© Archives historiques Nestlé, Vevey
Vielleicht verdankt die Welt die Erfindung der Beutelsuppe einer Liebesgeschichte. Das lassen zumindest vier Dokumente im Zürcher Staatsarchiv vermuten.
Aus dem ersten geht hervor, dass am 5. Mai 1839 die Gemeinde Zürich-Affoltern einen bisher unbekannten italienischen Einwanderer namens Michele Maggi ins Bürgerrecht aufnahm.
Das zweite besagt, dass Maggi am 24. Mai 1839 für 27.000 Gulden die Neumühle in Frauenfeld samt Säge, Hanfreibe und Ökonomiegebäude erwarb.
Drei Tage später, am 27. Mai 1839, heiratete Michele, der sich fortan Michael nannte, eine gewisse Sophie Esslinger, Tochter des Zürcher Großrats Johannes Esslinger, dessen Ahnen mit dem Export bedruckter Taschentücher reich geworden waren. Michael war einunddreißig, Sophie achtundzwanzig Jahre alt.
Das vierte Dokument ist ein Geburtsschein. Am 6. Oktober 1839, also vier Monate nach der Hochzeit, wurde dem jungen Paar ein gesundes Mädchen namens Angela geschenkt.
Da die Kleine gesund und kräftig war, darf man annehmen, dass die Schwangerschaft nicht vier, sondern neun Monate dauerte. Davon ausgehend kann man sich Folgendes vorstellen: Dass Sophie Esslinger, die schon ein dreijähriges Büblein namens Eugen hatte und sich wenige Monate zuvor vom Zürcher Söldner Rudolf Hotz hatte scheiden lassen, der in französischem Kriegsdienst erkrankt war — dass also Sophie schon Mitte Februar 1839 einen schlimmen Verdacht hegte, der Ende des Monats zur Gewissheit wurde, worauf eine Beichte bei Vater Esslinger unumgänglich wurde. Weiter kann man sich ausmalen, dass der würdige Ratsherr nach anfänglichem Toben seinen festen Willen kundtat, den Verführer zum Traualtar zu prügeln, was Sophie vorsichtig mit dem Hinweis beantwortete, dass Michele leider erstens mittellos und zweitens kein Schweizer, sondern Träger eines mächtigen Schnurrbarts und außerdem Italiener sei; worauf der Vater in den nächsten Sessel sank und nach langem Schweigen vielsagend brummte, das werde man ja sehen. Jedenfalls machte Michele, der angeblich als patriotisch gesinnter Medizinstudent vor den spanisch-österreichischen Häschern aus Pavia hatte flüchten müssen, in den folgenden Wochen eine erstaunliche Wandlung durch. Plötzlich hieß er nicht mehr Michele, sondern Michael. Er war nicht mehr Italiener, sondern Schweizer. Und er war kein Hungerleider und verkrachter Medizinstudent mehr, sondern stolzer Besitzer einer Müllerei. Aber Deutsch konnte er immer noch kein Wort.
Vielleicht war aber auch alles ganz anders. Vielleicht war Michele gar nicht der Vater des Neugeborenen, sondern musste mittels finanzieller Anreize überzeugt werden, als solcher einzuspringen. Denkbar ist aber auch, dass die Liebe zwischen Sophie und Michele tatsächlich groß und die Hochzeit reine Formsache war. Und möglich ist schließlich, dass Vater Esslinger gar nicht wütend, sondern recht zufrieden war mit dem Schwiegersohn, der eventuell gar kein Hungerleider war; denn ganz ausschließen kann man nicht, dass die 27.000 Gulden keineswegs vom Schwiegervater, sondern aus Micheles väterlichem Erbe stammten, wie einige seiner Nachfahren behaupteten. Andere wiederum glaubten zu wissen, Michele habe das Startkapital in den Eisenbergwerken Graubündens hart erarbeitet. Wer weiß. Bleibt anzumerken, dass in den Archiven der medizinischen Fakultät in Pavia tatsächlich ein Student namens Michele Maggi registriert ist, der 1836 über die Wirkungsweise von Medikamenten («Animadversiones in medicamentorum agenti modum») doktorierte. Die Bündner Obrigkeit aber hat nie einen Bergarbeiter dieses Namens in ihren Akten geführt, und ein Bergarbeiter hätte wohl etwa dreihundert Jahre lang sparen müssen, um beim damals üblichen Taglöhner- und Handwerkerlohn von einem Gulden auf 27.000 Gulden zu kommen.
Wie auch immer.
Jedenfalls scheint die Ehe glücklich gewesen zu sein. Da Michael Maggi des Deutschen nicht mächtig war und von der Müllerei keine Ahnung hatte, überließ er diese seiner protestantisch-geschäftstüchtigen Ehefrau, parlierte mit ihr Französisch und beschränkte sich ansonsten auf die repräsentativen Aufgaben eines Unternehmers. In rascher Folge kamen die Töchter Julia, Sophie und Rosina zur Welt und am 9. Oktober 1846, als Zweitletzter, Stammhalter Julius, der die Essgewohnheiten der Welt revolutionieren sollte.
Es scheint, dass Julius fleißig und tüchtig war wie seine alemannische Mutter, aber auch hübsch und lebensfroh wie sein lombardischer Vater. Die Lehrer am Gymnasium in Frauenfeld wurden nicht mit ihm fertig, ein privater Erzieher in Winterthur ebenso wenig; also schickten ihn die Eltern für drei Jahre nach Yverdon ins Internat, dann für weitere drei zur Lehre ins altehrwürdige Handelshaus Stehelin nach Basel und schließlich für ein zweijähriges Praktikum in eine hochmoderne Dampfmühle nach Budapest. Im Frühling 1869 beendete Julius Maggi seine Lehr- und Wanderjahre und übernahm dreiundzwanzigjährig die Leitung der Hammermühle in Kempttal, die die Eltern in der Zwischenzeit hinzugekauft hatten.
Jahrhundertelang war die Müllerei ein krisensicheres Gewerbe gewesen; denn solange der Mensch Brot isst, braucht er Mehl, und solange irgendwo Korn geerntet wird, muss es gemahlen werden. Um 1880 aber stürzte die Industrialisierung auch dieses Gewerbe in eine schwere Krise. Die neuen Walzenmühlen waren um ein Vielfaches effizienter als die alten Steinmühlen, und die ausländische Konkurrenz war für die Schweizer Müller erdrückend. Die Erträge pro Zentner Mehl fielen ins Bodenlose; um die gewohnten Gewinne zu halten, hätten die Müller ein Vielfaches an Mehl mahlen müssen — aber das wäre nur möglich gewesen, wenn die Menschen auch ein Vielfaches an Brot gegessen hätten.
In dieser Lage begriff Julius Maggi, dass er mit seiner Mühle mehr Geld nicht mit mehr Masse, sondern nur mit zusätzlicher Verarbeitung, also höherer Wertschöpfung, verdienen würde. Er sah sich nach neuen Aufgaben um und machte eine interessante Entdeckung. Zu jener Zeit nämlich setzte im schweizerischen Bürgertum eine Bewegung ein, die sich zum Ziel setzte, die Ernährungslage der Fabrikarbeiter zu verbessern. An der Jahresversammlung der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft vom 19. September 1882 legte der Glarner Arzt und Fabrikinspektor Fridolin Schuler dar, «dass sehr häufig nicht die Armut, sondern die Unwissenheit der Leute an ihrer schlechten Ernährung schuld sei, dass sie nicht zu kochen, ihre bescheidenen Mahlzeiten nicht richtig zusammenzusetzen verstehen, dass die Hausmütter, besonders die in Fabriken arbeitenden, nicht genügend Zeit für eine richtige Zubereitung haben und dass doch gutenteils daher die vielen Magenkrankheiten der arbeitenden Klassen stammten». Die Gesellschaft beschloss deshalb, auf der Grundlage von Bohnen, Erbsen und Linsen eine gesunde, eiweißreiche Fertigmahlzeit auf den Markt zu bringen. Ob nun die Gesellschaft auf Maggi stieß oder jener auf diese, ist umstritten. Jedenfalls machte sich Julius Maggi an die Arbeit. Er erkannte rasch, dass ein bloßes Reinigen und Mahlen der Hülsenfrüchte unter Zuführung kleberreichen Getreidemehls nicht ausreichte. Also suchte er nach chemischen Umwandlungen des Gemüsemehls und sandte zahllose Kostproben an Fridolin Schuler, der sie am eigenen Leib und an denen seiner Freunde auf Geschmack und Verdaulichkeit prüfen musste. Und weil es sich um ein gutes Werk handelte, standen ihm zwei Chemieprofessoren aus Zürich sowie ein Physiologe aus Basel zur Seite. Über den Experimenten verging ein Jahr, dann ein zweites. Schließlich befanden die Testpersonen, dass Genießbarkeit und Verdaulichkeit des Leguminosemehls allmählich den Erwartungen entsprachen, worauf die Gemeinnützige Gesellschaft am 19. November 1884 für drei Jahre das Patronat über Maggis Leguminosen übernahm. Sie würde für die Verbreitung des Suppenmehls in der Bevölkerung sorgen, und Maggi würde seine Ware zu einem fixen, möglichst niedrigen Preis liefern.
Julius Maggi wusste, dass gute Qualität allein trotz philanthropischer Hilfestellung nicht ausreichen würde, seine Suppen auf dem Markt durchzusetzen. Von Anfang an schlug er hohe Margen auf seine Preise, um ausreichend Geld für Reklame und Werbung zu haben. Maggi lud Zeitungsredakteure und Kochbuchverfasserinnen zum Besuch der Fabrikationsanlagen ein und bezahlte gelegentlich auch Geld, damit Maggi-Produkte in Kochbüchern Erwähnung fanden. Er veranstaltete Kochkurse und verschickte kostenlos Rezepte, und er machte Werbung in Tageszeitungen und Zeitschriften. Sein Enthusiasmus war so groß, dass er nur durch heftigsten Einspruch der ganzen Familie davon abzubringen war, seine drittgeborene Tochter Lucy «Leguminosa» zu taufen.
Weil ihm Reklame so wichtig war, schrieb er in den ersten Jahren alle Annoncen und Prospekte selbst. Als der Aufwand zu groß wurde, stellte er als Werbetexter den jungen Frank Wedekind ein. Der angehende Dichter war in Geldnot; er hatte sich mit dem Vater überworfen, weil er in München heimlich Kunstgeschichte statt Juristerei studiert hatte. Maggi schickte den Jüngling auf Pressereise nach Zürich, Leipzig, Dresden und München, und dieser dankte es ihm mit Reklametexten wie diesem:
Vater und Sohn
Vater, mein Vater!
Ich werde nicht Soldat,
Dieweil man bei der Infanterie
Nicht Maggi-Suppe hat.
Söhnchen, mein Söhnchen!
Kommst du erst zu den Truppen,
So isst man dort auch längst nur
Maggi’s Fleischkonservensuppen.
Aber die Arbeit als Reklameschreiber war anstrengend, demütigend und schlecht bezahlt. Nach einem halben Jahr versöhnte Wedekind sich mit dem Vater und kehrte reumütig zum Jurastudium nach München zurück.
Bei Maggi jedoch wollte sich trotz aller Anstrengungen der Erfolg nicht recht einstellen. Zwar fand die Leguminose durchaus Verbreitung — aber eben nicht bei den Armen, sondern bei den Reichen. Es waren die Köchinnen in den Bürgerhäusern, die Zeit und Muße hatten, mit dem neuen Nahrungsmittel zu experimentieren. Die gehetzten Arbeiterfrauen aber waren misstrauisch gegen den fremden, langen Namen und wollten nichts in ihre Suppe verrühren, was sie nicht ohne Schwierigkeiten aussprechen konnten; denkbar ist auch, dass ihnen die Maggi-Suppen schlicht zu fad waren. Denn bei aller Experimentierfreude war Julius Maggi bisher nichts wirklich Neues gelungen; er hatte lediglich Bohnen, Linsen oder Erbsen zu einem Mehl vermahlen, das eine mehr oder weniger schmackhafte und gesunde Mahlzeit ergab, wenn man es mit Wasser aufkochte.
1886 aber gelang ihm die Erfindung der Bouillon-Extrakte, die als Maggi-Würze weltberühmt werden sollten. Das war eine Neuheit in der Nahrungsmittelindustrie, die nichts mehr mit herkömmlicher Müllerei zu tun hatte. Julius Maggi schrieb das Rezept am 12. Dezember 1886 in seinem Korrespondenzbuch nieder. Und weil es bis auf den heutigen Tag kaum verändert wurde und immer noch hoch geheim ist, nur so viel: Maggi’s Streuwürze entsteht im Wesentlichen durch Überpeptonisierung von möglichst stärke- und dextrinfreiem Weizenkleber mit chemisch reiner Salzsäure unter Anwendung von Dampfüberdruck, wobei unter Beimengung verschiedener Zutaten ein fleischähnlicher Geschmack entsteht — der typische Maggi-Geschmack, der jahrzehntelang allen Nahrungsmitteln aus Kempttal eigen war.
Die Konkurrenten bei Knorr und Liebig vermuteten hämisch, Maggi wolle mit der Würze lediglich seine öden Leguminosesuppen genießbarer machen — und hatten völlig Recht damit. Dank der Würze kamen Maggis Suppen geschmacklich den hausgemachten recht nahe und verkauften sich deutlich besser. So schossen in den neunziger Jahren im ländlichen Kempttal die Fabrikgebäude nur so empor. 1893 kaufte Maggi in der Nähe einen kleinen Bauernhof von fünf Hektar, um das Gemüse für seine Suppen selbst anzubauen. Dem folgten ein zweiter, ein dritter und ein vierter Hof, deren Besitzer alle in die Industrie abgewandert waren, und 1900 war Maggi Herr über vierhundert Hektar und der größte private Gutsbesitzer der Schweiz. Gleichzeitig entstanden eigenständige Maggi-Fabriken und Verkaufsnetze in Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien. Mit dem Erfolg kamen die Nachahmer. Die Conservenfabrik Schleich und Comerell in Friedrichshafen brachte 1897 eine Würze namens «Gusto» auf den Markt, die fast so gut war wie das Original. Nach kurzer Zeit erkannte ihr Inhaber Carl Schleich, dass sein kleines Unternehmen gegen Maggis übermächtige Reklame nicht würde bestehen können. Also besuchte der promovierte Chemiker Julius Maggi 1902 in Kempttal, verkaufte ihm die Fabrik und ließ sich als technischer Direktor der Maggi-Fabriken einstellen. Bald sollte sich herausstellen, dass der besiegte Konkurrent zu Maggis treuestem Verbündeten wurde. Carl Schleich entwickelte die automatische Verpackung und baute neue Maggi-Fabriken, wo immer eine benötigt wurde. Vor allem aber erfand er 1908 den Maggi-Bouillonwürfel, der über die Jahrzehnte zum weltweiten Verkaufsschlager werden sollte.
Ein neues Feld tat sich für Lebensmittelfabrikanten wie Maggi, Knorr und Liebig auf, als die europäische Industrie zur Massenverpflegung ihrer Arbeiter in betriebseigenen Kantinen überging. Ein weiteres, äußerst einträgliches Geschäft war die Herstellung von Fertignahrung für die gewaltigen Heere, die sich in Erwartung des Ersten Weltkriegs rüsteten. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war es üblich gewesen, dass die Soldaten mit ihrem kärglichen Sold selbst für ihre Verpflegung sorgten. Das war mit dem Aufkommen großer mechanisierter Heere nicht mehr möglich. Und da sich die Armeen dank der Eisenbahn immer schneller bewegten, war es auch nicht mehr machbar, ihnen mit riesigen Herden Schlachtvieh zu folgen. Die Militärs hatten deshalb großes Interesse an Fleischkonserven, nahrhaften Suppen und Fleischextrakt — was ihnen Knorr, Maggi und Liebig bereitwillig lieferten.
Bis über den fünfzigsten Geburtstag hinaus blieb Julius Maggi jugendlich schlank und von unerhörtem Tatendrang. Er war passionierter Reiter und ein großer Schwimmer im Zürcher Limmatklub sowie Mitglied des Alpenklubs. Er gründete mit seinen Angestellten einen Fahrrad- und einen Schachklub, war einer der ersten Motorrad- und Autofahrer weit und breit — und vor allem arbeitete er von morgens früh bis abends spät in der Kempttaler Fabrik, wo er oft auch die Nächte verbrachte, allein oder mit ein paar Arbeitern. Er schlief nur drei oder vier Stunden täglich und vertrat die originelle Ansicht, dass man Schlafmangel durch zusätzliche Nahrungsaufnahme kompensieren könne.
Als im Juni 1900 die Weltausstellung in Paris ihre Tore öffnete, zog Maggi samt Gattin und den vier halbwüchsigen Kindern für fünf Monate in ein Palais am Boulevard Voltaire. Die Maggis verfügten über livrierte Diener, eine vierspännige Kutsche und eine Dampfjacht an der Seinemündung samt ständiger dreiköpfiger Besatzung, die «Maggi I» getauft wurde. Als im November Ehefrau Louise und die Kinder nach Zürich heimkehrten, blieb Julius Maggi allein in der Lichterstadt zurück — offiziell, um die kränkelnde französische Maggi-Niederlassung in Schwung zu bringen. Das tat er dann auch. Wahr ist aber ebenso, dass er sich fortan Jules nannte und eine langjährige Liaison mit einer ehemaligen Schauspielerin am Théâtre Français einging, die sich Madame Rouyer nannte und ihn eine Menge Geld kostete. Denn bald kam es zwischen ihr und Jules, der den fünfzigsten Geburtstag längst hinter sich hatte und allmählich zu Leibesfülle und Kurzatmigkeit neigte, zu schrecklichen Dramen und Tragödien, die erst ein Ende nahmen, als er ihr eine monatliche Leibrente zahlte und ein Sparkonto mit 48.000 Francs einrichtete.
Ob Ehefrau Louise im heimatlichen Zürich um all diese Vorgänge wusste, ist ungewiss; in den Hunderten von Briefen aus der Pariser Zeit findet sich keine Spur eines Zerwürfnisses, und Madame Rouyer wird nie erwähnt. Stets redeten die Eheleute einander mit «Liebste» und «Liebster» an, besprachen die großen und kleinen Sorgen des Haushalts, die Verheiratung der Töchter, die mangelhaften schulischen Leistungen des Stammhalters Harry sowie die Pläne für eine Familiengruft in Kempttal, und zum Abschied grüßten und küssten sie einander jeweils «herzlichst». Kein Wort verlor Jules darüber, dass er in Tunesien Pläne für eine prachtvolle Ferienvilla im maurischen Stil zeichnen ließ; kein Wort über den Urlaub in Biarritz oder über die Dampfjachten «Maggi II», «Maggi III» und «Maggi IV», die im Hafen von Harfleur ihren Liegeplatz hatten.
Ob Ehefrau Louise tatsächlich ahnungslos war oder ob sie sich lebensklug ins Unabänderliche schickte, ist nicht bekannt. Nur einmal, wohl um das Jahr 1907, findet sich ein Eintrag in ihrem Poesiealbum, der tief blicken lässt. «Lequel des deux est le plus triste: perdre un être aimé pour la mort ou pour — la vie.»
Diesem Leben zollte allmählich auch Julius Maggi Tribut. Er wurde kränklich, musste sich am Blinddarm operieren lassen, fuhr im Januar 1911 erstmals in seinem Leben auf Erholungsurlaub. Im Sommer 1912 bemerkten die Maggi-Direktoren in Paris, dass ihr Patron während der Sitzungen Bewusstseinsabsenzen hatte. Am Montag, dem 5. August, schien er sehr schläfrig. Am Dienstag folgte er dem Gespräch nur noch mit Mühe. Am Mittwoch riefen die Direktoren telegrafisch Maggis Leibarzt aus der Schweiz herbei. Als dieser am Donnerstag eintraf, konnte Julius Maggi nicht mehr klar denken und wurde immer schwächer. Am Sonntag brachte man ihn in ein vornehmes Sanatorium in Neuilly, wo ihn die Kinder drei Tage später besuchten. Seine drei Töchter Alice, Lucy und Betty erkannte er noch, als sie morgens ans Krankenbett traten; Sohn Harry aber, der erst am Nachmittag kam, schon nicht mehr. Die Ärzte machten den Angehörigen wenig Hoffnung. Manche vermuteten eine Diabetesattacke, andere eine Hirnaffektation. Julius Maggi erwachte nie wieder aus seinem Dämmerzustand. Nach zwei Monaten wurde er ins Sanatorium Küsnacht gebracht und starb dort am Samstag, dem 19. Oktober 1912, zehn Tage nach seinem sechsundsechzigsten Geburtstag, nachts um Viertel nach drei. Seine Frau Louise notierte in ihrem Schreibkalender: «Er blieb dort, in Blumen gebettet und von mir täglich mehrmals besucht, in seinem Krankenzimmer und von seinem Wärter Gert treu bewacht, bis zum Begräbnistag, an welchem ich mit Betty, Lucy, Alice und Harry frühmorgens um fünf Uhr zum letzten Male Abschied von ihm nahm.»