Kapitel 6

A ls die Polizei von Richmond eintraf, war der Ford Focus der Halbdrow nur noch ein schwelender Schrotthaufen. Der Leitstellendisponent hatte zwei Streifenwagen losgeschickt und Cheyenne war irritiert, als alle vier Beamten aus ihren Autos stiegen.

»Ist das Ihr Auto, Ma’am?«

»Ja.« Die Halbdrow blickte von einem Beamten zum anderen. »Als Erstes will ich sagen, dass ich nicht mein eigenes Auto in die Luft gejagt habe und nicht weiß, wer es war, also können Sie sich diese Fragen sparen.«

Der Beamte, der neben ihr stand, sah auf, als ein Feuerwehrauto auf den Parkplatz rollte. »Wie ist Ihr Name?«

»Cheyenne.«

»Haben Sie einen Ausweis bei sich, Cheyenne?«

Sie nahm ihren Rucksack wieder von den Schultern und ließ ihn auf den Boden fallen. »Mein Portemonnaie ist in meinem Rucksack.«

»Nur zu, holen Sie es raus.«

Während sie die Vordertasche durchwühlte, kam ein Feuerwehrmann mit einem tragbaren Feuerlöscher auf ihr Auto zu und nutzte ihn, um die letzten verbliebenen Flammen zu löschen. Der weiße Schaum sprühte mit einem lauten Rauschen und die anderen Beamten kicherten.

Cheyenne fand endlich ihr Portemonnaie, stand auf und zog ihren Ausweis aus dem durchsichtigen Plastikschlitz. Sie übergab ihn mit starrem Blick und wartete auf die Reaktion des Beamten. Jawohl. Immer das Gleiche . Große Augen. Verwirrung. Sie starren tatsächlich Bianca Summerlins Tochter an, Herr Polizist.

»Nun, Frau Summerlin …«

»Cheyenne. Frau Summerlin ist meine Mutter.« Sie versuchte, nicht zu schmunzeln, als der Beamte ein wenig stotterte und sich räusperte.

»Verstehe.« Er drehte sich wieder um und betrachtete das mit Schaum bespritzte Wrack, das die Form eines Ford Focus hatte. »Haben Sie eine Ahnung, wie das passiert ist?«

»Ihre Vermutung ist so gut wie meine.«

»Hey, Higgins.« Der große, hagere Beamte hockte sich auf ihre Seite des zerstörten Autos und zeigte auf den hinteren Radkasten. »Wonach sieht das für dich aus?«

Die Beamtin neben ihm legte den Kopf schief. »Es sieht so aus, als hätte jemand mit einer selbstgebauten Bombe gespielt.«

»Verdammt. Okay, ich melde es bei der Spurensicherung.«

»Kennen Sie jemanden, der Sie verletzen will, indem er einen Sprengsatz unter Ihrem Auto platziert?«

Ein Haufen verrückter magischer Arschlöcher aus einer Welt, von der Sie noch nie gehört haben . »Nicht wirklich.«

»Sind Sie in letzter Zeit jemandem auf die Nerven gegangen?«

Es kostete sie all ihre Willenskraft, nicht zu lachen. »Ich bin auf niemandes Seite, Officer. Weder im Guten noch im Bösen. Ich bin zu meinem Auto gegangen, um zu einer Vorlesung zu fahren.« Cheyenne stupste ihren Rucksack mit ihrem Schuh an. »Ich habe einen Mann gesehen, der vom Parkplatz auf das Gebäude zugerannt ist und dann hat es geknallt.«

»Konnten Sie das Gesicht dieser Person gut sehen?«

Als ob sie es jemals finden würden. »Nö. Eigentlich nur seinen Rücken.«

»In Ordnung. Warten Sie hier, Frau – Cheyenne. Ich bin gleich wieder da.« Der Beamte steckte seine Daumen in die Gürtelschlaufen und ging zurück zu seinem Streifenwagen. Sein Partner und die anderen Beamten schlossen sich ihm an und die Halbdrow musste nicht einmal in ihre Richtung schauen, um das Gespräch zu hören.

»Cheyenne Summerlin.«

»Was? Wie die Politikerin Summerlin?«

»Ich glaube schon, ja.«

»Jemand hat einen ernsthaften Todeswunsch, wenn er sich mit der Tochter dieser Frau anlegt.«

»Sie sagt, sie weiß nichts.«

»Wahrscheinlich nicht. Ich wusste nicht einmal, dass die Frau ein Kind hat

»Ich werde ihren Ausweis überprüfen. Dann wissen wir mehr.« Der Beamte mit dem Ausweis schlüpfte in seinen Streifenwagen, während die anderen drei sich umdrehten und Cheyenne beobachteten.

Sie hob nur die Augenbrauen und nickte ihnen knapp zu. Niemand sagte etwas, bis der Beamte wieder aus seinem Auto stieg und den anderen ihren Ausweis entgegenhielt. Offensichtlich bedeuteten seine großen Augen und sein schief gelegter Kopf, dass das Gothic-Mädchen tatsächlich diejenige war, die sie vorgab zu sein.

Er räusperte sich, als er auf sie zukam. »Es tut mir leid, dass Ihr Tag so angefangen hat, Frau Summerlin. Sind Sie versichert?«

Cheyenne nahm ihren Ausweis, den er ihr hinhielt und steckte ihn zusammen mit ihrem Portemonnaie in ihre Tasche. »Ja.«

»Ich würde den Schaden bei Ihrer Versicherung melden. Sie müssen einen Abschleppdienst rufen, um das Ding vom Parkplatz zu holen, wenn Sie es untersuchen lassen wollen …«

Beide blickten langsam auf das mit Schaum bedeckte Skelett des Wagens. Der Beamte räusperte sich.

»Es muss auf den Schrottplatz«, murmelte Cheyenne. »Wenn sie es da nehmen.«

»Ja. Das ist wahrscheinlich das Beste. Machen Sie ein paar Fotos, damit sie den Schaden melden können. Und Sie müssen einen Unfallbericht ausfüllen.« Er holte eine Visitenkarte aus seiner Gesäßtasche und reichte sie ihr. »Sie können mich gerne anrufen, wenn Sie Hilfe dabei benötigen.«

»Alles klar. Danke.«

»Okay. Schönen Tag noch.« Der Mann entfernte sich schnell von ihr und drehte sich noch einmal um, um ihr einen letzten Blick zuzuwerfen, bevor er seinem Partner zunickte, um zum Streifenwagen zurückzukehren.

Es dauerte zehn Minuten, bis die Polizei und das Feuerwehrauto von dem Parkplatz verschwunden waren. Dann zerknüllte Cheyenne die Visitenkarte und steckte sie in die Tasche ihres Rucksacks, bevor sie ihn sich wieder über die Schulter warf.

Den Schaden melden . Ja, klar. Sie schnaubte und zückte wieder ihr Handy, um ein Taxi zu rufen. »Es war sowieso Zeit für ein neues Auto.«

* * *

An diesem Nachmittag fuhr Cheyenne mit ihrem neuen Auto auf den Parkplatz des VCU Medical Center. System of a Down dröhnte aus dem Soundsystem und der glänzende, schwarze Porsche Panamera kam auf dem nächstgelegenen Parkplatz vor dem Eingang zum Stehen, der nicht mit einem Behindertenparkplatzschild versehen war. Eine Frau, die ihr Kleinkind im Kinderwagen bis zu den automatischen Doppeltüren des Krankenhauses schob, warf dem Gothic-Mädchen einen abschätzigen Blick zu.

Cheyenne begegnete dem Blick der Frau, wippte mit dem Kopf zur Musik und hob ihre Hand, um ihr fröhlich zuzuwinken. Die Frau schüttelte den Kopf und huschte in die Krankenhauslobby, während ihr Kleinkind lachte und zur Musik mitklatschte.

»Das wird lustig.«

Sie stellte den Motor ab und stieg aus dem Auto aus. Das schicke Piepen, als sie den Schließknopf am Schlüsselanhänger drückte, brachte sie wieder zum Schmunzeln. Oh, ja.

Als sie durch die automatischen Schiebetüren trat, war Ember bereits in der Lobby – angezogen, die Haare gekämmt, ihre Papiere und ihre persönlichen Taschen auf dem Schoß, wo die Entlassungsschwester ihren Rollstuhl geparkt hatte. Die magielose Fae lächelte breit, als Cheyenne auf sie zukam. »Du bist früh dran.«

»Glaub mir, das war keine Absicht.« Die Halbdrow lächelte zurück und blieb vor dem Rollstuhl stehen, um ihn prüfend zu betrachten. »Schickes Ding.«

Ember lachte laut. »Ja, deins auch. Habe ich dich wirklich gerade mit einem Panamera vorfahren sehen?«

»Hey, wenn es das ist, was du gesehen hast, werde ich nicht versuchen, deine Meinung zu ändern.«

»Du hattest einfach Lust auf ein Upgrade, was?« Ember spähte um ihre Freundin herum und warf einen Blick durch die automatischen Glastüren auf das glänzende, schwarze Auto mit dem provisorischen Klebeband im Heckfenster. »Das habe ich nicht erwartet.«

»Ja, noch ist es lustig.« Die Halbdrow lehnte sich zu ihrer Freundin und murmelte: »Warte, bis ich dir erzähle, was passiert ist.«

»Ich bin ganz aufgeregt.«

Cheyenne trat zurück und blickte wieder auf den Rollstuhl. »Bereit?«

»Fast.« Ember hob amüsiert die Augenbrauen und nickte in Richtung der Eingangstür. »Lass uns den Laden aufmischen, ja?«

Cheyenne lachte. »Bist du bereit, zu gehen?«

»Ja. Ich habe meine Entlassungspapiere und alles.« Ember zwinkerte Cheyenne zu, die gerade dabei war, herauszufinden, wie man die Räder entriegelte. Dann fuhren sie beide in den Sonnenschein und die frische Herbstluft hinaus.

Das Auto piepte erneut, als sie sich näherten, was Ember zum Lachen brachte. »Es ist wirklich deins.«

»Oh, ja. Perfektes Timing, wirklich.«

»Du leihst dir das Auto nicht nur für eine ›Willkommen zu Hause, Ember‹-Fahrt?«

Cheyenne öffnete die Beifahrertür und stützte ihren Arm darauf ab, bevor sie ihrer Freundin ein zufriedenes Lächeln schenkte. »Niedlich.«

»Ich frage nur nach.«

Als Ember auf dem Vordersitz saß und ihr Rollstuhl zusammengeklappt im Kofferraum verstaut war, setzte sich die Halbdrow wieder hinter das Steuer und startete den Motor. Aus den Lautsprechern dröhnte Heavy Metal und Ember beugte sich vor, um die Lautstärke auf die Hälfte zu reduzieren. »Heilige Scheiße.«

Cheyenne schnallte sich an und kicherte. »Ich habe Spaß daran, okay? Wenn du es leiser drehst, kein Problem. Wechsle nur nicht den Sender.«

»Schau dich an.« Ember schnallte sich ebenfalls an und schaute sich in dem nagelneuen Auto um. »Du kaufst uns beiden am selben Tag einen neuen Satz Räder.«

»Was?« Die Halbdrow versuchte, überrascht auszusehen, vielleicht sogar ein bisschen verwirrt.

»Ah ja. Du kannst mit dem Scheiß aufhören, Cheyenne. Ich weiß, dass Krankenhäuser ihre Patienten nicht mit den besten Rollstühlen nach Hause schicken, die es gibt. Glaub mir. Ich habe heute Morgen gesehen, wie ein alter Mann mit einem Gipsbein herumgerollt wurde. Das ist nicht dieselbe Ausstattung.«

»Hm.« Die Halbdrow unterdrückte ein Lächeln und konzentrierte sich darauf, den Parkplatz zu verlassen und sie vom Krankenhaus wegzubringen. Sie spürte, wie Ember sie anblickte, tat aber so, als würde sie es nicht bemerken.

»Danke, Cheyenne.«

Die Halbdrow zwinkerte ihrer Freundin kurz zu, bevor sie auf die Straße fuhr. »Schätze, das ist ein Glückstag für uns beide.«