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Er wusste, dass man so etwas schon einmal in Louisiana versucht hatte, als er auf Margaret Goodfellows Veranda trat in der Hoffnung, sie zu Hause anzutreffen. Er hatte Greg eine Nachricht geschickt und sich nach Mr. Pages Zustand erkundigt und nur ein kurzes Stabil
als Antwort bekommen. Auf seiner Fahrt nach Hopetown hatte Darren versucht, sich an die Einzelheiten jenes Skandals zu erinnern, als die winzige Gruppe der Jena vom Stamm der Choctaw-Indianer versuchte, ein Reservat in Louisiana zu errichten, mit der Absicht, von der National Indian Gaming Commission eine Glückspiellizenz zu erwerben, was eine Genehmigung das Bureau of India Affairs in Washington erforderlich machte. Es war der berüchtigte Lobbyist Jack Abramoff gewesen, der Senatoren und Kongressabgeordnete, die von ihm großzügige Wahlkampfspenden erhalten hatten, dazu drängte, Briefe an das Innenministerium zu schreiben und diese kleine Gruppe von Indianern des »Reservatsshoppings« zu bezichtigen, weil sie versuchten, weit weg von ihrer ursprünglichen Heimat ein Unternehmen zu starten. Der eigentliche Grund für Abramoffs Vorstoß, ihren Antrag auf eine Glücksspiellizenz abzuwehren, war jedoch, dass sein Lobbyunternehmen bereits rivalisierende indianische Casinos in der Gegend vertrat. Das einzige indianische Casino mit Spielautomaten und Spieltischen in Texas war das Kickapoo Lucky Eagle Casino in der Grenzstadt Eagle Pass, wo, wenn man ausspuckte, die DNA auf der mexikanischen Seite landete. Aber falls Sandler Gaines eins in Jefferson eröffnete, hätte er ein Monopol auf Casinoglücksspiel im gesamten Ostteil des Staates.
Darren klopfte erneut an die Fliegengittertür mit der abgeplatzten gelben Farbe und horchte auf Schritte. Wenigstens das Baby war zu Hause. Darren hörte es kreischen und den fröhlichen Singsang eines Kinderfernsehprogramms. Er hoffte, Margaret würde ihm aufmachen, und nicht Donald oder sein Sohn. Doch es war Virginia, Donalds Frau. Sie trug das Baby ihrer Schwägerin Sadie auf der Hüfte. Sie schenkte Darren ein frostiges Lächeln und sagte: »
E’-nah
ist drin.« Sie trat beiseite, um ihn vorbeizulassen, und beobachtete Darren dabei, wie er seinen Hut abnahm. Sowohl auf dem Esstisch als auch auf den Möbeln im Wohnzimmer waren Stoffe in verschiedenen Stadien der Verarbeitung ausgebreitet. Fast fertige Kleider, ausgebesserte Fransentücher, Mokassins für das Baby, die von seiner Mutter Sadie oder Saku an den Spitzen zusammengenäht wurden. Sogar Ray, Donalds Sohn, hatte eine Nähmaschine vor sich, auf der er sorgfältig einen Stoffstreifen auf ein türkisfarbenes Herrenhemd nähte. Er sah Darren an, sagte jedoch nichts. Die Farben – meerblau und butterblumengelb, pink und rot – und das geschäftige Treiben wirkten auf den ersten Blick festlich. Doch es war das langsame, schwermütige Stimmen von Donalds Gitarre, das die Energie im Haus dämpfte. Margarets Sohn saß mit ein paar Cousins und Freunden in einer Ecke, wo sie ihre Instrumente vorbereiteten. Margaret trat aus einem Nachbarzimmer und trug ein ziegelrotes Kleid und einen weißen mit roten Blumen und blauen und grünen Schnörkeln bestickten und gesäumten Schal. Ihr graumeliertes Haar war zu einem Zopf geflochten, der mit einem runden silbernen Kamm geschmückt war, der sich an ihren Hinterkopf schmiegte. Der Zopf selbst war mit Schleifen, Lederbändern und Perlen durchsetzt. Sie blickte Darren an und legte sich die Hand auf die Brust. »Geht es Leroy gut?«
»Nach dem, was ich zuletzt gehört habe, ja.«
»Wenn er durchhält, werden die Geister kommen. Wir beginnen bei Sonnenuntergang mit dem Vine Dance, den wir uns von unseren Cherokee-Brüdern und Schwestern geborgt haben und der Leroy, dem Letzten seines Stammes, Gesundheit und Unversehrtheit bringen soll. Wir werden mehrere Tage beten und singen.«
»Mrs. Goodfellow.«
»Margaret, bitte. Oder tayshas
… für Freunde«, sagte sie mit einem Lächeln.
»Tayshas«, wiederholte er und hörte seine gesamte Welt in diesem einen Wort.
Texas. Freund.
»Was genau hat Leroy Ihnen über den Verkauf des Landes hier erzählt?«
»Das wir geschützt wären.«
»Indem das Land zu einem Caddo-Reservat gemacht würde?«
Margaret drehte sich zu ihrem Sohn Donald um und sagte: »Hol die Papiere, die auf meinem Bett liegen, mein Sohn.« Als er aufstand, verklangen die Gitarrentöne wie Nebel in der Morgendämmerung.
Darren hörte das Rattern von Rays Nähmaschine und das Klappern von Töpfen und Pfannen in der Küche. Er roch Rostbraten und wieder den rauchigen Geruch der schwarzen, geschmorten Bohnen, die Zwiebeln und das Chilipulver.
Als Donald zurückkam, zog er sich nicht wieder in seine Ecke zurück, sondern blieb in der Nähe seiner Mutter, als hätte das, worüber sich Darren und seine Mutter unterhielten, etwas mit ihm zu tun. Seine Mutter nahm ihm einen Stapel Papiere aus der Hand. »Die Frau hat alles erklärt. Sie war in Leroys Namen hier, der ihren Namen wahrscheinlich von Rosemary hatte.«
»Monica Maldonado.«
Der Name sagte Margaret nicht gleich etwas. Aber ihr Sohn nickte.
»Eine Latina«, sagte Darren, »ungefähr eins siebzig groß, langes schwarzes Haar.«
»Das ist sie«, sagte Donald. »Sie ist mit uns den Papierkram durchgegangen.«
Darren nahm Margaret die Papiere ab und sah einen Antrag an das Bureau of Indian Affairs wegen der bundesstaatlichen Anerkennung der Hasinai vom Stamm der Caddo-Indianer von Marion County, Texas. Beigefügt war ein historischer Bericht über Margaret Goodfellows Familie und ihre Verbindung zu dem Land. Das Wort angestammt
wurde mehr als einmal verwendet. Darren blätterte ihn durch und überflog die Worte, die eine Geschichte erzählten, die der ähnelte, die Marcus Aldrich ihm erzählt hatte, doch ohne viel Aufhebens darum zu machen, dass sie das Gesetz von Texas umgangen hatten, laut dem sie hätten nach Oklahoma übersiedeln müssen. Die ganze Sache schien aussichtslos zu sein, und trotzdem hatte jemand Chafee, Humboldt und Greene angeheuert, eine Kanzlei, die, wie ihm Lisa versichert hatte, noch immer genügend Verbindungen nach Washington hatte, um so etwas durchzuboxen.
Doch keine der Seiten war unterschrieben.
Darren fragte nach dem Grund.
»Sie sagte, sie würde wiederkommen«, bemerkte Ray.
»Wir haben hier in dem Zimmer gesessen und Hibiskustee getrunken«, sagte Margaret. »Ein nettes Ding, aber von der nervösen Sorte, hat an ihrer Uhr rumgefummelt und immer wieder den Vertrag durchgeblättert, so als wüsste sie, dass sie etwas vergessen hatte.«
»Es war auf der letzten Seite«, sagte Donald. »Sie hat uns mehrmals gefragt, ob wir sicher wären, und meinte, sie würde sich nicht wohl dabei fühlen, wenn sie ging und später feststellte, dass wir gar nicht richtig verstanden hätten, was wir da unterzeichnen. Deshalb wollte sie zuerst mit uns reden, wie sie meinte, und in ein paar Tagen mit einem Notar zurückkommen. Vielleicht, sagte sie, könnte man ein paar Dinge in dem Vertrag noch ändern.«
»Sie hat immer wieder in dem Vertrag gelesen und den Kopf geschüttelt. Sie hat darum gebeten, die Toilette benutzen zu dürfen, und sah aus, als wäre ihr nicht wohl, als sie zurückkam.«
»Oder als hätte sie geweint«, warf Virginia ein, die im Zimmer umhergegangen war.
Darren fragte, ob er sich setzen dürfe. Er wollte die Vorbereitungen für den, wie sie es nannten, Vine Dance, nicht durcheinanderbringen. Virginia packte einen Stapel Stoffe und Kleider weg, und Darren setzte sich in einen braunen Ledersessel, dessen Armlehnen so bleich waren wie der Bauch eines Hausschweins. Er schlug den Vertrag auf der letzten Seite auf, und sein Blick fiel auf einen der letzten Abschnitte. … DASS SÄMTLICHE MITGLIEDER DER HASINAI VOM STAMM DER CADDO-INDIANER VON MARION COUNTY, TEXAS, AUF DEN ANSPRUCH AUF ZUKÜNFTIGE EINNAHMEN ALS RESULTALT VON INDIANER-GLÜCKSSPIEL DIESEN STAMM BETREFFEND VERZICHTEN. ANTRÄGE, DIE IN UNSEREM NAMEN AN DIE INDIAN GAMING COMMISSION GERICHTET WERDEN, BERÜHREN § 11.2 NICHT. Darren blickte von dem Antrag zur Goodfellow-Familie auf. »Ist Ihnen klar, was das bedeutet?«
»Selbstverständlich«, sagte Margaret, »aber wir sagten ihr, dass wir auf das Glücksspiel gern verzichten, wenn das hilft, unseren Antrag durchzubringen. Wir wollen nur das Land. Das haben wir der Anwältin gesagt, aber sie wollte nicht, dass wir das hier
unterzeichnen.«
»Es ging nie um Geld«, fügte Donald hinzu.
Für jemand anders schon, dachte Darren.
Und Monica Maldonado wusste es, wusste, dass sie dabei half, sie zu betrügen.
»Und wie lauten die Verkaufsbedingungen?«, fragte Darren. Sie standen jetzt alle über ihn gebeugt und spürten, dass irgendetwas nicht stimmte: Sogar Sadie war aus der Küche gekommen. Sie hielt jetzt den Jungen auf dem Arm und hatte ein Geschirrhandtuch über der Schulter. Margaret ließ sich auf einen Stapel Kleider sinken, die Virginia beiseite geräumt hatte. »In Bezug auf den Teil des Grundstücks, der Ihnen gehören würde, und den, der für anderweitige Nutzung vorgesehen wäre?«
»Anderweitige Nutzung?«, sagte Donald.
Das Baby quengelte und würde gleich schreien. Sadie setzte es auf den Boden.
»Leroy kümmert sich um all das«, sagte Margaret, bevor sie Virginia bat, ihr ihre Pfeife und einen Flachmann mit Whiskey zu holen, den sie in einer Küchenschublade verwahrte. »Er arbeitet mit Rosemary King die Details des Verkaufs aus. Die historische Gesellschaft, sie überführen das Land in eine Stiftung, um es zu erhalten, zusammen mit unserem Zuhause hier.«
»Sie drängt sie hinaus«, sagte Darren, der es inzwischen kapiert hatte. »Rosemary.«
»Aber das hier«, sagte Donald und nahm Darren den Antrag aus der Hand. »Das hier würde uns zu einer souveränen Nation machen.«
»Auf Land, das Ihnen nicht gehört.«
Schweigen breitete sich aus, bis Margaret Ray befahl, mit dem Lärm aufzuhören. Er nahm den Fuß vom Pedal der Nähmaschine, und im ganzen Haus wurde es still, bis auf die Geräusche des Babys, das mit einer Feder, die es gefunden hatte, über den Boden robbte und die Virginia ihm aus der Hand nahm, bevor es sie sich in den Mund stecken konnte.
»Und sobald diese ›Stiftung‹, wenn es überhaupt eine ist, Hopetown besitzt, kann sie einen Teil des Landes verkaufen?«, fragte Virginia.
»Dann ist es also ein Trick«, sagte Donald.
Gib ihnen einen Quadratzentimeter, und sie reißen sich den gesamten Ort unter den Nagel
.
Margaret schüttelte ungläubig den Kopf. »Weiß Leroy das?«
»Wahrscheinlich hat er deshalb die Papiere noch nicht unterzeichnet«, sagte Darren, der sich an Erikas Zorn am Vortag erinnerte, und an die wirre Bemerkung ihres Vaters, die auf einmal viel mehr Sinn ergab. Rosemary könnte das jederzeit beenden
.
Mary, Mrs. Kings Dienstmädchen, versuchte Darren an der Haustür abzuweisen.
»Aber Sie haben keinen Termin, Sir«, sagte sie in gespielter Pflichterfüllung in Richtung der Rückseite des Hauses. Leise sagte sie zu Darren: »Gehen Sie, solange Sie noch können.« Später sollte ihm klarwerden, dass es mehr als Rosemarys Zorn war, wovor sie ihn warnte. Doch in diesem Augenblick schob er die dünne schwarze Frau – die ihre strahlend weiße Uniform schmutzig machte, als sie sich gegen die schwere Tür stemmte, um ihn am Hereinkommen zu hindern – so sanft wie möglich beiseite. Er habe eine Marke, sagte er, mehr brauche er nicht für einen Termin, und rief Rosemarys Namen, während er durch das Haus marschierte. Er traf sie in ihrem großen Arbeitszimmer an, das bis zur Decke mit Büchern vollgestellt war und wo mehrere samtbezogene Sessel und Polsterbänke in U-Form um einen imposanten Mahagonischreibtisch arrangiert waren, an dem Rosemary King saß und einen silbernen Brieföffner hielt, vor sich einen Stapel Post – sämtliche Briefe aus schwerem Papier und mit geprägten Umschlägen in cremeweiß und weiß. Sie blickte auf, sah Darren ohne eine Spur von Überraschung an – wobei sie eine Miene machte, als wollte sie sagen, dass man in Texas eben überall mit Ungeziefer rechnen musste, egal wie sehr man sich bemühte, es aus dem Haus fernzuhalten – und zeigte dann mit dem Brieföffner auf Mary, die sich auf der Türschwelle an den Türpfosten klammerte, wie sie es bei einem heftigen Gewitter vielleicht mit einem Baum getan hätte, um nicht zu Boden zu sinken.
»Holen Sie Roger ans Telefon.«
»Ich habe ihn daran zu hindern versucht, hereinzukommen …«
»Sofort!«
Aus irgendwelchen Gründen erwartete Darren, dass sie aufstand, sich gegen etwas verteidigte, was sie bereits erwartet hatte. Aber Rosemary wandte sich erneut ihrem Stapel Post zu und nahm Darren über den Rand ihrer Lesebrille hinweg kaum zur Kenntnis. Sie trug Reithosen und einen hellblauen Pullover mit Zopfmuster, der die Kälte in ihren Augen betonte, auch wenn sich das Feuer, das im Kamin rechts von ihr brannte, darin spiegelte.
»Sie haben also einen Handel mit Sandler Gaines gemacht – ein Casino für die Freiheit Ihres Sohnes?«
Sie schlitzte den nächsten Umschlag mit der Spitze des Brieföffners auf.
Mit einer gewissen Gleichgültigkeit sagte sie: »Sie wissen nicht, wovon Sie reden. Und wenn Sie mein Haus nicht augenblicklich verlassen, werden Sie nicht nur mit Sheriff Quinn fertigwerden müssen. Mir scheint, dass seinesgleichen Sie nicht aus der Ruhe bringt.«
»Es gibt gar keine Stiftung, nicht wahr?«, sagte Darren. »Das ist eine Scheingesellschaft, eine Lüge, die Sie sich ausgedacht haben, damit Leroy an Sie verkauft.«
»Das ist ein Annäherungsversuch«, sagte sie, bevor sie einen Umschlag mit ihrer rosa Zungenspitze ableckte und mit sorgfältiger Schrift ihren Namen quer auf die Vorderseite schrieb. »Seine Familie hat mich bestohlen, und ich habe ihm vergeben und ihm versprochen, dass seine Indianer geschützt wären.« Es war so viel falsch an dem, was sie da sagte, dass Darren einen Schritt zurücktrat und den Kopf schräg legte, als wollte er sie aus einem anderen Winkel betrachten. War diese Frau irre oder so verblendet, dass sie eine Gefahr darstellte wie früher ihr gewalttätiger Sohn? Nur dass sich bei ihr alles innerhalb der Vornehmheit dieses viktorianischen Herrenhauses abspielte. »Seine Familie hat Sie nicht bestohlen«, sagte Darren. »Sie haben nur ihr Leben gerettet.«
»Und sich dabei das Eigentum angeeignet, das meinen Verwandten gehörte.«
»Sich angeeignet?«
»Wer weiß, was aus meiner Ururgroßmutter geworden wäre, wenn sie die Gelegenheit gehabt hätte, ihre Sklaven zu verkaufen, bevor der Krieg zu Ende war.«
»Margaret Goodfellow und ihre Familie gehören genauso wenig Leroy Page, wie seine Familie je Ihnen gehört hat. Sie sind wie Verwandte. Und Sie wollten das dazu benutzen, um ihnen ihr Land zu stehlen.«
»Sie bekommen ihren eigenen, unabhängigen Bereich, ich weiß nicht, wieso sie das nicht begreifen wollen. Die ganze Gemeinschaft, der Stamm oder wie sie es sonst nennen wollen, besteht aus weniger als einem Dutzend Personen. Wie viel Platz brauchen sie denn? Ein Casino am Seeufer mit Flussfahrten auf einem alten Dampfschiff von Jefferson aus könnte für alle ein Segen sein. Wohlstand und all das. Es gibt Jobs für sie im Casino, wenn sie wollen. Ich sorge persönlich dafür.«
»Aber das wird nicht passieren, nicht wahr?«
»Wir haben noch Zeit«, sagte sie.
»Ihr Sohn, Rosemary, hat darum gebeten, es abzublasen. Er will das mit der Bewährung nicht durchziehen. Erst gestern hat er zugegeben, einen Mord an einem ABT-Kumpel in Auftrag gegeben zu haben.«
Jetzt stand Rosemary auf, wobei sie ihren Stuhl so kräftig zurückstieß, dass sich die beiden Vorderbeine kurz vom Boden hoben. Geräuschvoll trafen sie wieder auf dem Steinfußboden auf.
»Was haben Sie getan?«
»Nichts«, sagte Darren. »Es war seine Idee … und Marnies.« Er wusste, dass sie das auf hundertachtzig bringen würde, und genau da wollte er sie haben, weil sie in ihrem Zorn ihre Zunge nicht mehr hüten würde. »Er kommt nicht raus, Rosemary.«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie hassen einander. Unmöglich, dass sich die beiden das ausgedacht haben. Das würde er niemals tun. Bill weiß, wie sehr ich mir wünsche, ihn wieder zu Hause zu haben.«
Es war, als hätte ihr Liebhaber sie wegen einer anderen sitzen lassen.
»Den beiden ist wohl wichtiger, dass Levi wieder nach Hause kommt.«
Sie stieß ein gemeines, dreckiges Lachen aus. »Mein Enkel ist tot.«
Rosemary kehrte an ihren Platz am Schreibtisch zurück und ließ sich mit gespielter Trauer auf ihren Stuhl sinken, aber Darren wusste nicht, ob sie wirklich glaubte, was sie sagte.
»Was ist mit Monica Maldonado?«, fragte er. »Haben Sie ihre Kanzlei beauftragt oder Sandler Gaines, oder macht das überhaupt einen Unterschied?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob Sie das etwas angeht.«
»Wenn sie verschwunden ist, schon.«
»Du meine Güte, haben Sie durch Ihren Aufenthalt in Jefferson Geschmack an Lügenmärchen gefunden? Wohl zu viele unserer Geistergeschichten gelesen, Mr. Mathews?«
»Es heißt Ranger.«
Sie zuckte leicht mit den Achseln, als wäre ihr das egal.
»Wollen Sie etwa behaupten, Sie wären ihr nie begegnet?«, fragte er.
»Ganz und gar nicht, Ranger. Sie haben selbst gesagt, dass man sie beim Verlassen meiner Dinnerparty gesehen hätte, auf der sie, wenn ich mich recht erinnere, mehreren Gästen erzählt hat, dass sie sich den See anschauen wollte, dass sie vorhatte, in Uncertain ein kleines Boot zu mieten, bevor sie Texas wieder verließ.«
»Ein Boot?«
»Ich glaube, ein paar meiner Gäste können bestätigen, dass sie ihr gegenüber genau diese Empfindung zum Ausdruck gebracht haben.«
»Wissen Sie, was ich denke? Ich denke, Monica hat kalte Füße bekommen wegen dem, worum man sie gebeten hatte, und hat mit Ihnen und Sandler darüber gesprochen, und als Ihnen klar wurde, dass sie Margarets Familie womöglich erzählen würde, was wirklich los war, und diese nicht unterzeichnen würde …«
»Was dann? Soll ich das arme Mädchen etwa umgebracht haben?«
»Ich habe nichts von Mord gesagt.«
Er dachte wieder an die Geräusche, die dumpfen, wiederholten Schläge. Hatte jemand ihren Kopf gegen die Wand geschlagen, bis sie bewusstlos war oder Schlimmeres? War dabei ihr Haarkamm zerbrochen? Als Darren an dem Abend sein Zimmer verlassen hatte, war der Aufzug bereits im ersten Stock gewesen, weshalb er die Treppe genommen hatte. War Rosemary gerade dabei gewesen, sie verschwinden zu lassen? Schwer vorstellbar, außer sie hatte Hilfe gehabt. Plötzlich sah er Clyde vor sich, wie er vor dem Cardinal Hotel gewartet hatte, stets zu Rosemarys Diensten.
»Ranger, mein lieber Junge, haben Sie eine Ahnung, wie viele
Menschen auf dem See verschwinden? Vielleicht hatte sie einen Unfall. Oder sie hat ein paar schlechte Austern gegessen. Es wird nichts an dem ändern, was in Hopetown passiert.«
»Und wenn Leroy den Kaufvertrag nicht unterschreibt?«
»Das wird er«, sagte sie. »Oder er wandert ins Gefängnis.«
Darren stand vor ihrem Schreibtisch und spürte, wie die Wärme des Kaminfeuers von seinen Fußspitzen bis zu seinen Oberschenkeln hinaufkroch. Er versuchte sich einen Reim auf das zu machen, was sie gesagt hatte, als er Schritte hinter sich hörte und English-Leather-Aftershave roch.
»Roger, Gott sei Dank«, sagte sie und kam um den Schreibtisch herum. Sie ging zu Roger hinüber und ergriff seine Hände. »Er ist einfach hier hereingeplatzt.«
»Ranger Mathews, ich fürchte, wenn Sie keinen Durchsuchungsbeschluss haben, der von einem Richter vom Marion County unterzeichnet ist, muss ich Sie bitten, das Anwesen zu verlassen.«
Aber Darren ging nicht. Er rührte sich nicht vom Fleck.
Er dachte über ihre Worte nach. Oder er wandert ins Gefängnis
.
Dass Leroy Page ins Gefängnis ging, war nur möglich, wenn die Vorwürfe wahr waren, wenn niemand ihren Enkel je lebend finden würde.
»Herrgott noch mal«, sagte Rosemary und kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück, wo sie den Knopf einer Sprechanlage drückte und das Wort »Sofort« bellte.
Darren dachte, sie würde Mary Bescheid sagen, dass Roger angekommen sei, doch sein Instinkt verriet ihm, dass das keinen Sinn ergab. Einen Moment später füllte eine massige Gestalt den Türrahmen aus, und Roger machte ein quiekendes Geräusch und rief: »Ich darf nicht hier sein. Himmel noch mal, Rosemary, ich darf dabei einfach nicht anwesend sein.« Er huschte in dem Moment zur Tür hinaus, in dem Bo, Gil Thomasons rotbärtiger Nachbar, hereingestürmt kam. Er hob Darren hoch und knallte ihn mit solcher Wucht auf den Tisch, dass Briefe herumflogen und sich der silberne Brieföffner in Darrens Rücken bohrte. Einen Moment lang stand er unter Schock. Nie zuvor hatte er erlebt, dass jemand seine Marke mit solcher Verve und ohne jede Angst missachtete. Der Kerl verpasste
Darren ein paar Schläge ins Gesicht, bevor dieser seinen Colt zücken und dem Mann in den Bauch rammen konnte. Als der Mann sich daraufhin aufrichtete und sein enormes Gewicht von Darren nahm, konnte er endlich wieder atmen.
»Sie erschießen diesen Jungen nicht«, sagte Rosemary. »Nicht in diesem County, nicht in meinem Haus und kommen damit davon. Ich habe Steve Quinns Kampagne bezahlt. Beide. Und Bo hier hat Sie auf Band, wie Sie draußen in Hopetown weiße Bürger bedrohen. Ihr Ruf, gern die Grenzen des Gesetzes zu überschreiten, eilt Ihnen voraus und gewährt mir einen gewissen Gestaltungsspielraum, wenn ich erklären soll, was heute Abend hier passiert ist. Das sollte Sie davon abhalten, hier in meiner Stadt Ihre Nase in Dinge zu stecken, die Sie nichts angehen, verstanden? Wenn Sie Bo erschießen, werde ich sagen, dass es keinen Anlass dafür gegeben hätte. Ich werde sagen, dass Sie ›weißer Abschaum‹ oder ›Dreckskerl‹ oder irgendwas anderes gebrüllt hätten. Es wird Zeit, dass Sie gehen, Ranger Mathews. Ich will, dass Sie mein Haus und meine Stadt verlassen.«
Darren schmeckte Blut im Mundwinkel.
Er leckte es ab und hatte einen kupfrigen Geschmack auf der Zunge.
Resigniert warf er die Hände in die Luft, doch im Geiste war er bereits auf halbem Weg zum Krankenhaus, wo er Leroy Page einen Besuch abstatten musste. »Sie sagten, wenn Leroy die Papiere nicht unterschreibt, geht er ins Gefängnis. Verraten Sie mir bloß, wieso; helfen Sie mir dabei, das zu begreifen, und ich werde gehen. Wieso haben Sie das gesagt?«
»Weil wir eine Abmachung haben.«