Jetzt heißt es tapfer sein. Dieses Kapitel beinhaltet wenig Schönes. Der Körper und sein Altern sind nicht gerade das, was man ein Dream-Team nennen kann. Das Gute: Man gewöhnt sich an vieles und die Veränderungen kommen nicht über Nacht. (Manches allerdings schon! Gerade heute morgen eine fiese neue Falte im Kinnbereich entdeckt. Ich wusste gar nicht, dass es dort auch faltig wird!) In den seltensten Fällen geht es optisch bergauf. Was da zunehmend hängt und knittert, das muss man mal so hart sagen, lässt sich nur schwer und mit einigem Aufwand, oft ziemlich kostenintensiv, ausbremsen. Wenn überhaupt. Kaum ist man einmal von oben bis unten fertig, kann man oben schon wieder neu beginnen.
Fangen wir mal mit einem der leidigsten Themen in den mittleren Jahren an: der Figur. Ein Schwerpunkt, im wahrsten Sinne des Wortes. Wie gern wäre ich unglaublich gelassen und dabei ein richtig schlankes und schön durchtrainiertes Reh. Einfach so. Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Ja, das Thema begleitet mich seit Jahren. Aber mir geht es wie Ihnen: Obwohl man immer glaubt, nun sei wirklich alles gesagt und getan, bleibt der leidige Speck irgendwie nicht nur auf den Hüften, sondern auch in den Gedanken. Gerade jetzt. Wir alle wissen, dass die Röllchen von Jahr zu Jahr zutraulicher und anhänglicher werden. Der geheime Altersverbündete des Specks, sein bester Kumpel, ist nämlich ein träger werdender Stoffwechsel. Je niedrigtouriger, umso weniger Energie verbraucht der Körper. „Och ne!“ ruft der Stoffwechsel quasi, „immer diese Hektik. Jetzt will ich auch mal chillen.“
Um jetzt überhaupt das Gewicht zu halten, muss man sich schon so disziplinieren wie früher für eine Diät. Viele verabschieden sich nun für immer von raffinierten Kohlenhydraten und nehmen nach 18 Uhr niemals mehr auch nur einen Bissen zu sich. Für all diejenigen unter uns, die nicht gern um 20 Uhr ins Bett gehen, kann so ein Abend ohne Nahrung verdammt lang werden. Aber viele Alternativen gibt es wohl nicht. Denn während der Stoffwechsel lahmt, wächst der Appetit. Verständlich, gibt es doch gerade in diesen Jahren eine Menge hervorragender Gründe für das, was der Amerikaner „Trostessen“ nennt. Mehr Essen führt (Achtung – Überraschung!) jetzt zu noch mehr Pfunden. Mehr Pfunde führen bei sehr vielen – ja, auch bei mir – schnell mal zu schlechter Laune. Schlechte Laune macht gleich noch hungriger. Und ehe man sichs versieht, ist man kugelrund und richtig mies drauf. Deshalb muss man wahrscheinlich seinen Blickwinkel ändern oder dem Stoffwechsel rund um die Uhr in den Hintern treten. Auch wenn man sich für Letzteres entscheidet, bleibt eine Figur wie damals mit Anfang/Mitte 20 für die meisten von uns illusorisch. Oder sie ist nur unter enormen Entbehrungen möglich.
Mit der Reife werden Ärzte jünger
Sich unbedingt beizeiten sehr gute Ärzte suchen, die deutlich jünger sind. Noch bevor der ausgezeichnete und nette Gynäkologe, die fantastische Orthopädin, der 1-a-Zahnarzt und der hinreißende Dermatologe in Rente gehen, weil sie nämlich Ihr Jahrgang sind.
Die Frage, die man sich deshalb stellen muss: Zu welchen Einschränkungen bin ich bereit? Wie viel ist es mir wert, wenigstens von hinten noch wie eine 30-Jährige auszusehen? Wie wichtig ist das für mich? Für meine Gesundheit? Für die, die ich damit beeindrucken will? Männer beispielsweise. Bin ich diszipliniert genug? Was bringt mir das mühsam erkämpfte oder erhaltene Figürchen? Anerkennung von anderen Frauen mit Sicherheit. Egal, wie alt wir werden, die aktuelle Figurenlage ist einfach immer ein Thema. Dabei ist es meist entweder ein Zuviel oder ein Zuwenig und nie ein Goldrichtig. Meist heißt es auf der einen Seite: „Hast du gesehen, wie fett die Soundso geworden ist?“ Und auf der anderen: „Ein bisschen mehr würde der Soundso auch nicht schlecht stehen, die sieht ja schon so ausgemergelt aus!“
Dabei ist Fett per se gar nicht übel. Zumal mit fortschreitendem Alter. Gerade im Gesicht kann man es dann stellenweise gut gebrauchen. Die wunderschöne Schauspielerin Andy MacDowell hat mal gesagt: „Wenn du älter wirst und dein Gesicht anfängt zu hängen, tun fünf Pfund mehr ganz gut!“ Ein ausgesprochen tröstlicher Satz, leider ist nur die Rede von fünf Pfund. Was zur Hölle sind lächerliche fünf Pfund? Davon abgesehen: Wer garantiert, dass sich die Pfunde auch tatsächlich im Gesicht ansiedeln? Meine Pfunde jedenfalls halten sich an keine Reisebestimmungen. Sie sind schon überall mal gewesen. Wahrscheinlich hat Gott mich bei „Moppel“ eingeteilt. Nur so zur Abwechslung darf man zwischendurch immer mal von der Truppe desertieren, mal Dünnenluft schnuppern, mal gucken, wie das so ist, wenn man in praktisch allen Geschäften einkaufen kann. Wenn man seine Füße sieht und sich zum Schuhe-Zubinden nicht hinsetzen muss. Aber bald ist der Ausflug ins Schlanke wieder vorbei. Die Pfunde wollen zurück. Und ich habe ihnen immer freundlich die Tür geöffnet. Ich bin einfach zu verfressen. Während ich das schreibe, überlege ich schon, wann ich zu Mittag esse (bald!) und was es geben wird. Schon immer hatte Essen für mich einen hohen Stellenwert. Ich genieße und liebe gutes Essen. Deshalb denke ich immer viel zu viel darüber nach: Wann es wieder etwas gibt, was ich einkaufen werde, ob man den selbstgemachten Kartoffelbrei nicht noch mit etwas Butter aufwerten sollte …
Ich bin 50 geworden und zum Mammographie-Screening geladen.
Eine Freundin meinte, das würde eher schaden als nützen …
Irene, 50, aus Leipzig
Dr. Herbst: Nach Faktenlage gibt es in dem Zeitraum, in dem das Brustkrebs-Screening angeboten wird, einen durchaus messbaren Benefit. Der ersetzt aber keinesfalls die Tastuntersuchung. Und: Das Screening verhindert keinen Krebs – wie laut einer Umfrage immerhin 30 Prozent der deutschen Frauen glauben. Gerade bei Brustkrebs hängt aber sehr viel von einer frühen Diagnose ab, denn die steigert die Überlebenschancen und entscheidet auch über die Schwere der Therapie.
Trotzdem: Ein gewisser Erkenntnisgewinn hat sich irgendwann in all den Jahren natürlich eingestellt. Das muss man dem Älterwerden zugutehalten: Es geizt nicht mit Erfahrungen. Zum Glück. Der Mensch ist lernfähig. Und so gibt es immer häufiger Monate und Momente, da ist mir das Thema Speck wurscht. Oft im Winter, wenn all die Pfunde so herrlich verborgen unter den Tiefen irgendwelcher Winterklamotten liegen. Doch auf den Winter folgt das Frühjahr und es werden Bereiche freigelegt, die, wäre man streng mit sich, eine Burka verlangen. Streng bin ich aber nicht. Es hat ja auch Vorteile, ein wenig speckig zu sein. Der Körper muss sich in den Wechseljahren von einer Menge Östrogen verabschieden. Bauchfett produziert Östrogen, deshalb nutzt der Körper hier seine kleine Chance, ein winziges Resthormondepot anzulegen. Sehr dünne Frauen kommen deshalb zumeist auch früher in die Wechseljahre. Mehr Östrogen bedeutet dann auch weniger Knochenabbau. Denn das Hormon hemmt die Arbeit der Zellen, die den Knochen zusetzen, und fördert die Aufnahme von Kalzium aus der Nahrung. Umgekehrt steht Osteoporose (= Knochenschwund; immerhin 80 Prozent der fünf bis sieben Millionen Patienten sind weiblich) in engem Zusammenhang mit radikalen Gewichtsabnahmen. Meist ist sie auch verantwortlich für den gefürchteten Oberschenkelhalsbruch (auch täglicher Colakonsum – inklusive Light-Version – soll übrigens bei Frauen deutlich die Knochendichte vermindern), oft das Eintrittsportal zur Vorhölle „Pflegebedürftigkeit“.
Nein, das ist kein besonders fieses „Buh!“ zum Erschrecken der schlanken Gazellen und auch keine billige Moppel-Retourkutsche. Mittlerweile sind sich so ziemlich alle medizinischen Disziplinen einig, dass es durchaus gesund ist, etwas mehr auf den Rippen zu haben. Nach Auswertung von 97 Studien mit insgesamt 2,88 Millionen Teilnehmern kam die amerikanische Epidemiologin Katherine Flegal zu dem Schluss, dass Menschen mit einem BMI zwischen 25 und 30 ein niedrigeres Risiko haben, innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu sterben, als die sogenannten Normalgewichtigen. Erst ab einem BMI von über 30 steigt das Risiko an. Im Klartext: Ein kleiner Rettungsring verlängert das Leben. Und Konfektionsgrößen zwischen 38 und 44/46 sind gesünder als gedacht. Unserem Körper ist es deshalb schnuppe, dass uns das Bauchfett in unserer Jeans ein Problem macht. Könnte er sprechen, würde er wahrscheinlich sagen: „Kauf dir halt ‘ne andere Hose, vielleicht mit Gummizug!“
Was also tun? Sich aus der Konkurrenzzone in die Komfortzone verabschieden? Den Kampf mit den Pfunden aufgeben und sich stattdessen mit sich selbst und den neuen alten Rundungen anfreunden? Die Garderobe gnadenlos aussortieren und eine glamouröse Abschiedsparty für Größe 38 geben! Oder dranbleiben, darben und es weiter probieren? Niemals aufgeben?
Lieber ein fitter Moppel
Ich glaube, die Mischung macht es. Und zu der gehört unbedingt Bewegung in jedweder Form. Denn so gesund die Rundungen seit Neuestem auch sein sollen, ohne Sport verlieren auch sie ihren medizinischen Premium-Status. Es bleibt ja unbestritten, dass Übergewicht das Risiko für verschiedene – ernste – Krankheiten erhöhen kann. Wenn man es vor allem auf dem Sofa, auf dem Fahrersitz, auf Restaurantstühlen und in Aufzügen bequem lagert, anstatt es auf Treppen, beim Yoga, Laufen, Fahrradfahren, Schwimmen oder bei Aquagymnastik in Wallung zu bringen. Und genau hier liegt oft das eigentliche Gewichtsproblem: Der Anteil der Sportmuffel ist in Deutschland seit 2007 von 45 auf 52 Prozent gestiegen. Die meisten kommen nicht einmal auf eine Stunde Bewegung am Tag. Den Gang zum Kühlschrank mit eingerechnet. Auch bei mir gibt es diese Tage, an denen ein Schrittzähler vermutlich denken würde: „Ist das jetzt schon die Rollator-Phase bei Frau Fröhlich?“ Meistens aber tue ich irgendwas. Das Minimum sind 15 Minuten Yoga täglich.
Und wenn es gut läuft, bin ich dazu auch mal eine Stunde auf dem Laufband, gehe joggen, mache Langlauf und/oder bin am Rudergerät. Nicht weil ich Sport so wahnsinnig liebe. Aber ich will wenigstens ein fitter Moppel sein. Und das hat bisher auch meistens geklappt. Sieht man einmal von ein paar monatelangen Zwangspausen ab, die sich Stürzen beim Joggen und einer Hüftentzündung verdanken.
Sport – eine Mischung aus Kraft- und Ausdauertraining – ist ja nicht bloß die Geheimwaffe gegen den Knochenabbau. Er ist auch quasi die Domina des Stoffwechsels. Er peitscht ihn richtig an und ist damit der perfekte Friedensengel im Konflikt zwischen Kalorien und der Passform der Lieblingsjeans. Und er ist noch anderweitig ein wahrer Prachtkerl: Es gibt kaum ein wirkungsvolleres Laune-Lifting. Und egal, wie wenig Lust ich habe, etwa Yoga zu machen. Wenigstens die Viertelstunde, zu der ich mich doch allermeistens prügele, zwingt schon mal eine Menge Grau raus aus dem Alltag. Und das ist der zweite Grund, weshalb an Bewegung kein Weg vorbeiführt: Sie erspart einem einigen Frustfraß, ebenso wie die hormonell bedingten Abstürze in das tiefe Jammertal der Wechseljahre. Ich habe ein wirklich gutes Leben, für das ich sehr dankbar bin. Es wäre eine unglaubliche Verschwendung, es nicht zu genießen. Und das kann ich viel besser, wenn ich nicht schon nach ein paar Treppenstufen ein Sauerstoffzelt brauche. Wenn ich nicht für immer auf große Teller Pasta und kleine knusprige Pommes oder einen herrlichen Braten verzichten muss. Vom totalen Verzicht auf Klöße, Bratkartoffeln, Pfannkuchen, Vollmilch-Nuss-Schokolade gar nicht zu reden. „Nie mehr …“ ist ein Satz, der in mir nichts Gutes auslöst.
Und wie hat die US-amerikanische Autorin Erma Bombeck es einmal so treffend und mahnend formuliert: „Denk an all die Frauen, die auf der Titanic den Dessertwagen vorbeigewunken haben.“ Wäre schön blöd, eben noch ein Eiweißshake angerührt zu haben, um dann sehr schlank, aber auch sehr tot vom Stuhl zu sinken. Mein Kopf soll auf ein Stück Frankfurter Schnitzel mit Bratkartoffeln fallen. Umgekehrt macht mich allein die Vorstellung, bis zum Grab nicht mehr ordentlich essen zu dürfen, ziemlich fertig. Und ich staune manchmal, wie sich Frauen selbst beim Seniorenkaffee der Arbeiterwohlfahrt noch streng beäugen, anstatt die Gunst der späten Stunden zu nutzen, um endlich einmal hemmungslos miteinander zu schlemmen. Der Gewichtsterror hat offenbar nie ein Ende. Genau das führt auch dazu, dass man nach erfolgreichen Diäten oft schnell wieder zunimmt. Man hat sich so dermaßen viel verkneifen müssen und ist so irrsinnig froh, dass alles vorbei ist und man endlich mal wieder essen darf. Ratzfatz sind die alten Kilos wieder da und im schlimmsten Fall bringen sie noch ein paar Freunde mit.
Die Mischung macht’s …
Ich versuche, so gesund wie möglich zu essen. Viel Gemüse, Obst, Quark, Fisch, aber gern auch mal Fleisch. Und davon so viel ich will. Zu den geregelten Mahlzeiten und nicht zwischendurch. Aber ich verkneife mir auch den Hamburger nicht und auch nicht die Pasta. Im Heim werde ich mich dann dereinst vollständig auf alles verlegen, was nicht in der Brigitte-Diät steht. Vielleicht fange ich sogar wieder an zu rauchen, probiere mal einen Joint (mit Inhalieren) oder fange an mit Fallschirm springen. Muss bei der Anmeldung daran denken, ein Zimmer mit Balkon zu nehmen! (Nicht fürs Springen, sondern fürs Rauchen!) Ja, das ist dumm, das mit dem Rauchen, aber ein herrlicher Gedanke. Nicht altersadäquat und schon deshalb so schön. Bis dahin versuche ich es mit Vernunft – eine Tugend, die an und für sich nicht zu meinen Kernkompetenzen gehört – und bringe sie einfach mit meinem manchmal wirklich zügellosen Appetit unter einen Hut. Das ist dann zwar ein bisschen, als hätte Ottfried Fischer eine Liaison mit Heidi Klum, aber gerade das kann ja durchaus sehr spannend sein, schon weil man nie weiß, wer morgen die Oberhand haben wird.
Ich achte zwar ein bisschen aufs Gewicht, werde aber nicht panisch. Versuche mich nicht ständig zu grämen und mich nicht mit zwei weiteren Butterbroten zu bestrafen, für die beiden, die ich eben außer der Reihe gegessen habe. Und ich nehme es mit Humor, wenn ich mich mitten in der Nacht in der Küche beim Butterbrotschmieren wiederfinde und mir einrede, die zählen nicht. Jedenfalls nicht zu den vier von gestern. Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir anfangen, nach Kräften nett zu uns zu sein?! Deshalb lautet nun auch die Devise: „Es gibt viel zu tun, packen wir es an!“ Aber manchmal auch: „Beißen wir einfach die Zähne zusammen!“ Zumal auf der dunklen Seite der Wechseljahre ziemlich finstere Mächte am Werk sind, die ungefähr so viel Schönes zu unserer Außenwerbung beizutragen haben wie ein blindes Nilpferd. Die Menopause verlangsamt ja nicht nur unseren Stoffwechsel. Sie führt auch größere Umbaumaßnahmen an unserem Körper durch. Ohne dafür vorher eine Genehmigung bei uns einzuholen. Es handelt sich also um Schwarzarbeit am Bau. Ohne Möglichkeiten, die Pfuscher anzuzeigen. Und so sieht das Ergebnis auch aus: Flachbrüstige bekommen plötzlich einen Mordsvorbau, statt schön runder Hüften hat man nun eine Wampe und keinen Po mehr.
Kann ich mit über 50 Jahren die Haare noch lang und offen tragen?
Leonore, 52, aus Bottrop
Dr. Herbst: Gegenfrage – wovor fürchten Sie sich? Dass es einen Bußgeldkatalog gibt für Frauen, die sich des Tatbestands der Jugendlichkeitsanmaßung schuldig gemacht haben? Dass Ihnen beim Bäcker jemand auf die Schulter tippt und sagt: „Leonore, so geht’s aber nicht. Deine Haare sind schon längst für Dschanine, 15, reserviert und du solltest ab sofort einen praktischen Kurzhaarschnitt tragen.“
Sie dürfen alles. Sogar noch mit 90 die Haare lang und offen tragen. Einzige Einschränkung: Sie sollten nicht so lang sein, dass Sie mit dem Rollator darüber stolpern.
Im Ansatz ist das ja gar keine schlechte Idee: Noch einmal die Karten neu zu mischen. Allerdings wäre es doch praktisch gewesen, uns ein Stimmrecht einzuräumen, anstatt uns zu ohnmächtigen Zuschauern zu degradieren. Das gilt auch für das leidige Thema Haare. Ohnehin ein hochsensibles Thema für Frauen. Und es gewinnt in den Wechseljahren noch einmal einiges an Brisanz. Ganz einfach, weil die Haare nicht bloß grau, sondern auch weniger, feiner und dünner werden. Könnten nicht der Körper dünner und die Haare kräftiger werden? Das wäre der perfekte Deal. Aber nein: Einige Frauen leiden sogar unter massivem Haarausfall. Auch das eine Folge der Hormonumstellung. Eine Freundin hat komplett ihre Augenbrauen verloren und ihr einst dichtes, dunkles Haar hat merklich an Volumen eingebüßt. Andere bekommen nun die Geheimratsecken, deretwegen sich Jürgen Klopp einer Haartransplantation unterzogen hat. Was die Frisurauswahl enorm einschränkt und einem echte Albträume beschert: wenn sich der Haarverlust bis weit hinter die Ohren fortsetzt.
Was also tun? Bei heftigem Haarausfall auf jeden Fall ärztliche Hilfe einholen. Sollte man planen, sich die Augenbrauen nachtätowieren zu lassen, sich intensiv umhören. Bloß nicht auf das Schnäppchenangebot des örtlichen Tattoo-Studios einlassen und lieber mehr in einen wirklichen Experten investieren. Augenbrauen sind so etwas wie der Rahmen, in dem der ganze Rest – nicht nur die Augen, sondern auch die Nase, der Mund, die Wangen – eingefasst ist und da wäre es blöd, wenn man quasi mit einem verzogenen Gartentor im Gesicht herumlaufen müsste.
Und was die Frage „Grau oder Färben?“ anbelangt – da gibt es keine goldene Regel. Viel spricht für Grau. Zum Beispiel die Preise für das ewige Nachfärben und dann natürlich, dass die Haarstruktur ziemlich dankbar ist, wenn man sie nicht dauernd mit Chemie traktiert. Andererseits greift so ein grauer Schopf doch massiv in die Stylingmöglichkeiten ein. Könnte sein, dass nichts aus dem Kleiderschrank mehr zur Haarfarbe passt. Auch nicht der ja nun zunehmend fahler werdende Teint (immer schön Lippenstift, Mascara und Rouge auftragen!). Einen Versuch aber ist es in jedem Fall wert. Manche Frauen sehen toll aus mit grauem Haar und man sieht in letzter Zeit immer häufiger auch junge Frauen in Silbergrau, einfach weil das gerade zu Knallfarben unglaublich gut passt. Für mich ist das – noch – keine Option. Ich hoffe, ich kann mich noch lange mit Strähnchen aus Babsis Friseurstudio vor der Entscheidung drücken.
Es gibt ja ohnehin auch anderweitig deutliche Hinweise auf mein Alter. Zum Beispiel war ich noch nie beim Waxing. Das, so klärte mich eine Freundin voller Entsetzen auf, sei ungefähr so, als würde ich noch Schulterpolster tragen. Etwa 90 Prozent der 18- bis 25-jährigen Frauen sollen laut einer Studie der Universität Leipzig im Intimbereich längst teilweise oder komplett rasiert sein. Kann man sich also mit einem totalen Kahlschlag wenigstens untenherum ganz einfach verjüngen? Oder wirkt es nicht total peinlich, wenn eine doch schon sehr erwachsene Frau dort das vorpubertäre Mädchen geben will? Und ist es nicht irgendwie fragwürdig, wenn ein erwachsener Mann darauf so gesteigerten Wert legt? Oder ist das Waxing-Diktat bloß eine weitere Variante des Schönheitsterrors, mit dem wir Frauen von wichtigeren Dingen wie etwa Konzerne-Lenken oder Länder-Regieren abgelenkt werden sollen? Muss man es bloß tun, weil es alle so tragen, wie die Verfechter des Haarfrei-Looks behaupten? Aber, wie haben schon meine Eltern immer gesagt: „Nur weil der Soundso das und das macht, musst du es ja nicht auch machen. Wenn der springt, springst du dann auch?“ Ist Schamhaar heute nicht mehr „Haar, das die Scham bedeckt“, sondern „Haar, für das man sich schämt“, wie der Autor Paul-Philipp Hanske im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ feststellt?
Nein, ich bin keine Schamhaarbesessene. Aber ich will natürlich auf keinen Fall, dass mich ausgerechnet meine Intimzone als völlig vorgestrig outet. Und wenn ich im Internet lese, wie sich offenbar die meisten am liebsten übergeben möchten bei dem Gedanken, dort Haare zu finden, wo Gott sie hingedacht hat, ist es auf jeden Fall einen Selbstversuch wert. Schon um einen Eindruck von Aufwand und Wirkung zu gewinnen.
Schamloses aus dem Waxing-Studio
Nur wer Neues probiert, kann auch Neues entdecken. Das gilt ja möglicherweise auch fürs Schamhaar. Ich werde es also einfach mal testen, das Waxing. Das Gute: Haare wachsen ja auch wieder. Das tröstet mich. Allerdings nicht sehr. Der Besuch des Waxing-Studios ist mir schon im Vorfeld immens peinlich. Allein der Gedanke, dass sich eine mir völlig fremde Person ausgiebig mit meinem Unterleib beschäftigt! Ich versuche das Ganze eher medizinisch zu sehen. Neutral. Ich werde mich wohl oder übel frei machen müssen. Sehr frei. Deshalb bin ich vorbereitet. Ich habe hübsche Unterwäsche angezogen – nicht zu hübsch, aber ordentlich. Die Art, die man auch trägt, wenn man zum Gynäkologen geht. Angemessene Kleidung eben. Nicht zu auf reizend, aber auch nicht zu spießig. Souveräne erwachsene Unterwäsche, genau die Sorte, die man auch gern hätte, wenn man halbnackt in einem Krankenwagen landet. Anders als für das Haupthaar gibt es leider keine Schamhaarfrisur-Sonderhefte am Kiosk.
Im Internet habe ich mich schlau gemacht und mich über zeitgemäße „Untenrum-Frisuren“ informiert. Die Auswahl ist erstaunlich groß. Es gibt den „Landing Strip“, also einen Resthaar-Streifen auf dem Schambein. Er wird auch „Brazilian Cut“ genannt. Bei der Variante „Brazilian komplett“ werden außerdem auch die Härchen auf den äußeren Schamlippen entfernt. Bei den „Bikini Lines“ wird der Wildwuchs gerade so viel begradigt, dass das Schamhaar nicht aus dem Bikinihöschen herausquillt. Dann die „Freestyle Intimrasur“: Herzchen-, Pfeilchen- und andere Formen. Schließlich gibt es noch den „Hollywood-Cut“, also die komplett enthaarte Intimzone. Und glaubt man den Intim-Fashionistas, die aktuelle Trendfrisur.
Hintenrum und vorneweg
Im ersten Waxing-Studio ist es rappelvoll. Außer mir scheint das jeder Mensch im Rhein-Main-Gebiet regelmäßig zu tun. „Drei Stunden Wartezeit!“, verkündet die freundliche Frau am Empfang. Ich bin eine sehr ungeduldige Frau. Auch etwas, was mit dem Alter eher schlimmer statt besser wird! Drei Stunden Lebenszeit für die Warterei auf eine Schamhaarfrisur zu opfern, erscheint mir nicht angemessen. Vor allem weil ich nichts zu lesen dabei habe. Drei Stunden ohne Beschäftigung rumsitzen nur für einen haarfreien Unterleib, den außer mir zurzeit sowieso niemand sehen wird, nein, das ist nicht akzeptabel. Ich könnte einen Termin vereinbaren. Aber das ist nicht möglich. Also ziehe ich wieder ab.
Im nächsten Studio, nicht ganz so stylish, sitzen auch schon zwei Leute im Warteraum. „Sie müssten ungefähr eine halbe Stunde Wartezeit einkalkulieren!“, begrüßt mich eine der Angestellten. Wenn ich jetzt gehe, komme ich so schnell nicht wieder – ich kenne mich und beschließe zu warten. Was für ein gruseliger Beruf! Fremden Leuten den Intimbereich bearbeiten. Und auch noch Männern!
Endlich ruft mich meine Waxing-Expertin auf. Sie ist sehr freundlich. Wenn jetzt ein Mann aus dem Zimmer gekommen wäre, wäre ich wieder gegangen. Allein die Vorstellung, dass ein Mann diesen Job erledigt! Auf keinen Fall! Die Frau, die mir gleich so nahe kommen wird wie sonst nur Liebhaber und Gynäkologen, ist etwa in meinem Alter und anscheinend türkischer Herkunft. Immerhin. (In der Türkei gehört das Enthaaren zur Tradition und kaum ein anderes Land hat darin so viele effektive Methoden entwickelt. Dort war es schon Anfang der 90er Usus, dass es in jedem Friseursalon auch eine Enthaarungskabine gab.)
Ich beschließe, mir, wenn ich schon mal hier bin, auch mein Gesicht enthaaren zu lassen. Für Konversation ist meine Enthaarungsfrau nicht zu haben. „Ausziehen und hinlegen!“, sagt sie nur, nachdem ich meinen Wunsch geäußert habe. „Auch die Unterhose?“, frage ich sicherheitshalber noch mal nach. Sie guckt mich erstaunt an. War ja auch eine ziemlich dumme Frage. Ich lege mich unten ohne auf die Liege und bin sehr, sehr angespannt. Presse die Beine aneinander. Die Situation ist mir richtig peinlich. „Haben Sie das schon mal gemacht?“, fragt mich die Expertin mit Blick auf meinen Unterleib. Ich gestehe, das sei mein erstes Mal. Überrascht wirkt sie nicht. Kein Wunder. Meine Körpersprache hat gerade zum Megaphon gegriffen. Ich versuche zu plaudern, das trägt ja immer zur Entspannung bei. Jedenfalls zu meiner. Doch mein Gegenüber ist eher wort karg und widmet sich konzentriert ihrer Arbeit. Sie beginnt mit dem sogenannten Venushügel, der oberen Vorderansicht. Wachs drauf, abreißen, Wachs drauf, abreißen. Es tut höllisch weh. Jetzt heißt es Zähne zusammenbeißen und Beine spreizen. Mit der Pinzette geht es an die Feinarbeit. Ich stelle fest: An den Schmerz gewöhnt man sich. Ich versuche, mich auf die Atmung zu konzentrieren. Yoga sei Dank. Da lernt man konzentriertes Atmen.
Nach etwa 10 Minuten scheint vorne alles erledigt. „So, jetzt umdrehen!“, sagt sie. Umdrehen? Nein, das ist ausgeschlossen!, schießt es mir durch den Kopf. Keinesfalls. Was will sie denn an meinem Po? „Das gehört dazu!“, teilt sie mir einigermaßen streng mit. „Ja, schon“, versuche ich mich rauszureden, „aber ich glaube, ich habe da kaum Haare.“ Ihre Reaktion ist irgendwas zwischen Schnauben und Lachen: „Oh doch!“ Ich ergebe mich und drehe mich um. Mein weißer Riesenpo liegt nun auf dem Präsentierteller. Dort, wo man ihn keinesfalls gern haben möchte. „Pobacken auseinanderhalten!“, lautet die nächste Anweisung. Das ist jetzt wirklich der Gipfel der Peinlichkeit. Ich möchte ganz woanders sein. Sogar ein Zahnarztstuhl wäre besser als dies hier. Wie konnte ich hier nur jemals herkommen?! Allein der Blick auf die Wachsstreifen zeigt allerdings, dass sich die Arbeit durchaus lohnt. Man könnte aus dem, was da dranhängt, ein kleines Fellwestchen herstellen.
Aber wie es so ist mit allen Peinlichkeiten: Das Grauen wird weniger. Man schämt sich still vor sich hin und hofft inständig, dass hier schon ganz andere Kaliber gelegen haben und der eigene Anblick bei der Menge an Intimzonen einfach als gänzlich unspektakulär untergeht. Insgeheim hofft man, dass es bei anderen noch viel schlimmer ist. Dass man nicht die Krönung des Ganzen ist. Dass diese Frau nicht nach Hause geht und sagt: „Ihr könnt euch nicht vorstellen, was mir heute unters Wachs kam!“
Irgendwann ist zum Glück jede Schmach vorbei und ich darf mir, bevor es ans Gesicht geht, wieder was anziehen. Wachs im Gesicht ist auch nichts, was ich häufiger brauche. Besonders um die Augen herum tut es ziemlich weh. Irgendwann landet ein Wachsstreifen sogar auf meinem Hals. Ich gucke fragend und sie nickt nur. „Sind da etwa Haare?“ will ich wissen. „Ja!“ Meine Güte: Haare auf dem Hals! Wahrscheinlich war ich ursprünglich als Schaf geplant, und nachdem das Fell ausgesucht war, wurde umgeschwenkt. Ich bin ein Mensch mit Fell. Blondem Fell, immerhin.
40 Euro kostet mich die Prozedur. Und ja: Es ist schön glatt. Alles. „Da kann man fiese Pickel kriegen hinterher!“, hat mich eine Freundin gewarnt. Und tatsächlich bekomme ich sie am Hals und im Kinnbereich.
Das muss man dem Waxing allerdings lassen: Es hält eine ganze Weile. Vier Wochen nach meinem Versuch – das Haar wächst wieder und ist fast im Vorher-Zustand – lese ich: „Neuer Trend! Untenrum wird wieder Schamhaar getragen!“ Typisch. Da folge ich brav der aktuellen Mode, und schon werden die Trendkoordinaten geändert. Ich könnte die Haare also wieder entspannt wachsen lassen. Andererseits fühlt es sich durchaus gut an, so glatt und frei zu sein. Trotzdem: Will ich noch einen Termin auf dem ohnehin schon übervollen Beauty-Plan – neben Friseur, Nagelstudio, Sport? Möchte ich weiterhin fremde Frauen so tief blicken lassen? Ich glaube, ich kann künftig darauf verzichten. Obwohl ich nicht Fan der Meinung bin, dass „naturbelassen“ automatisch das Schönste ist. Dass die innere Strahlkraft schon alles richten wird. So ganz allein und auf sich gestellt. Ohne wenigstens ein kleines bisschen Hilfe, und das ausgerechnet jetzt.