U m kurz nach zwölf hielt der Panamera vor dem Haus von Durg Br’athol am nördlichen Ende von Jackson Ward. Cheyenne stellte den Motor ab und sie und Aksu saßen schweigend da.
Dann wandte sich die Halbdrow an die jugendliche Ork-Version von sich selbst und nickte. »Bereit?«
»Ja.« Aksu schaute sich das Haus ihres Onkels an. »Ich weiß, dass du schon viel für mich getan hast, aber ich muss dich noch um einen weiteren Gefallen bitten.«
Cheyenne ließ ihre Hände in den Schoß sinken und drehte sich auf ihrem Sitz zu dem Orkmädchen um. Da ist der rasende Herzschlag. Warum wird sie jetzt plötzlich nervös? »Hey, mach dir keine Sorgen darüber, was ich schon getan oder nicht getan habe. Du bist mir nichts schuldig, okay?«
Aksu wandte sich der Halbdrow zu und nickte. »Okay.«
»Also, was ist der Gefallen?«
»Kannst du mit mir kommen?«
Die Halbdrow blinzelte und versuchte, nicht zu lachen. »Ich soll dich zur Haustür begleiten?«
»Ja.« Aksus Augen weiteten sich, dann seufzte sie und lehnte sich auf dem Beifahrersitz noch ein bisschen mehr zurück. »Okay, die Sache ist die, dass ich nicht immer hundertprozentig ehrlich zu meinem Onkel bin.«
»Oh, okay. Hey, ich glaube nicht, dass es einen einzigen Teenager gibt, der seine Eltern noch nie wegen irgendetwas angelogen hat. Oder seinen Onkel.«
»Vielleicht. Aber dadurch hat er sich angewöhnt, mir nichts mehr zu glauben, wenn er wütend ist oder sich Sorgen macht. Als ich mich das letzte Mal über Nacht rausgeschlichen habe, ist er ein bisschen ausgeflippt.«
Cheyenne nickte langsam und warf einen Blick durch das Beifahrerfenster auf das Haus. »Glaubst du, wenn ich mit dir da raufgehe, kann ich ihn überzeugen, dass du die Wahrheit sagst?«
»Nicht wirklich. Aber wenn du es ihm sagst, kann er es nicht ignorieren. Er versucht, es zu verbergen, aber er hat Angst vor dir.«
»Aha.« Die Halbdrow presste die Lippen zusammen und nickte erneut. Darüber darf ich auch nicht lachen. Reiß dich zusammen. »Na gut. Ich werde dir helfen, weil ich die Geschichte kenne. Trotzdem ist es wahrscheinlich eine gute Idee, deine Vertrauensprobleme zu lösen, ja?«
»Das ging mir schon das ein oder andere Mal durch den Kopf.«
»Okay. Lass uns deinen Onkel noch mal zu Tode erschrecken, damit er dir glaubt.«
Aksu schnaubte und schnallte ihren Sicherheitsgurt ab. Sie stiegen beide aus dem Auto und Cheyenne trat mit der Ork-Teenagerin auf den Bürgersteig.
Das Mädchen stand etwas zu lange da und die Halbdrow zeigte auf die Haustür. »Du musst hier die Führung übernehmen. Ich bin nur die Verstärkung.«
»Hm, okay.« Aksu ging missmutig den Weg zur Veranda hinauf. Ihre übergroßen Turnschuhe polterten die Holztreppe hinauf und Cheyenne folgte ihr leise.
Mit einem tiefen Atemzug klopfte die heimkehrende magische Minderjährige an die Tür und verschränkte die Arme.
Ein dumpfes Grunzen kam von drinnen, dann stapfte Durg zur Haustür und riss sie mit einem Knurren auf. Er hatte nicht damit gerechnet, seine Nichte in den Schlabberklamotten eines Fremden auf der Veranda stehen zu sehen und während sich seine Augen vor Überraschung weiteten, blieb das Knurren bestehen. »Wo zum Teufel hast du gesteckt?«
Das Mädchen blickte trotzig zu ihm auf, aber Cheyenne hörte das kleine Zittern im Atem der jungen Ork-Teenagerin.
»Wenn du uns reinkommen lässt, Durg, werden wir dir alles erzählen.«
Der riesige, grüne Ork blickte zur Seite und blinzelte die Halbdrow an, die diesmal menschlich aussah. »Ich weiß nicht, wer du bist und es ist mir auch scheißegal. Runter von meiner Veranda.«
Die Halbdrow verschränkte die Arme und zuckte leicht mit den Schultern. »Oder wir könnten es so machen, dass ich dich wieder durch das Haus werfe, wie beim letzten Mal. Das hat ziemlich gut funktioniert, sobald du wieder bei Bewusstsein warst.«
Ein ersticktes Keuchen entkam Durgs klaffendem Mund, seine Augen traten fast aus seinem Kopf, während sein Kiefer lautlos arbeitete.
»Aber ich habe keine Lust, noch mehr von deinen Sachen kaputtzumachen, also, willst du deine Nichte ins Haus lassen? Ich schließe die Tür hinter mir. Mach dir keine Sorgen.«
Der riesige Ork versuchte sich zu räuspern und brachte nur ein würgendes Geräusch heraus, bevor er Aksu wieder ansah und zur Seite trat. »Komm hier rein, bevor dich jemand ohne Illusion sieht.« Sein Blick huschte die Straße auf und ab, ohne die Halbdrow zu beachten und Aksu stürmte an ihm vorbei. Sie ging ins Wohnzimmer, wo Cheyenne ihr Durg-Br’athol-Verhör durchgeführt hatte und ließ sich auf die Couch plumpsen.
Die Halbdrow betrat als Nächste das Haus und nickte in Richtung des Wohnzimmers. »Geh schon mal vor. Ich bin direkt hinter dir.«
Durg biss die Zähne zusammen, aber er drehte sich langsam um und ging durch den Flur. Cheyenne musste sich beherrschen, um nicht zu lachen oder noch mehr abschätzige Kommentare zu machen, als der Ork immer wieder über seine Schulter blickte, während er zur Couch und seiner grimmig dreinblickenden Nichte stolperte. Sie schloss die Haustür und ging hinter den beiden her.
»Du hast eine Menge zu erklären, Aksu«, murmelte der Ork, als er vor der Couch stehen blieb.
Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe und starrte auf den Couchtisch.
»Sie war seit über achtundvierzig Stunden weg, Mann.«
Durg riss den Kopf hoch und blickte die Halbdrow an, die auf ihn zukam. Er schlurfte rückwärts neben der Couch entlang und blieb stehen, als sie es tat.
»Hast du dir auch nur ein bisschen Sorgen um sie gemacht?«
Der riesige Ork grunzte und seine Augen huschten zwischen der Halbdrow in seinem Wohnzimmer und seiner Nichte auf der Couch hin und her. »Warum sollte ich mir Sorgen machen? Sie ist ein kluges Mädchen und sie beschließt, ihre Zeit damit zu verschwenden, mit einem Haufen nichtsnutziger Blutverräter durch Peridosh zu ziehen.«
Aksus leises Lachen war von Abscheu durchzogen. »Du bist so ein Heuchler.«
»Pass bloß auf.« Durg atmete schwer durch die Nase und sah seine Nichte finster an. »Ich setze zu viel aufs Spiel, um zu sehen, wie du das, was du auf dieser Seite hast, einfach wegwirfst.«
Das Orkmädchen kämpfte gegen die Tränen an und starrte weiter auf den Couchtisch. »Du hast dich nicht einmal gefreut, mich zu sehen.«
»Nein, ich bin sauer, dass du glaubst, du könntest hier einfach rausstapfen und tun, was du willst und mich dann anlügen.« Die letzten Worte stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Sie hatte noch nicht einmal die Gelegenheit, dir zu sagen, was passiert ist«, fügte Cheyenne hinzu und beobachtete die wachsende Wut des Mannes mit einer hochgezogenen Augenbraue.
Durg stieß einen fleischigen, grünen Finger in ihre Richtung, aber weiter wollte er nicht gehen. »Sie braucht keine verkleidete Drow, die ihr dabei hilft, eine weitere blödsinnige Geschichte zu spinnen. Warum zum Teufel bist du überhaupt hier?«
»Warum setzt du dich nicht und ich erzähle es dir?«
»Nein, nein. Du kannst nicht einfach in mein Haus kommen und …«
»Setz dich hin !« Etwas klapperte auf einem Regal im Wohnzimmer. Cheyenne starrte den erschrockenen Ork an, der sich seitlich neben seiner Nichte auf die Couch fallen ließ und die Halbdrow ansah.
Habe ich das Aufflackern gespürt? Die Hand der Halbdrow hob sich auf halbem Weg zum Herz der Mitternacht an ihrer Kehle und hielt dann inne. Vielleicht ist es auch nur die befehlende Stimme der Summerlins.
Da die beiden Orks ihr jetzt ihre volle Aufmerksamkeit gaben, ignorierte Cheyenne ihre Überraschung. »Es gibt offensichtlich einen guten Grund, warum ich heute hier aufgetaucht bin, jetzt, wo du endlich zuhörst. Aksu ist nicht weggelaufen, Durg. Sie wurde Mittwochmorgen mit neunundfünfzig anderen magischen Kindern entführt. Von denselben Leuten, die dieses verdammte Symbol um den Hals tragen.« Sie zeigte auf den zerrissenen Wandteppich auf der anderen Seite der Wand, wo Durg das Stierkopfsymbol zum Messerwerfen benutzt hatte.
Der riesige Ork knurrte.
»Ja, mir geht es mit ihnen ziemlich genauso.« Die Halbdrow schüttelte sich ein schwarze Haarsträhne aus den Augen. »Ich bin bei deiner Nichte, weil ich zu den Leuten gehöre, die geholfen haben, Aksu und die neunundfünfzig anderen Kinder zurückzuholen. Verstehst du das?«
Durg blinzelte und richtete seine gelben Augen auf seine Nichte. Das Mädchen schluckte und senkte den Blick auf ihren Schoß.
»Ich sollte wahrscheinlich gleich reinen Tisch machen und sagen, dass ich die einzige Person bin, die weiß, wie deine Nichte auf die Erde gekommen ist. Das war notwendig, damit ich sie wieder nach Hause bringen konnte. Niemand sonst wird davon erfahren. Darauf habt ihr beide mein Wort.«
Der Ork hob nur die Augenbrauen und sah sich ungläubig im Raum um.
»Aksu?« Cheyenne lächelte, als das Orkmädchen sie ansah. »Gibt es noch etwas, das wir ansprechen sollten, bevor ich verschwinde?«
»Nein.«
»In Ordnung.« Cheyenne zeigte auf Durg und legte den Kopf schief. »Das ist nicht das letzte Mal, dass ich hier vorbeischaue, Durg. Du und ich werden uns bald zusammensetzen und über die Loyalisten und den Stierkopf reden. Ich warne dich jetzt schon vor, damit du dir überlegen kannst, was für mich wichtig ist und dich nicht mit Dingen aufhältst, die meine Zeit verschwenden könnten. Verstanden?«
Der Ork grunzte und kratzte sich an der Wange, während er seinen Blick auf seine Nichte richtete.
»Das ist gut genug für mich. Ich glaube, ihr habt einiges nachzuholen.«
Während Durg nicht wieder zu der Halbdrow aufschaute, die in seinem Wohnzimmer stand, hob Aksu langsam ihren Blick, sodass sie Cheyenne in die Augen sah und murmelte: »Danke.«
Cheyenne konnte sich nicht dazu durchringen, das Mädchen anzulächeln. Zu viel Erleichterung und Angst mischten sich in Aksus leuchtend gelbe Augen. Stattdessen neigte die Halbdrow ihren Kopf und zwinkerte der Ork-Teenagerin zu. Sie wird es schaffen.
Dann drehte sich Cheyenne um und spazierte aus dem Haus von Durg Br’athol. Ich komme wieder. Wenn ich die Zeit dazu habe.