10
Greg wollte die ungefähr zwanzig Meilen über die Grenze fahren, weil er das authentische Zeug haben wollte. Darren fühlte sich nicht wohl dabei, den Staat zu verlassen, nicht während er an einem Fall arbeitete. Doch er wollte auch nicht seinem Ersatzaufpasser, Deputy Briggs, in dem Flussschiffrestaurant über den Weg laufen, weshalb sie schließlich in einer Kneipe namens Froggy’s landeten, dem einzigen Ort im Zentrum von Jefferson, wo Darren sich in aller Ruhe einen echten Drink genehmigen konnte. Der Gumbo war eine dünne, fade Brühe mit harten Okrastückchen, die in einem öligen roten See schwammen, der völlig überpfeffert war –, doch der Schnaps war erstklassig. Darren bestellte einen Knob Creek pur, und Greg ließ sich gleich zwei Flaschen Bier auf den Tresen stellen, sodass sie sich die nächste halbe Stunde ungestört unterhalten konnten. Was für ein Anblick! Darren hatte seine Marke abgenommen und sah aus wie ein schwarzer Cowboy, der in den falschen Laden geraten war. Greg mit seinem maßgeschneiderten Anzug und seinen Budapestern stach wie ein Osterhase auf einem Weihnachtsmanntreffen hervor, ein komischer Vogel, mit dem nicht einmal Leute seiner Hautfarbe etwas anfangen konnten. Die anderen Weißen in der Kneipe trugen T-Shirt, Wrangler und Arbeitsstiefel.
Greg wollte Mr. Page für den Mord drankriegen.
Ein Mord, der, wie Darren ihm in Erinnerung bringen musste, noch nicht festgestellt worden war.
»Drei Tage, und niemand hat etwas von dem Kind gesehen oder gehört, und wie du selbst gesagt hast, weiß nicht einmal die Großmutter, wo er ist. Allerdings wissen wir von Leroy Page selbst, dass er der Letzte war, der den Jungen am Freitagabend gesehen hat.«
»Ein seltsames Eingeständnis für jemanden, der ein Kind getötet haben soll.«
»Oder schlau«, sagte Greg. »Erweckt den Eindruck, als wäre er ehrlich und kooperationsbereit.«
Darren dachte daran, wie er vorhin von dem alten Mann kurzerhand vor die Tür gesetzt worden war, als er darum gebeten hatte, sich umschauen zu dürfen. Als kooperativ würde er Leroy Page nicht beschreiben. »Was wäre das Motiv?«, fragte Darren, was nicht so abwegig klang, wie er sich gewünscht hätte. Er erschauerte bei dem Gedanken daran, wie er beiläufig selbst den Tod des Jungen in Betracht gezogen hatte. Er blickte kurz in sein Gesicht in dem Spiegel hinter der Bar, der mit rotem Flitter behängt war. Entweder warf der Spiegel ein verzerrtes Bild zurück, oder der Bourbon tat seine Wirkung in Lichtgeschwindigkeit, weil ihm der Mann, den er sah, grotesk vorkam. Die Hautfarbe wie von der Rinde einer sterbenden Eiche, aschfahl und grau, und hängende Schultern, die ihm bisher noch gar nicht aufgefallen waren. Seit die Sache mit Mack seinen Blick auf die Welt verändert hatte, war er nicht mehr er selbst, wusste nicht mehr, wann er auf der Seite des Gesetzes stand und wann er sich vertat.
Du verlierst die Orientierung , mein Sohn, hörte er Onkel William sagen. Lass dir von den anderen nicht deine Anständigkeit nehmen . Aber wieso lastet das mit der Anständigkeit immer auf uns?, hätte er gern gefragt.
»Weißt du, dass jemand Hundescheiße auf Mr. Pages Türschwelle hinterlassen hat?«
»Der Junge?«
»Was ich dir zu sagen versuche, ist, dass das Levis Rahmen sprengt. Weißt du, dass ein Mann in Margaret Goodfellows Haus eingebrochen ist und sich mitten in der Nacht über sie gebeugt und ihr gedroht hat, sie zu vergewaltigen? Eine achtzigjährige Frau? Weißt du, dass jemand Schüsse auf die Ställe abgefeuert hat? Man kann von Glück sagen, dass sie die Pferde des alten Mannes nicht erwischt haben. Jemand ist in seinen Bootsschuppen eingebrochen und hat einen Zweihundert-Dollar-Motor gestohlen.«
»Und das alles ist erst nach den Wahlen passiert?«, fragte Darren. Es passte zu einem Muster von Rassengewalt, die in den letzten Wochen aufgekommen war, wie ein geisterhafter Verwandter in einer Daguerreotypie, der immer da gewesen war und unmöglich länger ignoriert werden konnte.
»Das ist ein Zufall und hat nichts mit diesem Fall zu tun.«
»Ich dachte, du glaubst nicht an Zufälle«, sagte Darren. Er nickte dem Barkeeper zu, damit er ihm nachschenkte, obwohl Greg noch immer beim ersten Bier war.
»Das ist alles passiert, als Page beschloss, sein Land zu verkaufen.«
»An wen verkauft er?«
»An irgendeinen Immobilienentwikler in Longview, einen Mann namens Sandler Gaines.«
»Immobilienentwickler?«, fragte Darren, während er ein Notizbuch aus seiner Hosentasche zog und den Namen notierte. »Will der vielleicht alles abreißen und Eigentumswohnungen mit Seeblick bauen?«
»Wer weiß?«
Darren dachte an Margaret Goodfellow und ihre Familie, an ihre Häuser am Seeufer. Wie kam Leroy Page darauf, dass sie nicht gemeinsam mit allem anderen zerstört würden? Er dachte an den freundschaftlichen Tauschhandel von Eiern gegen Pekannüsse und Gemüse aus dem Garten. Das Angebot einer täglichen Mahlzeit und ein wenig Gesellschaft, und er spürte intensiv den Verlust von etwas, auf das er im Grunde keinen Anspruch hatte und von dessen Existenz er vor vierundzwanzig Stunden noch nicht einmal etwas gewusst hatte. Der Verkauf von Hopetown und seine Zerstörung schienen völlig undenkbar zu sein. Konnte Texas, das Denkmäler seiner eigenen Niederlagen und beschämenden Ereignisse stehen ließ, wirklich die Geschichte von Hopetown zerstören, einer Gemeinde, die allen Widrigkeiten zum Trotz – einschließlich des Auftauchens der ABT – aufgeblüht war?
Er fragte das Mädchen hinterm Tresen, ob es je von dem Ort gehört habe.
»Sklavensiedlung, draußen am nordöstlichen Seeufer?«
Sie war um die zwanzig und hatte dichtes schwarzes Haar und ein Gesicht, so blass und leuchtend wie Mondstein. Was wahrscheinlich Make-up war. Ihre Nägel waren lackiert und für die Branche zu lang, doch sie stand in der Öffentlichkeit, es war ihre Kleinstadtbühne. »Das ist nur so ’ne Altweibergeschichte«, sagte sie mit einem schwachen Grinsen, als glaubte sie, Darren würde sie auf den Arm nehmen, und als wollte sie zeigen, dass sie kein Dummkopf war. »Großmutter hat immer von entlaufenen Sklaven und Geistern auf dem Wasser erzählt, aber ich hab nie einen Schwarzen kennengelernt, der am See gewohnt hätte. Sie können nicht schwimmen«, sagte sie, und nicht, weil ihr nicht bewusst gewesen wäre, mit wem sie sprach, sondern weil sie ihn als Beweis dafür benutzte. »Sie müssen es wissen.«
Greg, der von ihrer Antwort enttäuscht war, schüttelte den Kopf, als sie sich einem anderen Gast zuwandte und im Gehen den Tresen mit einem Lappen abwischte. »Das war’s wohl mit meinen Plänen für die Nacht«, sagte er und verriet damit, dass er ein Auge auf das Mädchen geworfen hatte. Er warf noch einen Blick auf ihren wohlgenährten Hintern. »Vielleicht auch nicht.«
»Nicht schade drum«, sagte Darren.
»Überhaupt nicht, fürchte ich.«
»Marnies Freund, Gil Thomason, war er an irgendwelchen Schikanen in Hopetown beteiligt, den Drohungen gegen Mr. Page und die Caddo-Indianer?«
»Natürlich. Er ist das zuständige weiße Oberarschloch.«
»Himmel, Greg, sprich gefälligst leise.«
Doch niemand konnte George Straight übertönen, der aus den hochhängenden Lautsprechern dröhnte. Das änderte jedoch nichts daran, dass sie angestarrt wurden. Darren behielt zwei weiße Typen im Auge, die an dem Tisch an der Tür saßen. Einer der beiden – die Augen verschattet unter dem Schirm einer roten Baseballkappe, dessen weißen Schriftzug Darren nicht zu lesen brauchte, um zu wissen, wie er lautete – beobachtete Darren ein bisschen zu unverhohlen. Langsam zog Darren seine Marke aus der Hosentasche, hielt sie so, dass das bernsteinfarbene Licht der Neonschilder hinter der Bar darauf fiel, und legte sie auf den Eichenholztresen. Der Mann beugte sich über seinen Tisch und flüsterte seinem Saufkumpan etwas ins Ohr, und Darren drehte seinen Oberkörper so, dass er ihnen nicht den Rücken zukehrte und sein Holster besser zu sehen war. Greg sah das alles und machte Zeichen, dass er die Rechnung wollte. Darren befahl ihm, die Hand herunterzunehmen, und bestellte noch einen Bourbon, um klarzustellen, dass er nirgendwohin ging.
Greg wusste, was er da trieb. »Das ist es nicht wert, D.«
»Ich bin noch immer durstig.« Darren warf einen verächtlichen Blick zu dem anderen Tisch hinüber.
»Ich dachte, du hättest damit aufgehört«, sagte Greg und wies mit einem Nicken auf das dritte Glas Bourbon, das auf einmal vor Darren stand, der Greg mit einer Mischung aus Verärgerung und Verwirrung anblickte. Er und Greg hatten seit ihrer Begegnung in Lark nur zweimal miteinander gesprochen, und sein Trinken war beide Male kein Thema gewesen. Greg wirkte auf einmal, als hätte er einen Fehler begangen, als hätte er den Mund nicht aufmachen sollen. Er bestellte noch ein Bier, um zu zeigen, dass er ihn nicht verurteilte. Dann sagte er mit verkniffener Miene: »Lisa hat es mir gesagt.«
»Wann hast du mit Lisa gesprochen?«
So ungewöhnlich war das nicht. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie alle drei gleichermaßen miteinander befreundet waren. In der Highschool, wo sie sich kennengelernt hatten, waren Lisa und Greg sich genauso nah gewesen wie Greg und Darren. Sie waren alle Teil eines Verbands von Junganwälten gewesen, die in Scheinprozessen gegen junge Leute von überallher angetreten waren. Und während seiner Zeit an der juristischen Fakultät waren Lisa und Greg, die beide die University of Texas besuchten, weiterhin befreundet gewesen, während Darren aus dem Staat nach Chicago geflohen war. Doch im Laufe der Jahre hatten sie nur noch über ihre Verbindung zu Darren Kontakt. Für Greg war sie seine Frau. Für Lisa war Greg sein Freund. Sie unternahmen nichts mehr zusammen. Darren konnte sich nicht erinnern, wann das zur Gewohnheit geworden war, und er hatte sich auch nie darüber beschwert. Er war froh, die beiden jeweils für sich allein zu haben. Also wurde er bei der Vorstellung, dass die beiden ohne ihn miteinander geredet hatten, ganz unverhofft eifersüchtig.
»Wir sind uns im Bundesgericht in Houston über den Weg gelaufen.«
»Was machst du denn dort
Der Seitenhieb fiel heftiger aus, als Darren beabsichtigt hatte. Es war kein Geheimnis, dass von ihnen dreien Greg derjenige war, der beruflich hinterherhinkte. Als Prozessanwältin verdiente Lisa mehr als sie beide zusammen. Ihre Mandanten waren lokale und nationale Unternehmen, die die Dienste ihrer Kanzlei großzügig vergüteten. Doch Erfolg bemaß sich für Greg und Darren an der Zahl der Fälle, der Verbrecher, die irgendwo in einer Gefängniszelle saßen und sie verfluchten. Greg hatte mit seinen zweiundvierzig Jahren noch keinen großen Fall gelandet und noch nicht einmal die erste wacklige Sprosse auf der Karriereleiter des FBI erklommen. Die Verhaftungen in Lark im Herbst hatten ihm endlich das beschert, was er dringend wollte: Hassverbrechen untersuchen, das rassistische Erbe der Südstaaten endgültig auslöschen. Für Greg spielten diese Dinge eine wichtige Rolle; sie waren mit ein Grund, weshalb er zum FBI gegangen war. Aber Darren war nicht blind. Er wusste genauso gut wie Greg, dass man auch Karriere machen konnte, indem man einen älteren Schwarzen eines Hassverbrechens bezichtigte. Es wäre ungewöhnlich genug, um nationale Aufmerksamkeit zu garantieren, wenn er tatsächlich ausreichend Beweise dafür zusammentrug, dass der letzte Nachfahre einer Gemeinschaft freigelassener Sklaven auf Bundesebene dafür angeklagt wurde, ein Kind mit Verbindungen zur Arischen Bruderschaft von Texas getötet zu haben. Das würde Dateline und 20/20 und geifernde Fox News vor Gregs Haustür locken. Darren konnte schon die True-Crime-Doku bei Netflix sehen, die man daraus machen würde. Und er meinte, den Ehrgeiz an Greg förmlich zu riechen, einen üblen Zynismus, den seine Poren verströmten, so aufgestachelt war er angesichts der Chance auf einen großen Fall. Er trommelte mit seinen kurzen Fingernägeln auf den Tresen.
»Zumindest ist er ein Verdächtiger, das weißt du«, sagte Greg, als er Darrens misstrauische Miene sah. »Vielleicht hatte der alte Mann einfach genug.«
»Aber Mord? An einem Neunjährigen?«
»Wer weiß, was an dem Abend draußen beim Bootsschuppen passiert ist. Vielleicht hat ihn das Kind angegriffen, hat ihm eine Drohung an den Kopf geworfen, was der Freund seiner Mutter tun würde …«
»Selbstverteidigung«, sagte Darren. »Nur dazu haben Mr. Page und die Ureinwohner dort draußen gegriffen, um sich vor Schikanen zu schützen. Darf ich dich mal was fragen? Gibt es irgendwelche Beweise, dass Leroy Page rassistische Ansichten vertreten hat?«
Greg schenkte Darren ein betrübtes Lächeln, bevor er sagte: »HCIC, Head Cracker in Charge, weißer Obermacker, das ist ein wörtliches Zitat aus der Befragung von Mr. Page.«
Darren schüttelte den Kopf. Das war extrem unfair von Greg.
»Hör mal, ich bin genauso unglücklich über diese Sache wie du, aber …«
»Cracker und Nigger ist nicht das Gleiche, das weißt du genau«, sagte Darren.
»Stimmt«, sagte Greg leicht verstimmt darüber, dass Darren ihn nicht besser kannte. »Aber weißt du, wer eine solche Nuance nicht erkennt? Unser neuer Präsident.« Er machte eine verdrießliche Miene. »Das ist unser Dilemma. Wenn wir Hassverbrechen gegen Weiße nicht verfolgen – falls es eins ist«, sagte er, damit Darren ihn ausreden ließ, »wenn wir Verbrechen gegen Weiße nicht im selben Maße verfolgen wie gegen Schwarze …«
Darren lachte so laut auf, dass er sich am Bourbon verschluckte, der ihm in der Kehle brannte. Greg legte eine Hand auf Darrens Unterarm und blickte seinen Freund mit verdutzter und gleichzeitig gequälter Miene an. »Ich mein’s ernst, D. Kapierst du nicht, wer da demnächst ins Weiße Haus spaziert? Woran dieses Land ist? Wir stecken in Schwierigkeiten, Mann. Es gibt einen Grund für das, was ich tue. Ein Fall wie dieser würde dem Justizministerium deutlich machen, dass Hassverbrechen nicht irgendein liberaler Hokuspokus sind. Sie sind real und verheerend und inakzeptabel im amerikanischen Leben. Sie müssen kapieren, dass das FBI wirklich jedes Hassverbrechen ernst nimmt. Die Hoffnung ist, dass ein solcher Fall ihre Bereitschaft erhöht, im umgekehrten Fall ebenso zu ermitteln, also wenn ein Schwarzer getötet wurde, und dadurch eine Wende herbeigeführt wird.«
»Das soll also der Jackie Robinson der Hassverbrechen auf Bundesebene sein?«
Darren war leicht beschwipst; seine Toleranz hatte sich in den letzten Monaten aufgebraucht, war wie ein atrophierter Muskel, wenn er ihn am dringendsten brauchte. Er würde sich jetzt dem Bourbon hingeben, wenn er konnte, würde alles tun, um eine Unterhaltung über Leroy Page als dem Mörder eines Kindes zu vermeiden, das Körnchen Wahrheit in dem, was Greg gesagt hatte.
»Nein«, wehrte er die Sache ab. »Page hat alles verkauft. Er zieht in ein paar Wochen weg. Es ist vorbei. Und wir reden von einem Neunjährigen. Er kannte den Großvater des Jungen, Herrgott noch mal…«
»Ja, den Mann, dem er die Schuld dafür gibt, dass sich ein einstmals idyllisches schwarzes Dorf in eine Zuflucht für weiße Suprematisten und Sympathisanten der Bruderschaft verwandelt hat.«
Darren schüttelte den Kopf. »Sie waren Freunde, die beiden alten Männer.«
Aber Greg hielt an seiner Version fest.
Er bat Darren, sich vorzustellen, ein Nachfahre von Sklaven zu sein, was Darren mit einem Augenrollen quittierte: »Ich werd’s versuchen.«
»Stell dir vor«, sagte Greg, »du stammst von hart arbeitenden Leuten ab, die ihr Dorf buchstäblich auf Hoffnung gebaut haben, Hoffnung auf das, was Freiheit in Amerika für sie, die sich selbst versorgten und über hundert Jahre in gedeihlichem Frieden lebten, bedeuten könnte. Und dann kommen ein paar Weiße daher, die nichts haben und nichts sind, und gefährden, was du aufgebaut hast, indem sie sich dort breitmachen. Schlimmer noch, sie hassen dich für das, was du aus dem Nichts geschaffen hast. Sie hinterlassen Scheiße auf deiner Türschwelle. Buchstäblich. Sie bedrohen Menschen, die dir wichtig sind. Sie machen dir das Leben zur Hölle, dein Paradies zu einer Hölle auf Erden. Und dann, eines Abends, siehst du den Kleinen, wie er ganz allein ist. Nur ihr beide. Niemand sieht zu. Und vielleicht reißt er die Klappe auf, nennt dich einen Nigger . Und du rastest aus, kannst deinen Zorn nicht länger im Zaum halten, und es spielt keine Rolle, ob es ein neunjähriger Junge oder eine neunzigjährige Frau ist, du hast einfach die Nase voll. Schluss damit.«
Für Greg war das emotional nachvollziehbar, obgleich es nach einer energischen Strafverfolgung verlangte. Aber Darren – der sich an der Darstellung einer gewalttätigen Reaktion störte, mit der sich weder er noch seine Onkel, die ihn großgezogen hatten, jemals identifizieren konnten – kaufte ihm das nicht ab. Es machte ihm Spaß, eine kulturelle Trumpfkarte auszuspielen, und er sprach mit einer Bestimmtheit, gegen die sein Freund nicht ankam. »Schwarze sind nicht so«, sagte er. Sonst wärt ihr alle schon längst tot , hätte er am liebsten hinzugefügt. Stattdessen offerierte er die Sichtweise von Leroy Page. »Schwarze sind die versöhnlichsten Menschen der Welt.« Doch im selben Moment tippte ihm die Erinnerung an den Mann, der zugegeben hatte, Levi nicht zu mögen, auf die Schulter und verlangte seine Aufmerksamkeit. Er dachte daran, wie misstrauisch – sogar irgendwie komisch – der alte Mann geworden war, als Darren ihn bat, sein Haus durchsuchen zu dürfen, und ihn wie einen Verräter behandelte, weil er Fragen über das Verschwinden eines weißen Jungen stellte, und wieder hörte er Claytons Worte: Vergebung hat ihre Grenzen .