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KLEINSTADTSORGEN

Dillion

Zwei Tage später sitze ich am Steuer eines gemieteten Umzugswagens und transportiere meine Habseligkeiten zurück in die Stadt, in der ich aufgewachsen bin und von der ich mir geschworen habe, nie wieder dort zu leben. Natürlich, mache ich mir bewusst, ist dies nur eine Übergangslösung – ich werde nur so lange bleiben, wie meine Familie meine Hilfe braucht, und dann werde ich in die »Stadt« zurückkehren. Jetzt habe ich Zeit für die Jobsuche, ohne den Druck, einen x-beliebigen Job annehmen zu müssen, weil ich keine andere Wahl habe. Zumindest rede ich mir das ein.

Ich komme an dem alten, verwitterten Schild am Ortseingang von Pearl Lake vorbei.

Deine Träume sind nur eine Bootsfahrt entfernt steht in eleganter Schreibschrift darunter, und ein kleines, verwelktes Blumenbeet, umgibt den Fuß des Schildes. Der Sommer hat gerade erst begonnen und schon müssen wir mit diesen fiesen Hitzewellen fertigwerden. Das Gras hat einen Farbton angenommen, den man normalerweise als »Augustgold« bezeichnet, wenn alles trocken, braun und brüchig ist. Offensichtlich brauchen wir bald eine ordentliche Menge Regen, sonst wird es am Strand keine Lagerfeuer geben. Die Bäume an den Rändern der asphaltierten Straße sind üppig und grün und kraftvoll. Vereinzelte Hauseinfahrten durchbrechen die Baumreihen, dahinter verstecken sich verschlafene kleine Häuser im Landhausstil. Es ist das komplette Gegenteil von Chicago, und bei jedem meiner Besuche hier kann ich es kaum erwarten, danach wieder in den Trubel der Stadt zurückzukehren.

Ich biege in die Hauptstraße ein, die zur Stadt führt, und schalte einen Gang zurück, um den steilen Hügel hinaufzufahren. Oben angekommen, werde ich langsamer und lasse mir einen Moment Zeit, um den Blick auf den See zu genießen. Das wunderschöne, klare, tiefblaue Wasser ist von üppigen Laubbäumen und immergrünen Tannen umgeben. Auf der rechten Seite erheben sich die imposanten Häuser am Seeufer über die Landschaft. Ihre Existenz erinnert mich an all die Dinge, die mir als Teenager so erstrebenswert erschienen. Ich wollte auf der anderen Seite des Sees leben und all die Dinge haben, die sie hatten.

Über künstliche Sandstrände gelangt man ins Wasser; an den Docks sind Bootshäuser und teure Wasserfahrzeuge befestigt; Wassertrampoline und Schwimmmatten treiben auf der Oberfläche. Jetskis und Schnellboote ziehen ihre Bahnen durch den See, aus der Ferne betrachtet nur so klein wie Spielzeug. Für die Menschen auf dieser Seite des Sees ist ihre Zeit hier kein normaler Alltag, sondern eher eine Flucht vor ihrem sonst so hektischen Leben. In meiner Jugend habe ich sie darum beneidet, dass sie Pearl Lake verlassen konnten.

Die linke Seite ist weit weniger opulent. Ein Strandabschnitt mit dunklerem Sand und dicht wachsenden Bäumen füllt eine Ecke aus, der Rest ist von Bäumen umgeben und mit kleinen, schmalen Anlegestellen und im Wasser auf und ab hüpfenden Booten gesprenkelt. Und genau zwischen den beiden Welten steht Bernies Haus, auf der Grenze zwischen den Reichen und den einheimischen Normalbürgern, wie sich die Stadtbewohner selbst nennen.

Mit einem tiefen Atemzug fahre ich den steilen Abhang hinunter und biege nach links in die Innenstadt ab, um meine Mutter auf dem Heimweg aufzulesen. Ich habe die Fahrt so geplant, dass ich genau dann ankomme, wenn ihre Schicht endet.

Ich biege in die Main Street ein und fahre an den Geschäften vorbei, die von den wohlhabenderen Mitgliedern der Gemeinde frequentiert werden: hochpreisige Möbelgeschäfte und ein Verleih für Wasserspielzeug; ein paar nette Restaurants, die Stadtbewohnern gehören; Indulgence, der überteuerte Eis- und Schokoladenladen, dem ich insgeheim schon immer gern einen Besuch abgestattet hätte. Aber ich konnte mich nie dazu durchringen, weil ich damit Corbin’s Mini-Markt, den Laden eines der Freunde meines Vaters, um seine Einnahmen gebracht hätte.

Schließlich fahre ich auf den städtischen Parkplatz und stelle mein Ungetüm von Umzugswagen in einer der Lücken am Rand ab. Sobald ich die Tür öffne und auf den schlecht gepflasterten Bürgersteig springe, schlägt mir die schwüle Juniluft entgegen.

Einige Jugendliche von der reichen Seite des Sees haben sich an den uralten Picknicktisch neben dem ebenso uralten Imbisswagen gesetzt. Der Wagen ist derselbe, in dem ich mir in ihrem Alter etwas dazuverdient habe. Das war wahrscheinlich einer meiner meist geliebten und meist gehassten Jobs. In jenem Sommer habe ich ständig nach abgestandenen Pommes gerochen. Aber es war ein Job und Geld für mein Bankkonto. Außerdem war es auch der letzte Sommer, den ich in Pearl Lake verbracht habe.

Ein junges Mädchen mit langem blonden Haar, das zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden ist, lehnt sich aus dem Fenster, während einer der Sommerjungs sie mit seinem perfekten Lächeln und geraden Zähnen anstrahlt. Erinnerungen kommen an die Oberfläche, manche schön, manche weniger schön.

Diese Sommerjungs waren immer so perfekt. Sie waren anspruchsvoll und privilegiert, sie wussten, dass sie mehr hatten als wir und besser dran waren als wir – wir, die wir in einer Kleinstadt aufwuchsen, isoliert und abgeschottet. Und in gewisser Weise kaufte ich ihnen das ab. Ihr arrogantes Auftreten ließ meine Freundinnen in Verzückung geraten. Die einheimischen Jungs zogen den Kopf ein oder blähten ihre Brust auf und sahen auf ihre reichen Altersgenossen herab, weil sie mehr Geld hatten und nie dafür arbeiten mussten. Im Gegensatz zu den Kids aus Pearl Lake, deren Eltern die örtlichen Läden betrieben und die Leute versorgten, die für ein paar Wochen oder Monate im Jahr hierherkamen und dann alles wieder zurückließen.

Wir waren Diener der Wohlhabenden. Was uns betraf, so lebten wir außerhalb der Schneekugel ihres Anspruchsdenkens. Wir waren nah genug dran, um die Schneekugel zu schütteln, das Chaos zu beobachten, das wir anrichteten, und dann diese schöne, heile Welt wieder beiseitezulegen, damit sie bis zur nächsten Saison Staub ansammeln konnte.

Ich gehe am Imbisswagen vorbei und überquere die Straße in Richtung Tom’s Diner, wo meine Mutter arbeitet, seit ich denken kann. Als Teenager habe ich sie immer von der Arbeit abgeholt. Aber niemals mein Bruder, weil er nicht sehr zuverlässig war und die Hälfte der Zeit keine Fahrerlaubnis hatte. Anscheinend hat sich nicht viel geändert.

Ich wappne mich innerlich, während ich durch die Milchglasscheibe spähe und die Leute betrachte, die an den Tischen sitzen. Die Kundschaft des Diners setzt sich hauptsächlich aus älteren Stadtbewohnern oder den Sommer-Teens von der reichen Seite des Sees zusammen. Die Jugendlichen aus Pearl Lake halten sich dort nur selten auf. Sie bevorzugen den Imbisswagen, weil es dort für wenig Geld etwas zu essen gibt und ihnen die lästige Aufsicht durch Erwachsene und Eltern erspart bleibt.

Ich öffne die Tür und die Klingel über mir bimmelt leise. Einige Köpfe drehen sich zu mir, als ich in den klimatisierten Imbiss trete und die Tür hinter mir zufallen lasse. Ein Manöver, bei dem mir ein Hauch von heißer, feuchter Luft folgt. Ein Schauer überläuft mich, als der kühle Luftstrom, der aus dem Lüftungsschacht über meinem Kopf kommt, die Hitze auffrisst und absorbiert.

»Darlin’!«, ruft meine Mutter von ihrem Platz hinter dem Tresen.

Sie wischt sich die Hände an der Schürze ab und schlüpft an einer anderen Bedienung vorbei, die gerade eine Bestellung in die Computerkasse eintippt. Die Kasse muss ein Upgrade seit meinem letzten Besuch hier sein. Das Mädchen am Computer dreht sich zur Tür um und ihren Gesichtszügen ist Erschrecken abzulesen, als ihr Blick über mich hinweggleitet. Sie kommt mir irgendwie bekannt vor und ich brauche einige Sekunden, um zu begreifen, dass es sich um Claire handelt, die jüngste Schwester einer meiner Freundinnen von der Highschool. Aber nachdem ich in die Stadt gezogen war, haben wir uns aus den Augen verloren. Was mich betrifft, habe ich so getan, als existiere sie nicht, was es umso schwieriger für mich macht, wieder hier zu sein.

Am Tresen erspähe ich bekannte Gesichter, Stadtbewohner, die regelmäßig im Diner essen. Einige erscheinen zum Frühstück und gehen erst wieder, wenn die Schicht meiner Mutter am Nachmittag endet. Die Gäste trinken Kaffee und benutzen den Diner wie ihr eigenes Wohnzimmer, nicht wie ein richtiges Lokal.

»Meine Kleine ist wieder zu Hause!« Meine Mutter schlingt ihre Arme um meinen H als, und ich stolpere einen Schritt nach vorn. Sie ist einige Zentimeter kleiner als ich, und ich trage auch noch Stöckelschuhe – zugegebenermaßen nicht die beste Wahl, um einen Umzugswagen zu fahren, aber alte Gewohnheiten lassen sich anscheinend nur schwer ablegen. Die Schuhe sind auch eine kleine Rebellion, ein Zeichen dafür, dass ich nicht an einen Ort zurückkehren will, den ich eigentlich nur in den Ferien zu besuchen geplant hatte.

Abgesehen davon, dass ich etliche Zentimeter größer bin als meine Mutter, bin ich praktisch eine Kopie von ihr. Wir haben das gleiche lockige, blonde Haar, blassgrüne Augen, eine Stupsnase und volle Lippen. Darüber hinaus haben wir beide einen hyperaktiven Stoffwechsel, was bedeutet, dass es für uns praktisch unmöglich ist, zuzunehmen.

Sie ergreift meine Hand und zieht mich zum Tresen, an dem in Reih und Glied rote, vinylbezogene Hocker stehen, und klopft auf einen freien Platz. »Setz dich. Ich kassiere nur noch schnell ab. Kann ich dir etwas anbieten? Eine Tasse Kaffee? Wie wär’s mit einem Stück Kuchen? Die Fetterlys haben eine Ladung ihrer Erdbeer-Rhabarber-Puddingtörtchen vorbeigebracht. Du weißt schon, die mit den Streuseln. Wie wär’s mit einem Stückchen davon?«

So gern ich auch Nein sagen würde, weil ich lieber von hier verschwinden möchte, weg von all den bekannten Gesichtern und dem unvermeidlichen Klatsch und Tratsch, aber der Kuchen der Fetterlys ist der beste im ganzen Land und wird jedes Jahr auf der Herbstmesse mit einem Preis ausgezeichnet. Außerdem ist mir irgendwie nach Frustfressen zumute.

»Vielleicht könntest du mir ein Stück einpacken? Ich habe auf dem Weg hierher zu Mittag gegessen.« Das ist keine komplette Lüge. Ich habe auf der Fahrt aus der Stadt eine ganze Tüte Studentenfutter gegessen. Aber in Wahrheit möchte ich einfach nicht in Gespräche mit Leuten verwickelt werden, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Und erst recht möchte ich nicht über die Sache mit meinem Bruder reden oder Fragen bezüglich meiner eigenen Situation beantworten müssen.

»Klar, natürlich. Also nur einen Kaffee.« Meine Mutter schlüpft hinter den Tresen und stellt schnell einen Becher vor den Hocker, den einzigen, der noch nicht besetzt ist. Dann schenkt sie mir frischen, dampfenden Kaffee ein, während ich mich neben Rudy Dunn niederlasse, dem zufällig auch der Imbisswagen auf der anderen Straßenseite gehört. Oder zumindest hat der Wagen früher ihm gehört.

Meine Mutter schenkt ihm Kaffee nach und kassiert dann bei einem anderen Gast. »Na, wenn das nicht die kleine Dillion Stitch ist! Du bist erwachsen geworden, hm?«

»Sieht so aus. Betreiben Sie immer noch den Imbisswagen?«

»Klar. Meine Nichte arbeitet seit diesem Sommer dort. Sie lockt die ganzen Jungs vom anderen Seeufer hierher. Genauso wie in dem Sommer, als du für mich den Laden geschmissen hast. Ich muss natürlich ein Auge darauf haben. Aber ich kann nicht sagen, dass es schlecht fürs Geschäft wäre, wenn du verstehst, was ich meine? Sie ist eben hübscher anzusehen als ich alter Knacker.« Als er grinst, sehe ich, dass ihm hinter den Mundwinkeln, die von Lachfältchen umrahmt sind, einige Zähne fehlen.

Ich erwidere das Lächeln. Ich weiß noch genau, wie es war, als die Jungs im Sommer mit ihren auffälligen Autos oder ihren neuen Geländewagen aufgetaucht sind.

Sie haben immer in der Nähe des Picknicktisches herumgehangen, ihr makelloses Lächeln gezeigt und schamlos geflirtet. Und immer haben sie versucht, die Mädchen aus der Gegend abzuschleppen, als sei das für sie eine Art Spiel. Aber wenn sie auf unserer Seite des Sees aufgetaucht sind, um mit uns Partys zu feiern, waren sie an der Reihe, zu lernen, welchen Platz sie in dieser Stadt hatten.

Einmal habe ich einen Sommerjungen am Strand geküsst, um es meinem Freund heimzuzahlen, der sich nie entscheiden konnte, ob wir nun eine Beziehung hatten oder nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte er gerade beschlossen, dass wir eine Pause brauchen.

Es war die Art von Kuss, in den man versinken kann, zumindest bis jemand eine Bemerkung über »Abschaum aus der Gosse« gemacht hat. Das ist nicht gut angekommen. Damals hat es den Städtern nicht gefallen, wenn einer der Sommerjungs die einheimischen Kids ausnutzte oder, was noch schlimmer war, seine abschätzige Meinung über uns kundtat. Es gab immer mal wieder Schlägereien, und den Einheimischen waren gebrochene Nasen oder Narben egal. Ich bin an jenem Tag vom Strand verschwunden, sobald die ersten Fäuste flogen, weil ich mich nicht einer solchen Peinlichkeit oder Demütigung aussetzen wollte. Ich bin mir nicht sicher, wie viel sich in den Jahren meiner Abwesenheit verändert hat, wenn ich mir so anschaue, wer bei dem Imbisswagen gesessen hat, als ich daran vorbeigekommen bin.

Rudy und ich plaudern ein wenig – hauptsächlich erkundige ich mich nach seiner Familie, seinem Boot und den Fischen, die er in dieser Saison gefangen hat, um ein Gespräch über Billy und mich zu vermeiden.

Nach zwei Minuten kommt Claire mit dem Kaffee vorbei und schenkt mir ein steifes Lächeln. »Darf ich dir nachschenken, Dillion?«

Ich bedecke mit einer Hand den oberen Rand meiner Tasse. »Das reicht mir, danke. Wie geht es dir denn so?« Heftige Schuldgefühle suchen mich plötzlich heim. All diese Menschen, mit denen ich meine Kindheit verbracht habe, habe ich zurückgelassen wie eine Schlange ihre abgestreifte Haut. Erfüllt von dem verzweifelten Wunsch, dem Leben in der Kleinstadt zu entkommen.

»Mir geht’s gut.« Claire streckt ihre linke Hand aus und spreizt die Finger: Ein kleiner Diamant glitzert im Sonnenlicht. »Ich habe mich letzten Monat mit Tommy Westover verlobt. Wir werden nächsten Sommer im Garten meiner Eltern heiraten.«

»Oh wow! Herzlichen Glückwunsch! Das ist ja wunderbar.« Ich erinnere mich an Tommy Westover. Er hat ein Jahr nach mir seinen Abschluss gemacht und in der Schulmannschaft Football gespielt. Außerdem hat er zwei ältere Brüder.

»Danke.« Ihr Lächeln ist jetzt weicher. »Er leitet den Baumarkt. Den konnte er übernehmen, weil Harry als Rentner nur noch in Teilzeit arbeiten wollte. Wenn wir verheiratet sind, mache ich dort vielleicht die Buchhaltung oder so.« Die Glocke der Durchreiche klingelt, und Claire wirft einen Blick über ihre Schulter. »Jedenfalls war es schön, dich zu sehen, Dillion. Vielleicht laufen wir uns ja mal wieder über den Weg, wenn du eine Weile in der Stadt bleibst.«

Ich schlucke mein Unbehagen herunter und lächle. »Auf jeden Fall.«

Sie nickt, wendet sich der Durchreiche zu und balanciert mehrere Teller gleichzeitig auf ihrem Unterarm, um nur einen Gang machen zu müssen.

Zum Glück ist meine Mutter mit dem Kassieren fertig, sodass wir uns aus dem Staub machen können, bevor ich wieder über meine Vergangenheit stolpere. Ich folge ihr durch die Tür, und als wir zum Umzugswagen kommen, wird mir plötzlich klar, dass ich kein Auto mehr haben werde, wenn ich ihn zurückbringe. Ich bin es inzwischen gewohnt, in einer Stadt zu leben, wo ich kein eigenes Auto brauche. Hoffentlich hat mein Vater ein Fahrzeug, das ich benutzen kann.

»Wie war die Fahrt? Nicht zu viel Verkehr?« Mom streicht ihren Rock glatt und schlägt die Beine übereinander. Dann verschränkt sie die Hände auf dem Schoß, vermutlich, um zu verhindern, dass sie zappelig wird. Meine Beziehung zu meiner Mutter war nie besonders einfach. Ich liebe sie, und sie ist eine tolle Mutter, aber meine Lebensziele und ihre sind nicht die gleichen. Sie war noch nie in Chicago und lebt glücklich in ihrer kleinen Seifenblase, in der sich niemals etwas ändert. Wir kommen gut miteinander aus, aber sie versteht nicht, dass ich mehr will. Sie liebt das einfache Leben, und ich liebe die Stadt.

»Sobald ich aus der Stadt raus war, ist alles wie geschmiert gelaufen. Wie sieht es denn hier aus? Und wie geht es Billy?«

»Oh, du kennst ja deinen Bruder; ihm geht es gut. Es ist ja niemand verletzt worden.«

Ich schaue sie kurz an. »Er ist betrunken Auto gefahren, Mom.«

»Es war zwei Uhr nachts. Die Einzigen, die er in Gefahr gebracht hat, waren ein Reh und er selbst.«

»Er ist gegen den Briefkasten der McAlisters gefahren! Was wäre passiert, wenn es ihr Haus gewesen wäre?« Typisch für meine Mutter, einen Unfall unter Alkoholeinfluss zur Bagatelle herunterzuspielen.

Meine Mom lacht spöttisch. »Ihr Haus steht gute fünfzehn Meter von der Straße entfernt; er hätte auf dem Weg dorthin eine Menge Bäume umfahren müssen, um das zu schaffen. Wie auch immer, er hat seine Lektion gelernt. Es wird nicht wieder vorkommen, vor allem, weil er die nächsten Monate nicht fahren darf.«

»Dad sagte, Bernie würde versuchen, das Strafmaß von einem Jahr auf sechs Monate zu verkürzen.«

»So ist es. Und er wird mit deinem Dad zur Arbeit fahren können, bis das alles geklärt ist. Aber genug davon.« Meine Mom tut das, was sie am besten kann, wenn es um meinen Bruder geht. Die Devise heißt: leugnen, ausweichen und das Thema wechseln. »Hat Claire dir erzählt, dass sie den jüngsten Sohn der Westovers heiraten wird? Er ist so ein netter junger Mann. Und sie feiern die Hochzeit im Garten der Bells. Zumindest ist das der Plan. Es soll Spanferkel geben. Ist das nicht schön?«

Ich lasse das Thema mit Billy erst einmal ruhen. Ich werde ihn noch früh genug zu Gesicht bekommen und hoffentlich erzählt mir mein Dad dann die ganze Geschichte. »Das klingt toll, Mom.«

»Es tut mir leid, dass aus der Sache mit Jackson nichts geworden ist. Schade, dass wir ihn nie kennenlernen durften.«

»Er heißt Jason, und wir hatten einfach unterschiedliche Lebenspläne, das ist alles.« Ich beiße mir auf die Zunge, um nicht auszusprechen, was ich eigentlich sagen will, nämlich dass sie ihn hätten kennenlernen können, wenn sie uns nur ein einziges Mal in Chicago besucht hätten. Ich habe ihn nie mit nach Hause gebracht, weil … nun ja, in unserem kleinen Haus mit drei Schlafzimmern gab es keinen Platz für ihn, und über die Feiertage ist er immer zu seiner Familie gefahren. Wenigstens haben sich seine Eltern die Mühe gemacht, uns ein paarmal in der Stadt zu besuchen.

»Mmm.« Meine Mutter nickt und streicht weiter über den Rock. »Ehrlich, ich habe schon fast erwartet, dass ihr euch verlobt. Aber irgendwann wirst du schon den Richtigen finden.« Sie tätschelt meinen Arm und schenkt mir ein kleines Lächeln.

»Da bin ich mir sicher.« Aber wer auch immer er ist, ich bezweifle, dass ich ihn in Pearl Lake finden werde.

Wir fahren an vertrauten Einfahrten vorbei, die mit Blechbriefkästen gesäumt sind; manche sind hübsch verziert, andere sehen aus, als würden sie gleich herunterfallen. In unserer Einfahrt steht ein Briefkasten, der wie ein Puppenhaus aussieht. Meine Mutter streicht ihn jedes Jahr neu an. In diesem Jahr ist er ein hübsches, weißes Haus mit einem roten Dach und Blumenkästen an jedem Fenster.

Ich biege in die von Bäumen gesäumte, geschotterte Einfahrt ein und halte vor dem alten, heruntergekommenen Haus, das eher wie ein für diese Seite des Sees typisches Cottage aussieht. Mein Vater hat ständig irgendein Projekt, eine Renovierung, die er in seiner Freizeit in Angriff nehmen will, von der er zugegebenermaßen noch nie viel hatte. Das Gerüst um das Haus herum verrät, dass er die Ziegel des Schornsteins neu verfugen will. Die Holzverkleidung ist auf der rechten Seite frisch gebeizt worden, aber auf der linken Seite ist sie immer noch unbehandelt und verblasst. Ich finde es gleichermaßen schön und scheußlich.

»Dein Vater hat in der Garage Platz für deine Sachen geschaffen und wird dir beim Ausladen helfen, wenn er heute Abend nach Hause kommt. Du willst den Umzugswagen sicher zurückgeben, damit du nicht die ganzen Mietgebühren zahlen musst.« Meine Mutter steigt aus, und ihre Tennisschuhe knirschen auf dem Kies.

Ich selbst steige deutlich vorsichtiger aus, denn meine hohen Absätze sind für das Leben in der Kleinstadt und auf dem Land sehr unpraktisch. Ich muss mich wohl damit abfinden, dass ich meine Schuhe mit dem Großteil meiner Sachen einlagern werde. Außerdem muss ich erst noch verkraften, wieder bei meinen Eltern zu wohnen. Mit achtundzwanzig.

»Dein Vater hat im Frühjahr die Küche renoviert! Ich kann es kaum erwarten, sie dir zu zeigen!« Sie bedeutet mir, ihr zu folgen. Ich stecke die Schlüssel in meine Handtasche und mache mir nicht die Mühe, den Wagen abzuschließen. Hier beklaut niemand seine Nachbarn.

Ich folge meiner Mutter ins Haus. Der Eingangsbereich ist klein, mit einem Schrank auf der linken Seite und einer kleinen Bank auf der rechten. Dahinter liegt die Küche.

»Und?« Sie lächelt strahlend und mit offensichtlicher Aufregung. »Was denkst du? Sieht es nicht toll aus? Natürlich ist nicht alles neu, aber sie haben ein Haus im Norden renoviert – du weißt schon, wo die reichen Leute wohnen.« Sie wedelt mit der Hand in der Luft, als sei die Erklärung albern. »Jedenfalls hat der Besitzer gesagt, dein Vater dürfe alles mitnehmen, was er will. Kannst du dir das vorstellen? Die Küche war praktisch nagelneu!«

Die Schränke sehen tatsächlich aus, als wären sie erst ein paar Jahre alt – weiße, schlichte Shaker-Möbel. Es ist auf jeden Fall eine große Verbesserung gegenüber der Küche aus den neunziger Jahren, mit der ich aufgewachsen bin. Die hochmoderne Kücheneinrichtung ist wunderschön, aber sie unterstreicht auch, wie veraltet der Rest des Hauses ist. Trotzdem kann ich verstehen, warum meine Mutter davon so begeistert ist. »Das ist toll, Mom!«

Im Esszimmer neben der Küche stehen ein Tisch im Stil der achtziger Jahre und Holzstühle mit geometrischem Muster – ein Design, das durch die Serie Stranger Things wieder populär geworden ist. Dahinter befindet sich das Wohnzimmer, in dem mein Bruder auf dem schwarzen Ledersofa liegt, das an einigen Stellen so abgenutzt ist, dass der Holzrahmen durchscheint.

Er beansprucht die ganze Couch für sich, und sein gegipstes Bein, das er mit einem Kissen abstützt, baumelt etwa fünfzehn Zentimeter über den Rand, weil er einfach zu groß für das Sofa ist. Im Augenblick sieht er sich gerade eine Folge von Garage Wars an und gönnt sich dabei ein Bier. Auf dem Couchtisch neben ihm liegen die Fernbedienung und eine Flasche mit verschreibungspflichtigen Tabletten.

Ich verkneife mir einen Kommentar, denn wenn ich versuchen würde, meinen Bruder drei Sekunden nach meinem Eintreffen mit Waffengewalt zu erziehen, würde das nur Probleme verursachen, die ich nicht gebrauchen kann. Vor allem, wenn ich auf absehbare Zeit mit ihm in einem Haus leben muss.

»Billy! Du weißt doch, dass du nicht trinken darfst, wenn du Medikamente nimmst!« Mom lässt ihre Handtasche auf den Küchentisch fallen und zieht die Mundwinkel herunter.

Mein Bruder legt den Kopf in den Nacken, und seine struppigen blonden Haare fallen ihm aus der Stirn. Jetzt bemerke ich auch eine große, dicht verpflasterte Wunde und dunkle Schatten um seine Augen. »Ist schon gut, Ma, es ist nur ein alkoholfreies Bier. Oh, hey, Dillion«, ruft er von der Couch herüber. »Ich habe ganz vergessen, dass du für ein paar Tage herkommen wolltest.«

»Hat Dad es ihm nicht gesagt?« murmle ich und ziehe die Braue hoch.

»Hat Dad mir was nicht gesagt?« Billy mag verantwortungslos sein und schlechte Entscheidungen treffen, aber er hat ein lächerlich gutes Gehör. Selbst wenn der Fernseher läuft und die Tür halb geschlossen ist, kann er die Gespräche anderer belauschen.

»Darlin’ bleibt länger als nur ein paar Tage.«

»Wirklich? Und warum? Hast du Urlaub, den du nehmen musst, oder so?«

»Äh, nein, ich bin hier, um auszuhelfen.« Natürlich haben meine Eltern ihm das nicht erzählt.

Er stützt sich auf einen Arm und verzieht dabei das Gesicht. »Wobei sollst du denn helfen?«

»In der Firma.«

Billy runzelt die Stirn. »Du machst Witze, oder? Du kannst ja nicht mal ein Kantholz heben, ohne dir einen Knöchel zu verstauchen.«

Das ist nicht einmal ansatzweise zutreffend. Ich habe meinem Vater früher ständig geholfen. Habe ich das Schleppen von Kanthölzern geliebt? Nein, aber einen Sommer lang hatte ich tolle Bizepse, bis ich begriffen habe, dass ich als Kellnerin oder hinter der Theke viermal so viel Geld verdienen konnte wie mit dem Bau besagter Bar. »Dad muss das große Renovierungsprojekt auf der anderen Seite des Sees beaufsichtigen, also hat er mich gefragt, ob ich im Büro helfen kann.«

»Wie willst du das hinkriegen, wenn du einen Job in der Stadt hast?«

»Ich habe keinen Job mehr. Zumindest nicht in den nächsten Monaten. Sobald du wieder auf den Beinen bist und deinen Führerschein zurückbekommst, ziehe ich wieder in die Stadt.«

Seine Blick verändert sich, und ein träges Lächeln stiehlt sich in seine Züge. »Hast du dich deshalb draußen am Wohnwagen zu schaffen gemacht, Ma?«

»Wohnwagen?«

Moms Augen leuchten auf und sie klatscht in die Hände. »Ich zeige ihn dir! Ich habe ihn ganz schön aufgemöbelt! Er braucht zwar noch etwas liebevolle Zuwendung, aber ich denke, er wird dir gefallen.« Sie ergreift meinen Arm und zieht mich zurück zur Haustür.

Billy wackelt mit den Augenbrauen und lässt sich wieder auf die Couch fallen, um sich erneut auf Garage Wars zu konzentrieren.

Mom führt mich durch die Seitentür auf die überdachte Terrasse. Früher war sie mal ein Wintergarten, aber jetzt ist sie voller Dinge, die gerade nicht benötigt werden, alten, halb kaputten Stühlen und anderem Kram. »Was sind das alles für Sachen?«

»Ach, du kennst doch deinen Bruder. Der ist immer auf der Suche nach Schätzen. Wenn er wieder auf den Beinen ist, wird er sicher einiges davon in Ordnung bringen können. Er hat eine Reihe von Stühlen, die er neu beziehen lassen will, und einen Tisch, den er neu lackieren will.«

Das Ganze sieht eher wie die Beute eines Müllsammlers aus, und ich bezweifle ernsthaft, dass mein Bruder irgendetwas mit den Sachen vorhat, aber auch das behalte ich für mich, damit meine negative Einstellung nicht auf meine Mutter abfärbt oder sie sich mies fühlt. Ich habe den leisen Verdacht, dass ich vielleicht überreagiere, und ich gebe zu, dass das zum Teil an den gegenwärtigen Umständen liegt und zum Teil an der Tatsache, dass ich wieder hier bin, obwohl ich eigentlich nie mehr zurückkehren wollte. Aber ich beobachte mit Sorge, wie unsere Mutter die Dinge bagatellisiert und wie Billy auf der Couch faulenzt und Bier trinkt, nur Tage nach einem Unfall, den er durch Alkohol am Steuer verursacht hat.

Und jetzt werde ich am Haus vorbei zum Schuppen getrieben, wo der Wohnwagen seit fast zehn Jahren geparkt ist. Er ist für meine Benutzung hergerichtet, und an der Markise, die voller teils geflickter, teils noch nicht geflickter Löcher ist, hängen weiße Lichterketten. Irgendjemand hat rechts von der Tür ein paar Campingstühle aufgestellt.

Äußerlich hat sich der Wohnwagen nicht verändert, seit wir ihn vor etwa zwanzig Jahren gekauft haben, als ich noch ein Kind war. Meine Eltern hatten vor, uns zum Campen mitzunehmen, aber wir haben bereits an einem See gewohnt, und ihre Zeit war immer so knapp bemessen, dass sie nie mehr als ein paar Tage Urlaub machen konnten. Und wenn sie doch einmal eine Woche Zeit hatten, zogen sie es vor, in der Nähe ihres Hauses zu bleiben.

Wenn ich als Teenager meinem nervigen kleinen Bruder entfliehen wollte, habe ich mit meinen Freundinnen Tawny und Allie oft im Wohnwagen geschlafen, manchmal auch mit Sue, je nachdem, ob wir gerade miteinander gesprochen haben oder nicht.

»Ich zeige dir, was ich gemacht habe. Ich hatte nicht viel Zeit, also müssen noch ein paar Dinge erledigt werden.« Sie stupst das Loch in der Fliegengittertür an, bevor sie sie öffnet und mich hereinbittet.

Ich habe wahrscheinlich keinen Fuß mehr hier reingesetzt, seit ich achtzehn war. Mein Highschool-Freund Tucker hat sich manchmal nachts zu uns rübergeschlichen und wir hatten superleisen Sex auf dem Boden, der einzigen Oberfläche im Wohnwagen, die nicht quietschte.

Ich schüttle diese Erinnerung ab, als versuchte ich, ein Bild auf einer magischen Tafel auszulöschen. Es sieht so aus, als hätte sich hier seit meiner Teenagerzeit nur wenig verändert. Alles ist noch genau wie damals, nur älter, abgenutzter und voller Mottenlöcher. Es ist wahrscheinlich nicht allzu abwegig zu vermuten, dass Nagetiere sich hier irgendwann eingenistet haben.

Direkt vor mir steht ein kleiner Tisch mit Bänken auf beiden Seiten, die mit braunem Stoff bezogen sind. Rechts davon befinden sich eine winzige Spüle und eine Kochplatte, darunter der Minikühlschrank. Daneben führt eine Tür zu einem kleinen Badezimmer mit Toilette und Waschbecken – eine Dusche gibt es nicht, also muss ich die im Haus benutzen.

Links befindet sich das Bett zum Herunterklappen. Es ist ein Doppelbett und die Bettdecke ist noch dieselbe, die schon in meinem Zimmer lag, als ich fünfzehn Jahre alt war. Sogar mein Plüschhund Fluffy, der früher weiß war und jetzt von einem verfilzten Grau ist, hockt auf dem Kopfkissen.

»Ich weiß, hier muss noch eine Menge Arbeit reingesteckt werden, aber ich habe schon neue Vorhänge aufgehängt! Gefallen sie dir?« Sie zupft am Ende eines pinkfarbenen Vorhangs mit einem geometrischen Muster, das mir das Gefühl vermittelt, der ganze Wohnwagen stehe in der Morgendämmerung mitten in einem wogenden Meer.

»Sie sind toll, Mom.« Ich gebe mein Bestes, um etwas Begeisterung in meine Antwort zu legen.

»Den Riss in der Plane über dem Bett habe ich mit Klebeband geflickt, bis ich ihn versiegeln kann, aber es war in letzter Zeit trocken und es ist auch kein Regen vorhergesagt, also sollte es für ein paar Tage gehen. Und das Bad funktioniert, dafür habe ich gesorgt. Dein Vater hat das Wasser angeschlossen und alles.« Ihr Lächeln ist erwartungsvoll und angespannt.

Neben der braunen Einrichtung aus den Siebzigern und Achtzigern bieten die Vorhänge keinen schönen Anblick. Aber ich kann sehen, dass meine Mutter sich viel Mühe gegeben hat, um den Wohnwagen für mich herzurichten, und sie hat in der wenigen Zeit, die sie hatte, ihr Bestes gegeben.

»Du hättest dir nicht so viel Umstände machen müssen, Mom.«

»Ich dachte, du brauchst vielleicht einen Rückzugsort, vor allem, weil Billy im Haus festsitzt und auf Krücken geht. Wir haben ihn in dein altes Zimmer verfrachtet, weil es größer als seines ist und er sich dort besser bewegen kann. Ich dachte, du würdest dich in dem engen Raum nicht wohlfühlen, also habe ich das hier für dich vorbereitet. Die Heizung funktioniert ebenfalls, also brauchst du dir keine Sorgen zu machen, dass du frieren musst, falls du noch hier sein solltest, wenn das Wetter umschlägt. Du weißt ja, wie kalt die Nächte gegen Ende August werden können.«

Ich nicke zustimmend und schlucke die Panik herunter, die mich bei der Vorstellung erfüllt, so lange hier zu sein, dass ich die Heizung brauche. Nach dem, was ich inzwischen über Billys Verletzungen weiß, werde ich zumindest den ganzen September noch hier sein. »Es ist perfekt, Mom. Das wird toll.«

»Und du kannst die Dusche im Haus benutzen, wann immer du willst, aber du hast hier deine eigene kleine Wohnung. Ich denke, wenn du in die Stadt zurückkehrst, werde ich den Wohnwagen vielleicht zu meiner Mädchenhöhle machen, falls ich mal eine Pause von den Jungs brauche.« Sie lächelt schelmisch. »Vor allem, wenn dein Dad und dein Onkel sich ein paar Bier genehmigt haben. Das Schnarchen ist zu viel.«

Ich kichere. »Ich erinnere mich.«

Sie umarmt mich erneut. »Die Sache mit Jason tut mir leid. Er schien nett zu sein.«

»Das war er auch, ist er immer noch. Er war nur nicht der Richtige. Es ist besser, das jetzt herauszufinden, denke ich.«

»Alles geschieht aus einem bestimmten Grund, nicht wahr? Wenn diese Firma nicht pleitegegangen wäre, wäre er nicht umgezogen, und du wärst nicht wieder bei uns zu Hause gelandet.« Sie drückt meine Hand. »Ich weiß, dass du dir das alles etwas anders vorgestellt hast, Darlin’, aber du gehörst hierher. Das sagt mir mein Bauchgefühl. Und jetzt lasse ich dich allein, damit du dich etwas einleben kannst.«

Sie geht, und ich sacke in mich zusammen. Meine Mom hat schon immer fest an Dinge wie Schicksal und Karma geglaubt und lässt sich ständig von einer verrückten Frau aus der Nachbarstadt die Tarotkarten legen. Früher hat sie ab und zu unsere Nachbarin Bee mitgenommen. Und einmal haben die beiden mich auch mitgeschleppt. Die Dame hatte mir erklärt, sie könne die Karten für mich nicht lesen, weil ich ihre Energie blockiere, was auch immer das heißen mochte.

Ich erkenne keinen Grund, warum ich wieder hier bin, außer dass Schicksal und Karma sich einen Spaß auf meine Kosten erlauben.