Kapitel 23

A ls sich die Tür öffnete, sah Cheyenne Rhynehart, Sheila und Sir in der Mitte des Flurs stehen. Sir sah sie finster an und seine Augen weiteten sich, als Aksu hinter der Halbdrow in den Flur trat.

»Was zum Teufel glaubst du, was du da tust?«

»Ich bringe sie nach Hause.«

»Ich kann mich nicht erinnern, dir dafür grünes Licht gegeben zu haben, Halbdrow.«

Cheyenne ging weiter auf den Major zu. Sie blieb etwa einen Meter entfernt von ihm stehen und kniff die Augen zusammen. »Ich habe grünes Licht bekommen, als Sie mich angerufen haben, um zu tun, was Sie nicht geschafft haben. Sie haben zwei Tage gebraucht, um das hinzubekommen und ich habe zehn Minuten gebraucht, um ihren Namen und ihre Geschichte zu erfahren. Jetzt bringe ich sie nach Hause.«

Sirs Nasenflügel blähten sich auf, als er tief einatmete und er beugte sich hinunter, um die Herausforderung der 1,65 Meter großen Halbdrow anzunehmen. »Ich mag es nicht, wie du riechst, wenn du übermütig wirst, Cheyenne.«

»Das beruht auf Gegenseitigkeit.«

»Und ich höre nicht gerne, dass du etwas weißt, was wir nicht wissen.«

Cheyenne zog die Augenbrauen hoch. »Sie können mich nicht rufen, um etwas zu reparieren, das Sie kaputt gemacht haben und erwarten, dass ich Sie hinterher mein Tagebuch lesen lasse. Ich kann Dinge tun, die Sie nicht können und ich kann Dinge wissen, die Sie nicht wissen und Sie müssen einfach damit klarkommen. Major.«

Die Augen des Mannes fixierten sie und sein Schnurrbart kräuselte sich, als seine Oberlippe zuckte. »Wenn du weiterhin auf Messers Schneide spielst, wirst du mehr bluten, als du denkst.«

Die Halbdrow schaute Sir amüsiert in die Augen. »Wollen Sie mir drohen, Sir?«

»Drohungen sind etwas für Bürohengste und Verkäuferinnen, Cheyenne. Das ist professionelle Höflichkeit. Vergiss nicht unsere kleine Abmachung, hm? Wenn du nicht herausfindest, warum der verrückte Drow hinter Gittern sich wieder gestellt hat, um weiter zum Spaß Gefangener zu spielen, musst du jedes Mal an mir vorbei, wenn du ein bisschen plaudern willst. Glaub mir, Halbdrow, ich halte dich genauso ungern an der kurzen Leine, wie du an ihr gefesselt bist.«

Cheyenne hob ihr Kinn und machte einen kleinen Schritt nach vorne, sodass Sir sie direkt ansah. »Wissen Sie, was ein Fangschreckenkrebs tun kann, wenn er anfängt, das Wasser zu schlagen?«

»Was zum Teufel hat ein verdammter Krebs mit all dem zu tun?«

»Schlagen Sie es nach. Sie können mir das nächste Mal davon erzählen, wenn Sie anrufen.« Mit einem knappen Nicken schritt Cheyenne um den Major herum und ging an ihm vorbei in den Flur. Sie schaute über ihre Schulter und nickte Aksu zu. »Kommst du?«

Ohne ein Wort zu sagen, folgte das Orkmädchen der Halbdrow den Flur hinunter. Bevor sie in den Gemeinschaftsraum traten, beugte sich Aksu zu Cheyenne und murmelte: »Er kann dich wirklich nicht leiden.«

»Man muss jemanden nicht mögen, um seine Hilfe zu benötigen. Ich glaube, bei ihm ist es entweder das Eine oder das Andere.«

Die anderen Agenten, die an den Tischen im Gemeinschaftsraum saßen, sahen auf, als Cheyenne und die letzte entführte magische Minderjährige eintraten. Jemand fing an zu klatschen und ein nicht gerade enthusiastischer Applaus drang an ihre Ohren. Die Halbdrow hielt ein Lächeln zurück und ging weiter. Aksu sah die Agenten stirnrunzelnd an und blickte dann zu der Halbdrow. »Was hast du getan?«

»Ich habe nichts getan. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das für dich ist.«

»Was?« Das Orkmädchen trat um Cheyenne herum, um die Halbdrow zwischen sie und die FRoE-Agenten zu bringen, die ihr zunickten und klatschten, als hätten sie gerade die langweiligste Rede ihres Lebens über sich ergehen lassen müssen. »Ich habe auch nichts getan.«

»Du solltest dir mehr zutrauen.«

»Hey, Gothdrow«, rief Bhandi. Aksu lachte leise über den Spitznamen. »Ich kann mitfahren, wenn ihr Gesellschaft braucht.«

»Du steigst nicht in mein Auto, Bhandi.«

»Ach, komm schon. Sie darf dadrin sitzen. Ich werde einfach hinten sein und den Mund halten. Du wirst gar nicht merken, dass ich da bin.«

Cheyenne schüttelte nur den Kopf, bevor sie Aksu in die leere Eingangshalle des Geländes führte.

Hinter ihr schlug Bhandi mit der Hand auf den Tisch und knurrte: »Ich zeige einer Halbdrow, wie man sich mit Fellwein amüsiert und sie lässt mich nicht in ihren verdammten Wagen.«

»Du und Fellwein im selben Satz, Bhandi?«, rief ein anderer Agent. »Außer dir amüsiert sich da niemand.«

Gelächter schallte durch den Flur, als Cheyenne die Haustür aufstieß und sie Aksu hinhielt. Das Orkmädchen warf einen Blick über ihre Schulter, blieb aber nicht stehen. »Wegen was mehr Zutrauen?«

»Hm?«

Aksu betrachtete den Parkplatz und die Reihe der schwarzen FRoE-Fahrzeuge, die sich von vorne nach hinten erstreckte. »Du hast gesagt, ich sollte mir mehr zutrauen. Warum?«

Cheyenne steckte ihre Hände in die Taschen und lächelte. »Weil du hart im Nehmen bist. Ich weiß nicht, wie sehr Major Sir versucht hat, dich zu verhören, aber ich weiß, dass ich nach zwei Tagen, in denen mir die Spucke unter seinem Schnurrbart entgegengeflogen ist, versucht hätte, ihn ihm abzureißen.«

Das Mädchen stieß ein leises, überraschend selbstbewusstes Lachen aus.

Die Halbdrow musterte sie von der Seite und lächelte. »Und weil du dich nicht unterkriegen lässt, nachdem du fast zwei Tage lang mit einem Haufen anderer Kinder eingesperrt warst, die auch nicht in dieser Villa hätten sein sollen.«

»Wie Radan.«

»Wie was?«

Aksu steckte ihre Hände in die Taschen der ausgebeulten Jogginghose, die die FRoE ihr geliehen hatte und zuckte mit den Schultern. »Das Vieh in meiner Heimat.«

»Oh, ja. Ich wusste doch, dass ich das Wort kenne. Aber in den Geschichten, die ich gehört habe, ging es um einen Haufen von diesen Kreaturen, die wild auf den Feldern herumlaufen oder so.«

»Das war einmal.« Aksu schluckte. »Jetzt ist es nicht mehr so. Jetzt sind es nur noch ein paar Agenten der Krone, die sie in Ställen einsperren. Solche, aus denen sie nicht wieder herauskommen.«

»Verstehe.« Cheyenne zog den Fernbedienungsschlüssel ihres Autos aus ihrer Tasche und schloss den Panamera auf. Ein leises Piepen begrüßte sie und die Scheinwerfer blitzten in der Vormittagssonne. Sie hielt direkt vor ihrem Auto an und drehte sich um, um dem gelbäugigen Mädchen in die Augen zu sehen. »Es ist aber so. Du bist wieder rausgekommen. Du bist kein Radan. Du bist eine schlaue Person, die aus einer ziemlich verzwickten Situation das Beste macht, und zwar auf mehr als einer Ebene. Ehrlich gesagt, hättest du dafür stehende Ovationen bekommen müssen, als wir da durchgegangen sind, aber ich habe langsam das Gefühl, dass diese Agenten außerhalb des aktiven Einsatzes ein Haufen Faulpelze sind.«

Das Orkmädchen lächelte in sich hinein, schüttelte den Kopf und richtete ihre Aufmerksamkeit auf das glänzende, neue, schwarze Auto der Halbdrow.

Ich habe diese Tränen gesehen. Aber sie wird in Ordnung sein.

Aksa schaute zu Rhyneharts Jeep auf der anderen Seite des Panamera und lehnte sich dann zur Seite, um an ihm vorbei zu Sirs Kia Rio zu blicken. »Wen wolltest du eigentlich verärgern?«

Cheyenne lachte und schlüpfte zwischen den Jeep und ihr Auto, um die Tür auf der Fahrerseite zu öffnen. »Weißt du, ich muss mich nicht mal mehr anstrengen.«

Mit einem weiteren langsamen Kopfschütteln öffnete das Orkmädchen die Tür und rutschte auf den Beifahrersitz. »Woah. Ich wusste nicht, dass so etwas überhaupt existiert.«

»Das stimmt. Dafür, dass du erst seit kurzem auf der Erde bist, hast du ziemlich schnell gelernt.«

Aksu zuckte mit den Achseln. »Ja, es war viel einfacher, als ich dachte.«

»Wirklich? Ich habe ein paar Trollfreunde, die seit über einem Jahr hier sind und ihr Kind muss sie immer noch daran erinnern, was ein Auto ist.«

»Wahrscheinlich ist es für die jüngeren Generationen einfacher.« Das Orkmädchen rümpfte die Nase und schnallte sich eilig an, als sie sah, dass Cheyenne dasselbe tat.

»Das ergibt wohl Sinn. Bei uns ist das mit der Technik auch so, zumindest habe ich das von den älteren Generationen gehört.« Die Halbdrow startete den Wagen und grinste, als der Motor unter ihrem Sitz leise schnurrte.

»Wie Smartphones und Computer und so?«

Cheyenne schnaubte. »Und so. Ja. Kommst du damit auch klar?«

»Das war sozusagen das erste Ding.« Aksu schaute kurz aus dem Fenster, als der Panamera vom Gelände der FRoE wegfuhr. »Die meisten O’gúleesh, die die Überfahrt machen, kommen von weit außerhalb der Hauptstadt, weißt du? Bauern und Händler und … ich weiß nicht. Fischer, glaube ich. Nicht viele Leute verlassen die Städte, selbst nach all dem …« Die Worte blieben dem Mädchen im Hals stecken.

Die Halbdrow warf ihr einen kurzen Blick zu, aber das Orkmädchen schüttelte nur wieder den Kopf und sah weiter aus dem Fenster. Irgendetwas passiert da drüben und niemand will darüber reden. »Wie kommt das?«

Aksu entgegnete: »Es ist bequemer. Ich verstehe vollkommen, dass man eine Ranch oder ein Dorf mit einem Haufen Hütten verlassen will, um auf die Erde zu kommen und zu versuchen, die Dinge ein bisschen besser zu machen. Niemand will das Stadtleben und all die Dinge, die damit verbunden sind, aufgeben und Rückschritte machen, um über die Grenze zu gehen.«

»Was für Rückschritte?«

Das Mädchen warf der Halbdrow einen Seitenblick zu und lächelte. »Technologische. Und so.«

»Was?« Lachend musste Cheyenne noch mal nachfragen, als sie die Zufahrtsstraße zu den Tortürmen hinunterfuhr. »Ist die Technik hier drüben eine Stufe unter der auf der anderen Seite?«

»Eher einen Sprung von einer Klippe.«

»Du machst Witze.«

»Nö.« Das Mädchen kratzte sich am Arm und ließ ihren Kopf zurück gegen die Kopfstütze fallen. »Ich bin hier eingeschult worden. In der elften Klasse. Es fühlt sich an, als wäre ich wieder in den Kindergarten gegangen, nur dass alle, du weißt schon, in meinem Alter sind.«

Der kleine Goth-Teenie hat die Menschen gerade Babys genannt. Okay.

»Seltsamerweise weiß ich genau, wie das ist.« Cheyenne verlangsamte den Panamera bis zum Stillstand vor den Tortürmen und drehte sich zu ihrer Beifahrerin um. »Bevor wir hier abhauen, musst du mir etwas versprechen.«

Stirnrunzelnd warf Aksu einen Blick auf die Kabine im Torturm, in der eine Person Platz hatte – obwohl sie leer war – und begegnete dann dem Blick der Halbdrow. »Kommt drauf an, was es ist.«

Die Halbdrow schnaubte. »Du hörst dich langsam an, wie jemand, den ich kenne.« Sie klingt wie ich. »Das ist auch gut so. So sieht’s aus. Normalerweise nimmt jeder, der auf der Basis ein- und ausgeht und eigentlich nicht hier sein sollte, entweder eine Schlaftablette oder bekommt einen Sack über den Kopf geworfen. Oder eine Schlafmaske. Aus offensichtlichen Gründen wollen sie nicht, dass die Leute herausfinden, wie sie hierher zurückkommen können.«

»Ja, super offensichtlich. Glaub mir, ich habe nicht vor, jemals zurückzukommen.«

»Ich glaube dir und ich mache dir keine Vorwürfe. Aber ich muss es dir sagen, okay?« Cheyenne warf einen Blick in den Rückspiegel und sah nichts als eine gerade, leere Straße hinter sich. Ich wette, sie warten darauf, ob ich mich auch daran erinnere. »Ich habe keine Schlaftabletten oder Schlafmasken dabei, also werde ich dir nicht die Augen verbinden. Das brauchst du auch nicht. Ich brauche nur dein Wort, dass du niemandem verrätst, wo dieser Ort ist.«

Aksu betrachtete die hochgezogene Augenbraue der Halbdrow und schürzte dann ihre Lippen. »Du setzt viel Vertrauen in ein Orkmädchen, dessen Onkel dich so verärgert hat, dass du ihm so was angetan hast.«

Cheyenne schnaubte. »Mit dir kann man viel leichter reden.«

Das brachte das Mädchen wieder zum Lachen und sie schaute in ihren Schoß. »Na gut. Wie wär’s damit? Ich werde niemandem etwas über diesen Ort erzählen, wenn du niemandem erzählst, wie ich auf die Erde gekommen bin.«

»Hm.« Die Halbdrow blinzelte und überlegte sich den Deal. Jetzt bin ich diejenige, die solche Entscheidungen treffen muss. Na toll. »Ich kann dir versprechen, dass ich nichts darüber sagen werde, dass dein Onkel dich hat holen lassen – oder über die magischen Wesen, die dich unter dem Radar der FRoE rübergebracht haben. Aber wenn die Sache mit dem geheimen Grenzportal brenzlig wird, könnte es sein, dass ich verschiedenen Leuten etwas darüber sagen muss.«

Aksu zuckte mit den Schultern. »Solange mein Name nicht fällt, klingt das für mich nach einem guten Deal.«

Cheyenne ließ ihre Hand vom Lenkrad fallen und streckte sie dem Mädchen entgegen, dessen Onkel Ember in den Rollstuhl befördert hatte. Alles hat immer noch seinen Preis. »Abgemacht.«

Das Mädchen nahm schnell die Hand der Halbdrow und drückte sie fest, wobei sie sie einmal auf und ab schüttelte.

»Lass uns von hier verschwinden, ja?«

»Ja, je schneller, desto besser.«

Die Halbdrow biss sich auf die Lippe und trat auf das Gas. Der 4,8-Liter-V8-Motor des Panamera legte einen Gang zu und sie rasten den Rest der langen, namenlosen Straße hinunter, die sie zurück in die Zivilisation bringen würde. Aksu hielt sich an der Armlehne der Beifahrertür fest, aber sie grinste.

»Du kennst dich also mit der Technik auf dieser Seite aus.« Cheyenne bog mit hundertzwanzug Kilometern pro Stunde nach links auf den Highway ab. »Hast du etwas von der fortschrittlichen O’gúleesh-Technologie mitgebracht, als du die Grenze überquert hast?«

»Ich habe es versucht. Ich habe auf die harte Tour gelernt, dass das das Einzige ist, was nicht mit Leuten über die Grenze kommt.«

»Ernsthaft?«

»Ja.« Das Mädchen lächelte schief. »Sie haben versucht, mir zu sagen, ich solle es zurücklassen, aber ich dachte, das wäre nur, weil niemand will, dass die Menschen das Zeug in die Finger bekommen. Es hat sich herausgestellt, dass die Grenze es dir wegnimmt und … was auch immer damit macht. Vielleicht ist es weg, vielleicht ist es auf der anderen Seite wieder aufgetaucht. Ich weiß es nicht. Es wäre wirklich schön gewesen, einen O’gúl-Aktivator hier zu haben.«

»Was macht so was?«

Aksu lachte. »Was immer ich will.«

»In Ordnung. Behalte deine kleinen technischen Geheimnisse. Ich verstehe schon.« Sie lachten beide ein wenig und Cheyenne richtete ihren Griff am Lenkrad neu aus. »Die einzigen Dinge, die durchkommen, sind also magische Wesen und Magie, was?«

»Ich denke schon. Was gibt es sonst noch?«

Das will ich wissen, Mädchen. Das war offensichtlich eine rhetorische Frage, also machte Cheyenne sich nicht die Mühe, das Gespräch fortzusetzen. Ich würde liebend gerne ein paar O’gúleesh-Technologien in die Finger bekommen.