DIE LIST
Ich finde es schrecklich, dass meine Schwester zurück in die Stadt muss. Ich will nicht, dass sie den ganzen Mist allein durchstehen muss. Angesichts der Trennung und ihrer miesen, oberflächlichen Freunde kann das nicht einfach für sie sein. Ich wünschte, ich könnte sie davon überzeugen, dass es nicht ihre Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass es Dad gut geht. Wir alle haben Mom verloren, und ja, der Kummer über ihren Verlust geht nie ganz weg, aber wenn man in der Vergangenheit lebt, lebt man nicht wirklich.
Am Tag nach Teagans und Bradleys Rückkehr nach Chicago bekomme ich einen Anruf von Bernie. In Pearl Lake scheint nichts schnell zu gehen, aber um meines Seelenfriedens willen möchte ich alles in Ordnung bringen und auf meinen Namen überschreiben lassen.
»Hey, Bernie, wie läuft’s denn so? Soll ich vorbeikommen und noch ein paar Dokumente unterschreiben?«
»Nun, ich würde gern Ja sagen, aber wir haben ein kleines Problem.«
Ich drehe einen Stift zwischen den Fingern, um mich zu beschäftigen. »Was für ein Problem?«
»Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, aber es sieht so aus, als ob jemand versucht, das Testament anzufechten.«
»Aber warum?« Es ist Monate her, dass Bee gestorben ist. Es macht keinen Sinn, dass jemand jetzt noch das Testament anficht.
»Im Grunde stellt diese Person infrage, ob Bee überhaupt in der Lage war, die Entscheidung zu treffen, Sie zum alleinigen Begünstigten des Nachlasses zu machen.«
Ich fahre mir mit den Fingern durchs Haar. Ich verstehe nicht, wer den Wunsch haben könnte, Bees Cottage an sich zu reißen. Vor ein paar Monaten hätte ich noch problemlos darum einen Rechtsstreit führen können, aber jetzt, da ich nur noch von Bees willkürlich im Haus verteilten Geldbündeln lebe, bin ich nicht in der Lage, einen finanziellen Kampf zu führen. Der Gedanke, all die Erinnerungen zu verlieren, die mit dem Haus und Bee verbunden sind, ist unvorstellbar. »Wissen wir, wer dahintersteckt?«
»Noch nicht, aber wir werden es gewiss bald herausfinden. Fällt Ihnen jemand ein, der unglücklich darüber sein könnte, dass Sie der einzige Begünstigte sind?«, fragt er.
»Ich weiß es nicht. Aber ich werde ein paar Anrufe tätigen und Fragen stellen.«
»Okay. Wenn Sie etwas Zeit haben, wäre es vielleicht eine gute Idee, im Büro vorbeizukommen.«
»Sicher, ja. Ist heute Nachmittag okay?«
»Jederzeit. Sagen Sie Darla einfach, dass ich Sie gebeten habe vorbeizukommen.«
»In Ordnung. Danke, dass Sie mir Bescheid gesagt haben.«
Ich beende den Anruf und atme tief durch, in der Hoffnung, etwas Ruhe zu finden, aber es funktioniert nicht. Vielleicht hat sich mein Vater in größere finanzielle Schwierigkeiten gebracht, als er verkraften kann. Aber würde er überhaupt denken, dass dieses Cottage etwas wert ist? Ich will nicht glauben, dass er so etwas hinter meinem Rücken tun könnte, aber ich muss zumindest herausfinden, ob er etwas darüber weiß.
Ich rufe ihn an.
»Donovan, schön von dir zu hören, mein Sohn. Wie ist die Lage in Pearl Lake?«
»Alles in Ordnung.« Das stimmt nicht wirklich, aber ich fange an, mich mit der Situation anzufreunden.
»Gut, gut. Ich bin froh, das zu hören. Teagan hat erzählt, wie wunderbar die Zeit mit dir gewesen sei. Aber sie vermisst dich. Sie hat dir gesagt, dass sie und Troy sich getrennt haben?«
»Ich vermisse sie auch. Und ja. Das hat sie.«
»Mmm.« Ich höre ein Klickern im Hintergrund, was bedeutet, dass er wahrscheinlich E-Mails beantwortet, während er mit mir telefoniert. »Es ist bedauerlich. Sie schienen so gut zusammenzupassen. Und er macht sich sehr gut im Finanzwesen. Er wäre ein verlässlicher Partner für sie gewesen.«
»Ja, nun, mit seinem Seitensprung hat er sein wahres Gesicht gezeigt, also finde ich, dass sie ohne ihn besser dran ist. Wie auch immer, ich wollte mich bei dir melden, um zu hören, wie die Dinge laufen. Sind wir bei den Ermittlungen, die fehlenden Gelder betreffend, vorangekommen?«
»Ich habe einen Bilanzbuchhalter, der die Sache für uns untersucht. Ich weiß, du kannst es kaum erwarten, wieder nach Chicago und ins 21. Jahrhundert zurückzukehren.« Er kichert, und ich werde daran erinnert, was für ein Snob er sein kann. Selbst als meine Mutter noch lebte, ist er selten, wenn überhaupt je, mit uns nach Pearl Lake gefahren.
»Danke, Dad, ich weiß das zu schätzen. Es ist vielleicht eine seltsame Frage, aber du weißt nicht zufällig etwas darüber, dass Grammy Bees Testament angefochten wird, oder? Du weißt, wenn es finanzielle Probleme gibt, kannst du immer mit mir reden.«
Das Klickern am anderen Ende der Leitung bricht ab. »Tut mir leid, was hast du gesagt?«
»Ich habe gerade einen Anruf von meinem Anwalt erhalten. Das Testament wird angefochten, aber er weiß noch nicht, von wem. Ich habe darauf hingearbeitet, alles auf meinen Namen umschreiben zu lassen, aber das kann nicht geschehen, bevor diese Sache nicht geklärt ist.«
»Nun, ich muss zugeben, dass es etwas unfair von Bee war, alles dir und nur dir zu überlassen.«
»Unfair? Teagan und Bradley haben beide Schecks bekommen«, blaffe ich los. »Keiner von ihnen wollte das Cottage haben. Ich bin der Einzige, der eine Bindung zu diesem Ort hat, und es war Bees Entscheidung.«
»Es gibt keinen Grund, sich darüber aufzuregen, Donovan. Es wird nichts ändern. Ich sage nur, dass es mich nicht überrascht, dass jemand das Testament anfechten will. Obwohl ich ehrlich gesagt nicht verstehe, warum sich jemand die Mühe macht. Das Haus ist baufällig, und das Grundstück, auf dem es steht, kann nicht bebaut werden, erst recht nicht auf dieser Seite des Sees. Nicht ohne Papierkrieg und jahrelangen Kampf mit der Gemeinde um Genehmigungen. Das macht mehr Kopfzerbrechen, als es wert ist. Dafür hat Bee gesorgt«, brummt Dad.
»Richtig. Ja, ja. Hatte Mom irgendwelche Verwandten, die denken könnten, dass es etwas wert ist?«
»Das ist möglich. Bee hatte eine Schwester, aber die ist schon lange verstorben, und ich glaube nicht, dass Bees Nichten und Neffen eine wirkliche Verbindung zu diesem Ort hatten. Wenn du willst, kann ich das hier nachprüfen. Ich weiß, du hast schon mehr als genug um die Ohren. Es tut mir leid, dass du dich auch noch damit herumschlagen musst.«
»Ja. Mir tut es auch leid. Ich gebe dir Bescheid, wenn ich mehr über das Wer und Warum erfahre.«
»Das Gleiche werde ich tun. Wir kriegen das alles hin. Versprochen.«
»Danke.« Ich beende den Anruf und bin verwirrter denn je.
Ich gehe zu Bernie, um zu unterschreiben, was er braucht, und mache mir Vorwürfe, dass ich nicht früher gehandelt habe. Bees Wünsche wären in Erfüllung gegangen, hätte ich diese Sache nicht hinausgezögert.
Auf dem Weg zum Anwalt treffe ich Billy. »Hey, Billy, wie geht’s?« Ich halte ihm die Tür auf und schaue mich auf dem Parkplatz um, auf der Suche nach Dillion oder einem bekannten Auto, aber ich sehe nichts.
Er runzelt verwirrt die Stirn. Dann hebt er das Kinn und kneift die Augen zusammen. »Wer sind Sie? Woher kennen Sie meinen Namen?«
Ich bin ihm nur wenige Male begegnet, und bei einer dieser Gelegenheiten war er so betrunken, dass er nicht mehr klar sehen konnte. »Ich bin Van. Ich wohne neben Ihnen, in Bees Cottage.«
»Oh, ja, richtig. Sie sind ein Freund von Dillion.« Er nickt knapp, und sieht sich um, und seine Augen verengen sich abermals. »Was tun Sie hier? Dillion hat Sie doch nicht hergeschickt, oder?«
»Äh, nein. Ich kümmere mich nur um das Testament meiner Großmutter. Ich weiß nicht, wie lange ich bleiben werde, aber wenn Sie warten wollen, kann ich Sie nach Hause fahren.«
»Ich komme klar«, sagt er schnell. »Ich habe alles im Griff.«
»Wenn Sie sich sicher sind?«
»Ja, bin ich. Trotzdem danke.« Er humpelt an mir vorbei und wirft die Krücken die kurze Treppe hinunter, dann legt er eine Hand auf das Geländer und hüpft hinterher.
Ich bin mir nicht sicher, wie er nach Hause kommen will, aber ich bezweifle, dass er auf Krücken zurückgehen wird. Es sind mehr als zwei Meilen, und die Hälfte davon besteht aus Feldwegen. Als er unten an der Treppe angekommen ist, holt er sein Handy hervor, daher nehme ich an, dass er eine Mitfahrgelegenheit organisiert. Ich mische mich nicht ein.
Fünfundvierzig Minuten später verlasse ich Bernies Büro. Der ganze Papierkram ist geordnet, aber ich habe immer noch keinerlei Informationen darüber, wer das Testament anfechten will und wie berechtigt die Ansprüche dieser Person sind.
Sowohl Dillion als auch Bernie können bestätigen, dass Grammy Bee zwar durchaus exzentrisch war, aber bei absolut klarem Verstand, als sie das Testament aufgesetzt hat.
Zurück im Cottage setze ich mich hin und gehe noch einmal alle Dokumente durch, um herauszufinden, was genau eigentlich los ist und ob es möglich ist, dass es mir jemand wegnimmt. Ich möchte nicht diese letzte Verbindung zu Bee verlieren. An diesem Cottage und dieser Stadt hängen für mich viel zu viele schöne Erinnerungen, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.
Dillion meldet sich gegen sechs und fragt, ob wir noch zum Abendessen verabredet seien. Ich habe jedes Zeitgefühl verloren. Ich schreibe ihr, dass ich sie unbedingt sehen wolle, dass wir aber vielleicht etwas zum Essen werden bestellen müssen. Fünf Minuten später steht sie vor meiner Tür, beladen mit Einkaufstüten voller Lebensmittel.
»Hey!« Ihr breites Lächeln verblasst. »Wow, hast du gestern Abend über die Stränge geschlagen?«
»Willst du damit sagen, dass ich nicht wie frisch vom Laufsteg aussehe?« Ich deute auf meine Jogginghose und mein löchriges T-Shirt. Was übrigens genau das ist, was ich heute Nachmittag in Bernies Büro an hatte.
Sie streicht mir mit dem Daumen sanft über die Wange, und ihr Blick wandert über mein Gesicht. »Du hast Ringe unter den Augen, und es sieht aus, als hättest du versucht, dir die Haare auszureißen. Ist alles in Ordnung?«
Ich fahre mir mit den Fingern durch meine Mähne, in der Hoffnung, sie zu bändigen. »Bernie hat heute angerufen und mir mitgeteilt, dass jemand das Testament anfechten will.«
Sie runzelt die Stirn, stellt die Tüten auf eine Theke, und dreht sich dann wieder zu mir um. »Was? Wie kann jemand das tun? Ist der Erbschein nicht bereits ausgestellt?«
»Ich habe heute den restlichen Papierkram unterschrieben, aber nichts davon ist offiziell schon eingereicht worden, also ist das Testament technisch gesehen immer noch anfechtbar.«
Sie nimmt meine Hand, führt mich zur Couch und zieht mich neben sich hinab. »Wer würde so etwas tun? Doch sicher nicht Teagan?«
»Nein. Definitiv nicht Teagan. Sie würde es mir sagen, wenn sie ein Problem mit dem Testament hätte.« Grammy Bee hat meinem Bruder und meiner Schwester jeweils einen versiegelten Umschlag mit einem Bankscheck hinterlassen. Von Teagan weiß ich, dass es sich um fünfzig Riesen gehandelt hat, und weder sie noch mein Bruder schienen zu diesem Zeitpunkt etwas dagegen zu haben. Ich bin mir sicher, dass Teagan ihren Scheck investiert und Bradley seinen verjubelt hat, da sie nicht auf die Testamentsvollstreckung warten mussten, um die Schecks einzulösen.
»Das dachte ich mir schon. Sie macht auf mich nicht den Eindruck, als würde sie dich hintergehen. Sie betet dich an. Was ist mit deinem Bruder?« Sie winkelt ein Knie an, sodass ihr Schienbein an der Außenseite meines Oberschenkels ruht, dann fährt sie mir mit den Fingern durchs Haar, vielleicht um es zu bändigen. Oder um mich zu beruhigen.
»Unwahrscheinlich. Das ist eine Menge Aufwand, und das Einzige, wofür er sich so verausgaben würde, wären Golf oder Frauen.«
»Verstehe. Okay.« Sie spielt weiter in meinem Haar. »Fällt dir sonst noch jemand ein? Ein entfernter Verwandter vielleicht?«
»Nein. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Ich habe meinen Vater angerufen, und er hat auch keine Ahnung. Ich schätze, es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir herausfinden, wer dahinter steckt.«
»Es tut mir so leid, Van.« Sie fädelt die Finger meiner freien Hand zwischen ihre. »Das ist wirklich das Letzte, was du jetzt brauchst. Was kann ich tun? Wie kann ich helfen?«
»Ich weiß nicht, ob man überhaupt etwas tun kann. Ich bin das Testament so oft durchgegangen, dass ich schon schiele.«
»Und wenn wir Bees Akten durchsehen? Vielleicht finden wir ja da etwas.«
»Da ist eine ganze Wand voller Aktenschränke.« Ich fühle mich einfach überrollt. Dieser Tag hat eine total unerwartete Wendung genommen, und in meinem Kopf dreht sich alles. Ich weiß nicht mehr, wem ich noch vertrauen oder glauben kann. Dass Dillion hier ist und bereit, alles stehen und liegen zu lassen, um zu helfen, überfordert mich beinahe.
»Ich weiß, es ist entmutigend, aber wenn wir es gemeinsam angehen, wird es leichter. Und wenn du die Sache jetzt nicht in Angriff nehmen willst, ist das auch okay.« Sie streicht mir mit dem Daumen über den Nacken, als wolle sie die Verspannungen dort lindern. »Was auch immer du willst, Van, ich bin für dich da. Sag mir, was du brauchst.«
»Ich möchte dieses Cottage nicht verlieren.« Und das nicht nur wegen der damit verbundenen Erinnerungen.
»Das weiß ich doch.« Ihr Lächeln ist sanft. »Und ich möchte es auch nicht. Wir werden gegen jeden kämpfen, der es dir wegnehmen will. Du wirst nicht noch mehr verlieren, als du bereits verloren hast.« Und genau in diesem Moment wird mir klar, dass viel mehr auf dem Spiel steht als dieses Haus und die Erinnerungen. Es musste erst alles wieder zusammenbrechen und Dillion zu meiner Unterstützung hier auftauchen, damit ich es erkennen konnte.
Denn obwohl ich noch nicht lange hier bin, habe ich mich bereits in Dillion verliebt. Und sie will ich auch nicht verlieren.