A m nächsten Morgen ging Cheyenne los, um sich Frühstückssandwiches und Milchkaffee von einer Bäckerei zu holen, die zwei Blocks entfernt lag. Als sie zurück in ihrem Wohnkomplex war, kamen drei große Typen aus ihrer Haustür, die alle das gleiche Hemd trugen.
»Äh, kann ich Ihnen helfen?«
»Wir kommen klar, aber danke.« Der größte Kerl mit den tätowierten Armen schenkte ihr ein freundliches Lächeln und ein Nicken, dann gingen die Jungs den Flur entlang in Richtung der Aufzüge. »Em?«
»Ja!«
Sie fand ihre Fae-Freundin über eine offene Kiste auf dem Boden gebeugt. Sie war gerade dabei, die Verpackung von dem, was sie gekauft hatte, zu zerreißen. Sie wird aus dem Stuhl fallen. Cheyenne drehte sich um und griff nach der Tür.
»Oh, hey. Lass das offen.«
»Erklärst du mir, warum genau?«
Ember sah auf und lachte. »Ich habe mehr Sachen bestellt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die Jungs dazu bringen kann, mir mit den Vorhängen zu helfen, wenn sie die nächsten Kisten hochbringen.«
»Em, es ist noch nicht einmal halb zehn Uhr morgens.«
»Ja, ich liege gut in der Zeit.«
Cheyenne stolperte über geöffnete Kartons und lose Verpackungsstücke und schaffte es sicher zum Couchtisch, wo sie ihr Frühstück und ihren Kaffee abstellte. Sie fiel fast hin, als ihr nächster Schritt durch Packband, das sowohl am Teppich als auch an der Unterseite ihres Schuhs klebte, gebremst wurde. »Ich fühle mich, als würde ich über ein Minenfeld laufen.«
»Tut mir leid.« Ember kicherte und wickelte das lose Stück Packpapier zusammen. »Weißt du, was ich brauche? Eine von diesen Krallen auf einem Stock.«
»Eine Müll-Greifzange?«
»Ganz genau! Glaub mir, ich habe schon herausgefunden, wie weit ich mich in diesem Stuhl nach unten beugen kann und das ist nicht bis zum Boden. Ich sollte eine bestellen.«
Cheyenne starrte ihre Freundin an, dann tat sie so, als hätte sie Krallen an den Fingern, brüllte und warf den Kopf zurück. »Ich habe ein Monster erschaffen!«
Ember zuckte in ihrem Stuhl zusammen, lachte laut und warf der Halbdrow das zusammengeknüllte Papier ins Gesicht.
»Es zerstört die Wohnung und nimmt meinen Verstand mit!« Cheyenne stampfte herum, während ihre Stimme durch die ganze Wohnung hallte.
»Ich werde dich zerstören.« Ember lachte, als die Halbdrow sie anknurrte und mit heraushängender Zunge den Kopf schüttelte. »Im Ernst, was zum Teufel machst du da?«
»Ahh! Raaawwrrrrrrrr …«
Jemand räusperte sich in der Tür und Cheyenne schloss ihren Mund, bevor sie sich langsam umdrehte, um zu sehen, wer da war.
»Ich hoffe, ich störe nicht.« Ein großer Mann Anfang dreißig stand vor der offenen Tür, die Hände in die Taschen seiner Jeans gesteckt.
Die Halbdrow blieb in der Hocke und schwebte mit ihren Monsterkrallen über Embers Stuhl. »Irgendwie schon.«
»Halt die Klappe.« Ember schlug ihrer Freundin auf den Arm und Cheyenne kicherte, bevor sie aufgab. »Tut mir leid. Heute Morgen sind hier schon eine Menge Leute ein und aus gegangen. Erinnern Sie mich daran, wer Sie sind?«
»Nun, wir sind uns noch nicht begegnet, also bin ich nicht böse, wenn Sie sich nicht an mich erinnern.« Mit einem belustigten Gesichtsausdruck senkte der Mann den Kopf, um sich in der Wohnung umzusehen, dann hob er die Augenbrauen. »Ich dachte, diese Wohnung wird für Besichtigungen genutzt?«
»Nicht mehr.« Cheyenne breitete ihre Arme aus und ging über einen Stapel Luftpolsterfolie zur Haustür. »Haben Sie ein Auge auf das Loft geworfen oder so?«
»Nein.« Er schaute sie kurz an, immer noch lächelnd und beugte sich durch die Türöffnung, um auf den Boden des Mini-Lofts zu schauen. »Ich wohne auf der anderen Seite des Flurs. Es kam mir ein bisschen komisch vor, dass so viele Leute hier entlanglaufen und letztendlich hat mich die Neugierde gepackt.« Der Mann zeigte auf die hochgestellte Ebene. »Wissen Sie, so was wollte ich auch mal haben.«
Cheyenne lachte leise. »Ja, ich auch.«
»Wie haben Sie das geschafft?«
»Ach, wissen Sie. Ich habe einfach ein gutes Geschäft ausgehandelt.«
Mit einem Nicken richtete er sich wieder auf und blieb im Flur stehen. »Gut gemacht.«
»Danke. Ich würde Sie auch eigentlich mit Ihrem Namen ansprechen, aber Sie haben ihn noch nicht genannt.«
Der Mann blinzelte schnell und sah sie schließlich zum ersten Mal direkt an. Dann streckte er seine Hand aus. »Matthew Thomas.«
»Hey, Matthew Thomas, Nachbar von gegenüber.« Die Halbdrow ergriff seine Hand mit ihrem gewohnt festen, beinahe schraubstockartigen Griff, was sein Lächeln noch breiter werden ließ. »Cheyenne.«
»Ich nehme an, Sie haben einen Nachnamen.«
»Ja.« Sie hob die Augenbrauen und trat zur Seite, um auf Ember zu deuten. »Das ist … oh, Mist.«
Ember hatte die Räder ihres Stuhls mit losem Klebeband verklebt und ihr Versuch, sich loszureißen, hatte es noch schlimmer gemacht. Cheyenne joggte durch den Raum und bückte sich, um das Klebeband abzureißen, bevor sie murmelte: »Du hättest etwas sagen sollen.«
»Ja?« Ember knirschte mit den Zähnen und fügte im Flüsterton hinzu: »Ich hätte durch den Raum schreien sollen: ›Jemand muss mir helfen. Ich stecke in einem Haufen Klebeband fest und kann mich nicht befreien‹?«
»Tut mir leid.« Cheyenne zerknüllte das Klebeband zu einer festen Kugel und warf es auf die Kücheninsel. Dann richtete sie sich auf und nickte Matthew Thomas zu, der in der Tür stand. »Das ist …«
»Ember. Hi.« Die Fae drehte sich um und nahm einen neuen Weg, der an den verstreuten Kisten und dem Verpackungsmüll vorbeiführte. Cheyenne eilte vor ihr her, um so viel wie möglich aus dem Weg zu räumen.
»Hey, machen Sie sich keinen Kopf um das Chaos«, sagte Matthew. »Ich habe meiner Schwester kürzlich beim Umzug geholfen. Ich kann das Durcheinander gut verstehen. Was dagegen, wenn ich reinkomme?«
»Betreten auf eigene Gefahr, aber sicher.«
Ember warf Cheyenne einen warnenden Blick zu, woraufhin die Halbdrow mit den Schultern zuckte. Welche Laus ist ihr denn über die Leber gelaufen?
Matthew trat über einen Stapel Kisten und wich dann zur Seite, um einem Haufen Luftpolsterfolie auszuweichen. »Die Gefahren des Auspackens.« Schließlich erreichte er Ember in der Mitte des Wohnzimmers und streckte ihr die Hand hin. »Matthew.«
Die Augen der Fae verengten sich, als sie die Hand ihres Nachbarn schüttelte. »Schön, Sie kennenzulernen.«
»Sie auch, Ember.«
Cheyenne schaute sie an und steckte ihre Hände in die Taschen. Das ist ein ziemlich langer Händedruck.
Matthew räusperte sich, ihr kleiner Moment endete und er ließ ihre Hand los. Ember strich sich die Haare hinters Ohr und lächelte weiter, obwohl sich ein kleines Stirnrunzeln auf ihrer Stirn bildete.
»Na ja.« Er lachte unsicher. »Ich schätze, ich sollte Sie in der Nachbarschaft willkommen heißen, oder?«
»Danke.« Ember legte ihre Hände wieder auf die Räder und rollte ein wenig zurück. »Ich bin erst seit gestern hier, also ist alles noch … na ja, ich denke, das ist klar.«
»Das passiert den Besten von uns.«
Schau dir dieses Lächeln an. Ich kann dieses Gespräch nicht mit ansehen. Cheyenne zog ihre Hände aus den Taschen und klatschte. Matthew und Ember sprangen beide auf und drehten sich langsam zu ihr um. »Also, Matt. Was machen Sie so?«
»Matthew, eigentlich. Ich bin Dilettant von Beruf.«
Ember schmunzelte. »Ich wusste nicht, dass Dilettieren ein Beruf ist.«
»Wenn man gut ist, kann man fast alles zu einem Geschäft machen.« Er schenkte dem Fae-Mädchen ein selbstsicheres Lächeln und seine Augen funkelten.
»Klingt ziemlich aufregend.« Sie lächelte zurück.
Cheyenne blinzelte. Nein.
»Manchmal, sicher.« Matthew, der nicht Matt genannt werden wollte, zuckte mit den Schultern und machte einen langsamen, trägen Schritt auf Embers Rollstuhl zu. »Die meiste Zeit habe ich das Gefühl, dass mir etwas fehlt, wissen Sie? Als ob es direkt vor mir liegt und ich es nicht erreichen kann.«
Ember und Matthew starrten sich gegenseitig an.
Oh, um Himmels willen. Cheyenne wandte sich ab und schlug sich mit der Faust vor den Mund, um ein Husten vorzutäuschen.
Ihr Nachbar atmete scharf ein und schaute sich wieder in der Wohnung um. »Also suche ich einfach weiter. Dilettiere, wenn ich schon dabei bin.«
»Egal, was es ist, Sie schaffen das.« Cheyenne hielt ermutigend ihre Faust vor sich und nickte heftig.
»Ja, okay. Danke.« Matthew lachte ein wenig und trat wieder zurück, wobei er seine neuen Nachbarinnen ansah. »Was ist mit Ihnen, meine Damen? Was machen Sie so?«
Ember schaute zu Cheyenne auf und legte den Kopf schief. »Äh, wir sind eigentlich Studentinnen.«
»Wirklich?«
»Ja. Ich bin gerade in einer kleinen … Auszeit, denke ich. Die Universität war sehr verständnisvoll und hat mir gesagt, dass ich mir so viel Zeit nehmen kann, wie ich brauche. Sie wissen schon, zur Erholung.« Die Fae schluckte schwer und setzte eine andere Art von Lächeln auf.
»Das tut mir leid.« Matthews Augenbrauen zuckten zusammen.
»Das braucht es nicht. Es ist nicht Ihre Schuld.« Ember zuckte mit den Schultern. »Also, ich ziehe gerade mit Cheyenne in eine neue Wohnung und bestelle vom Rollstuhl aus einen Haufen Mist in Kisten. Hoffentlich hält das nicht zu lange an.«
Der Mann lächelte schnell und selbstbewusst. »Ich drücke Ihnen die Daumen.«
»Wie schön.« Cheyenne grinste so breit, dass ihre Wangen schmerzten. Das zu sehen, ist eine ganz neue Art von Folter.
Matthew ignorierte sie und nickte zu Embers Rollstuhl. »Wie lange werden Sie sich … erholen müssen?«
Die Halbdrow biss sich auf die Unterlippe und dieses Mal stand der Blick, den Ember ihr zuwarf, ganz im Zeichen desselben Gedankens. Der Typ übertreibt es mit seinen Fragen.
»Ich bin, äh, nicht sicher.« Ember blinzelte und blickte auf die Wand hinter ihm.
»Wenn Sie eine Überweisung brauchen, ich kenne einen der besten Physiotherapeuten im ganzen Land.«
»Sie hat alles im Griff, Mann. Danke.« Cheyenne nickte.
»Ja, ich weiß es trotzdem zu schätzen.« Ember trommelte mit ihren Fingern auf die Armlehnen ihres Rollstuhls. »Ich fange am Montag mit der Physio an, also können Sie mir auch dafür die Daumen drücken.«
»Oh, Mann.« Matthews leises Lachen war diesmal viel weniger selbstbewusst. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht zu weit gehen. Das geht mich nichts an.«
Verdammt richtig. Cheyenne blickte von dem verlegenen Lächeln des Mannes zu der offenen Tür hinter ihm. Begreif den Wink mit dem Zaunpfahl, Kerl.
»Nein, ist schon okay. Ich muss mir irgendwann überlegen, wie ich dieses Gespräch führen soll, oder?« Ember strich sich die Haare wieder hinters Ohr. »Ich bin noch dabei herauszufinden, wie das alles funktioniert. Vor allem dieses Ding.« Sie schlug ihre Handflächen auf die Armlehnen und zuckte mit den Schultern.
Matthew nickte und ging auf die Tür zu. »Ich lasse Sie dann mal weitermachen. Schön, Sie kennenzulernen, Ember.«
»Sie auch.«
Er nickte der Halbdrow zu. »Cheyenne.«
»Matthew.«
Er drehte sich langsam auf einem Fuß, erreichte die offene Haustür und drehte sich auf halbem Weg wieder um, um Embers Blick zu erhaschen. »Es sieht so aus, als hätten Sie schon herausgefunden, wie das alles funktioniert. Zumindest von meinem Standpunkt aus.« Er zwinkerte ihr nicht zu, aber sein Auge zuckte, als hätte er es gewollt, aber gemerkt, dass es eine schlechte Idee war. Dann schritt ihr seltsamer, neuer Dilettantennachbar schnell durch den Flur.
Eine weitere Tür öffnete und schloss sich dann kurz danach und Cheyenne ging schnell zu ihrer Haustür, um sie zu schließen. »Was für ein Typ, hm?«
Ember brach in Gelächter aus und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Ihre Stimme klang hoch und gedämpft. »Das war furchtbar .«
»Wer mischt sich so in die Privatangelegenheiten anderer Leute ein? Ich meine, ernsthaft?«
»Ich glaube, er wollte nur nett sein, Cheyenne.«
»Ich glaube, er wollte dir nur ein Lächeln entlocken, um dann deine Griffe zu packen und dich von hier wegzufahren.«
»Oh, bitte. Das war nicht das, was er vorhatte.«
Cheyenne lehnte sich gegen die Kücheninsel und stützte sich mit den Unterarmen auf der Granitarbeitsplatte ab. »Oh, doch, das war es. Ich stand da und habe die ganze Sache beobachtet. Er steht total auf dich.«
»Das ergibt keinen Sinn.« Ember lachte wieder und strich sich die Haare aus der Stirn. »›Es sieht so aus, als hätte ich schon herausgefunden, wie das alles funktioniert?‹ Ist das sein Ernst?«
»Zumindest von seinem Standpunkt aus. Vergiss dieses kleine Detail nicht.« Die Halbdrow schaute auf die Tür und schüttelte den Kopf.
»Als ob er überrascht wäre, dass ich nicht schon mein ganzes Leben im Rollstuhl sitze. Was ? Ich weiß nicht einmal, ob ich mich beleidigt oder geschmeichelt fühlen soll.« Ember schaute auf ihren Schoß hinunter und rümpfte die Nase.
»Äh, vielleicht nichts von beidem?« Als ihre Freundin die geschlossene Tür ansah und rot wurde, trat Cheyenne von der Kücheninsel weg und ging zu ihr. »Bist du okay?«
»Ich habe keine Ahnung.« Die Fae schaute ungläubig. »Das war das seltsamste Gesprächs-Tetris, das ich je spielen musste.«
»Das ist eine perfekte Analogie, Em.«
»Ich kann doch nicht einfach sagen: ›Hey, ich wurde angeschossen und kann meine Beine seit zwei Wochen nicht mehr benutzen. Ich bin im Moment nicht auf der Suche nach einem Date, also lass mich bitte in Ruhe‹.«
In der Wohnung wurde es still nach Embers Worten.
Lach nicht. Lach nicht.
Cheyenne lachte leise.
»Das ist nicht lustig.« Ember tat, als würde sie etwas nach ihrer Freundin werfen, aber ihre Hand war leer.
»Das ist irgendwie schon lustig. Vielleicht hättest du das einfach sagen sollen.«
»Das kann ich doch nicht laut sagen!«
Der Mund der Halbdrow klappte auf und sie schnappte nach Luft. »Oder vielleicht steht unser neuer Nachbar Matthew Thomas einfach auf Mädels im Rollstuhl.«
»Stopp.«
»Das könnte es sein, Em. Er schien etwas enttäuscht zu sein, als du meintest, dass die ganze Sache nur vorübergehend ist.«
»Oh, mein Gott.« Ember vergrub ihr Gesicht wieder in ihren Händen. »Ich weiß nicht, ob das besser oder schlechter ist.«
Cheyenne lachte und ging auf ihre Freundin zu. »Anscheinend ist das egal. Er steht immer noch total auf dich.«
»Cheyenne .«
»Ich habe nicht umsonst den sechsten Sinn einer Drow.«
Ein leises, rhythmisches Summen ertönte in der Wohnung. Die Mädchen sahen sich nach der Quelle um, dann fiel der Blick der Halbdrow auf ihren Rucksack in der Ecke der grauen Wildledercouch.
»Verdammt. Jetzt?« Sie ging unsicher an die Couch heran und öffnete den Reißverschluss der Vordertasche.
»Was ist hier los?« Ember kicherte wieder, ihre Röte verblasste jetzt. Ihr Lächeln verblasste auch, als sie den finsteren Blick der Halbdrow sah.
»Verdammtes FRoE-Wegwerfhandy.« Cheyenne hob es in Richtung ihrer Freundin, wobei ihr Unterkiefer sich verärgert nach vorne schob. »Diese Typen haben immer ein perfektes Timing.«
Ember starrte auf das klobige Klapphandy. »Gehst du ran?«
Mit einem frustrierten Knurren legte Cheyenne den Kopf schief. »Jetzt darfst du mich in Aktion sehen, was?«