S ie gingen fast bis zum Ende des medizinischen Flügels, bevor Rhynehart an einer Tür auf der rechten Seite anhielt und zweimal klopfte. Er wartete nicht auf eine Antwort, bevor er die Tür öffnete und Cheyenne mit einer Geste aufforderte, als Erste einzutreten. Er folgte ihr und stellte sich mit hinter dem Rücken verschränkten Händen neben die Tür.
Was zum Teufel ist hier los?
Sir stand mit ebenfalls verschränkten Armen neben zwei Sesseln. In dem Sessel, der ihm am nächsten war, saß eine riesige Orkfrau in schwarzer Uniform, mit geradem Rücken und grünen Handflächen, die flach auf ihren Oberschenkeln lagen. Auf dem anderen Stuhl saß Durgs jugendliche Goth-Orknichte. Alle drehten sich um, um die Halbdrow in ihrer Mitte anzusehen, aber Cheyenne konnte sich nur auf die gelben Augen des Mädchens konzentrieren, die sie aufmerksam beobachteten. »Ich weiß, wo deine Halskette ist.«
Das war das Einzige, was sie sagen konnte, aber die Botschaft kam an. Die Augen des Mädchens weiteten sich und sie senkte ihren Kopf als stummes Zeichen des Erkennens.
»Was für ein beschissener geheimer Mädchencode ist das denn?«, fragte Sir und blickte zwischen den beiden hin und her.
Cheyenne sah den Chef der FRoE schmunzelnd an. »Das hilft Ihrem Gedächtnis nicht auf die Sprünge, hm? Okay, versuchen wir es mal so, Major . Erinnern Sie sich daran, dass ich Ihnen gesagt habe, dass ich einiges von dem Zeug in dem riesigen Haufen Kleidung wiedererkannt habe, den wir auf der Baustelle gefunden haben?«
Sir grunzte.
»Das war auch kein Code. Gut, dass ich es vor allen anderen herausgefunden habe.«
Sir drehte sich um und warf Rhynehart einen fragenden Blick zu. Der Agent blinzelte und senkte seinen Blick auf den Boden.
Er spielt wirklich die Feiglingsrolle, nicht wahr?
»Also, wie heißt sie?« Sir warf der Halbdrow einen finsteren Blick zu und zeigte auf das jugendliche Orkmädchen, das immer noch Cheyenne ansah. »Jedes einzelne dieser Kinder hat innerhalb von zwei Minuten geplaudert, nachdem Sheila sich zu ihnen gesetzt hat. Dieses hier hat kein einziges Wort gesagt.«
Cheyenne legte ihren Kopf schief. »Haben Sie versucht, bitte zu sagen?«
»Du bewegst dich auf dünnem Eis, Halbblut.«
»Ja, ich laufe darüber, damit Sie nicht hineinfallen.« Cheyenne nickte der massigen Orkfrau auf dem anderen Stuhl zu – Sheila ohne ihre menschliche Maske. »Willst du noch etwas hinzufügen?«
Sheila legte ihren Kopf schief. »Ich konnte auch noch nicht zu ihr durchdringen. So wie ich das sehe, steht sie entweder noch unter Schock oder sie will nicht nach Hause gehen.«
»Die hier ist eine härtere Nuss als du, Halbdrow.« Sir blickte wieder auf Durgs Nichte hinunter und schnaubte. »Wenn du eine gute Idee hast, bin ich ganz Ohr.«
Das Mädchen hatte Cheyenne immer noch nicht aus den Augen gelassen, aber schließlich holte sie tief Luft und öffnete ihren Mund. »Ich werde mit dir reden.«
»Mein Gott.« Sir warf den Kopf zurück und starrte finster an die Decke. »Das war’s also, hm? Sie sagt etwas von einer verdammten Halskette und ihr beide seid beste Freundinnen?«
Cheyenne ignorierte seinen Kommentar und nickte dem Orkmädchen zu. Dann warf sie Sir einen amüsierten Blick zu. »Lasst uns bitte alleine.«
»Das wird nicht passieren.«
Die Halbdrow knirschte mit den Zähnen und zwang sich, das Herz der Mitternacht nicht wieder von ihrem Hals zu reißen, nur um Major Sir Carson durch den Raum zu schleudern. »Wenn es Ihnen nicht darum geht, das Mädchen nach Hause zu bringen, sollten Sie nicht hier sein.«
Sir starrte sie an und die Halbdrow ging das Blickduell ein, von dem sie wusste, dass sie es gewinnen würde. Gib dein Bestes.
Sheila räusperte sich. »Sir.«
»Was ?«
»Ich schlage vor, wir lassen Cheyenne und das Mädchen kurz allein.«
»Ach, tust du das?«
»Die ersten Worte seit vierzig Stunden, Sir. Ja, tue ich.«
Mit einem frustrierten Knurren biss Sir seine Zähne zusammen und löste sich dann von dem Blick der Halbdrow. »Gut.«
Cheyenne nickte Sheila zu, die eine Augenbraue hochzog und sich aus dem Sessel erhob.
Sir preschte auf die offene Tür und Rhynehart zu, der daneben stand. »Du hast zehn Minuten Zeit, Halbdrow.«
»Zwanzig.«
Der Mann versteifte sich, drehte sich aber nicht um.
Die Halbdrow schenkte dem Orkmädchen ein kleines, beruhigendes Lächeln. »Und wenn zwanzig Minuten für unser Gespräch nicht ausreichen und ich sage, dass wir mehr Zeit brauchen, dann bekommen wir mehr Zeit.«
Sir grunzte wieder und stürmte in den Flur. Sheila folgte ihm ohne ein Wort. Cheyenne spürte Rhyneharts Augen auf sich gerichtet, als er hinausging und die Tür hinter sich schloss.
Der Raum wurde still. Cheyenne betrachtete das Orkmädchen, das immer noch auf dem Stuhl saß. Normaler Herzschlag, klar wie eine Glocke. Wenigstens hat sie keine Angst vor mir. »Wie geht’s dir?«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Der Typ mit dem Schnurrbart ist nur eine gewisse Zeit lang unterhaltsam. Danach möchte ich ihm nur noch ins Gesicht schlagen.«
Cheyenne lachte. »Ich kenne das Gefühl. Was dagegen, wenn ich mich setze?«
»Nicht wirklich.«
Die Halbdrow ließ sich in den zweiten Sessel sinken und verschränkte die Arme. »So. Jetzt weiß jeder, dass du reden kannst . Warum hast du es nicht getan?«
Die Augen des Mädchens verengten sich. »Ich erkenne FRoE-Agenten, wenn ich sie sehe und ich traue keinem von ihnen.«
»Auch nicht, obwohl sie dich und die anderen Kinder aus der Villa geholt haben?«
»Ja.« Langsam lehnte sich das Mädchen in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Selbst dann nicht.«
»Sie wollen dich wirklich nach Hause bringen.«
»Glaub mir, ich wäre jetzt gerne zu Hause. Mein Onkel macht sich bestimmt schon in die Hose und fragt sich, warum ich noch nicht aufgetaucht bin.«
Cheyenne musste sich ein Lachen verkneifen. »Irgendwie ist das nicht schwer vorstellbar.«
»Ja. Du hast ihn getroffen. Er spuckt große Töne und spielt gerne den Kriegsherrn, bis ihn jemand gründlich fertig macht. Dann ist er einfach …« Das Mädchen rümpfte die Nase. »Lästig.«
»Ich erinnere mich.« Die Halbdrow nickte und zuckte leicht mit den Schultern. »Ich bin überrascht, dass du mich erkannt hast.«
»Dein Gesicht verändert sich nicht mit dem Rest von dir.« Schmunzelnd betrachtete das Mädchen das Gesicht der Halbdrow und zuckte mit den Schultern. »Es ist schwer zu vergessen, wenn das Einzige, was du zu mir gesagt hast, die Halskette betrifft.«
»Na gut.«
»Die hätte ich übrigens gerne zurück. Es war eine Sonderanfertigung. Von einem Freund.«
Cheyenne nickte langsam. »Ja, ich bin sicher, dass wir das hinbekommen. Es könnte aber eine Weile dauern. Ich habe sie nicht bei mir.«
»Das ist okay.« Das Orkmädchen lachte. »Du weißt, wo ich wohne.«
»Ja.« Mit einem Blick auf ihren Schoß konnte sich die Halbdrow ein Lächeln nicht verkneifen. Das Mädchen hat Mumm. Das muss ich ihr lassen. »Wie heißt du?«
Das Orkmädchen runzelte die Stirn und lehnte sich von der Halbdrow weg, bevor sie die geschlossene Tür betrachtete. »Kann ich nicht sagen.«
»Hmm. Ich rate nur wild drauf los, aber irgendetwas sagt mir, dass du deinen Onkel beschützen willst.«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern und starrte weiter auf die Tür.
»Okay. Wenn sie deinen Namen im System finden, wird Durg Br’athol direkt daneben angezeigt und du versuchst, ihm dabei zu helfen, seinen Namen rein zu halten.« Cheyenne lächelte. »Zumindest vor der FRoE, richtig?«
Keine Antwort.
»Hör zu, ich werde dir ein kleines Geheimnis verraten, okay? Es ist zwar kein großes Geheimnis mehr, aber vielleicht hilft es dir.« Die Halbdrow stützte sich mit den Unterarmen auf die Oberschenkel. »Ich traue der FRoE auch nicht. Nicht ganz. Sicher, sie sind ziemlich zuverlässig, wenn es darum geht, die Typen zu verhaften, die verhaftet werden müssen und ich weiß, dass sie mir den Rücken freihalten, wenn wir mittendrin sind. Zumindest tun das einige von ihnen. Aber darüber hinaus? Sie gehen mir ziemlich auf den Sack.«
Das Mädchen lachte ein wenig, ohne Cheyenne anzusehen. »Du bist nicht Teil der FRoE?«
»Ich bin nicht Teil der FRoE. Ich bin eher eine unabhängige Auftragnehmerin.« Ich werde mit Besuchen im Chateau D’rahl bezahlt.
Das Orkmädchen holte tief Luft und wandte sich langsam mit ihren gelben Augen an die Halbdrow. »Mein Name ist nicht einmal im System gespeichert.«
»Wirklich?« Cheyenne schluckte. »Wie hast du das geschafft?«
»Nun, mein Grenzübertritt war nicht ganz legal.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen lehnte sich die Halbdrow wieder in ihrem Stuhl zurück. »Du wurdest auf die Erde geschmuggelt.«
»Vor ein paar Monaten, ja. Mein Onkel hat mich abholen lassen und die Jungs zu Hause haben ihre Arbeit gemacht.«
Durg hat andere m agische Wesen erpresst, um für eine nicht registrierte Überfahrt zu bezahlen. Ich wette, er hat sich einfach zu sehr daran gewöhnt, um aufzuhören. Das wird langsam kompliziert. Cheyenne kniff die Augen zusammen und holte tief Luft. Als sie sie wieder öffnete, sah das Mädchen nicht mehr so entschuldigend aus wie vor dem Ausplaudern. »Welches Reservat?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Kein Res.«
»Das musst du mir erklären, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass es kein Grenzportal gibt, das nicht an einem Reservat liegt.«
»Ja, ich weiß, wie es funktioniert. Größtenteils zumindest.« Das Orkmädchen blickte an die Decke. »Ein neues Portal hat sich im letzten … ich weiß nicht … Jahr geöffnet? Oder vor acht Monaten? Die FRoE weiß nichts davon. Die meisten Leute wissen es nicht, aber es spricht sich wohl herum, wenn man mit den richtigen Leuten redet.«
Cheyenne blinzelte. Kein Wunder, dass sie nicht geredet hat. Das eröffnet einen ganz neuen Shitstorm für alle. »Wo ist das neue Portal?«
»Ich weiß es nicht. Mein Onkel hat mich auf der anderen Seite abgeholt und mich direkt zu seinem Haus gebracht. Ich fange gerade erst an, mich in Richmond zurechtzufinden.«
»Es ist also nicht in Richmond.«
»Nein. Aber die Fahrt hat ein paar Stunden gedauert.« Das Mädchen zuckte mit den Schultern und sah schließlich so aus, als würde sie gerne mehr sagen. »Zwei oder drei, glaube ich.«
»Nun, das grenzt es ein, denke ich. Meinst du, dein Onkel weiß noch, wo es ist?«
»Vielleicht. Willst du ihn fragen?«
»Ich weiß es nicht.« Die Halbdrow hob die Augenbrauen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich mehr Details wissen will , verstehst du?«
»Zwischen einer Drow und einem FRoE-Platz. Ich verstehe schon.«
Cheyenne grinste. »Ich wusste von Anfang an, dass du es drauf hast.«
»Ich wusste, dass du meinen Onkel nicht wirklich umbringen würdest. Wir haben wohl beide eine ziemlich gute Intuition.«
»Ja. Vielleicht haben wir das.« Sie tauschten ein Lächeln aus, dann klopfte Cheyenne auf ihre Oberschenkel und richtete sich auf. »Okay. Bringen wir dich nach Hause, ja? Es ist ätzend, hier länger als zehn Minuten eingesperrt zu sein.«
Das Orkmädchen stand auf und strich sich das übergroße T-Shirt glatt, das ihr ein FRoE-Agent als Ersatz für die gruseligen, schwarzen Gewänder gegeben hatte, in die ihre Entführer sie gekleidet hatten. »Mein Name ist übrigens Aksu.«
Das Lächeln der Halbdrow wurde breiter und sie streckte ihre Hand aus. »Cheyenne.«
Sie schüttelten sich die Hände und Aksu runzelte die Stirn. »Das ist kein besonders typischer Name für eine Drow, oder? Selbst für eine Halbdrow.«
»Ja, ich habe den Kürzeren gezogen, als es um die Rolle der Drow ging.«
»Tut mir leid.«
»Muss es nicht.« Cheyenne lachte wieder und ging auf die Tür zu. »Langsam glaube ich, dass ich besser dran bin, so wie es gelaufen ist.«