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Sie durchsuchten das Haus trotzdem. Zwanzig Zimmer, darunter eine Bibliothek, ein separates Arbeitszimmer, ein Nähzimmer und ein Speisezimmer so groß, dass es auch als Ballsaal dienen konnte, wie es das am Ende des neunzehnten Jahrhunderts getan hatte, als sich die Familie von Rosemary King in Jefferson niedergelassen hatte. Ihre Ururgroßmutter, eine Witwe, die nach dem Verkauf der Familienplantage in Louisiana neu anfangen wollte, war zu einer Grand Dame der Jefferson’schen Gesellschaft geworden, nachdem sie das Cardinal gebaut und zu einem Herzstück des Selbstverständnisses der Stadt während der Dampfschiffära gemacht hatte, als diese die kosmopolitische Hauptstadt von Osttexas war. Sie heiratete nicht noch einmal, zog aber eine Tochter in dem Haus groß, in dem Rosemary King seit ihrer Geburt lebte. Im Esszimmer waren einst Gouverneure, Bankiers und Plantagenbesitzer aus fernen Orten wie Denton und Dallas bewirtet worden. Das Haus in der North Vale Street war laut Quinn das größte im Marion County und eins der Objekte auf dem Rundgang vorbei an historischen Häusern und Gärten in Jefferson.
Sie machte keine Einschränkungen bei der Durchsuchung und hielt sogar Roger zurück, als dieser Einspruch erhob. Mary führte den Sheriff und Darren durch das Haus, als wären sie normale Besucher, die man auf ihrer Suche nach der Toilette nicht sich selbst überlassen wollte. Darren fragte sie, ob sie je Mrs. Kings Enkel Levi begegnet sei. Sie sagte »Einmal«, wobei sie so leise sprach, dass Darren froh war, dass sich ihre Lippen bewegten und er sich die Antwort nicht nur eingebildet hatte. Obwohl sie an Quinn ein Guten Tag, Sir
gerichtet hatte, vermied Mary Augenkontakt mit Darren. Er fragte sich, ob es ihr unangenehm war, dass er sie in ihrer Dienstbotenuniform sah, ein zweireihiges Kragenkleid, das schlecht saß und noch vom letzten oder vorletzten Dienstmädchen stammte. Rosemary hatte gesagt, sie hätte noch nie einen schwarzen Gast in
ihrem Haus gehabt: Marys Demütigung war nur für weiße Besucher sichtbar gewesen – und somit irgendwie nicht öffentlich –, aber Darren, der ihren Dienstbotenstatus nun bezeugte, machte ihn erst wahr, und das nahm sie ihm anscheinend übel.
Es gab keinerlei Hinweise auf den Jungen im Haus, nicht einmal in dem Zimmer, das eindeutig für seine Besuche reserviert war – die, laut Rosemarys Auskunft selten waren. Es gab ein Doppelbett, das mit einer roten Tagesdecke mit Quarter Horses, Sätteln und Sporen verziert war. Die Wände waren hellblau gestrichen. In der Ecke stand ein Schreibtisch, auf dessen angefügtem Regal nur ein Buch stand: die King-James-Bibel, und die einzigen Spielzeuge im Zimmer waren ein Kipplaster aus Plastik, der kein Kind, das älter als fünf war, interessiert hätte, und ein auf dem Bauch liegender Plüschcockerspaniel. Der Raum hatte die gleiche trostlose Atmosphäre wie der, der für Bill Kings Rückkehr aus dem Gefängnis hergerichtet worden war, beide leer und unberührt.
Sie durchsuchten ebenfalls die Remise.
Clyde, Rosemarys Chauffeur, rauchte draußen vor dem Gebäude, das einen kupferfarbenen 53er Mercedes und einen neuen silbernen Cadillac, beide glänzend wie frisch geprägte Münzen, beherbergte. Er nickte Darren zu, sagte jedoch ebenfalls nichts. In keinem der Fahrzeuge gab es Spuren von Levi. Darren zuckte innerlich, als er sah, wie der Sheriff potenzielles Beweismaterial zerstörte, indem er in beiden Wagen mit bloßen Fingern über die Innenausstattung strich. Müssten sie die beiden Wagen nicht irgendwann gründlich untersuchen? Darren war sich nicht sicher, woher der Gedanke kam. Wollte er damit etwa sagen, dass die alte Dame mit dem Verschwinden ihres Enkels etwas zu tun hatte? Nicht unbedingt, aber mit irgendetwas hielt sie hinterm Berg. Wieso sonst hätte ihr Anwalt anwesend sein sollen? Als ehemaliger Jurastudent wusste er, dass es falsch war, so zu denken. Doch er mochte die Frau nicht. Einen Moment später erklärte Quinn ihre Arbeit für beendet. Weder entließ er Darren, noch lud er ihn ein, als er Briggs mitteilte, dass er ins Büro zurückfahren würde. »Ich sage Ihnen Bescheid, wenn wir etwas wegen des Durchsuchungsbeschlusses hören«, sagte er, bevor er sich umdrehte und die Auffahrt zu seinem Streifenwagen entlangging.
»Etwas stimmt nicht«, sagte Darren zu Wilson. Er berichtete von dem seltsamen Verhältnis zwischen Marnie und ihrem Freund Gil, wie eingeschüchtert sie von ihm war, davon, dass die Großmutter ihren Anwalt bei sich hatte und das County wegen eines Jungen aus einem Trailerpark nicht die geringste Eile an den Tag legte. Er sagte, dass er Quinn möge, aber niemand wirklich scharf darauf zu sein schien, das Kind zu finden. »Außer Bill King.«
»Ich kümmere mich darum, dass Sie ihm so bald wie möglich einen Besuch abstatten können.«
»Sofern er das Kind nicht in seiner Zelle versteckt, kann ich nicht erkennen, wofür das gut sein soll.«
»Bill King sitzt möglicherweise auf einem Berg von Beweisen gegen die ABT.«
»Er wird nicht reden«, sagte Darren und erinnerte sich an Rosemarys scharfen Ton, als sie ihm das mitteilte. Ihm war klar, dass er eine Show abzog, weil er nicht wollte, dass Wilson ihm anmerkte, wie dringend er mit King allein in einem Raum sein wollte.
»Wir kümmern uns darum«, sagte Wilson.
Darren fiel plötzlich wieder die Schwester ein, wie sie weinend in dem Trailer gestanden hatte, und er dachte laut darüber nach, wie er einen Weg finden konnte, allein mit ihr zu sprechen.
»Kommt nicht infrage. Das ist Sheriff Quinns Aufgabe. Marion County hat nicht um Unterstützung gebeten. Ihre Anwesenheit dort ist reine Höflichkeit seitens des Sheriffs. Verhalten Sie sich entsprechend.« Denk an deine Mission dort draußen, mahnte er sich. »Sorgen Sie nur dafür, dass Sie dabei sind, wenn der Trailer durchsucht wird.«
»Ja, Sir.«
»Sagen Sie mal, Mathews, Sie haben doch Frank Vaughn, dem Bezirksstaatsanwalt in San Jacinto County gegenüber nicht erwähnt, dass Ronnie Malvo ein Informant für die Sondereinheit war, oder?«
»Natürlich nicht«, sagte Darren und verspürte eine unerklärliche Angst davor, dass Wilson seine Gedanken lesen konnte, was er geplant hatte, um den Fall in eine andere Richtung zu lenken.
»Wieso?«
»Er hat in meinem Büro angerufen«, sagte Wilson und klang ratlos. Einen Moment lang sah er ihn vor sich, über einen Stapel dieser rosa
Nachrichtenzettel gebeugt, die seine Sekretärin noch immer benutzte. »Hat am Freitag und dann heute noch mal eine Nachricht hinterlassen. Hat beide Male Ihren Namen erwähnt. Ich wollte nur sichergehen, dass wir auf einer Wellenlänge sind, bevor ich zurückrufe.«
»Natürlich, Sir«, stieß Darren zackig hervor, fehlte nur noch, dass er die Hacken zusammenschlug. Wieso bloß rief Frank Vaughn seinen Chef an?
»Wegen Ihrer guten Arbeit in Lark haben Sie bei Leuten einen Stein im Brett, die vorher mit dem Finger auf Sie gezeigt haben, weil Sie mehr über die Geschichte mit Malvo wussten, als Sie rausgelassen haben. Halten Sie sich da jetzt raus, hören Sie? Konzentrieren Sie sich auf die Sache dort draußen in Jefferson, Mathews. Wir haben eine echte Chance, die Bruderschaft in Texas auszumerzen.«
»Verstanden«, sagte Darren ausdruckslos, bevor er den Anruf beendete.
Ihn ärgerte die Annahme, dass ausgerechnet er die Gefährlichkeit der Arischen Bruderschaft nicht verstand, dass ausgerechnet er seine Pflichten vernachlässigte, um diese spezielle Form von hausgemachtem Terrorismus zu bekämpfen. Es machte ihn ehrlich wütend und brachte sein Blut in Wallung. Er begriff die Bedrohung durch die Bruderschaft auf eine Weise, wie es Wilson nie täte, und belächelte insgeheim die Naivität seines Lieutenants. Darren glaubte im Grunde, es besser zu wissen, und das lag ihm schon seit Wochen schwer im Magen. Es verursachte ihm einen bitteren Geschmack im Mund und gab dem, was er empfand, einen Namen. Verzweiflung. Fernab von seiner täglichen Schinderei im Büro, dem ergebnislosen Durchforsten von Akten, das ihn vom Einsatz draußen abhielt, konnte er sich eingestehen, dass ein Teil von ihm diese Arbeit in den letzten Wochen völlig mechanisch getan hatte. In Wahrheit hatte er noch nie so sehr daran gezweifelt, dass die Bruderschaft und das, wofür sie stand, je ausgemerzt werden könnten. Es waren einfach zu viele; sie waren überall dort draußen, mit ihren Tattoos und Halstüchern. Das Land schien sie heimlich zu züchten, wie eine widerwärtige Pilzkrankheit, die sich an lichtlosen Orten ausbreitete, wo man nicht einmal hinzuschauen wagte. Das Land steckte in
größeren Schwierigkeiten, als irgendeine Sondereinheit bewältigen konnte. Darren wusste das besser als Wilson, vielleicht sogar besser als das gesamte Department, egal wie sehr er sich davor fürchtete, sich das einzugestehen. Er dachte an Levi King und klammerte sich an den Jungen wie an einen Hoffnungsschimmer. Wenn er den Hass auch nicht an einem Tag auslöschen konnte, konnte er doch einen Neunjährigen finden und sich gestatten, seinen Vater für den Mord an Malvo drankzukriegen.
Bill Kings Freiheit wäre der Preis für das Leben seines Sohns.
Er stand neben seinem Truck, der ein Stück vom Cardinal Hotel entfernt geparkt war, einem roten Backsteinbau, der einen ganzen Straßenblock umfasste, mit schwarzen Fensterläden und einem Balkon im ersten Stock, an dem vier Lone-Star-Flaggen wehten. Briggs stieg in dem Moment aus seinem Streifenwagen, als er sah, dass Darren sein Telefonat beendete. Er zog die beigefarbenen Hosen seiner Uniform hoch und fragte Darren, ob er nach einem Restaurant suche. Briggs’ Kumpel war Küchenchef im Steamboat Palace und könnte ihnen wahrscheinlich einen Tisch besorgen. Darren sah sich in den fast leeren Straßen im Zentrum von Jefferson um und unterdrückte ein Schmunzeln. Obwohl es erst vier Uhr nachmittags war, sagte er zu Briggs, dass er auf sein Zimmer gehen würde, bis er etwas über die Durchsuchung von Marnies und Gils Trailer hörte. Briggs erbot sich, ihm dabei zu helfen, sich in seinem Zimmer einzurichten, ein Auge auf alles zu haben, wie man es ihm aufgetragen hatte.
Darrens Antwort ließ ihn dumm dastehen. »Ich brauche niemanden, der mir beim Schlafen zusieht.«
»Aber der Sheriff hat gesagt …«
»Wenn ich das Hotel verlasse, melde ich mich, versprochen. Sie werden an meiner Seite sein«, sagte Darren. Briggs nickte, ihm gefiel die Vorstellung, gebraucht zu werden. »Für den Augenblick habe ich alles.«
Er griff nach der Reisetasche, die er stets in der Kabine seines Trucks hatte. Er warf sie sich über die Schulter und nickte Briggs zu. Die Rezeptionistin hatte ihn durch das Fenster gesehen und bereits »auf’s Haus« eingecheckt, als er die Lobby betrat, die stark dem
vergoldeten Wohnzimmer in Rosemary Kings Haus ähnelte. Nur dass dem Cardinal Hotel sein Alter auf eine Weise anzusehen war, wie man es weder bei Rosemary noch ihrem Zuhause konnte. Aus der Nähe betrachtet waren die Fußleisten zerkratzt und die roten Samtvorhänge staubig; in seinem Zimmer war der Flurteppich zum Badezimmer abgewetzt, in dem eine Badewanne mit Füßen stand, und eins der Fenster ließ sich nicht öffnen. Trotzdem strahlte der Ort Erhabenheit aus, atmete Geschichte auf eine majestätische und zugleich traurige Weise, der vergangene Ruhm in jeder kunstvollen Verzierung sichtbar. Ähnlich verhielt es sich mit der Stadt selbst. Darren setzte sich auf die Kante des Mahagonihimmelbetts, hörte, wie die Sprungfedern unter seinem Gewicht quietschten, und bemerkte den Geruch nach Rosenwasser und Staub. Er wartete, bis er sicher war, dass Briggs verschwunden war, ging wieder hinaus, stieg in seinen Truck und fuhr zurück nach Hopetown.
Darren wusste nicht einmal, wie der Junge aussah, und er hatte auch keinerlei Beweis dafür, dass Leroy Page tatsächlich der Letzte gewesen war, der den Jungen am Freitagabend gesehen hatte. Ohne Sheriff Quinn über seine Pläne ins Bild zu setzen, gab es nur eine Möglichkeit, ein Foto von Levi King in die Hände zu bekommen. Er saß über sein Lenkrad gebeugt – wobei er einen zweiten Anruf von Mack ignorierte –, um auf die grabentiefen Fahrspuren jenseits der Landstraße 727 und jeden von Unkraut überwucherten Pfad zu achten, damit er nicht die schmale unbefestigte Straße, die nach Hopetown führte, verpasste. Als er schließlich vor Marnies und Gils blauweißem Trailer hielt, waren seine Reifen von roter Erde überzogen. Die Sonne war hinter den Zypressen auf dem Caddo Lake im Westen verschwunden, und ein honigfarbenes Licht fiel durch das Spanische Moos und sprenkelte goldene Kreise auf die Wasseroberfläche. Landeinwärts umgaben Dutzende von Weihrauchkiefern und hundertjährige Eichen den Trailerpark und verliehen dem Ort eine angenehme, heimelige Atmosphäre, die er nicht verdiente.
Er hatte für die Leute hier draußen nichts übrig.
Zwei Trailer weiter brieten Marnies und Gils Nachbarn Fisch hinten in einem Van, der mit Aufklebern und an den Türen
befestigten Muscheln übersät war, und auf dem Gepäckträger klebten riesige Kristallsteine. In einem Fenster hing eine Gadsden-Flagge mit dem Schlangensymbol und der Aufschrift »DON’T TREAD ON ME« und hinter der Windschutzscheibe ein Strandhandtuch mit dem Staat Texas, auf dem sich die Dixie-Streifen kreuzten. Darren konnte das Ploppen und Zischen von Maismehl hören, das in siedendes Fett in einem Kessel getaucht wurde. Eine Weiße um die fünfzig stand neben einer Tankstellenkühlbox voll mit Dorsch und Seewolf und wendete ein weiteres Filet auf einem Plastikteller, der mit Maisgries und Mehl bedeckt war. Zwischen ihren rot bemalten Lippen baumelte eine Zigarette, und in dem Moment, als Darren aus seinem Truck stieg, sagte sie ganz unumwunden: »Nach Niggerdorf geht’s da lang.« Er ließ eine Hand in der Nähe seines 45er Colts in seinem Holster, als ein bärtiger Mann aus dem Van stieg, der sich unter dem Gewicht neigte. Er warf Darren einen Blick zu und pfiff, die Finger in die Mundwinkel gesteckt, bevor er rief: »Gil!«
Die Tür des blauweißen Trailers wurde auf einmal aufgestoßen und prallte von der Wand des Gefährts zurück, als Gil aus seinem Trailer trat. Er war noch immer barfuß, hatte jetzt jedoch eine 38er in dem Bund seiner Jeans stecken. »Was soll der Scheiß?«, sagte er. »Sofern Sie keinen Durchsuchungsbefehl haben, steigen Sie gefälligst wieder in Ihren Truck und verschwinden von hier.«
Der Typ von dem Van kam herüber, und innerhalb von Sekunden hieß es zwei gegen einen, und Darren dachte daran, dass er niemandem mitgeteilt hatte, wo er war. Er könnte seine Waffe ziehen, aber das wäre gegen jede Regel seines Deeskalationstrainings. Er ließ eine Hand neben seinem Colt und hob die andere vor sich hoch, um zu signalisieren, dass alle einen kühlen Kopf bewahren sollten. »Ich bin hier wegen Marnies Jungen«, sagte er.
»Haben Sie mit Rosemary gesprochen?«
»Wir haben ihr Haus und die Nebengebäude durchsucht«, antwortete Darren. »Er ist nicht dort.«
Ein seltsamer Ausdruck zuckte über Gils Gesicht. Darren meinte Angst aufblitzen zu sehen, gefolgt von einem langen, ungläubigen Blick. Er fuhr sich mit den Fingern durch sein offenes Haar und schüttelte den Kopf, als hätte Darren ihm gerade mitgeteilt, dass Wasser nicht nass ist. »Na ja, hier ist der kleine Mistkerl jedenfalls
nicht. Vielleicht ist er ja abgehauen. Marnie will es nicht glauben, aber er ist wirklich kein Heiliger.«
»Ich brauche Ihre Hilfe, Gil«, sagte Darren. »Für den Fall, dass das kein Ausbüchsen von zu Hause ist und der Junge irgendwo da draußen in Schwierigkeiten steckt.«
»Ich muss Ihnen nichts erzählen.«
»Wer ist das, Gil?«, fragte der bärtige Nachbar.
Die Frau mit den geschminkten Lippen fragte: »Bo, willst du deine Pistole, Schätzchen?«
»Ich bin ein Texas Ranger, und wenn Sie hier mit einer Pistole rumfuchteln, verhafte ich Sie auf der Stelle. Das hier geht Sie überhaupt nichts an. Gehen Sie, sofort.«
Gil gegenüber schlug Darren einen freundlicheren Ton an, weil es schließlich um einen Neunjährigen ging, den seit drei Tagen niemand mehr zu Gesicht bekommen hatte. »Ich muss nicht reinkommen. Ich hätte nur gern ein Foto von dem Jungen, etwas, das ich Ihren Nachbarn und den Leuten dort zeigen kann.« Er zeigte zu dem Teil von Hopetown, den die Frau, die den Fisch zubereitete, Niggerdorf
genannt hatte. »Sheriff Quinn wurde berichtet, dass ein Mann namens Leroy Page Levi vielleicht am Freitagabend gesehen hat. Es ist wichtig, dass wir das so schnell wie möglich verifizieren. Er ist im Augenblick unsere beste Spur.«
Der bärtige Nachbar nickte Gil zu. »Soll ich die anderen holen?«
Gil schüttelte den Kopf und deutete sogar ein Lächeln an, wobei er den Blick eines Wolfs hatte, der zufällig über einen verwundeten Weißwedelhirsch gestolpert war. Das wird einfach, sagte sein Gesicht. Er rief über die Schulter in den offen stehenden Trailer hinein: »Dana!« Zuerst kam Marnie heraus. Sie war unsicher auf den Beinen, und ihr Gesicht war vom Trinken gerötet. Darren würde diesen Gang überall erkennen. Dana, das Teenagermädchen, das er vorhin schon gesehen hatte, steckte als Nächste ihren Kopf heraus. Gil sagte zu ihr: »Hol dem Mann hier ein Foto von deinem Bruder. Eins aus der Schule, nicht von denen, die deine Mama gemacht hat. Jetzt gleich.« Dana verschwand in der Dunkelheit des Trailers.
Marnie wandte sich an Darren und schüttelte den Kopf. »Was sagt er, Gil?«, fragte sie mit vom Schnodder verstopfter Nase, bevor sie ein Schluchzen von sich gab und weinte. »Hat er meinen Jungen
nicht gefunden?«
Darren schüttelte den Kopf. »Nein, Ma’am.«
Er hörte einen Fernseher plärren. Jeopardy
oder Wheel of Fortune
oder etwas Ähnliches. Der Applaus war viel zu laut für einen so winzigen Trailer. Dana kam mit einem Foto in Passbildgröße zurück, das an den Ecken umgeknickt war. Sie erwiderte Darrens Blick, als sie es ihm reichte. In ihrem Gesicht sah er die gleichen schlammgrünen Augen, die ihn von dem Foto in seiner Hand anstarrten. Levi war blond, hatte helleres Haar als seine Mutter und Schwester und eine gewisse Ähnlichkeit mit Rosemary, etwas leicht Patrizierhaftes in seiner Haltung, das nicht zu der Welt um ihn herum passte. Und da war noch etwas. Man musste genau hinschauen, um es zu erkennen, doch es war da, in seinen Augen und in den leicht gekräuselten Lippen. Wut
.