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An diesem Freitagabend erwartete er lediglich fünf Ranger – Roland von der Company A, der gemeinsam mit Darren in Houston stationiert war; Buddy Watson, Company B, der in Henderson County südlich von Dallas arbeitete; Ricky Nuñez, Company G, der bis von Corpus Christi heraufgefahren war; Hector Martinez, Company E, Pecos County; und Patricia Nolan von der Company F in Austin. Darren wusste, dass es trotzdem ausufern konnte. Tatsächlich hoffte er sogar darauf; er brauchte eine Tarnung für das, was er vorhatte. Er hatte vier Kilo Fleisch und Hot-Link-Würste aus der Stadt mitgebracht und, Gott stehe ihm bei, tatsächlich geglaubt, er würde nichts trinken, auf den Schnaps verzichten, nur um zu beweisen, dass er es konnte. Aber er war echt dankbar wie ein Hund, dem man einen Knochen hinwarf, als Hector mit einer Flasche Tennessee Whiskey auftauchte und Patricia mit Mezcal und einem Margarita-Mix. Buddy und Roland bestückten den alten Frigidaire-Flair-Kühlschrank seiner Onkel mit Bier, Shiner Bock und Miller High Life. Alle hatten sich achtundvierzig Stunden dienstfrei genommen, hatten den Abend und nächsten Tag, um die Sau rauszulassen, denn es war für alle ein höllisch anstrengender Monat gewesen. Als er am Morgen in Houston aufgebrochen war, hatte Lisa ihm gesagt, dass er sich ruhig Zeit lassen solle – was neu war. Sie hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt, um ihn zum Abschied zu küssen, hatte Geist und Körper gestreckt, um ihre Unterstützung anzubieten. Seit den Wahlen vor vier Wochen hatte es im gesamten Staat über fünfzig hassmotivierte Gewalttaten gegeben, und Lisas Gefühle gegenüber seiner Dienstmarke waren nicht mehr so ablehnend. »Komm einfach heil wieder«, sagte sie.
Darren legte eine Platte von Ligthnin’ Hopkins auf den Plattenspieler, einen Blues mit zupfender Gitarre, der Buddy Watson dazu brachte, mit den Augen zu rollen und aufzustöhnen. Doch sie hatten folgende Regel aufgestellt: Der Gastgeber war Herr über die
Musik und den Speiseplan. Heute Abend gab es ein Barbecue, aber Rickys Frau hatte trotzdem Tamales für sie gemacht. Als er sie im Ofen aufwärmte, erfüllten sie das Haus mit einer rauchigen Süße, als die Maishülsen braun wurden und das Schweinefett tropfte und zischte. Von den ungefähr einhundertfünfzig Texas Rangern im Staatsdienst bildeten sie zwar nicht den Querschnitt des Departments ab, aber sie gehörten zu den wenigen, die zugaben, dass der Job um einiges leichter war, wenn man Gleichgesinnte hatte, mit denen man reden konnte. Drei schwarze Ranger, zwei Latinos und eine von zwei weißen Frauen, die dieser inoffiziellen Bruderschaft der Solidarität beigetreten waren. Vicki Brennan, eins der Gründungsmitglieder dieses nicht autorisierten Privatclubs, hatte nach der Wahl aufgehört, ihre E-Mails zu beantworten.
Sobald die Drinks eingeschenkt waren, begannen die Spekulationen.
»Was ist bloß in sie gefahren?«, sagte Patricia.
»Hat wahrscheinlich Angst«, meinte Ricky. Er trug ein schlichtes schwarzes Sweatshirt und dazu passende Wrangler und kippte zwei Bier, bevor er sich setzte.
Roland verzog das Gesicht. »Glaubst du wirklich, sie hat ihn gewählt?«
»Sollte keine Rolle spielen«, sagte Ricky. »Hier jedenfalls nicht.«
Er meinte die Gruppe, die Freundschaften, die sie geschmiedet hatten. Aber Patricia schnaubte nur und schüttelte den Kopf. »Und ob das eine Rolle spielt«, sagte sie. Mit sechsundzwanzig war sie die Jüngste, war bereits seit ihrem Akademieabschluss vor acht Jahren Ranger. Als ehemalige Basketballspielerin an der Sam Houston State war sie beinahe so groß wie Darren, blond mit einem langen Gesicht und merkwürdig zarten Zügen. Sie leckte das Salz von ihrem Glas ab.
»Vicki hat ein Auge auf die Zentrale geworfen, will aufsteigen«, sagte Roland. »Wir sind nicht verpflichtet, sie zu unseren Treffen einzuladen.« Er zupfte ein Klümpchen Tabak aus der Blechdose in der Brusttasche seines Hemds und schob es sich unter die Zunge.
Hector nickte mit seinem kahlrasierten Kopf. »Sie war schon immer eine von ihnen«, sagte er.
Er ging nicht näher darauf ein, wen er damit meinte. Trotzdem nickten alle.
»Wir alle müssen tun, was wir können, um das durchzustehen«, sagte Ricky, und die anderen Ranger im Raum stimmten zu. Nacheinander räumten sie ein, dass sich in den letzten vier Wochen etwas geändert hatte, nicht nur in der Welt insgesamt, sondern auch im Job. Sie hatten mit Dingen zu tun, die sie noch nie erlebt hatten, Geschichten, die sie nur von den Älteren im Department kannten: brennende Kirchen; die Verschandelung einer Moschee in Bryan; schwarze und braune Kinder, die in Speisesälen geschubst oder in Turnhallen angespuckt wurden; und eine Mexikanerin in kritischem Zustand, nachdem sie in Anwesenheit ihres Ehemanns und der drei Kinder auf dem Parkplatz eines Kroger in Fort Worth angegriffen worden war. Buddy sprach von einem Tummelplatz für Unruhestifter in der Nähe von Jefferson im Marion County. Er mochte in dem Zusammenhang sogar ein vermisstes Kind erwähnt haben. Aber vielleicht täuschte sich Darren auch.
Danach wurde alles ein bisschen verschwommen.
Er schaffte es, erst nach einer Stunde von Bier auf Whiskey umzusteigen, doch die Wirkung setzte rasch ein. Der Schnaps machte Wachs aus seinem Rückgrat; machte alles weicher an den Rändern, ließ ihn das Gerede über das Department vergessen, ihre Geschichten von der Front, von denen Darren keine hatte. Er saß im Augenblick in Houston fest, war in einem Maße gelangweilt, wie er es nicht einmal sich selbst einzugestehen wagte, aus Angst, dass sich hinter dem Wort eine tiefere Wahrheit versteckte, so melancholisch wie die Platte, die lief. Darren war deprimiert und voller Wut, die ihn von innen heraus zerfraß. Täglich wunderte er sich ganz benebelt vor Wut darüber, was eine Handvoll verängstigter Weißer einer Nation antun konnte. Nie mehr wollte er hören, wie sie den Sinn der Ausschreitungen in Ferguson oder Baltimore infrage stellten, und übrigens auch der in Watts und Los Angeles, den Grund, warum Schwarze ihre eigenen Viertel abfackelten – nachdem weiße Wähler gerade in einem Akt blinden Zorns ein Streichholz an das Land selbst gehalten hatten, das sie zu lieben behaupteten, aber nur dann, wenn sie es mit niemandem teilen mussten. Das war der Teil, der wehtat, der Schmerz, der bis ins Mark ging. Nachdem er jahrelang von dem Glauben an eine universelle Neigung zur Gerechtigkeit eingelullt worden war, sah er, wie wenig Freunde und Nachbarn an sein Leben
dachten, an sein Anrecht auf dieses Land.
Nach Obama war es Verrat an der Versöhnung.
Binnen Kurzem wurde der dritte Drink eingeschenkt, und als Hector ein paar Bier auf die hintere Veranda stellte und ein Päckchen Marlboro daneben legte, verlagerte sich die Party nach draußen. Patricia saß auf einem der grünen Gartenstühle aus Metall in eine Patchworkdecke gehüllt, die Darrens Großmutter noch vor seiner Geburt gefertigt hatte. Die abgewetzte Baumwolle roch nach den Zedernholzklötzen, mit denen sie den Flurschrank teilte, und der süßliche Duft mischte sich mit dem Pinienduft in der Luft. Es war kühl draußen und stockfinster hinter dem gelblichen Schein der Verandalampe. Roland, der nur außerhalb der Stadtgrenze schlief, wenn es gar nicht anders ging, zuckte jedes Mal zusammen, wenn er eine Eule rufen hörte. Bald schnorrte er Zigaretten von Hector und riskierte es, dass das jemand kommentierte. Buddy erzählte von der Dispatcherin in Corsicana, der er es dreimal die Woche besorgte. Sie kann einen Stein aus einem Pfirsich saugen
. Patricia nannte ihn einen widerlichen Mistkerl und warf ihm eine Limettenschale an den Kopf. Ricky war bereits am Einnicken, seine schwarzen Krokodillederstiefel über der Armlehne des kleinen Verandasofas, ein Kissen mit Wasserflecken zusammengefaltet unter dem Kopf. Sie hatten die Hintertür offen gelassen, und der Geruch von Tamales und Barbecue breitete sich in der Nachtluft aus. Darren saß der Wärme des Hauses am nächsten und horchte auf den Timer des Backofens.
Er schenkte sich einen vierten Drink ein und wunderte sich über seine Torheit, tatsächlich zu glauben, dass er sich mit dem braunen Zeug nicht bis obenhin volllaufen lassen würde. Seine Haut war gerötet. Ihm wurde warm unter dem grauen T-Shirt, das er trug. Genau genommen wurde er wütend, wütend auf sich selbst. Sein Verstand gab mit jedem Drink ein Stück Kontrolle ab, und er gestand sich ein, dass er heute Nachmittag mit Frank Vaughn mächtig ins Schleudern geraten war. Der Mann blufft, sagte er sich, ganz bestimmt. Aber wenn Vaughn zu ihm gekommen war, um einfach ins Blaue hinein zu ermitteln, hatte Darren doch heftig genug reagiert, um ihn davon zu überzeugen, dass er an der Sache dranbleiben sollte.
Ausgeschlossen, dass seine Mutter mit dem Bezirksstaatsanwalt
reden würde, oder?
Es ergab keinen Sinn, jedenfalls nicht in der Vorstellung von Bell Callis. Es würde ihr das Einzige nehmen, was sie immer gewollt hatte – die Aufmerksamkeit von einem der Mathews, ihren Sohn zu ihren Füßen zu haben. Wer würde sich um ihren Stellplatz und das Abwasserrohr der Toilette kümmern? Falls er ins Gefängnis ging, wer würde ihren Kühlschrank auffüllen und ihre Kabelfernsehrechnung bezahlen? Seine Mutter würde doch nicht absichtlich das Leben ihres einzigen Sohnes zerstören. Oder?
Lightnin’ hatte seine eigenen Ansichten darüber.
You got love just like hydrant … you know that turns it off and on
.
Das Zupfen der Gitarre war wie ein Finger, der in Darrens Wunden bohrte.
Lisa wusste nichts von dem Geld.
Sie kannte nicht die ganze Geschichte, keiner tat das.
Wem könnte er sie erzählen, mal im Ernst? Mit schweren Lidern betrachtete er die anderen, die auf seiner Veranda saßen, Patricia mit den bloßen Füßen auf dem Holzgeländer, und alle ziemlich angeschickert. Es wäre so einfach, es jetzt zu erzählen, den Klatsch und Tratsch und die Gespräche über die Arbeit mit einem Geständnis zu unterbrechen. He, Leute, ich bin in Schwierigkeiten
. Doch es wäre irgendwie rücksichtlos, ihnen diese Sache aufzubürden, Wissen, zu dem sie sich unter Eid bekennen müssten, falls es je so weit käme. Das Gleiche galt für Greg Heglund, einen seiner besten Freunde, aber auch ein Bundesagent. Darrens Onkel Clayton, ein ehemaliger Strafverteidiger und Professor für Verfassungsrecht, würde darauf bestehen, dass Darren sich einen Anwalt nahm – auch wenn er seinen Impuls, Mack zu beschützen, einen älteren Schwarzen, der beschuldigt wurde, einen miesen Rassistenarsch getötet zu haben, nachempfinden könnte –, aber Darren würde nicht darauf vertrauen, dass sich die Neuigkeiten nicht bis zu seinem Lieutenant in Houston herumsprächen. Wie viele Cops kannte Darren, die davon ausgingen, dass jemand schuldig war, wenn er sich »einen Anwalt nahm«, ein verfassungsmäßiges Recht, das irgendwie anrüchig war wie ein Betrugsdelikt?
Auf einmal wurde ihm bewusst, wie einsam er war, weil er
niemanden hatte, mit dem er über den Schlamassel reden konnte, den er angerichtet hatte, über das Geheimnis, das er seit Monaten mit sich herumtrug, über die Tatsache, dass er seine Mutter nicht gut genug kannte, um zu wissen, was sie in solch einer Situation tun würde. Und was Lisa tun würde, wenn er es ihr erzählte. Sie hatten gerade erst wieder zu einem guten Verhältnis gefunden. Wenn sie herausfand, dass er seine Freiheit und ihr gemeinsames Leben für Rutherford McMillan aufs Spiel setzte, würde sie das verstehen oder wäre sie dann fertig mit ihm? Er wusste es ehrlich nicht. Die beiden Frauen in seinem Leben waren Chiffren. Vom Whiskey gelöst driftete sein Geist zu einem ganz anderen Menschen. Randie Winston. Er hatte vergangenen Oktober den Mord an ihrem Mann in Lark aufgeklärt. Er dachte an den Abend, den sie in dieser Spelunke in Garrison verbracht hatten, direkt hinter der County-Grenze von Lark, wo sie sich bei Bourbon und billigem Wodka unterhalten hatten – über seine Ehe und ihre – und er kurz davor gewesen war, sein ganzes Leben offenzulegen. Er erinnerte sich daran, wie Randie beinahe seine Hand auf dem Tisch ergriffen hatte. Er glaubte noch immer, dass er an jenem Abend alles hätte gestehen können.
Sie hatte ihn danach zu erreichen versucht.
Nur eine Nachricht auf seiner Mailbox, in der sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie seinem Rat gefolgt und die Überreste ihres Mannes in der kleinen Stadt in Osttexas begraben hatte, wo er geboren war. Sie hatten recht
. Ihr Sinneswandel, Texas nicht mehr zu hassen, sondern den Einfluss auf den Mann, den sie einmal geliebt hatte, anzuerkennen, hatte ihn berührt, tat es noch immer. In seinem betrunkenen Zustand machte ihn der Gedanke daran trübselig. Es war einer seiner stolzesten Augenblicke als Ranger gewesen. Er lachte über eine Geschichte, die Buddy erzählte, obwohl er nur mit halbem Ohr zugehört hatte. Und dann sagte er sich, dass er wusste, was zu tun war. Heute Nacht
.
Er wartete, bis sie vom Alkohol hinüber waren oder schliefen. Patricia in Darrens ehemaligem Kinderzimmer und die anderen ausgestreckt auf irgendwelchen Möbeln im Wohnzimmer, wo fettgetränkte Pappteller und Bierflaschen den Holzfußboden übersäten. Es war fast zwei Uhr morgens, als er zu seinem Chevy-
Truck hinausging, der auf der Wiese vor dem Haus stand. Um diese Uhrzeit war die Luft frisch und angenehm in Camilla, was seinen erhitzten Gemütszustand beruhigte, als er mit heruntergelassenen Scheiben fuhr. Er war vorsichtig, fuhr die gesamte Strecke zehn Meilen unterhalb der erlaubten Höchstgeschwindigkeit und machte die Scheinwerfer aus, sobald er den Weg hinter dem Haus von Bells Vermieter – eine doppelte Spurrille, die zu ihrem Trailer führte – entlangfuhr.
Obwohl er auf eine Auseinandersetzung, falls nötig, gefasst war, stand weder Bells 92er Chevette vor ihrem Zuhause, noch waren irgendwelche Lichter in ihrem Trailer an. Ein paar Nächte verbrachten sie und Fisher, ihr Freund, in einer der leerstehenden Hütten am Lake Livingston, wo sie als Putzfrau arbeitete. Wahrscheinlich hatte er heute Nacht Glück. Im Lichtschein einer Taschenlampe suchte er jeden Zentimeter des Zwei-Zimmer-Trailers ab, wobei er mit geübter Sorgfalt vorging. Er begann in der Küche und arbeitete sich vom einen Ende der Blechkiste bis zum anderen vor. Er durchsuchte jeden Schrank, jede Schublade und jede Dose auf der Arbeitsfläche, inspizierte Kühlschrank und Eisfach und nahm sich sogar die Zeit, in der Spüle heißes Wasser über einen gräulichen Eisblock laufen zu lassen. Eine Rinderbrust, die locker drei Jahre alt war.
Die Pistole war nicht in der Küche.
Im Wohnzimmer auch nicht.
Er räumte den TV-Schrank aus, hob jedes Kissen auf dem schmalen Sofa hoch, das an die Wand montiert war. Das Badezimmer ergab ebenfalls nichts. Als er ihr Schlafzimmer durchwühlte, machte sich langsam Gewissheit breit. Die 38er war nicht unter der Matratze. Sie war weder in dem Schreibtisch neben der Tür noch unter der Teppichecke, die Darren mit bloßen Händen abgerissen hatte, wobei er sich an den Teppichklammern schnitt. Sie war in keinem der ramponierten Schuhkartons in ihrem Schrank, allerdings fand er Bilder seines Vaters, die er noch nie gesehen hatte, verblasste Fotografien von Darren »Duke« Mathews, als er gerade mal in der Highschool war. Ohne nachzudenken, steckte er die Polaroids ein, wobei sein Herz wie verrückt klopfte
Die Pistole war nicht da.
Er verspürte allerdings einen Hoffnungsschimmer, als er sich an den Zwischenraum unter dem Trailer erinnerte. Sie hatte einmal wochenlang eine Packung Toilettenpapier, die sie auf der Arbeit gestohlen hatte, unter den Bodendielen versteckt. Er sollte hinter dem billigen Gitter nachsehen, das um die Unterseite des Trailers herumführte, in dem knapp achtzig Zentimeter Kriechraum zwischen Bells Zuhause und dem kalten, harten Boden. In dem Moment, als er sich zur Eingangstür umdrehte, fiel Scheinwerferlicht durch das Frontfenster des Trailers und warf Schatten an die Rückwand. Er sprang rasch außer Sicht, presste sich an die Seitenwand und spähte aus dem Fenster in der Erwartung, die kastenförmige Silhouette vom Wagen seiner Mutter zu sehen. Aber nein, es waren die Umrisse eines Streifenwagens.
Darrens erster Gedanke war, zu verhindern, dass er erschossen wurde.
Mit der Marke in der offenen Handfläche seiner linken Hand trat er hinaus, wobei er die Hände nicht so sehr in die Höhe, sondern unterwürfig mehr nach vorn streckte. Erst als er am Fuß der Stufen anlangte, konnte er das Gesicht des Officers sehen. Er war ein Deputy, einer der jüngsten, die Darren je gesehen hatte, und obwohl Darrens Marke klar zu erkennen war, schwebte die Hand des Deputys über seiner Dienstwaffe. Darren stand reglos vor dem Trailer seiner Mutter und nannte seinen Namen und Titel. Der Deputy, ein weißer Junge mit schwarzer Igelfrisur, sagte: »Ich weiß, wer Sie sind.« Und trotzdem war seine Hand noch immer nur Zentimeter von seiner Pistole entfernt.
Darren blieb ganz ruhig und streckte ihm eine Hand entgegen, als hätten sie sich zufällig in der Stadt auf dem Postamt getroffen und stünden sich nicht am Schauplatz eines potenziellen Einbruchs gegenüber. »Ich kenne die meisten Männer und Frauen im Sheriffdepartment hier oben. Meiner Familie gehört seit achtzig Jahren ein Haus in Camilla«, sagte er, um seine Zugehörigkeit deutlich zu machen. »Sie müssen wohl neu sein.«
Der Junge schüttelte ihm nicht die Hand, sondern hielt seine noch immer dicht über der Waffe.
Er war nervös, ein bisschen unsicher ob der Situation, in die er da mitten in der Nacht hineingeraten war. Er bat Darren, die
Taschenlampe in seiner Rechten fallen zu lassen. Darren gehorchte und beobachtete, wie die Taschenlampe auf die Erde fiel und gut einen halben Meter auf den anderen zurollte. »Sind Sie im Dienst, Ranger?«
»Das Gleiche könnte ich Sie fragen, Deputy.«
»Ich habe einen Anruf vom Grundstückseigentümer weiter oben bekommen, der meinte, dass der Sohn seiner Mieterin hier herumspukt, obwohl sie gar nicht zu Hause ist, was ihr bestimmt nicht gefallen würde.« Darren hatte genug Whiskey im Blut, um sich zu fragen, ob das eine Lüge war, und um auf den paranoiden Gedanken zu kommen, dass ihm Frank Vaughn gefolgt war. »Haben Sie die Erlaubnis der Mieterin, sich in ihrem Trailer aufzuhalten, Sir?«
»Und ob, sie hat mir schließlich einen Schlüssel gegeben.«
Kaum hatte Darren die Worte ausgesprochen, fragte er sich, ob er die Eingangstür nicht sichtbar aufgehebelt hatte. Er redete weiter, damit der Deputy seine Aufmerksamkeit auf ihn und nicht auf die Eingangstür richtete. Er sprach aus, was ihm als Erstes in den Sinn kam. »Sie hat mich gebeten, die Katze zu füttern, während sie weg ist.«
Er war richtig zufrieden mit sich, mit der Einfachheit der Lüge.
»Katze?« Der Deputy ließ die Schultern sinken, und zum ersten Mal nahm er die Hand von seinem Holster weg. Es war dunkel, doch Darren meinte die Andeutung eines Lächelns zu sehen. Der Junge war erleichtert. Das hier wäre bald vorbei. »Ist die Katze denn drin?«, fragte er und reckte den Hals in Richtung Eingangstür.
Darren versperrte ihm die Sicht auf die Tür und sagte: »Genau das ist mein Problem. Sie ist rausgeschlüpft, und ich kann sie nicht finden.«
»Haben Sie unter dem Trailer nachgesehen? Ich helfe Ihnen dabei«, sagte der Deputy.
Er drehte sich zu seinem Streifenwagen um, und die Erleichterung darüber, dass das Ganze lediglich auf eine entwischte Katze hinauslief, verlieh seinem Gang eine gewisse Elastizität. Er wollte dem Texas Ranger nun unbedingt einen Gefallen tun. »Lassen Sie mich zurückstoßen und mit den Scheinwerfern unter den Trailer leuchten. Dann sehen Sie alles, was sich darunter versteckt.«
Darren wurde heiß im Nacken.
Er schüttelte den Kopf und sagte ihm, dass das nicht nötig sei.
»Ich habe meinen Truck«, sagte er energischer, als es angebracht war.
»Oh nein, der ist zu hoch. Da sehen Sie so gut wie gar nichts.«
Der Deputy ließ sich auf den Fahrersitz seines Streifenwagens gleiten, ließ den Motor an und positionierte sein Fahrzeug so, dass die Unterseite von Bells Trailer lichtüberflutet war. Er streckte ein Bein aus dem Wagen, um auszusteigen, und fragte Darren: »Soll ich mit drunter klettern?«
Darren schüttelte den Kopf und überlegte noch immer, wie er das Ganze beenden konnte.
Doch mittlerweile wäre es seltsam, sogar verdächtig, wenn er nicht wenigstens den Versuch unternähme, nach der Katze zu suchen. Der Katze
. Er verkniff sich ein bitteres Lachen. Das, wonach er unter dem Trailer seiner Mutter suchte, würde ihn ruinieren, wenn es unter dem wachsamen Blick eines Cops gefunden würde – einem Mitglied jener Strafverfolgungsbehörde, die gegen Darren ermitteln würde, falls Frank Vaughn eine weitere Grand Jury einberief, um im Mordfall von Ronnie Malvo zu ermitteln. Während der Deputy zusah, bog Darren ein Stück des Gitters zurück, ging auf alle viere und robbte unter dem Trailer von einem Ende zum anderen, wobei er sich in die Erde krallte und über jede kleine Erhebung schrappte. Er wusste nicht, ob er Erleichterung oder eine erstickende Angst verspürte, als er überhaupt nichts fand. Es war völlig unklar, was sie damit gemacht hatte. Die Waffe konnte überall sein.