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PARANOID

Van

Ich stehe am Rande der Baumgruppe die mein Grundstück von Dillions trennen, und versuche zu verstehen, was ich gerade gesehen habe. Dillion mit meinem Bruder. Es macht keinen Sinn. Ich versuche, nicht überzureagieren. Vielleicht wollte er vorbeikommen und mich besuchen, und ich war unten am See, weshalb er bei Dillion vorbeigeschaut hat.

Vielleicht hatte es überhaupt nichts zu bedeuten, dass sie so dicht beieinander standen. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber ich verstehe nicht, warum er so kurz nach seinem Besuch wieder hier ist. Zumal er sich während des ganzen Aufenthalts nur beschwert hat. Jedenfalls wenn er nicht gerade betrunken war.

Dillions Bruder kommt aus dem Haus, also gehe ich zurück ins Cottage, immer noch auf der Suche nach einem Weg, die Dinge logisch zu betrachten. Ich gehe durchs Wohnzimmer und mein Blick bleibt auf einem gerahmten Foto von Bee und Dillion hängen. Sie sitzen auf der Veranda und schälen Pfirsiche, wahrscheinlich für eine Art Pastete, denn das war Grammy Bees Spezialität. Und Torten. Gott, wie ich die vermisse.

Mein Telefon klingelt, und ich schnappe es mir von der Küchentheke. Als der Name meines Bruders auf dem Display erscheint, dreht sich mir der Magen um. Ich nehme den Anruf entgegen, außerstande, ruhig zu bleiben. »Wieso bist du schon wieder in Pearl Lake?«

»Ich hatte etwas mit deiner Freundin zu besprechen. Sie ist ein ziemlicher Hitzkopf. Ich kann verstehen, warum du sie magst. Du warst schon immer ein Fan von Frauen, die zuerst gezähmt werden mussten.«

»Was hast du mit Dillion zu schaffen?«

»Offensichtlich bin ich derjenige, der in dieser Familie das Hirn hat. Ich bin es, der das Testament anficht, du Genie.«

»Warum um alles in der Welt tust du das? Dir gefällt es hier doch nicht einmal.« Aber noch während ich die Frage stelle, kenne ich die Antwort.

»Weil die Immobilie eine gute Anlagemöglichkeit ist, du Vollpfosten. Und weil du mehr bekommen hast, als dir zusteht. Das Cottage sollte durch drei geteilt werden, und weil du der Schleimer bist, hat sie dir mehr als deinen Anteil gegeben. Ich habe nachgeforscht, Bruder, und diese großen Villen auf der anderen Seite des Sees kosten Millionen. Sobald das Testament rückgängig gemacht ist, werde ich den Besitz neu bewerten lassen, und dann bekomme ich, was mir rechtmäßig zusteht.«

»Viel Glück dabei, denn das wird nie passieren.« Aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass es ihm doch gelingt, wird es eine Herausforderung sein, das Geld aufzutreiben, um ihn auszuzahlen, vor allem, wenn er das Anwesen in Parzellen verkaufen will. »Und ich verstehe nicht, warum du mir nicht gesagt hast, dass du ein Problem mit dem Testament hast, statt mich zu hintergehen.«

»Wozu? Ich wusste, dass du nie zustimmen würdest zu verkaufen. Mir ist klar, dass sich deine Arbeitsmoral von meiner unterscheidet, aber ich bin der Meinung, dass weniger mehr ist. Warum soll ich mir den Arsch für Geld aufreißen, wenn es da rumliegt und ich es mir nur zu nehmen brauche? Und das Beste daran ist, dass deine Freundin mir dabei helfen wird.«

»Warum zum Teufel sollte Dillion dir helfen? Das ergibt doch keinen Sinn.«

»Wirklich nicht? Komm schon, Donny, glaubst du ehrlich, dass sie so in dich verliebt ist? Sie hat ihr ganzes Leben neben einer Goldmine gelebt. Sie haust in einem verdammten Wohnwagen. Sie weiß genau, was Bees Grundstück wert ist. Stell dir vor, wie sehr ihre Familie davon profitiert, wenn das Land erschlossen wird. All diese Häuser, die gebaut werden. Die Firma ihres Vaters wäre gesichert, bis er in Rente geht. Es ging nie um dich, Van. Es ging von Anfang an um das, was du hast und was sie daraus machen kann. Sie ist durchtrieben und sucht nach einem Ausweg.«

»Das ist Blödsinn.«

»Ach ja? Nicht dass es wichtig wäre, denn ich habe einen Plan B. Sie ist ihrer Familie gegenüber ziemlich loyal. Sie ist von Chicago hierhergezogen, um im Familienbetrieb zu helfen, nachdem ihr Bruder wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet wurde. Was nicht gerade wünschenswert ist, wenn man sich auf jemanden verlässt, der schwere Maschinen bedient, oder? Wenn ich ein paar Familiengeheimnisse aufdecken würde, wäre das nicht gut fürs Geschäft, oder? Denk mal nach, Van. Glaubst du wirklich, dass sie sich in dieser Sache auf deine Seite schlagen würde statt auf die ihrer Familie? Wie auch immer, es war nett, mit dir zu plaudern, aber ich habe jetzt ein Treffen mit meinem Anwalt. Ich wünsche dir einen schönen Abend.«

Ich sitze da, starre auf das leere Display und versuche herauszufinden, ob Bradley den Verstand verloren hat. Oder ob ich meinen verloren habe.

Dillion taucht eine halbe Stunde später auf, frisch geduscht, die Haare noch feucht. »Hey. Wie war dein Tag?« Sie wirft eine Tüte mit Lebensmitteln auf die Theke. »Ich dachte, wir könnten uns zum Abendessen Hühnchen mit Mais machen. Hört sich das gut an?«

Ich forsche in ihren Zügen nach Anzeichen von Unbehagen, aber es scheint alles in Ordnung zu sein. Nicht so, als intrigiere sie hinter meinem Rücken mit meinem Bruder. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich denken, dass mein Bruder Psychospielchen mit mir treibt. »Klar. Das hört sich toll an.« Die Worte klingen hohl.

Sie lächelt und küsst mich im Vorbeigehen auf die Wange, aber sie stellt keinen Blickkontakt her, als sie zum Kühlschrank geht. »Willst du ein Bier oder etwas anderes?«

»Ich brauche nichts, danke.«

»Wir sollten den Mais draußen schälen, dann gibt es hinterher weniger aufzuräumen.« Sie schnappt sich ein Bier und die Alufolie, und ich folge ihr nach draußen auf die Veranda.

»Wie war dein Tag?« Ich nehme die Maiskolben, die sie mir reicht. Ich fühle mich wie unter Wasser und werde immer weiter nach unten gezogen, je länger ich hier sitze und auf etwas Ehrlichkeit von Dillion warte. Mein Bruder kann nicht recht haben, was sie angeht. Aber er hegt schon seit sehr langer Zeit einen unglaublichen Groll gegen mich und wartet nur auf eine Gelegenheit, mir eins auszuwischen. Ich weiß nicht, wem ich noch trauen kann.

Sie klopft auf den Stuhl neben ihrem. »Mein Tag war okay. Wie war es bei dir?«

»Ein ganz normaler Tag. Ich habe wieder mit Bernie gesprochen. Er weiß immer noch nicht, wer das Testament anfechten will, aber ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir es herausfinden.«

Sie fummelt an ihrem Maiskolben herum, und ich fange ihn auf, bevor er zu Boden fällt, und gebe ihn ihr zurück. »Danke.« Sie schenkt mir ein zittriges, kleines Lächeln. »Bernie wird dabei helfen, alles zu klären.«

Ich warte darauf, dass sie etwas sagt, während wir das Abendessen vorbereiten, aber sie tut es nicht. Stattdessen spricht sie über die Renovierung des Hauses der Bowmans und wie der Hausherr und seine Freunde alle diese intensiven Trainingseinheiten im See absolvieren.

Sie will gerade den Mais vom Grill nehmen, als ich ausraste. »Willst du mir nicht erzählen, warum mein Bruder bei dir war?«

Als sie dieses Mal den in Folie eingewickelten Mais fallen lässt, fange ich ihn nicht auf. »Was?«

»Ich habe dich heute mit ihm gesehen. Kurz bevor du hierhergekommen bist, um genau zu sein. Interessant, dass es nicht das Erste war, was du erwähnt hast.«

Sie schaltet den Grill aus und dreht sich zu mir um. »Was auch immer du denkst, Van, du liegst total falsch.«

Die Paranoia, die seit Wochen auf mir lastet, ist einfach zu groß. Das fehlende Geld der Stiftung und der Verlust meines Jobs, obwohl ich nichts getan habe. Und jetzt versucht mein Bruder auch noch, mit Bees Cottage Geld zu machen, indem er die einzige Person, der ich glaubte, wirklich vertrauen zu können, gegen mich aufbringt. »Wirklich? Denn so hört es sich nicht an.«

Ihre Augen flackern panisch. »Ich wollte es dir erzählen. Ich habe nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet.«

»Wirklich? Wann genau ist der richtige Zeitpunkt, um mir zu sagen, dass du mich hintergehst?«, explodiere ich und kann meine Frustration nicht länger unterdrücken. »Nachdem ich heute Nacht mit dir geschlafen hätte? Wäre das der richtige Zeitpunkt gewesen, um mir zu sagen, dass du hinter meinem Rücken mit meinem verdammten Bruder Pläne gegen mich ausheckst?«

Ein Muskel in Dillions Kiefer zuckt. »Das ist alles Blödsinn. Totaler Blödsinn. Und ich finde es ziemlich beleidigend, dass das dein erster Gedanke ist.«

»Was zum Teufel soll ich denn denken, Dillion? Du bist schon seit einer halben Stunde hier. Du hattest reichlich Gelegenheit, es mir zu erzählen, und du hast sie nicht genutzt.« Ich wollte ihr nichts unterstellen, aber erst jetzt, nachdem ich sie damit konfrontiert habe, hat sie die Wahrheit gesagt.

Sie lehnt sich an das Geländer. »Ich wollte zuerst mit Bernie sprechen.«

»Darauf wette ich. Damit du sehen kannst, wie viele Möglichkeiten du hast.« Ich gehe auf der Terrasse umher und bleibe einige Schritte von ihr entfernt stehen. »Bradley hat gleich nach eurem kleinen Treffen angerufen. Mach dir nicht die Mühe, mich zu belügen. Ich weiß, dass er dich bezahlt, damit du ihm dabei hilfst, das Testament anzufechten.«

Dillion verzieht die Lippen. »Glaubst du wirklich, ich würde dich so hintergehen? Gegen Bees Willen handeln? Überleg dir doch mal, was du da sagst. Wie kann das überhaupt einen Sinn ergeben?«

Ich fahre mir mit den Fingern grob durchs Haar. »Für mich macht das absolut Sinn! Du weißt bereits alles über Bees Finanzen. Auf jeden Fall weißt du mehr als ich.« Ich schlage mir unnötig fest auf die Brust und zeige dann mit dem Finger in ihre Richtung. »Du hast von all den Villen auf der anderen Seite des Sees gesprochen und wie toll das für deinen Vater und sein Geschäft war. Wenn dieses Haus abgerissen wird, ist es nur ein weiteres Projekt, mit dem deine Familie Geld verdienen kann, oder?« Seit der Strandparty habe ich Dillion vertraut und geglaubt, dass sie auf meiner Seite steht. Ich brauchte eine Boje, eine Rettungsleine, an der ich mich festhalten konnte, weil alles andere in meinem Leben in der Schwebe war.

Sie verschränkt die Arme vor der Brust und macht einen vorsichtigen Schritt auf die Verandastufen zu, weg von mir. »Wie kannst du glauben, dass ich dir so etwas antun würde? Oder Bee, was das betrifft? Wann habe ich jemals etwas getan, das dir das Gefühl gegeben hat, dass ich nicht auf deiner Seite bin?«

Ich atme tief durch; vielleicht verliere ich langsam den Verstand. Ich weiß nicht mehr, wem oder worauf ich vertrauen kann. Ich möchte glauben, dass Dillion mir oder Bee nichts Derartiges antun würde, aber ich hätte auch nie gedacht, dass mein Bruder aus Geldgier so tief sinken würde. All die Dinge, die er gesagt hat, schwirren in meinem Kopf herum und machen es mir unmöglich, vernünftig zu bleiben.

»Diese ganze Sache verwirrt mich, und vielleicht ziehe ich voreilige Schlüsse, aber sag mir ehrlich, Dillion« – meine Stimme ist jetzt leiser, ruhiger – »wenn du zwischen dem Schutz deiner Familie und mir wählen müsstest, selbst wenn das bedeuten würde, dass du in Bezug auf Bee lügen müsstest, wie würdest du dich entscheiden?«

Sie öffnet und schließt den Mund ein paarmal, mit einem flehenden, hoffnungslosen Ausdruck in den Augen. »Ich … kann das im Moment nicht beantworten. Deshalb wollte ich mit Bernie sprechen.«

Ich weiß nicht, was ich von ihr erwartet habe oder ob die Frage überhaupt fair war, aber ich fühle mich dadurch nicht besser. »Nun, ich glaube, ich habe meine Antwort.«

»Die Frage ist unvernünftig, und das weißt du.« Sie geht die Verandatreppe hinunter. »Ich brauche diesen Mist nicht.«

»Natürlich. Du gehst. Du willst nicht wahrhaben, dass du mich über die Klinge springen lassen wirst.« Ich sehe ein, dass mein Bruder sie in eine unmögliche Lage gebracht hat, aber ich hasse es, dass sie nicht ehrlich zu mir war. Es gibt keinen Ausweg, bei dem nicht einer von uns verletzt wird.

»Dein Bruder ist zu mir nach Hause gekommen und hat gedroht, das Geschäft meines Vaters zu ruinieren, wenn ich ihm nicht helfe, das Testament anzufechten. Er scheint auch zu glauben, dass er auf dem Land dort hinten einen Haufen riesiger Häuser bauen kann, ohne auf dem Weg dorthin auf Hindernisse zu stoßen, was bedeutet, dass er entweder an Wahnvorstellungen leidet oder ein kompletter Narzisst ist oder beides. Ich habe ihm im Wesentlichen gesagt, dass er sich zum Teufel scheren kann, aber er meinte, ich müsse ihn anhören, weil ich sonst die Konsequenzen bedauern würde. Ich hatte vor, zuerst mit Bernie zu sprechen, um sicherzustellen, dass die Informationen, die Bradley über meine Familie hat, sich nicht negativ auf ihr Geschäft und ihren Lebensunterhalt auswirken. Ich würde Bee niemals verraten, um keinen Preis. Aber ich muss sicherstellen, dass Bradleys Drohungen meiner Familie nicht schaden können. Und langsam glaube ich, dass er mir einen Gefallen getan hat, denn jetzt zeigst du dein wahres Gesicht, und was ich da sehe, gefällt mir nicht. Mein Bruder verliert den Verstand, dein Bruder versucht, mich zu erpressen, und jetzt wirfst du mir vor, dass ich … was? Dass ich mit dem größten Arschloch der Welt – abgesehen von dir – Mitleid habe?« Sie zeigt mir den Mittelfinger, geht auf den Pfad zu und ruft über ihre Schulter zurück: »Du kannst mich mal.«

Jetzt, da ich es von ihrer Seite höre, weiß ich, dass ich überreagiert habe, so wie mein Bruder, wenn er in einem seiner Lieblingsrestaurants nicht genau den Tisch bekommt, den er sich wünscht.

»Dillion, warte.«

Sie schüttelt den Kopf und stapft durch das Gebüsch.

Großartig. Jetzt habe ich die einzige Person weggestoßen, der ich glaubte, vertrauen zu können.