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Auf der anderen Seite des Flusses ragten die Kuppeln der Kirchen auf, und die Schönheit Moskaus war manchmal kaum zu fassen. Als er auf dem Flussufer am Kreml entlangfuhr, sah Arkadi, wie die Polizei Autofahrer an der Moskwa-Brücke umleiteten. Er hielt am Straßenrand an und stieg aus, um einen Verkehrspolizisten zu fragen, wer hier das Kommando hatte.

»Das wäre der Sergeant«, antwortete der Polizist. »Der macht, was er will. Das werden Sie sehen.«

Die sechsspurige Brücke war von sanftem Kerzenlicht beleuchtet und mit Blumensträußen in Zellophan übersät. Die Brücke hatte eine Geschichte. Ein heldenhafter politischer Aktivist namens Nemzow war vor zwei Jahren auf der Brücke ermordet worden. Er spazierte nach einem späten Abendessen mit seiner Freundin hier entlang, als er mit vier Schüssen aus einem vorbeifahrenden Auto getötet wurde. Am Morgen danach marschierten Tausende Demonstranten auf die Brücke und errichteten einen notdürftigen Altar mit Kerzen, roten Rosen, privaten Fotos und Gedichten. Der Altar blieb eine Zeitlang stehen, aber irgendwann ändert sich die Stimmung immer. Die Demonstranten wurden von Einsatzkräften mit Schutzhelmen und Schlagstöcken empfangen.

An diesem Abend, am Jahrestag des Mordes an Nemzow, sahen die Demonstranten, die in einer Reihe vor einem Bus standen, ein bisschen lädiert aus, nicht zerschlagen, aber verschrammt. Arkadi sah lila Haar aufblitzen. Er ging auf einen Sergeanten mit der dreieckigen Figur eines Gewichthebers zu, der demonstrativ die Faust ballte und wieder lockerte.

»Provokateure«, sagte der Sergeant. »Sie stellen den Altar auf, wir reißen ihn ab. Sie stellen ihn auf, wir reißen ihn ab.«

Die Säuberung begann. Straßenkehrer sprangen aus Lastern und stopften Blumensträuße, Fotos und politische Plakate in Müllsäcke. Kerzenhalter rollten klirrend über das Pflaster, Pizzakartons segelten durch die Luft und Rucksäcke lagen auf einem Haufen. Arkadi hob einen auf, der ihm bekannt vorkam, und fand darin Schenjas Schachbrett und seine Figuren. Er fühlte das borstige Klettband am Boden.

»Warum haben Sie diese Leute festgenommen?«

»Unsere Häftlinge? Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, schätze ich. Ist kaum der Mühe wert. Wir bringen sie aufs Revier und machen ihnen Angst, weiter nichts.«

Märtyrer machten Arkadi wahnsinnig. Hier waren etwas mehr als zwanzig Protestierer in Pelzmützen und Parkas. Ältere Paare klammerten sich aneinander, während die jüngeren Opfer sich darauf gefasst machten, das Krachen eines Schlagstocks an Kniescheibe, Ellenbogen oder Kopf zu spüren. Schenja versuchte, Sosi hinter sich zu verstecken. Schließlich bemerkte er Arkadi.

»Was machst du hier?«, fragte er.

Der Sergeant hinter Arkadi fragte: »Sie kennen diese Pfeife?«

»Ich bin hier, um ihn und seine Freundin zu kassieren«, sagte Arkadi.

»Weshalb?«, wollte Schenja wissen.

»Illegales Glücksspiel.« Arkadi hielt den Rucksack hoch. »Das ist das Beweisstück.«

Der Vorwurf war absurd, beinahe komisch, aber der Bluff konnte funktionieren, wenn Schenja nur die Klappe hielt.

Sosi blickte auf. »Wir brauchten Geld für Essen.«

Sie hatte also kapiert. Kluges Mädchen.

Arkadi reichte dem Sergeanten den Rucksack. »Schauen Sie im doppelten Boden nach. Ob Sie das Geld zur Anzeige bringen oder nicht, ist selbstverständlich Ihre Sache. Sie waren als Erster hier.«

»Wollen Sie mich verarschen?«, fragte der Sergeant.

»So gut ich kann.«

Schenja beherrschte sich, bis sie bei Arkadis Wagen angekommen waren.

»Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viel Geld das war?«, fragte er, als sie eingestiegen waren.

»Das ist wichtig? Geld? Ich leihe dir Geld. Hast du an Sosi gedacht? Sie hätte verletzt werden können.«

Schenja starrte verlegen aus dem Fenster wie ein kleiner Junge.

»Danke«, sagte Sosi.

»Ich danke dir nicht«, sagte Schenja.