum 9. Geburtstag schenkte, ist nicht der Einzige, der den ehemaligen Staatschef noch erlebte: Die Elefantendame Lanka, die im Safaripark gerne Ball spielt, war ein Staatsgeschenk von Indira Ghandi. Aus Somalia kamen Schafe, die Queen brachte Shetland-Ponys mit.
Marschall Tito lud gerne illustre Staatsgäste auf die Brijuni-Inseln ein, die er 1947 als Sommerresidenz entdeckt hatte. Im Gästebuch stehen mehr als 90 Staatsoberhäupter - darunter Fidel Castro, Leonid Breschnjew oder Winston Churchill. Trotz Kaltem Krieg gelang Tito, der Jugoslawien ebenso geschickt wie brutal zusammenhielt, ein Spagat zwischen Ost und West. Den politischen Balanceakt unterstrich er 1956, gemeinsam mit dem indischen Premier Nehru und dem ägyptischen Staatschef Nasser, durch die Gründung der Blockfreien Staaten – auf den Brijuni-Inseln. Das Tito-Museum hält diesen Moment auf vielen Fotos fest – und pflegt den Personenkult um Tito bis heute. Auf den Inseln umgab sich der Marschall aber nicht nur mit den politisch Mächtigen, sondern auch mit den Schönen und Berühmten, hatte er doch eine Schwäche für Glamour: Hier kochte er für Schauspiel-Ikone Sophia Loren Spaghetti und Zagorske štrukli, Quarkstrudel aus seiner nordkroatischen Heimatregion Zagorje. Zum berühmten Freundeskreis gehörten auch Gina Lollobrigida, Elizabeth Taylor und Richard Burton.
Die schönste Zeit seines Lebens sei jene auf den Brijuni-Inseln gewesen, sagte Tito mehrfach. Hohen Staatsbesuch empfing er in der Weißen Villa (Bijela Villa) auf Veli Brijun. Sein privates Paradies ließ er auf Vanga errichten: 1952 entdeckte Tito das Inselchen, so groß wie 27 Fußballfelder; es war zugewachsen und unbewohnt. Zu dieser Zeit lebten auf Veli Brijun noch rund 280 Menschen, die schon bald umgesiedelt wurden, da die Inseln militärisches Sperrgebiet waren. Auf Vanga baute Tito mit Leidenschaft Mandarinen an, die er an Pioniere verteilte, und Trauben, aus denen Wein für Empfänge gekeltert wurde. Sein geliebtes Inselchen überließ er 1977 seiner vierten Ehefrau Jovanka Broz, zu der er nicht das beste Verhältnis hatte.
Tito starb 1980. Drei Jahre später wurden die Brijuni zum Nationalpark erklärt, der Tourismus hielt wieder Einzug. Während das Anwesen auf Vanga in einen Dornröschenschlaf fiel, um das sich Titos Nachfolger kaum kümmerten, werden die repräsentativen Villen auf Veli Brijun bis heute für staatliche Anlässe genutzt und die ehemaligen Gästehäuser an Hotelgäste vermietet. Wer einen Ausflug auf die Inseln bucht, kommt am Tito-Museum nicht vorbei und an Koki, der Besuchern buchstäblich einen hustet, erst recht nicht.
Blankpoliert, mit mächtiger Motorhaube und bequemen Lederpolstern, wartet er direkt vor dem Tito-Museum auf Veli Brijun auf Mitfahrer: Das dunkelgrüne Cadillac-Eldorado-Cabrio, Baujahr 1953, produziert in 530 Exemplaren, war Titos Lieblingsauto. Mit der Luxuskarosse kutschierte er seine illustren Gäste über die Insel, von Willy Brandt bis Sophia Loren. Heute kann das Gefährt für Spritztouren gebucht werden (www.np-brijuni.hr)! Das Vergnügen hat jedoch seinen Preis: Gut 360 Euro kostet die Fahrt – von 30 Minuten!
© Dorothea Schmid/laif