Kapitel 15

F ünf Stunden später hielten sie vor dem Gästezentrum der Pellerville Gables Apartments am Libbie Mill East Boulevard. Cheyenne warf einen Blick auf die hohen Gebäude um sie herum und zuckte mit den Schultern. »Aller guten Dinge sind drei, oder?«

Ember schmunzelte und schüttelte den Kopf. »Wir waren schon in drei verschiedenen Wohnkomplexen. Ich glaube, wir haben die Frist verpasst.«

»Was? Nein, in dieser Situation interpretieren wir das Sprichwort so, dass drei Blindgänger bei der Wohnungssuche gleich ein Gewinner bei der Nummer vier sind.«

»Das ergibt doch gar keinen Sinn.«

Die Halbdrow kicherte und schnallte sich ab. »Lass es einfach auf dich wirken. Du wirst es schon verstehen.« Mit einem Augenzwinkern öffnete sie den Kofferraum und stieg aus, um noch einmal nach dem Rollstuhl zu greifen. Ich werde ihr noch eine Weile helfen, also gewöhne ich mich besser daran.

Mit einer fast fließenden Bewegung zog sie den Stuhl aus seiner zusammengeklappten Position und grinste. »Hey! Ich glaube, so langsam habe ich den Dreh raus.«

Ember stieß ein spöttisches Lachen aus. »Fantastisch. Du hast den Dreh mit meinem Rollstuhl raus. Ich werde warten.«

»Woah.« Lachend fuhr Cheyenne den Stuhl herum und blockierte die Räder. Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah ihre Freundin an, die immer noch in ihrem Auto saß. »Du musst nachsichtig mit mir sein, Em. Ich muss noch viel lernen. Keine Sorge, ich werde dich schon bald nicht mehr aufhalten.«

Ember schnaubte und stabilisierte sich, während Cheyenne sich bückte, um ihr beim Aussteigen aus dem Auto zu helfen. Diesmal brauchte die magielose Fae nur wenige Sekunden, um sich im Stuhl in die richtige Position zu bringen, dann zog Cheyenne sie nach hinten, damit Ember die Tür schließen konnte. »Wir werden langsam ziemlich gut darin.«

»Siehst du?« Die Halbdrow schob ihre Freundin zur Rampe auf den Bürgersteig zu, während Ember den Fernbedienungs-Autoschlüssel aus ihrer Jackentasche zog und das Auto hinter ihnen abschloss. Das Piepen brachte sie beide zum Lächeln. »Wir sind das beste verdammte Team der Welt. Da ist es nur logisch, dass wir am Ende auch zusammen wohnen werden.«

»Okay, vielleicht habe ich die Zeichen falsch gedeutet, aber du klingst mit jeder schrecklichen Wohnung, die wir ablehnen, begeisterter von diesem Arrangement.«

Cheyenne lachte, als sie den Gehweg zum Eingang des Gästezentrums entlanggingen. »Das liegt daran, dass wir uns der Goth-Garage nähern.«

»Vielleicht sollte ich einfach sagen, dass ich sie will, keine Widerrede, ich stampfe jetzt mit dem Fuß auf den …« Ember erstarrte im Stuhl und blickte auf das verzerrte Spiegelbild eines Mädchens in einem Rollstuhl, das von einer verschwommenen, schwarzen Gestalt geschoben wurde, die wie ein anderes Mädchen aussah. Dann lachte sie. »Das ist immer metaphorisch, nicht wahr? Mit dem Fuß auf den Boden stampfen.«

»Wenn wir nicht gerade über Kleinkinderwutanfälle reden, ja. Hey, sieh dir das an. Automatische Türen mit einem Knopf für Leute im Rollstuhl.« Cheyenne rollte ihre Freundin zu dem blauen Metallquadrat an der Außenwand des Gebäudes und nickte. »Willst du die Ehre haben?«

»Das ist der erste, den wir heute gesehen haben, nicht wahr?« Ember lehnte sich zur Seite und schlug mit der Handfläche auf den Knopf. Die Tür öffnete sich langsam und sie gingen hinein. »Ich mag diesen Ort jetzt schon.«

»Okay, aber triff jetzt noch keine Entscheidung.«

Sie betraten die große, geschwungene Lobby der Pellerville Gables Apartments, in der alles in kräftigen Farben und klaren Linien gehalten war.

Ember neigte ihren Kopf ganz nach hinten, um die ungewöhnlich hohen Decken und die Beleuchtung zu betrachten. »Sieht das hier wie eine Hotellobby aus?«

»Du nimmst mir die Worte aus dem Mund. Aber leider nicht viel Schwarz.«

Das Fae-Mädchen entgegnete spöttisch: »Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein guter Innenarchitekt das Problem lösen kann.«

»Oh . Jetzt reden wir also über Innenarchitekten, was? Seit wann sind wir denn so schick?«

»Wahrscheinlich, seit du das superschicke Auto draußen gekauft und mit dem Begriff ›Erbe‹ um dich geworfen hast.« Ember schaute über ihre Schulter und breit lächelnd die Halbdrow an. »Außerdem habe ich eine Schwäche für Dekoration.«

»Weißt du was? Das kaufe ich dir ab.« Cheyenne fand den Schreibtisch der Empfangsdame an der rechten Wand, gleich hinter einem Halbkreis aus schwarzen Ledersesseln um einen geschwungenen, modernen Couchtisch ohne erkennbare Form. Wir brauchen solche Stühle. »Trotz der kaputten Schränke und der Löcher in der Wand sieht deine Wohnung viel schöner aus als meine.«

»Das liegt daran, dass ich Möbel habe.«

Sie lachten und senkten den Geräuschpegel zu einem Kichern, als sie sich dem Schreibtisch näherten. Die Frau, die dort saß, war nur ein paar Jahre älter als sie und hatte ihr platinblondes Haar zu einem geraden, strengen Bob geschnitten. Sie rückte das Gestell ihrer grasgrünen Brille zurecht und lächelte zuerst Ember an. Als sie Cheyenne ansah, verblasste ihr Lächeln ein wenig und ihr Blick wanderte wieder zu Ember. »Hi. Kann ich Ihnen helfen?«

»Das wäre großartig«, antwortete Cheyenne mit einem entschlossenen Nicken.

Die Frau blinzelte – auf dem kleinen Schild auf ihrem Schreibtisch stand ›Caroline‹ – und lächelte Ember weiter an.

»Ich habe heute Morgen angerufen und einen Termin für eine Besichtigung vereinbart«, erklärte Ember und ihre übliche scherzhafte Art wurde durch eine höfliche Überschwänglichkeit ersetzt, die zu Caroline passte.

Cheyenne presste ihre Lippen zusammen, um nicht zu lachen. Als wäre sie von Bianca Summerlin erzogen worden.

»In Ordnung.« Carolines Lächeln wurde breiter und ihre blauen Augen vergrößerten sich hinter den dicken Gläsern. »Um wie viel Uhr war Ihr Termin?«

»14:30 Uhr. Wenn Sie nach meinem Namen schauen wollen, der Termin ist unter Ember Gaderow.«

Die Empfangsdame drehte sich um und nickte. »Oh, ja. Ich habe Sie genau hier. Ganz pünktlich. Das ist großartig.« Ihr Blick schweifte über Embers Rollstuhl. »Wollen Sie sich immer noch das Loft mit zwei Schlafzimmern ansehen?«

»Auf jeden Fall.« Ember hatte entweder das Zögern der Frau wegen ihres Rollstuhls nicht bemerkt oder war wirklich gut darin, es zu ignorieren.

Wenigstens diesen Teil hat sie schon drauf. Cheyenne trat um den Stuhl herum und stellte sich neben ihre Freundin. Sie steckte die Hände in die Taschen ihrer schwarzen Schlabberhose, in der kleine Risse an den Knien waren.

»Natürlich.« Caroline klatschte in die Hände, blickte noch einmal auf ihren Computer und lächelte noch breiter. »Ich bringe Sie zu einer unserer Musterwohnungen mit demselben Grundriss. So bekommen Sie ein Gefühl dafür, wie es aussehen könnte, wenn alle Ihre Sachen darin stehen.«

»Klingt toll.«

»Ich hole nur schnell die Schlüssel aus dem hinteren Büro und dann können wir uns die Wohnung einmal gemeinsam ansehen.« Caroline klopfte auf ihren Schreibtisch, während sie Ember zunickte und ihre Augen flackerten in Richtung Cheyenne, bevor sie sich geschickt umdrehte und durch eine unmarkierte Tür auf der anderen Seite ihres Schreibtisches ging.

»Das wird ein Spaß«, murmelte Cheyenne.

Ember kicherte und verschränkte die Arme. »Irgendetwas sagt mir, dass du nicht davon sprichst, dir noch eine Wohnung anzusehen.«

»Nun, ja, das auch. Aber ich glaube, sie hat erwartet, dass ihr Termin um halb drei etwas anders aussieht.« Die Halbdrow drehte sich zu der geschlossenen Tür um, durch die Caroline verschwunden war. »Ich glaube, es fällt ihr schwer, sich zu entscheiden, um wen von uns sie sich mehr Sorgen machen soll.«

»Was?« Die Fae tat so, als sei sie schockiert und presste eine Hand auf ihre Brust. »Meinst du, es kann nicht jeder sehen, dass wir beide aufrechte Bürgerinnen sind, die ihre Lebensbedingungen verbessern wollen?«

»Oh, Mann.« Cheyenne lachte leise und schüttelte den Kopf. »Ich muss dich mal zu meiner Mutter mitnehmen. Sie würde dich lieben.«

»Ich weiß nicht, ob ich ganz ihr Stil bin.«

»Ha. Vielleicht will ich nur ihren Gesichtsausdruck sehen, wenn du deinen Sarkasmus rauslässt.«

Ember hob eine Augenbraue. »Ich bin mir sicher, dass sie von dir viel davon bekommt.«

Cheyenne schüttelte langsam den Kopf, ihre Augen weiteten sich, während sie versuchte, die Vorstellung von Bianca Summerlins Reaktion aus ihrem Kopf zu bekommen. »Schon lange nicht mehr. Man könnte sagen, sie hat eine gewisse Art, mich dazu zu bringen, mich anständig zu verhalten. Zumindest, wenn ich in ihrer Nähe oder in der Nähe von Ebenbürtigen bin.«

»Oh, ich verstehe schon. Du willst nur, dass sie sich windet, wenn sie sieht, dass deine beste Freundin die Eier hat, sich ihr gegenüber so zu verhalten und du nicht.«

Die Halbdrow zeigte mit dem Finger warnend auf ihre Freundin und versuchte, sich ihr Lachen zu verkneifen. »Schmerzhaft, aber zutreffend.« Ember schmunzelte. »Aber nein, im Ernst, Em. Es ist ein lustiger Gedanke, aber ich weiß, dass es nicht passieren wird. Du bist zu anpassungsfähig.«

»Ich weiß nicht, ob das eine Beleidigung oder ein Kompliment ist.«

Cheyenne zuckte mit den Schultern und lachte, als das Fae-Mädchen ihr mit dem Handrücken auf den Arm klopfte. »Im Ernst, wir würden uns gut amüsieren. Wir könnten dich auf die Veranda rollen und einen Wein aufmachen. Eleanor würde ein leckeres Hühnchen-Cacciatore machen, wenn sie in der Stimmung dafür wäre.«

Embers Augen weiteten sich, als sie versuchte, dieses Bild im Kopf zu verarbeiten. »Wer wird denn jetzt schick?«

»Ich sag’s ja nur. Es ist eine ganz neue Welt da draußen, mitten im Nirgendwo.«

Die unmarkierte Tür auf der anderen Seite des Schreibtisches öffnete sich und die Empfangsdame trat auf sie zu, wobei sie einen einzelnen Schlüssel an einem Schlüsselbund in der Hand hielt. »So, jetzt geht’s los. Kann ich Ihnen beiden etwas zu trinken anbieten? Wir haben Wein, rot oder weiß. Mineralwasser oder stilles Wasser, wenn Sie wollen.«

»Kein Champagner?«, fragte Cheyenne mit starrer Miene.

»Wie bitte?«

»Nein, nein. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, wenn Sie keinen haben. Das ist in Ordnung.« Die Halbdrow hob eine Hand und senkte ihren Kopf. Wow, das fühlt sich so sehr wie M om an.

»Natürlich … natürlich.« Caroline blinzelte wütend und wandte ihre Aufmerksamkeit Ember zu. »Für Sie, Miss Gaderow?«

Ember musste ihr Lachen wieder zurückhalten und schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Wir sind bereit, uns das Loft anzuschauen.«

»Alles klar. Wir gehen einfach aus dem Gästezentrum hinaus und in das erste Gebäude auf der rechten Seite. Hier entlang.« Die Frau nickte und ging an ihnen vorbei, ohne Cheyenne anzusehen.

Die Halbdrow beugte sich hinunter und flüsterte ihrer Freundin ins Ohr: »Ich habe dir doch gesagt, dass es Spaß machen würde.«

»Du wirst sie dazu bringen, sich die Haare auszureißen«, murmelte Ember.

»Wenn uns die Wohnung gefällt und wir den Deal besiegeln wollen, warte ab, bis es ans Vertrag unterschreiben geht.«

»Oh, Mann. Jetzt geht’s los.«

Sie lachten noch einmal leise und hörten abrupt auf, als Caroline ihnen die Eingangstür aufhielt. Dann waren sie wieder draußen auf dem Weg, der über den gepflegten Rasen des Gästezentrums führte. Die Frau, die ihnen den Weg wies, ging zügig zum ersten Gebäude auf der rechten Seite und Cheyenne achtete darauf, immer einige Meter hinter ihr zu bleiben.

»Da wären wir.« Caroline öffnete eine weitere Eingangstür und sie gingen hinein. »Erzählen Sie mir, Frau Gaderow. Was hat Sie dazu bewogen, heute Nachmittag die Pellerville Gables Apartments zu besuchen?«

Cheyenne rollte ihre Freundin in die Lobby des Apartmenthauses, das eine kleinere Version des Gästezentrums war.

»Nun, ich habe mir die Website angesehen. Die Bilder sahen wirklich schön aus und ich habe gesehen, dass noch Lofts mit zwei Schlafzimmern frei sind, also habe ich Sie angerufen.«

»Ausgezeichnet. Wer hat Sie an uns verwiesen, wenn ich das fragen darf?« Caroline führte sie durch den hinteren Flur zu den beiden Aufzügen.

»Ähm, Google.«

Die Frau drehte sich schnell um, warf Ember einen ungläubigen Blick zu und versuchte, ihre Überraschung zu verbergen. »Ich verstehe.«

Sie drückte den Rufknopf für den Aufzug und starrte auf das kleine, nach oben zeigende Dreieck, das jetzt in einem sanften, weißen Licht leuchtete.

Cheyenne trommelte mit ihren Fingern auf den Griffen des Rollstuhls und beobachtete ihre Begleitung. Sie bekommen nicht viele potenzielle Bewohner direkt von der Straße. Sie weiß nicht, was sie mit sich anfangen soll.

Die Aufzugtüren öffneten sich mit einem Klingeln und Caroline trat mit einer Geste zurück, damit sie hineingehen konnten. »Nach Ihnen.«

»Danke.« Ember senkte den Kopf und Cheyenne schob den Stuhl gerade mit so viel Schwung, dass er über die Metallleiste rollte, ohne hängenzubleiben. Ein kleines, überraschtes Lachen brach aus Embers Mund, als ihr Kopf zurückschnellte und Cheyenne brachte den Rollstuhl ruckartig zum Stehen, bevor die Füße ihrer Freundin die Rückwand berührten. »Du übertriffst dich selbst, Cheyenne.«

»Danke.«

Die Aufzugtüren schlossen sich hinter ihnen.

Caroline schaute entsetzt drein.