11
Das FBI hatte Greg in einem Motel am Highway 59 einquartiert, weshalb er Darren in seinem Ford Taurus die anderthalb Blocks zum Cardinal Hotel fuhr und, als Darren vor dem Gebäude die Beifahrertür öffnete, ihm die Arme entgegenstreckte. Im Lichtschein der gewölbten Innenlampe beugte er sich zu einer Umarmung vor, die in ein ungeschicktes Drücken von Unterarmen mündete, nachdem Darren es mit einem brüderlichen Händedruck versucht, Greg jedoch mehr gewollt hatte, eine Bestätigung, dass ihre Freundschaft trotz der schwierigen Unterhaltung heute Abend und der eindeutigen Richtung, in die Greg die Untersuchung lenken wollte, keinen Schaden genommen hatte. »Zwischen uns ist alles okay, ja?«, sagte er.
Darren fiel keine passende Antwort ein, doch die Frage berührte ihn. Er wusste, dass Greg das Herz auf dem rechten Fleck hatte, auch wenn er glaubte, dass sein Ehrgeiz seine Sicht auf die Ereignisse draußen in Hopetown womöglich beeinträchtigte, so wie Greg glaubte, dass Darrens zwanghaftes Pflichtgefühl gegenüber jedem Schwarzen, dem er über den Weg lief – vor allem denjenigen über fünfundsechzig –, seine Urteilsfähigkeit in Bezug auf Leroy Page trübte. Auch ohne von Mack und der Gefahr, die in San Jacinto County über Darren schwebte, zu wissen, spürte Greg, wie allein die Möglichkeit, dass Page in die Sache mit Levi King verwickelt sein könnte, seinem Freund Kummer bereitete. Die beiden Männer kannten einander wie Brüder. Würden sie sich trotz der Dinge, die möglicherweise als Nächstes in Marion County geschahen, noch lieben können? Nachdem die Umarmung schiefgegangen war, stießen Greg und Darren die Fäuste aneinander. Greg lächelte und sagte: »Ich freue mich für dich und Lisa, Alter.«
Sie waren sich also im Bundesgericht nicht einfach nur über den Weg gelaufen, sondern hatten genug Zeit miteinander verbracht, um auf Darrens Trinkerei und den Zustand ihrer Ehe einzugehen.
Vor dem Hotel lehnte Clyde, Rosemary Kings Chauffeur, wartend an der Fahrertür ihres silbernen Cadillacs. Darren sah auf seine Armbanduhr und fragte sich, ob Rosemarys Dinnerparty zu Ende war oder ob Clyde geschickt worden war, um einen ihrer Gäste abzuholen. Jedenfalls war er froh, den Mann allein anzutreffen. Er hatte sich bisher mit so wenigen Schwarzen in Jefferson richtig unterhalten, dass er keine Vorstellung davon hatte, was sie über Hopetown wussten, was ihnen die alte Sklavensiedlung bedeutete. »Ich dachte, die wär’n inzwischen alle weg«, sagte Clyde, als Darren ihn danach fragte.
Durch den offenen Fensterspalt hörte Darren einen mit rauchiger Stimme gesungenen, swingenden Blues, Musik, die Clyde im Wagen spielte, wenn sonst niemand in der Nähe war. I believe my soul’s found a happy home . Ruthie Foster. Darren kannte die Melodie, wusste, dass sie einst mit Jessie Mae Hemphill Aufnahmen gemacht hatte. Die Musik erinnerte ihn daran, dass er am Nachmittag in Mr. Pages Küche gewesen war, rief ihm den zweiten Vers von Jessie Maes Hymne ins Gedächtnis, die dort erklungen war, Liedzeilen, die er noch nie in einer anderen Version gehört hatte. I make heaven my home, I shall not be moved . Schwarze Musik hob die Herzen und Köpfe so oft auf eine andere Ebene, doch Darren war gleichzeitig bewusst, dass der Glaube wichtiger war als terra firma, dass er das sein musste, weil die materielle Welt voller Prüfungen und Drangsale war, voller Vergehen gegen Körper und Seele, gegen das Recht der Schwarzen auf ein Stück von diesem Land, auf seine Felder und Prärien, die sie einst bewirtschaftet und für die sie sich krummgemacht hatten.
»Oh nein, da draußen sind noch immer ein paar Leute«, sagte er über die alte Sklavensiedlung.
»Sie bleiben unter sich, hab noch nie einen von ihnen zu Gesicht bekommen. Die Alten haben immer erzählt, sie wären entflohene Sklaven, die sich nicht in die Stadt trauten. So wie ich die Geschichte von Jefferson verstehe, hat kein Weißer einen seiner Nigger einfach so ins Paradies entlassen, ohne ihn zu verfolgen. In dieser Stadt gibt’s so viele Märchen. Davon ist die Hälfte nicht wahr. Ich weiß nicht mal, ob der Ort wirklich existiert und nicht nur irgendeine Geschichte ist, die sich irgendwann mal jemand ausgedacht hat, ’ne Fantasie darüber, den Weißen zu entkommen.«
Darren nickte wissend angesichts der südlichen Denkweise. Er bedankte sich bei Clyde für das Gespräch. Der Chauffeur blickte zweimal über die Schulter, bevor er Darren einen Rat mit auf den Weg gab. »Seien Sie vorsichtig«, sagte er beinahe flüsternd. »Rosemary spielt nicht.«
Er wollte den Mann fragen, was er damit meinte, doch sein Handy klingelte.
Es war seine Frau.
Sie hatten nicht gesprochen, seit er Houston am Morgen verlassen hatte.
»Na«, sagte sie, als sie wusste, dass er allein in seinem Hotelzimmer war, ihre Stimme heiser, wie sie es oft nach zwanzig Uhr war. Sie hätte inzwischen eins seiner alten Sweatshirts angezogen. Er stellte sich vor, wie ihr Schlüsselbein unter dem über die Schulter gerutschten Stoff hervorlugte, und er verspürte ein sanftes Verlangen. »Ich habe nachgedacht«, sagte sie. »Vielleicht könnte ich dich diesmal ja besuchen.«
»Ich arbeite, Lisa.«
»Ich weiß, aber die Anhörung im Madison-Holding-Fall wurde um eine Woche verschoben, und ich könnte ein, zwei Tage freinehmen, zu dir rauffahren und dich umarmen.«
»Du willst vier Stunden fahren, um mich zu umarmen?«
»Vielleicht auch mehr als das?« Eine Pause entstand an ihrem Ende, und dann, fast so, als schämte sie sich dafür, flüsterte sie: »Ich vermisse dich.«
Darren schaltete das Deckenlicht im Wohnzimmer der Suite ein. Sie wirkte kleiner als vorhin, und alles war mit ochsenblutrotem Samt bedeckt. Er hing vor den Fenstern, war in die Tapete eingearbeitet und das Sofa war damit bezogen, auf das sich Darren setzte, um aus seinen Stiefeln zu schlüpfen.
»Ich vermisse dich auch. Aber ich bin nur ein paar Tage hier.«
»Du hast Dr. Long gehört, wir sind gerade an einem guten Punkt, und das letzte Mal, als wir getrennt waren, hat uns das geschadet, hat es die Dinge verändert …«
Sie sprach von seiner Zeit in Lark, natürlich, den vielen Tagen, die er in der Nähe einer anderen Frau verbracht hatte. Randies Name war während ihrer Beratungsgespräche nur einmal gefallen. Trotzdem war sie an den Rändern seines Bewusstseins noch immer da, ein schwacher Lichtschein in der Ferne, ein Fanal seines besseren Selbst, und Lisa kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass ihn da etwas Neues beschäftigte, sich in einer dunklen Ecke seines Herzens eingenistet hatte, an einem Ort, an den sie, seine Frau, vielleicht nie hinkommen würde. Sie beschuldigte Darren nie, sich mit Randie eingelassen zu haben, sondern, was viel grausamer war, mit einer Ehefrau unzufrieden zu sein, die ihn nicht so brauchte, wie die Witwe es getan hatte. Es ärgerte ihn, zu hören, wie Randie auf die Witwe reduziert wurde, doch instinktiv wusste er, dass er das besser für sich behielt. Seine Aufgabe in der stickigen Praxis der Therapeutin war es, zuzuhören. Er erzählte seiner Frau nie, dass Randie ihn eingeladen hatte, der Beisetzung ihres Mannes in Tyler beizuwohnen. Oder dass Randie erst vor ein paar Wochen eine Postkarte in sein Büro geschickt hatte, mit einem Foto des Torbogens vom Freedman’s Memorial Cemetery in Dallas, wo sie trotz ihrer Abneigung gegen alles Texanische einen Auftrag eines Start-up-Modelabels angenommen hatte. Sie sei noch eine Woche im Staat, hatte sie in kunstvoller Schrift geschrieben. Auch erzählte er seiner Frau nicht, dass er überlegt hatte, nach Dallas zu fahren, um Randie zu treffen und sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Er antwortete nie auf Randies Mailboxnachricht oder die Postkarte, doch Schuldgefühle nagten an ihm, weshalb er Lisa jetzt wider besseres Wissen sagte, dass es schon okay sei, wenn sie für eine Nacht nach Jefferson käme. »Zum Abendessen vielleicht. Aber mehr kann ich nicht versprechen.«
Lisa stieß ein kehliges Lachen aus und sagte: »Ich schon.«
Es war ein verspielter Flirt, und welcher Mann wollte nicht von seiner Frau begehrt werden. Doch Darren entging nicht das Bemühte daran, das beinahe Verzweifelte in der Bereitschaft seiner Frau, stundenlang zu fahren, um ihn im Arm zu halten, als wäre sie sich nicht sicher, ob ihre Ehe ein paar Tage der Trennung aushalten würde. Jetzt wollte sie, was sie so beiläufig ignoriert hatte, als sie ihn im Herbst aus ihrem gemeinsamen Zuhause geworfen hatte: das Geräusch von Darrens Atem an ihrem Rücken, wenn er seinen Körper nachts im Dunkeln an ihren schmiegte. Aber vier Sitzungen mit Dr. Long hatten den leisen Groll, den er verspürte, nicht zum Verschwinden gebracht.
Er hatte Schwierigkeiten, einzuschlafen. Er hörte Stimmen vor dem Schlafzimmerfenster, Frauen, die kicherten, und sogar ein paarmal ein mädchenhaftes Kreischen. Er durchquerte im Dunkeln das Zimmer, zog den Vorhang ein Stück zurück und sah eine Schar weißer Frauen mittleren Alters, deren Doppelkinne von Kerzen angestrahlt wurden, die sie hielten. Sie starrten direkt zu Darrens Zimmer hinauf. Nackt bis auf seine Boxershorts, wich er rasch in die Dunkelheit seines Zimmers zurück, das anscheinend von großem Interesse für die berühmte Geisterführung der Stadt war. Die nächste Gruppe kam fünfundvierzig Minuten später. Die gleiche Situation: Kerzen vor seinem Schlafzimmerfenster, während die Frauen mit aufgerissenem Mund zum Cardinal Hotel hinaufstarrten, vor allem zu Darrens Zimmer. Gelangweilt und schlaflos nahm er eine der Hotelbroschüren vom Nachttisch, las etwas über die grässliche Geschichte des Cardinals und erschrak, als er entdeckte, dass eine ganze Seite genau dem Zimmer gewidmet war, in das man ihn einquartiert hatte – die Gartensuite – und das ebenfalls in den Geisterbroschüren auftauchte, die vom Hotelpersonal auf seinem Nachttisch ausgelegt worden waren. Angeblich hatte sich eine Penelope Deschamps, geborene Penny Deckard aus Acadia Parish, Louisiana, mit einer Deringer mit Perlmuttgriff genau in diesem Zimmer erschossen, untröstlich über den Tod ihres Ehemannes in Louisiana und den Verlust ihrer Lieblingssklaven. Wie es hieß, residierte ihr Geist in dem berüchtigten Gartenzimmer, um sich am Schlafzimmerfenster den Passanten zu zeigen. Darren begriff das Ausmaß von Rosemarys Ablehnung ihm gegenüber erst, als ihm wieder einfiel, dass sie dafür gesorgt hatte, dass er genau in diesem Zimmer untergebracht und somit kein Auge zutun würde. Jefferson, Texas, pries sich selbst als oberste Spukstätte, und es gab nichts in seiner Geschichte, das man nicht zu Geld gemacht hätte; diese Geistertouren fanden womöglich die ganze Nacht hindurch statt. Er stürzte sich auf die Minibar, um Abhilfe zu schaffen. Er aß eine ganze Dose Pringles leer, leerte nacheinander zwei Bier und betete, dass Alkohol und Speisestärke ihn ausknocken würden. Der Schlaf übermannte ihn schließlich wie eine dunkle Welle, die an seinem Körper hinaufschwappte, bis sich ein angenehmes Gefühl in seiner Brust breit-machte und er spürte, wie seine Augenlider schwer wurden. Er träumte von Sklaven und Indianern, vom Wasser des Caddo Lake, von moosbedeckten Zypressen, die von allen Seiten näher rückten. Er meinte, Levi King hinter dieser hier zu sehen, nein, hinter der da. Der Junge versteckte sich. Er musste ihn nur fangen. Musste sich schneller bewegen. Doch das Wasser war schwer. Seine Kleidung war patschnass, als er sich durch den Sumpf bewegte und mit den Spitzen seiner Stiefel über den Seegrund strich. Und dann war er wieder in dem Bayou in Lark, und Randie stand am Ufer und beobachtete ihn. Sie lehnte an einer Weiß-Eiche und trug nichts außer dem weißen Mantel. Darren mied ihren Blick; selbst im Traum schien ihm bewusst zu sein, dass er sie sich halbnackt vorstellte, und es überlief ihn heiß vor Scham.
Er wachte mit einem Ständer auf.
Es verwirrte ihn beinahe so sehr wie die Feststellung, dass ihn etwas geweckt hatte: ein Lärm, der von irgendwoher in sein Zimmer drang. Er setzte sich auf und spürte blanke Angst, und wie eine winzige Armee in Habachtstellung sträubten sich ihm die Nackenhaare. Zuerst sah er die Waffe, in der Hand einer weißen Frau in einem weißen Rüschenkleid, das bis zum Hals zugeknöpft war, ihren durchdringenden Blick auf ihn gerichtet. Er war so unausgeschlafen, dass er zuerst glaubte, es sei Rosemary King, die eine kleine Pistole auf ihn richtete. Eine Deringer. Das war es also. Die Geschichte von Penelope Deschamps schoss ihm genau in dem Moment durch den Kopf, als er die Nachttischlampe einschaltete und die Frau verschwand. Er träumte noch immer, oder? Es musste einfach so sein.
Er hörte über sich ein dumpfes Poltern, gefolgt von einer gedämpften Frauenstimme. Darren begriff, dass der Lärm, der ihn geweckt hatte, aus dem Zimmer über ihm kam. Seiner Meinung nach handelte es sich um einen Zweikampf. Er glaubte zu hören, wie Möbel gegen Wände krachten, dann war es einen Moment lang still bis auf seine eigene beschleunigte Atmung. Und dann stieß eine Frauenstimme schrill aus: »Warte.« Oder war es Hilfe?
Er schnappte seine Waffe und rannte hinaus auf den Flur.
Er war barfuß, und der Teppich war rauer, als er aussah. Die Nadel über dem einzigen Hotelaufzug blieb beim ersten Stock stehen. Darren konnte sich nicht vorstellen, dass derjenige im Raum über ihm noch da wäre, wenn er auf den Aufzug wartete. Er öffnete die Tür zu einem schmucklosen Treppenhaus. Es stank nach verwelkten Blumen und Urin, obwohl von beidem nichts zu sehen war. Der erste Stock des Hotels hatte einen offenen Grundriss, sodass man von einer Galerie aus die Lobby im Erdgeschoss überblicken konnte und der riesige Kristall- und Messingleuchter jetzt auf Darrens Augenhöhe war. Er warf dolchförmige Farbprismen auf die Tür zu dem Zimmer über seinem. RM 107. Er pochte laut gegen die Tür, stieß mit der Schulter dagegen, um ihre Stabilität zu prüfen, und fragte sich, ob er wohl ihr Schloss aufbrechen könnte. Doch trotz der altmodischen Eleganz des Cardinal Hotels gehörte das Schloss zu einer modernen Schlüsselkartenanlage; die Tür bewegte sich nicht, und es öffnete auch niemand, als Darren rief: »Polizei!«. Er legte ein Ohr an die Tür, doch es herrschte völlige Stille. »Alles okay da drin?«
Die Tür des angrenzenden Zimmers ging auf, und heraus trat ein Mann in seinen Sechzigern. Er trug einen weißen Hotelbademantel, den er so eng um seinen Bauch gegürtet hatte wie Metzgergarn um einen Weihnachtsschinken. Er hatte das dichte Haar eines Teenagers, und ohne die Pomade hätte Darren ihn beinahe nicht erkannt. Als sich der Mann jedoch eine Locke aus dem Gesicht strich, fiel es Darren nach einem kurzen Blinzeln wieder ein: Er war der Mann, der vorhin die dunkelhaarige Frau zum Hotel gebracht hatte. Sie waren von Rosemary King gekommen. Und sie hatten beide etwas getrunken. Der Mann wirkte stocknüchtern jetzt. Mit einem amüsierten Ausdruck sah er Darren an, dem bewusst wurde, dass er lediglich seine Boxershorts trug. »Na, Sie sehen vielleicht aus«, sagte der Mann.
»Ich habe Zoff in Ihrem Nachbarzimmer gehört.«
»Das kann nicht sein. Da ist niemand.«
»Woher wissen Sie das, Sir?«
»Ich miete immer die Zimmer links und rechts von meinem, wenn ich reise. Wozu arbeite ich sonst so hart, stimmt’s?« Er schenkte Darren ein schmales Lächeln. Er war rotgesichtig … oder rot angelaufen. Seine Lippen waren prall und kirschrot, obwohl seine Haut vom Melaninmangel fleckig war. »Ich schlafe nicht besonders gut, und die Leute stellen ihren Fernseher viel zu laut.«
»Ich würde gerne das Zimmer durchsuchen«, sagte Darren und zeigte auf die 107. »Beide, wenn’s geht.«
Er durchsuchte schließlich alle drei Zimmer, die der Mann gebucht hatte, ohne etwas zu finden. Keine Frau in Bedrängnis, keine Anzeichen für einen Kampf, nichts Ungewöhnliches bis auf zwei rosa Schaumstoffwickler, die auf dem Nachttisch neben dem Bett lagen, in dem der Mann geschlafen hatte, als Darrens »Klopfen und Rufen« ihn geweckt hatten. Der Mann nahm die lose Haarlocke an der Stirn – die knapp acht Zentimeter länger war als das restliche Haar –, unterteilte sie in zwei Strähnen, wickelte sie jeweils um einen der rosa Schaumstoffwickler und fixierte diese. Darren, der halbnackt war, sah verblüfft dabei zu, wie sorgfältig der Mann dabei vorging, und fragte sich, wieso er ausgerechnet jetzt sein Haar für die Nacht aufwickelte, wenn er bereits geschlafen hatte. »Sie haben also nichts gehört?«, fragte er. »Keinen Tumult in einem der beiden Zimmer?«
»Keinen Pieps. Aber ich habe am Abend ganz schön gebechert.«
»Wo waren Sie, Sir?«
»Bei ’ner Dinnerparty.«
»Bei Rosemary King?«
»Ja.«
»Und wer war die Frau, die vorhin bei Ihnen war?«
»Sagen wir’s so, Ranger, auf meinen Reisen nehme ich alle möglichen Leute mit und frage selten nach dem Namen, damit ich mich dumm stellen kann, wenn die Gattin Fragen stellt.« Er saß jetzt auf der Kante des Kingsize-Bettes und war kurz davor, seine haarigen Beine unter die Bettdecke zu stecken, was eine unübersehbare Aufforderung an Darren war, zu gehen. »Ist das alles, Ranger?«
Seine ungerührte Art in Gegenwart eines Polizeibeamten störte Darren ebenfalls, aber er konnte nicht genau sagen, warum. Der Mann schien nicht das Geringste falsch gemacht zu haben, aber die Begegnung mit ihm hatte Darren verstört. Er hatte bestimmt etwas gehört. Oder nicht? Einen Moment lang zweifelte er an sich. Konnte er irgendetwas, das er heute Abend gesehen oder gehört hatte, glauben? Erschöpfung und billiger Hotelfusel hatten dazu geführt, dass er praktisch einen Geist in seinem Zimmer heraufbeschworen hatte. Vielleicht hatte er sich die Geräusche im oberen Stockwerk ebenfalls eingebildet. Vielleicht hatte er mehr getrunken, als er dachte. Vielleicht war dieser Rückfall gefährlicher, als ihm bewusst war. Es war zwei Uhr morgens, und er stand in Unterwäsche im Zimmer eines seltsamen Kerls. »Ich habe Ihren Namen nicht richtig verstanden«, sagte Darren.
Doch wie sich herausstellte, kannte er ihn bereits.
»Sandler Gaines«, sagte er.
Der Mann, der Hopetown kaufen wollte.