Kapitel 33

C heyenne stolperte praktisch in ihre Wohnung. Gut, dass ich Ember ins Bett geholfen habe, bevor ich gegangen bin. Sie würde denken, dass ich betrunken aufgetaucht bin.

Der Rucksack rutschte von ihrer Schulter und fiel auf den Boden neben der grauen Wildledercouch. Ihre schwarzen Vans fielen auf den Boden bei der Eingangstür und sie taumelte durch die Wohnung in Richtung ihres Schlafzimmers auf der anderen Seite.

Die Kronleuchterlampe war noch an und warf ein sanftes, violettes Licht auf alles. Die Halbdrow seufzte und entspannte ihre Schultern, als die Erschöpfung sie schließlich einholte. Sie leerte ihre Taschen auf der Kommode mit den Totenkopfgriffen aus und achtete dabei darauf, den Kupferring nicht hinter die Möbel zu werfen. Dann landete ihre Kleidung auf einem Haufen auf dem Boden und sie strich den schwarzen Baldachin um ihr Bett beiseite, bevor sie auf die Matratze kletterte.

»Oh, ja.« Die Matratze sank unter ihrem Gewicht zusammen. Ich könnte auf diesem lilafarbenen Samt schlafen und es ginge mir gut. Aber sie zwang sich, die Bettdecke zurückzuschieben und lachte, so gut sie konnte, weil sie unglaublich müde war. »Und schwarze Satinbettwäsche. Ember Gaderow ist offiziell die Schutzheilige der Goths. Oh Gott, ich klinge sogar betrunken.«

Sie warf einige Kissen beiseite, ließ aber die weichsten liegen und hatte kein Problem damit, einzuschlafen, auch wenn der Herz der Mitternacht -Anhänger unangenehm auf ihr Schlüsselbein drückte.

* * *

»Cheyenne.«

Das raue Flüstern ließ die Halbdrow in ihrem nagelneuen Bett auf die andere Seite rollen.

»Cheyenne, du musst aufwachen.«

Sie stöhnte, schnappte sich ein Kissen und warf es in Richtung der Stimme.

»Hey! Steh auf, verdammt!« Ein lautes Klatschen hallte durch ihr Zimmer.

Das rüttelte Cheyenne aus dem Schlaf und sie stützte sich auf die Ellbogen und blinzelte verschlafen. Als sich ihre Augen an das schwache Licht der Lampe gewöhnt hatten, die sie nicht ausgeschaltet hatte, richtete sie sich auf und riss die Samtdecke bis zum Kinn hoch. »Scheiße! Was … du …?«

»Hör auf zu stottern und hör zu.« L’zar Verdys warf einen Blick auf die Verdunklungsvorhänge an ihrem Fenster und trat dann einen Schritt näher an das Fußende ihres Bettes.

»Was zum Teufel machst du in meinem Schlafzimmer?«

»Ich bin nicht in deinem Schlafzimmer. Technisch gesehen. Das ist der Don’adurr-Faden. Wir haben ihn einmal genutzt und jetzt, wo wir den Kanal geöffnet haben …« Er schnalzte mit der Zunge und warf noch einen kurzen Blick auf ihr Fenster. »Ich kann das nur eine bestimmte Anzahl von Malen machen, also musst du aufpassen.«

»Sag mir nicht, was ich tun …«

»Halt die Klappe.« Der Drow ließ die Schultern hängen und schaute sich in einem Raum um, den Cheyenne nicht sehen konnte. »Du musst diese Nachricht an Corian überbringen. Es hat einen Einbruch gegeben. Unkontrolliert. Ich vermute, dass die Krone dahintersteckt, aber wir müssen sicher sein. Sag ihm, er soll sich jeden schnappen, den er für fähig hält und ihn so schnell wie möglich dorthin bringen. Heute wäre gut.«

»Heute?« Die Halbdrow gestikulierte in ihrem perfekten Goth-Schlafzimmer herum, das nun durch L’zar Verdys Astralgestalt oder was auch immer in der Mitte des Raumes stand, verdorben war. »Ich habe erst gestern aufgehört.«

»Vertrau mir, Cheyenne. Du willst nicht auf diesen Fall warten. Es ist nicht … Scheiße!« Er senkte wieder den Kopf, seine goldenen Augen huschten hin und her, bevor er sich noch tiefer hinunterbeugte. »Wir haben nicht … übrig … bis der Zyklus …«

Sein Bild flackerte mit dem Rest seiner Worte auf und ab, dann war er weg.

Schwer atmend suchte die Halbdrow ihr Zimmer nach Anzeichen dafür ab, dass ihr inhaftierter Vater uneingeladen in ihren persönlichen Bereich zurückkehren würde. Nach etwa einer Minute ließ sie sich wieder auf das Bett fallen und starrte auf die Mitte des Baldachins über ihr. Mist. Heute Nacht gibt es keinen Schlaf mehr.

Sie schlug die Decke weg und sprang aus dem Bett. Das Greifen nach zwei der Schädelgriffe, um die Schubladen zu öffnen, brachte ihr nur ein kurzes, angespanntes Lächeln ein. Ich habe nicht einmal die Chance, das zu genießen. Die Schublade öffnete sich ruckartig und sie fand ein übergroßes T-Shirt, das ordentlich gefaltet war. Ein Bild von einem stämmigen Kerl in der gleichen Uniform wie die derer, die aus ihrer Wohnung gekommen waren, schoss ihr durch den Kopf – ein Kerl, der lachend Cheyennes Klamotten zusammenlegte, sie in die Schubladen steckte und sich sein Trinkgeld abholen wollte.

»Hör auf.« Sie schüttelte das T-Shirt aus, zog es sich über den Kopf und ging schnell auf die Eisentreppe zum Mini-Loft zu. Ihre nackten Füße liefen leise die Treppe hinauf und sie spürte kaum, wie sich das Metallgitter in ihre Sohlen grub.

Der Bürostuhl dort oben war nicht annähernd so bequem wie ihrer, aber das machte nichts. Sie schaltete ihren Monitor ein und führte einen kurzen Systemcheck durch, bevor sie ihr VPN ein weiteres Mal einrichtete und in das Dark Web eintauchte. Als sie das Borderlands-Forum geöffnet hatte, überflog sie schnell die letzten Themen und seufzte. Nichts Neues. Nichts über einen Einbruch.

Cheyenne knurrte frustriert und blickte dann über die Seite der Hochebene in Richtung von Embers Schlafzimmer. In der Wohnung bewegte sich nichts. »Das ist die Eingewöhnungsphase. Es ist alles gut.«

Sie rief eine private Nachricht an Corian auf und ihre Finger flogen über die Tastatur.

Shyhand71: Ich habe gerade einen unerwarteten Besuch bekommen. Eine direkte Nachricht für dich, direkt aus seinem Mund.

Sie ließ sich in ihren Bürostuhl zurücksinken, trommelte mit den Fingern auf die Armlehnen und schaute gespannt auf die offene Chatbox. Auf keinen Fall ist er noch wach. Er würde nicht hören, wie der Rest des Hauses um ihn herum zusammenfällt.

gu@rdi@an104: Sag hier nichts weiter. Triff mich um 8:00 Uhr an dieser Adresse.

Und das war’s. Er schickte die Adresse ab, die Chatbox schloss sich von seiner Seite aus und Cheyenne schaute auf die Uhr am unteren Bildschirmrand.

Drei Uhr. Na toll. Ich konnte eine Stunde schlafen und muss jetzt noch drei warten, bis ich mich auf den Weg machen kann.

Sie loggte sich aus dem Dark Web aus, beendete das VPN und schaltete den Monitor aus. Dann ging sie leise die Metalltreppe hinunter und zurück in ihr Zimmer. Sie zog das Erste an, was sie aus der Kommode holte, ohne darüber nachzudenken – eine schwarze Skinnyjeans und ein langärmeliges, schwarzes Shirt, dessen Ausschnitt ziemlich weit war, sodass ihre Schultern frei waren. »Wie auch immer. Was soll ich denn drei Stunden lang machen?«

* * *

Die letzte Folge einer Sendung, von der sie noch nie gehört hatte, ging zu Ende und die Halbdrow schnappte sich die Fernbedienung vom Couchtisch, um etwas anderes zu suchen. »Nun, das war eine Verschwendung von zwei ganzen Stunden. Jetzt fehlt nur noch eine.«

Ein paar Minuten später klingelte ihr Handy. Cheyenne holte es von dort heraus, wo sie es unter ihren Oberschenkel auf der grauen Couch geklemmt hatte und las die SMS von Ember.

Bist du vielleicht wach?

Die Halbdrow ließ die Fernbedienung fallen und schickte eine Nachricht zurück. Ja. Brauchst du Hilfe?

Das wäre großartig.

Cheyenne schwang ihre Beine von der Couch, auf der sie sich ausgestreckt hatte, um nicht sonderlich sehenswerte Serien zu schauen und stand auf. Als sie Embers Schlafzimmertür erreichte, klopfte sie erst mal wie selbstverständlich.

»Oh, komm doch rein, ja?«, scherzte Ember.

Die Halbdrow öffnete langsam die Tür und versuchte zu lächeln. »Guten Morgen.«

»Woah. Offenbar nicht.«

»Ja, mein Schlaf wurde unterbrochen.«

Ember legte ihren Kopf schief. »Träume?«

»Eher Visionen. Ein Besucher vom Chateau D’rahl.«

»Ist er wieder ausgebrochen?«

»Nö.« Cheyenne näherte sich dem Bett ihrer Freundin und streckte ihren Arm aus. Ember griff nach den Schultern der Halbdrow und sie arbeiteten schnell zusammen, um sie in den Rollstuhl zu befördern. »Offenbar hat es ihm der kleine Trick mit der Drow-Astralprojektion sehr leicht gemacht, sich in mein Schlafzimmer zu projizieren.«

»Oh, gruselig.«

»Ja.« Cheyenne richtete sich auf und wartete darauf, dass Ember sich zurechtfand. »Alles klar?«

Die Fae nickte. »Badezimmerpause. Ich muss nur erst die morgendliche Routine durchlaufen.«

»Okay.« Als Ember sich ins Bad rollte, runzelte die Halbdrow die Stirn und ging schnell in die Küche. Im Kühlschrank gab es nur ein paar Dinge, von denen das Verlockendste ihre übrig gebliebenen Spaghetti vom Vorabend waren.

Cheyenne wärmte die Nudeln mit Marinara-Sauce auf und war gerade dabei sie zu essen, als Ember ins Zimmer gerollt kam. »Okay, was zum Teufel hat L’zar in deinem Schlafzimmer gemacht?«

»Ich habe eine Nachricht für Corian.«

»Klar.«

Cheyenne schenkte ihrer Freundin ein verwirrtes Lächeln. »Ich habe dir wirklich ein gutes Bild von den beiden gezeichnet, nicht wahr?«

»Ich habe eine gute Vorstellung. Was ist die superwichtige Nachricht?«

Die Halbdrow verspeiste den letzten Rest einer dampfenden Gabel Spaghetti und beugte sich über den Behälter. »Nichts für ungut, Em, aber ich glaube, es könnte eine supergeheime Nachricht sein.«

»Schon gut. Dass du morgens um sechs Uhr fünfzehn Spaghettireste isst, ist aber eine ganz andere Sache. Muss ich mir Sorgen machen?«

»Ich hatte Hunger, es war im Kühlschrank …«

»Weißt du, manchmal ist es wirklich schwer zu glauben, dass du die Tochter von Bianca Summerlin bist.«

Cheyenne hätte den nächsten Bissen fast durch die Nase wieder ausgehustet. »Oh, danke.«

»Mhmhm.« Die Fae verschränkte die Arme. »Und, hast du die Nachricht schon überbracht?«

»Oh, Mist. Ich muss los.« Nachdem sie zwei weitere große Portionen in ihren Mund geschaufelt hatte, riss Cheyenne ein Papiertuch von der Rolle, wischte sich den Mund ab und warf es in die leere Box auf der Kücheninsel. »Es tut mir leid, Em. Ich muss nach DC fahren.«

»Ich verstehe. Es ist diese Art von geheimer Nachricht.«

»Nicht so, wie du vielleicht denkst. Washington hat damit nichts zu tun.«

»Soweit du weißt.«

Die Halbdrow nickte. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es schon herausgefunden hätte, aber das ist keine FRoE-Sache. Das ist … Ich weiß nicht einmal, was das ist, aber ich muss gehen. Kommst du zurecht?«

»In Ordnung, fassen wir mal zusammen. Mir geht’s gut. Wenn ich nicht da bin, rufe ich dich an oder schreibe dir eine SMS oder was auch immer. Wenn du nicht antwortest, haben wir einen sehr freundlichen Nachbarn auf der anderen Seite des Flurs.«

»Ja, okay. Ich hab’s verstanden.«

»Ausgezeichnet.«

Kichernd schnappte sich Cheyenne alles, was sie brauchte, vom Couchtisch, stopfte es in ihre Taschen und zog sich dann ihren Mittelfinger-Kapuzenpullover über den Kopf. »Ich glaube, das ist alles. Wünsch mir Glück.«

Ember rollte sich ins Wohnzimmer und rümpfte die Nase. »Nein, das brauchst du nicht. Sei einfach vorsichtig, ja?«

Die Halbdrow hielt an der Haustür inne und schaute ihre Freundin an. »Mache ich. Danke.«

Sie schloss die Tür und ging schnell zum Aufzug, den Autoschlüssel bereits in der Hand. Wenn Corian nicht weiß, was er mit dieser Nachricht anfangen soll, sind wir wohl aufgeschmissen.