1. Lebensübergänge im Spiegel der Natur verstehen

Wenn das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht trägt

Alle Lebensübergänge gehen mit grundlegenden Veränderungen einher, und zwar sowohl seelisch, geistig und körperlich als auch materiell, räumlich und sozial. Sie fordern, Abschied von einer alten Identität zu nehmen, um in eine neue hineinzuwachsen. Diese tiefe Wandlung ist wie Sterben und Neu-geboren-Werden und konfrontiert uns mit Auflösung, Unsicherheit, Nichtwissen und einer vielleicht noch fragilen Zugehörigkeit zum eigenen Leben. Es sind krisenhafte Zeiten, in denen unser Gleichgewicht empfindlich aus der Balance geraten kann.

Den Raum des Vertrauten verlassen

Bevor wir in einen Übergang geraten, fühlen wir uns sicher und vertraut in dem, was wir sind und wie wir leben. Das Leben scheint geordnet, vieles ist selbstverständlich. Rollen, Werte, Identitäten und selbst ungeliebte Beziehungsmuster sind verlässlich. Wir haben uns eingerichtet im Leben, haben unsere Netze geknüpft, in denen wir uns sicher bewegen, und sind enge Bindungen eingegangen. Tief verankerte Zugehörigkeiten tragen uns.

Aber da alles Leben dem universellen Grundmuster des Wandels folgt, steht irgendwann Veränderung an. Jedes Lebewesen und auch jede Lebensphase durchläuft die gleichen Zyklen des Wandels von Entstehen, Wachsen, Blühen, Reifen, Zerfallen und Sterben. Lebensthemen gehen zu Ende, Freundschaften tragen nicht mehr in der gewohnten Weise.

Einige Übergänge im Leben können wir freiwillig und selbstbestimmt entscheiden, wie Berufswechsel oder Hochzeit. Viele ereignen sich jedoch ohne unser Zutun, ob wir wollen oder nicht, weil sie unweigerlich und unaufschiebbar zum Leben dazugehören. Sie werden durch die natürlichen Entwicklungsprozesse und lebenszyklischen Ereignisse wie Erwachsenwerden, Elternschaft und Altern angestoßen. Sie können auch durch einschneidende Lebensereignisse plötzlich ausgelöst werden, etwa durch:

Diese Übergänge werden zum Teil als gravierender empfunden als die lebenszyklischen Übergänge wie Heirat oder Elternschaft. Einschneidend ist ein Übergang für Menschen meist dann, wenn Vertrautes stark in Frage gestellt wird. Es ist ein großer Unterschied für die Bewältigung von Lebensübergängen, ob wir eine Veränderung und ihren Zeitpunkt selbst wählen können, weil wir uns innerseelisch reif dafür fühlen, oder ob sie von außen konfrontierend in unser Leben einbricht. Bei Paaren kommt es immer wieder vor, dass bei dem einen der innere Loslösungsprozess zum Zeitpunkt der Trennung bereits abgeschlossen ist, während die andere völlig davon überrascht wird. Selbst wenn wir Entscheidungen selbst treffen konnten, hängt der gelungene Übergang davon ab, wie wir auch in Zukunft Ja zu der vergangenen Entscheidung sagen.

Diese äußeren Situationen wecken uns auf, die alte Identität neu zu überdenken und uns neu zu orientieren. Vieles, was bisher gelebt wurde, wird fragwürdig und löst sich in seiner bisherigen Selbstverständlichkeit auf. Die Frage taucht auf, was im Leben wirklich wesentlich ist und was trägt.

Auch wenn erwünschte Übergänge unerfüllt bleiben oder anders verlaufen als ersehnt – etwa sich auszusprechen, bevor eine wichtige Person stirbt, mit der eigenen Berufung Geld verdienen zu können oder den geliebten Menschen zu heiraten – erfordert dies Anpassungsprozesse und die Neufindung eigener Wertesysteme.

Nicht immer sind es Erlebnisse aus der äußeren Welt, die einen Wandlungsprozess einleiten. Er kann auch davon losgelöst von innen heraus geschehen. Erleben wir zu viel Stillstand und eingefahrene Routine, erfüllen wir nur noch Pflichten, schalten wir seelisch ab durch zu viel Fernseh- oder Internetkonsum, kann eine heilsame Erschütterung in unser Leben treten, um seelischer Entwicklung Raum zu geben. Dann zieht es uns förmlich in die Wandlung hinein. Unsere Identität ruft nach innerem Wachsen und äußerer Veränderung und möchte sich erweitern. Denn im Kern sehnen wir uns nach unserer eigenen Wahrhaftigkeit, danach, wir selbst zu sein und in der Fülle der eigenen Kraft zu leben. Wir fühlen uns von der größeren Dimension unseres Seins »gerufen«.

Im Übergang kann es uns zu etwas Neuen hinziehen oder von etwas Altem wegdrängen. Vielleicht möchten wir eigentlich lieber im alten Zustand verweilen, wenn dies nur möglich wäre. Wir können mit dem Lebensstrom mitfließen oder uns gegen ihn wehren, fühlen uns gespannt auf das Neue oder verloren. Manchmal wollen sich unsere Wünsche einfach nicht verwirklichen, so sehr wir uns anstrengen mögen. Und auch das fordert ein großes Loslassen von uns, zu dem wir nicht immer bereit sind.

Mitten im Übergang

In Lebensübergängen stellt sich uns nicht nur die Aufgabe, Gewohntes, Vertrautes, uns lieb Gewordenes loszulassen, sondern auch den Menschen, der wir waren, zu verabschieden. Die Identität wandelt sich, wir verlieren sogar Halt in dem, was wir geworden sind. Dadurch erhält die Sinnfrage eine zentrale Bedeutung: Warum bin ich hier auf der Welt? Wofür lohnt es sich, jeden Morgen aufzustehen? Wie soll ich meine Lebenskraft einsetzen?

Beziehungen, Berufung, Lebensumfeld, selbstverständliches Sein und Selbstwirksamkeit werden neu überprüft. Entscheidungen und Ablösung von Menschen stehen an. Es kommt zum Abbruch eines sicheren Lebensentwurfes. Die innere Gewissheit, zum Leben dazuzugehören und darin einen sicheren Platz zu haben, wird erschüttert. Gefühle von Verlust, Angst, Zweifel, Wut, Hin-und-Her-Gerissensein, aber auch von Zuversicht und Neugier auf das Neue katapultieren das Ich immer tiefer in die Frage, wo der eigene Platz im Leben ist, was sich überholt hat und was neu gelebt werden will. Eine neue Art von Selbstverständnis, Eigenständigkeit, die ureigene Lebensaufgabe und Entfaltung hin zum Kern der eigentlichen Persönlichkeit werden zu existentiellen Themen.

In diesem Prozess werden Schichten unseres Seins abgeblättert und wir erleben eine tiefe Sinn- und Bedeutungsverschiebung. Wir fühlen uns in einer Art Niemandsland, einem unbehausten Provisorium, bei dem wir uns weder zum Alten noch zum Neuen zugehörig fühlen. Wir sind es kaum gewöhnt, einen solchen Zustand des Dazwischen auszuhalten im Vertrauen darauf, dass sich hinter all den vielen Schichten ein unverletzter Kern zeigen kann.

In diesem Zwischenraum stirbt alles Müssen, Sollen, und die Hüllen um die eigene Essenz fallen ab. Das, was wir für unser Ich gehalten haben, wird langsam aufgelöst. Dahinter kann die Angst verborgen sein, wenn wir das alte Ich opfern, das sich bisher so souverän in der Gesellschaft bewegt hat, dass dann nichts mehr übrig bleibt. Dieses Absterben des alten Ichs, die Trauer, dass das eigene Leben vielleicht nicht entsprechend den eigenen Potenzialen entfaltet wurde, ist Teil der eigenen Individuation. Innere Leere, das Gefühl von Wertlosigkeit, Entfremdung und Entwurzelung verweisen auf das Bedürfnis der Seele nach Ganzwerdung, Heimat und Zugehörigkeit.

Die Unsicherheit darüber, ob ein Übergang gelingt, kann uns an den alten Zustand binden. Altes und Neues ringen miteinander um einen erfüllenden Lebensentwurf. Fallen wir zurück hinter den Impuls der Seele, uns weiterzuentwickeln, enttäuschen wir das, was sich in uns entfalten will.

Der Übergang in eine neue Lebensphase fällt oft dann schwer, wenn scheinbar Unversöhnbares unsere Lebensenergie bindet. Wie gut wir vom Alten abgelöst sind oder wie sehr wir noch am Alten hängen, hat Auswirkungen auf unsere innere Stabilität.

Entscheidend in der Schwellenphase ist dabei, welche Erfahrungen wir sammeln konnten, mit kritischen Veränderungen selbstwirksam umzugehen, ob wir uns mit unseren Kraftquellen verbinden und auf genügend innere, finanzielle und soziale Ressourcen zurückgreifen können. Wenn wir uns getragen fühlen von guten Freundinnen und Freunden, sind Verluste eher zu verschmerzen. Auch unsere Verletzlichkeit und Sensibilität spielen eine Rolle. Können wir flexibel mit neuen Situationen umgehen, uns offen auf Neues einstellen und Wagnisse mutig eingehen, dann wird uns der Übergang leichter fallen.

Um zu neuen Ufern aufzubrechen, brauchen wir oft eine Erschütterung. Ist sie nicht groß genug, werden neue äußere Einflüsse vom alten System unterdrückt. Ist sie groß genug, werden in dem entstehenden Lebensübergang große Potentiale an Kreativität bereitgestellt, damit sich unser seelisches System an die veränderte Situation anpassen kann. In diesem Sinne müssen wir aus dem bisher Bewährten herausgeschleudert werden, damit kreative Prozesse das Neue initiieren können. Im Kippen und Schwanken zwischen Altem und Neuem wird dabei so lange ein Mittelpunkt umkreist, dem wir uns allmählich in einer Spiralbewegung nähern, bis wir das eigene Zentrum erreichen, das zum Ort schöpferischer Wandlung wird.2 Reifungsprozesse zur Neuwerdung durchlaufen – ebenso wie auch die seelische Entwicklung – unterschiedliche Stadien. Das Kippen und Schwanken zwischen den Polen des Alten und des Neuen gehört zu jedem Übergang dazu. C. G. Jung beschreibt diese Überwindung der Gegensätze so: »Das Zwischen-den-Gegensätzen-Schwanken oder Hin-und-Hergeworfenwerden ist […] ein In-den-Gegensätzen-Enthaltensein.«3 In diesem Prozess werden wir weicher und zugänglicher für unsere ureigenen Ressourcen.

Nach über dreißig Jahren hat Susannes4 Mann eine Beziehung mit einer gemeinsamen Freundin begonnen. Kurz danach erfolgt die Trennung und er zieht aus. Sie ist fassungslos, schockiert, wütend, versteht nicht, warum er nur kaum für die drei gemeinsamen Kinder sorgt. Sie fühlt sich ausgetauscht, verlassen, betrogen. Nach einigen Monaten Therapie geht sie rituell in die Natur. Dort wählt sie auf einer Streuobstwiese zwei Bäume: einen für ihren Exmann und einen für sich selbst. Sie geht mit einem inneren Satz zu den Bäumen, der sie unterstützt: »Einatmend nehme ich meine Wunde und meine Wut wahr, ausatmend umarme ich sie.«

Zunächst verbindet sie sich tief mit ihrem Baum, der voller praller Äpfel hängt. Sie empfindet ihn als stark, üppig, voller Fruchtbarkeit. Sie kann sich zutiefst dafür danken, dass sie sich wieder geöffnet hat für Neues im Leben, trotz ihres Schmerzes.

Innerlich verbunden mit ihrem Baum geht sie zu seinem Baum hinüber. Dieser trägt nur noch an einem Ast Früchte. Die Äste sind teilweise abgebrochen und trocken. Voller Wut, er habe die Familie »abgesägt«, betrauert sie den Verlust der vertrauten Bindung. »Unser Ast wuchs in den Himmel. Aber er ist abgebrochen«, sagt sie. Dann sieht sie, wie dieser Baum selbst aus dem Gleichgewicht geraten ist und nur noch sehr dürftig wächst. Als sie das wahrnimmt, hat sie tiefes Mitgefühl. Obwohl sie vieles nicht versteht, verstehen kann und will, verabschiedet sie sich versöhnter von dem Baum und damit von der Paarbeziehung mit ihrem Mann.

Zurück bei ihrem Baum nimmt sie eine Wunde an ihm wahr und erkennt, dass ihre Wut ebenso zu ihr gehört wie ihre Liebe. Sie anerkennt, dass beides sein darf. Sie bittet den Baum, ihr vorsichtig neue Wege der Verbundenheit zu zeigen. Da realisiert sie, dass es in den vergangenen Monaten so viel Wachstum in ihrem Leben gab, auch wenn nicht alles gut war. Wie der Baum ist sie beherzt und kraftvoll in eine andere Richtung gewachsen. Obwohl dem Baum geschadet wurde, wächst er dem Licht entgegen. Sie fühlt zutiefst, dass sie den Kindern ein Vorbild sein möchte, ihren Mann weiter lieben zu dürfen, auch wenn die Paarbeziehung beendet ist. Sie selbst kann in der Liebe bleiben – trotz der Trennung.

Verkannte Übergänge

Wenn wir die beschriebene Orientierungslosigkeit, Sinnkrise und unbewältigten Abschiede als Lebensübergänge auffassen, dann können wir sie auch sinnvoll und heilsam gestalten. Oft bleiben sie als Lebensübergänge unerkannt. In therapeutischen Situationen kann es hilfreich sein, Lebenssituationen und Lebenskrisen als Übergang und tiefen Prozess einer inneren Wandlung von einem alten in einen neuen Seinsbereich der Identität zu verstehen.

Je bewusster dabei eine alte Phase durchlebt wird und Umbrüche als Teil des natürlichen Kreislaufs des Lebens gesehen werden, desto mehr ist spürbar, dass auch die eigene Krise ein Teil davon ist. So können wir verstehen, dass unser eigener Wandlungsprozess in einen umfassenderen Prozess des Lebendigen eingebettet ist. Je klarer wir dabei unterstützt werden, anzuerkennen, dass ein altes Ich stirbt, eine neue Lebensphase beginnt und diese rituell verankert werden kann, desto weniger schwer kann die Krise verlaufen. Sie ereignet sich dann, wenn das, was passiert, einfach und fast unmerklich geschieht oder unbeachtet bleibt.

Wir modernen Menschen sind nicht mehr so tief mit dem Wissen und der Erfahrung zyklischer Stirb- und Werde-Prozesse verbunden. Wir vermögen daher nicht immer Leidens- und Transformationsprozesse als dem Leben zugehörig und als Lebenskeime zu würdigen. Seelische Gesundheit heißt aber nicht die Abwesenheit von Leid. Wir erlangen sie, wenn wir um die Zyklizität des Lebens wissen und uns vor bestimmten Seelenzuständen nicht mehr fürchten, sondern die Seele ebenso nähren wie den Körper.

Manche Übergangsprozesse sind auch eher schleichend, so dass sie kaum bemerkt werden. Sie graben sich nicht so tief ins Leben ein.

Das Neue bricht durch

Im Vergehen und im Übergang kündigt sich bereits das Hineinwachsen in das Neue an, auch wenn es danach nicht mehr so ist wie vorher. Die neue Haut ist nach der Häutung noch sehr dünn, zart und verletzlich. Das Leben kann uns an diesem Punkt einladen, die Wandlung und das, was ist, anzunehmen und die Anhaftung an unsere Vorstellungen abzustreifen, was hätte sein sollen. Wir verzeihen nach und nach dem Leben, übernehmen Verantwortung, nehmen Schuldzuweisungen zurück und streifen das Gefühl ab, Opfer zu sein. Manchmal ist das eine harte, erst im Nachhinein lohnende Lernaufgabe. Zunehmend beginnen wir, das eigene Glück und Unglück weniger von den äußeren Umständen und anderen Menschen abhängig zu machen.

Dabei braucht es seine Zeit, zu einem neuen Umgang mit den eigenen Gefühlen, zu neuen Verhaltensweisen und einem neuen Zugang zu sich selbst und dem eigenen Leben zu finden. Aus den Brüchen werden Brücken. Nach dem Bruch kommt der Aufbruch, der Wunsch, das Leben neu zu ordnen. Wir ahnen, dass der Übergang unumkehrbar ist. Dann fühlt sich die Unsicherheit gesegnet an. Die Brüche haben uns ein beherztes Offensein ermöglicht, wodurch aus dem Ertragen ein beseelter Ertrag möglich wird. Neugier und Zuversicht wechseln sich mit Angst ab. Wir spüren, dass wir nicht weniger werden, wenn wir etwas hergeben, und können die Phantasie des Neuanfangs wagen.

Die Brüche im Übergang erwecken unsere Sehnsucht, uns als Mensch ganz zu fühlen und mit einer tieferen Lebendigkeit und Verbundenheit in ein größeres Selbst hineinzuwachsen. So kann jeder Lebensübergang als Weg in die eigene Ganzheit und Hinführung zu unserem tieferen Wesen verstanden werden. Im Übergang werden wir in eine neue Dimension unseres Seins initiiert. C. G. Jung spricht davon, dass die Natur uns im Laufe des Lebens in unseren eigenen inneren Seelengefährten umgebiert, uns wandelt in den inneren zukünftigen, größeren Seelenraum, der in uns angelegt ist, auch wenn wir diese Form der Ganzheit nie vollständig erreichen können: »Die Wandlungsvorgänge wollen die beiden einander annähern, wogegen das Bewusstsein aber Widerstände empfindet, weil der andere zunächst als fremdartig und unheimlich erscheint […]. Wir sind aber mit dem inneren Freund oder Feind konfrontiert, und dabei hängt es von uns ab, ob er uns Freund oder Feind ist.«5

Susanne erlebte die Qualität des Neuen nach einer rituellen Auszeit in der Natur, zwei Jahre nach der Scheidung von ihrem Mann, so:

»Ich hatte früher ein Leben, da war ich fest verwurzelt und eingebunden. Über viele, viele Jahre. Beneidenswert. Und jetzt habe ich ein Leben, da bin ich auch verwurzelt und eingebunden. Es gibt jetzt bloß nicht mehr diese eine dicke, fette, tiefe Pfahlwurzel, die mich erdet, sondern es sind viele und neue Wurzeln, die sich ausgebreitet und kraftvoll entwickelt haben. Manchmal vergesse ich, dass sich diese Wurzeln gebildet haben und mich tragen, und ich fürchte umzukippen. Und dann merke ich meistens, dass sie ja doch da sind oder sich wieder neue Ausläufer in unbekanntes Gebiet gewagt haben. Ich glaube, das ist auch beneidenswert.«

Übergänge stimulieren bislang nicht gelebte Seiten in uns und gebären uns in eine neue Form hinein. In der Wandlung bewegen wir uns von einem kleinen, fixierten Ich auf ein größeres, lebendigeres Selbst zu. »Man kann nicht über sich selbst hinaus, sondern nur noch weiter in sich selbst hinein, und dieses Selbst ist nicht identisch mit dem Ich«6, so C. G. Jung. Wandlung impliziert meist eine Begegnung mit dem schöpferischen Selbst, mit dem innersten Kern der eigenen Existenz. Barrieren, die verschlossen waren, öffnen sich. Dazu erfordert Wandlung den Mut, Grenzen zu überschreiten. Ohne die Konzentration auf das Wesentliche, die Respektierung anderer Haltungen und ohne die Lust, immer wieder anzufangen und neue Wege zu gehen, ist Wandlung als Lebenserneuerung nicht vorstellbar. Letztendlich bleibt Wandlung geheimnisvoll. Sie öffnet uns für das Unbekannte und webt unser Leben neu.

Individuelle Entwicklung umfasst immer auch die Welt und korrespondiert mit ihr. Unsere persönliche Krisenbewältigung kann uns ermutigen, uns als gestärkte Person gemeinsam mit anderen für eine nachhaltigere Welt zu engagieren. Denn auch gesamtgesellschaftlich können wir einen umfassenden initiatorischen Prozess beobachten. Wie die Tiefenökologin Joanna Macy beschreibt, sind wir zugleich Sterbebegleiter einer alter Welt, in der das Ökosystem der Erde empfindlich gestört wurde, und Hebammen einer neuen Welt.7 Aus tiefer Einsicht heraus können wir uns so für neue Formen der Kooperation mit der Erde einsetzen.

Auflösung und Neuwerdung in Symbolen der Natur

Das Ringen zwischen alten und neuen Seinsformen wird uns in der Natur auf vielfältige Weise gezeigt. Übergänge in der Natur finden sich in den Wachstums- und Wandlungszyklen von Tieren und Pflanzen. Wir erleben sie täglich in den Zyklen von Tag und Nacht, monatlich in den Rhythmen des Voll- und Leermondes und jährlich in den wechselnden Jahreszeiten. Wenn das Morgengrauen den Tag ankündigt oder die Abenddämmerung die Nacht einläutet, ist es sowohl Tag als auch Nacht. Das kann uns im Übergang daran erinnern, dass es Zeiten gibt, in denen weder das Alte noch das Neue wirklich die Oberhand hat. Beide können gleichzeitig existieren.

Die Auseinandersetzung mit Symbolen der Neuwerdung in der Natur – wie Geburt, Häutung und Verpuppung – kann dazu ermutigen, Vertrauen in den ganz eigenen Weg im Lebensübergang zu finden. Die Beispiele aus der Natur spiegeln wider, wie unterschiedlich und vielfältig seelische Übergangs- und Reifungsprozess verlaufen können. Sie geben uns Hinweise darauf, was wir für unsere eigenen Entfaltungsprozesse beachten können.

In allen Transformationsprozessen von einem alten in einen neuen Zustand braucht die Seele ihre eigene Zeit der »Verpuppung«, des Rückzugs, bevor die neue Erscheinungsform im Leben sichtbar werden kann.

Geburt und Häutung

Einer der wesentlichsten Übergänge ist die Geburt. Ob als Geburt des Lichts bei Tagesanbruch oder zur Wintersonnenwende, als Geburt eines neuen Wesens, ob bei den Erdkröten, die ihre Eier laichen, welche Wochen später als Kaulquappen schlüpfen, ob ein Küken aus einem Ei schlüpft, eine junge Buche unter der Mutterbuche wächst: Die Geburt als Metapher lehrt uns, dass es auf dem Weg zur Neuwerdung einen langen Reifungsprozess gibt, der durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann. Er findet geschützt von äußeren Einflüssen und für die Außenwelt längere Zeit verborgen in einem ihm ganz eigenen Element statt, wie dem Fruchtwasser. Im geschützten Raum werden die Gegensätze von Männlichem und Weiblichem zu etwas Neuem vereinigt. Nur durch den geborgenen, haltenden Raum kann Neues entstehen und wachsen.

Ist die Zeit des Reifens abgeschlossen, wird das neue Leben ausgestoßen und ist auf sich selbst geworfen. Der Weg durch den Geburtskanal ist eng, und Schmerz, Erschöpfung und schließlich Glück und Erfüllung bestimmen den Prozess. Manches kommt zu früh, anderes will nicht von selbst kommen. Neues ins Leben zu bringen erfordert absolute Hingabe.

So sind auch seelische Übergangsprozesse Geburtsprozesse, die mit Weh und Wunder, Freude und Angst, Stress und Erleichterung, Enge und Weite, Härte und Weichheit, Hingabe und Willen einhergehen können. Wenn das Neue da ist, ist es angewiesen auf Fürsorge, Schutz und Genährtwerden. Erst wenn die Zeit gekommen ist, werden die Jungen im Tierreich regelrecht verstoßen und weggebissen, damit sie selbst ihren Platz im Leben finden.

Für viele Menschen ist die Häutung der Schlange ein eindrückliches Transformationsbild. Auch das Häuten geschieht langsam, im Verborgenen, geschützt. Unter der alten Haut wächst die neue bereits. Schlangen verzichten in dieser Übergangsphase auf Nahrung, bis sie eines Tages die alte Haut abwerfen. Auch in der seelischen Entwicklung bereitet sich, während das Alte noch sichtbar ist, im Unsichtbaren bereits das Neue vor und kündigt sich in Ahnungen, Träumen, inneren Bildern und neuen Erfahrungen an.

Die Metamorphose der Raupe zum Schmetterling

Der Transformationsprozess der Raupe zum Schmetterling veranschaulicht faszinierend, wie im Übergang alte Seinsformen mit neuen Entwicklungsformen ringen, bis sich schließlich der Schmetterling in der neuen Gestalt zeigt. Was passiert da im Inneren des Schmetterlings?

Norie Huddle hat diesen Prozess eindrücklich beschrieben.8 Nachdem im Raupenstadium jeden Tag Unmengen Nahrung aufgenommen wurden, spinnt sich die Raupe in einen Kokon ein. Von außen nicht sichtbar verflüssigt sich das Innere des Kokons in einem Verdauungsprozess. Auf der Ebene der Zellen geschieht dabei zweierlei: Einerseits lösen Enzyme die alte Zellstruktur der Raupe auf. Andererseits entstehen im Kokon neue sogenannte Imagozellen, die auf einer anderen Frequenz schwingen und das Bild zukünftiger Strukturen und Ordnungssysteme des Schmetterlings bereits in sich tragen.

Die Zellen des alten Immunsystems der Raupe beginnen jedoch damit, die Imagozellen als Fremdkörper zu bekämpfen und die erste Generation von ihnen fast vollständig zu eliminieren. Die zweite Generation der neuen Zellen beginnt daraufhin, Klumpen in kleinen befreundeten Gruppen zu bilden, und infiziert die Zellen des alten Systems, selbst Imagozellen zu werden. Mit dem Sterben des Alten wird mehr und mehr die Zukunft geboren.9 Die Imagozellen verkörpern eine Art Zukunft, die in der Gegenwart bereits eingeschlossen ist und sich entfalten will. Die Imagozellen werden umso wirksamer, je mehr das überholte System in sich zerfällt. Das alte Immunsystem hat dadurch immer weniger Chancen, die neuen Zellen zu zerstören. Die Klumpen verdichten sich weiter zu Netzwerken, die breit gestreut Informationen austauschen. An einem bestimmten Punkt in dieser Entwicklung erkennen die neuen Zellen sich selbst als neue Form des Schmetterlings. Es entsteht eine neue Identität. Ab diesem Moment weiß jede Zelle, was ihre Aufgabe ist, und wird ermutigt, ihren neuen Platz einzunehmen.

Seelische Wandlung gleicht einer Schmetterlingstransformation. Da ist eine Raupe, die noch nicht zu dem geworden ist, was in ihr angelegt ist. Sie ist verpuppt und eingehüllt in ein feines Seidengespinst, das vor der Außenwelt schützt. Wie bei den Imagozellen des neuen Zustands und bei den Zellen des alten Immunsystems wehrt sich unsere Seele zunächst gegen einen Wandel und gegen die Auflösung bisheriger vertrauter Zustände. Die Zeichen des Neuen werden ignoriert, unterdrückt und bekämpft. Das alte bestehende System reagiert zunächst mit Abwehr und versucht, die alte Ordnung wiederherzustellen. Es missversteht das Neue, das entstehen will, als Fremdkörper und Störenfried und wehrt sich gegen den eigenen Sterbeprozess, indem es sich von der natürlichen Dynamik lebendiger Systeme abschottet. Dabei hat das alte System sich selbst überlebt und besitzt nicht die Kraft zur Bewältigung der neuen Herausforderungen. Aber da nichts so beständig ist wie der Wandel, wird sich der Schmetterling eines Tages entfalten.

Das Bild der Metamorphose des Schmetterlings vergegenwärtigt, dass der Verwandlungsprozess von einer inneren Kraft und Bestimmung her geführt ist. Es ermutigt uns, in Veränderungssituationen aus Opferrollen und Kampf herauszutreten und stattdessen kreative Erfahrungen des Sich-Vernetzens, der Verbundenheit zu suchen, in denen wir unser schöpferisches Eingebundensein wahrnehmen können. Auf diesem Weg müssen wir alte selbstzerstörerische Handlungsweisen aufgeben und den Zusammenbruch alter Ordnungen als lebendigen Prozess der Wandlung sehen, der die Zukunft in unser Leben hineinholt. Es ist tröstlich, dass gerade in dem, was abstirbt, Potenziale für Neues verborgen sind. Konkret hieße das, Erfahrungsräume für eine mögliche Zukunft bereits im gegenwärtigen Sein zu schaffen, statt auf zukünftige Veränderungen von außen zu warten. Damit wird der Übergang zum Freund statt zum Feind.

Nicanor Perlas hat das Schmetterlingsbild auf die globale Zivilgesellschaft übertragen: Wie vernetzte Imagozellen bilden sich weltweit Millionen von alternativen ökologischen Lebensweisen, Projekten, Organisationen. In der synergetischen Bezogenheit zur Welt als Ganzes begreifen Menschen überall auf der Welt, dass sie die Zukunft durch ihr Verhalten als viele Imagozellen, welche die Welt verändern, beeinflussen können. Menschen, die so zu mehr Nachhaltigkeit, zu einer ökologisch und ökonomisch verantwortlichen und lebenswerten Zukunft für die nachfolgenden Generationen beitragen, »verbinden sich mit all dem, was lebendig und verwandlungsfähig in der Gesellschaft ist, und nicht mit dem, was im Absterben ist«10. Das Aufbrechen der eigenen Schutzhüllen ist auch eine politische Arbeit. Es ist der Wandel, den wir im Handeln in die Welt bringen. Wir sind, wie Paul Hawken sagt, Teil einer neuen Identität des gesellschaftlichen Wandels.11

Zentrale Lebensphasen und Lebensübergänge

Zwischen Geburt und Tod bewältigen wir eine Reihe von Lebensübergängen. In diesen Entwicklungsprozessen wechseln sich Phasen der Konsolidierung mit Phasen des Aufbruchs und des Übergangs ab.

Auch wenn die Lebensphasen und -übergänge universell sehr ähnlich verlaufen, da sie dem natürlichen Zyklus des Lebens entsprechen, ist die Art, Übergänge zu verarbeiten, höchst einzigartig. Daher können die hier beschriebenen Herausforderungen, Blockaden und Anpassungsleistungen in den einzelnen Lebensphasen und Übergängen nur Orientierungslinien sein.

Übergänge und zentrale Lebensthemen in der Kindheit

Bereits bei der Geburt erfahren wir unsere erste Initiation: durch den Geburtskanal von der Dunkelheit ins Licht, vom Element des Wassers in das Element der Luft, von Wärme und Stille in Kühle und Geräusche, vom rundum Versorgtsein zum selbstständigen Atmen und Trinken. Allein mit diesem Übergang vollbringt das Neugeborene eine große Anpassungsleistung. Es verlässt den geborgenen Raum und erhält einen Namen, der ihn sein Leben lang begleiten wird. Es wird vielleicht getauft und wächst in einen bestehenden Familien-, Paten- und Geschwisterkreis hinein. Wird es getauft, tritt es in eine religiöse Gemeinschaft und ein überliefertes Glaubenssystem ein. Die ersten Lebensjahre dienen dem Ankommen in der Welt.

Nach und nach entwickelt das Kind ein eigenes Ich-Gefühl. Es öffnet sich für das Leben, staunt, fragt, probiert aus und entdeckt die Welt. Ein zweiter Übergang ist der Eintritt in den Kindergarten. Das Kind merkt, dass es in ein größeres, soziales und gesellschaftliches Gefüge eingebettet und nicht nur in der vertrauten Familie beheimatet ist. Es ist der erste Kontakt mit einer Institution, in der es gilt, den eigenen sozialen Platz in einer Gruppe zu finden.

Mit dem Eintritt in das Schulsystem ist der Übergang in die geistigen und kognitiven Kulturtraditionen und in eine vorgegebene zeitliche Struktur verbunden. Das Kind lernt, sich in dieser Welt zurechtzufinden. Diese lange, leistungsorientierte Sozialisation berücksichtigt nur wenig die Intuition und ist nur selten am Erfahrungswissen, am Staunen und an der Naturverbundenheit des Kindes orientiert. So lernen Kinder kaum noch, zwanzig Bäume zu unterscheiden und zwanzig essbare Wildkräuter zu kennen.

Die Herausforderungen bestehen in dieser Lebensphase darin, sich im Familiensystem und in Klassenverbänden zurechtzufinden, die Identität neu auszurichten auf die sozialen Gefüge, Freunde zu finden und das eigene Sosein zu entdecken. Erste Hobbys entstehen, Interessen entfalten sich. Zugehörigkeit und Vertrauen zu entwickeln sind zentrale Themen der Kindheit; gerade hier kann es zu Brüchen kommen.

Übergänge und zentrale Lebensthemen in der Adoleszenz

Der Übergang von der Kindheit zum Jugendlichenalter zeichnet sich durch eine stärkere Orientierung an der Peergroup und eine zunehmende Abnabelung von den Eltern aus. Auch sie realisieren, dass ihre Kinder mehr und mehr selbstständige Wesen sind, die ihre eigenen Vorstellungen und Werte entwickeln und sich zunehmend abgrenzen und zurückziehen. Die Werte und das Leben der Eltern werden hinterfragt.

Dieser Übergang ist vor allem körperlich sichtbar. Die Geschlechtsmerkmale prägen sich aus, das Interesse für das andere Geschlecht wächst, die erste Menstruation und der erste Samenerguss bringen die Erfahrung, ein sexuelles Wesen zu sein.

Allein in der kurzen Spanne vom ca. zwölften bis zwanzigsten Lebensjahr sind eine Reihe von Übergängen zu bewältigen. Neben dem Bestreben nach mehr Autonomie und Selbstbestimmung wird zugleich noch die Nähe der Eltern gesucht. Das Konglomerat verschiedener Rollen bewirkt häufig, dass Jugendliche von Zweifeln, Rebellion und Abgrenzungsbestrebungen geprägt sind. Die zum Teil heftigen Machtkämpfe dienen der Orientierung. Die Herausforderungen dieser Lebensphase sind, Grenzen zu testen, unabhängiger zu werden und sich zugleich als zugehörig zu erleben, Interessen zu entfalten, mehr und mehr eigene Wege zu gehen, die Identität in Abgrenzung und Bezogenheit zu entwickeln, sich der eigenen Geschlechtsidentität und dem eigenen Körperempfinden anzunähern. Die balancierte Entwicklung von Männlichem und Weiblichen ist nicht ganz einfach, da männliche Identifikationsfiguren oft fehlen. Sinnkrisen gehören in dieser Zeit genauso dazu wie der Wunsch, die eigenen Kräfte auszuprobieren.

Das Ende der Schulzeit gilt der großen Ausrichtung auf das Berufsleben und das berufliche Wirken in der Welt, der äußeren Ablösung vom Elternhaus und der Orientierung hin zu mehr Eigenständigkeit. Entscheidungen zur Berufswahl, Ausbildung und Eintritt in den Beruf stehen an und das Bedürfnis, wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen, wächst. Es ist eine Phase von Höhen und Tiefen, die den Abschied von der Kindheit einfordert. Viele Jugendliche verspüren ein tiefes Bedürfnis, erkennen zu wollen, wer sie sind, was sie trägt und was sie in der Welt beitragen können. In unserer Kultur gibt es darauf nur wenig Antworten.

Da vor allem der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen als sehr einschneidend im Leben des Menschen galt, gab es in vielen Kulturen spezielle Initiationsriten. Heute fehlt neben Schul- und Berufsabschlüssen, rechtlicher Volljährigkeit und Führerschein diese seelische Reifeprüfung, in der Jugendliche ihren Wert und Sinn in der Welt erkennen können. Der Übergang selbst kann dadurch zu einer ausgedehnten Lebensphase werden, in der Bindung, Verantwortung und Festlegung schwer fallen. Die juvenile Zeit ist verlängert, das Erwachsenwerden kann sich bis in die Dreißiger hinausschieben. Noch vor fünfzig Jahren waren die Übergänge markant: Mit dem Ende der Schulzeit begann direkt die Lehrzeit und damit der Eintritt ins Berufsleben und ins Erwachsensein.

Übergänge und zentrale Lebensthemen im Erwachsensein

Mit der tieferen Bindung an eine berufliche Ausrichtung, an eine Partnerschaft und Arbeitsstelle wachsen wir mehr und mehr in Eigenständigkeit und ins Erwachsensein hinein. Wir bilden soziale Zugehörigkeiten in Partnerschaft, Gemeinschaft und in sozialen Netzen, heiraten vielleicht und übernehmen die Aufgabe leiblicher, ideeller oder geistiger Elternschaft. Die eigenen Werte werden differenziert, wir suchen Gleichgesinnte, entfalten uns beruflich und in der Familie, erforschen neue Wohn- und Lebensformen. Wir engagieren uns zunehmend für andere und für Projekte, die wir gemäß unseren Werten für sinnvoll erachten. Indem wir in die Verantwortung gehen und nachhaltige Entscheidungen treffen, nehmen wir die Rolle des Erwachsenen ein.

Ein großer Übergang ist die Geburt von eigenen Kindern, die Unterstützung ihrer Entfaltung sowie die späteren Auseinandersetzungen in der Adoleszenz, die dazu herausfordern, Schattenseiten und Grenzen anzunehmen und die Kinder zunehmend loszulassen. Beruflich stellt sich mehr und mehr die Frage, ob wir unserer Lebensaufgabe und unserem Seelenbedürfnis entsprechend leben. Oft erfolgen hier berufliche Neuorientierungen.

Weitere Herausforderungen begegnen uns in den Übergängen zur Lebensmitte mit Trennungen, Wechseljahren, beruflicher Erschöpfung, dem Auszug der Kinder aus dem Haus, der Begleitung und Fürsorge für die eigenen Eltern. Das Älterwerden konfrontiert uns mit körperlichen Veränderungen. Mit dem Tod der Eltern und gegebenenfalls dem Eintritt in die Großmutter- und Großvaterrolle wächst das Bewusstsein, die vordersten in der Ahnenreihe zu sein. Eine neue Stufe des Versöhntseins mit den Eltern und den Ahninnen und Ahnen kann sich hier oft einstellen.

Im Ideal haben sich initiierte Erwachsene mit ihren Ängsten und dem Alleinsein auseinandergesetzt. Sie stehen für sich und andere ein, nehmen ihre Bedürfnisse und ihre Verantwortung wahr und bringen ihre Rollen wie Elternschaft, berufliche Rollen und ihr Mann- bzw. Frausein achtsam ins Leben ein. Sie können die verschiedenen Seinsbereiche von Körper, Geist und Seele wie auch ihre Spiritualität ausgewogen leben. Sie geben sich dem Leben mehr hin, erkennen ihre Lebensaufgabe und setzen sich für das große Ganze ein.

Übergänge und zentrale Lebensthemen im Rentenalter und im Ruhestand

Das Zurücktreten aus dem Berufsleben und der Beginn des Ruhestands ist für viele Menschen ein sehr großer Übergang. Die Struktur eines Arbeitsalltags fällt weg und damit oft auch vertraute Kolleginnen, Herausforderungen, sozialer Einfluss und Anerkennung. Der Übergang in die Rente kann zu früh kommen, weil Menschen gerne noch ihr Wissen und ihre Kompetenz mit Tatkraft einbringen möchten. Zugleich bedeutet er eine neue Phase der Selbstbestimmung, Eigenaktivität und Gestaltung. Erneut fordert er heraus, mit Ängsten umzugehen: der Angst vor Einsamkeit, vor der Unsicherheit, was danach kommt, vor Krankheiten und vor dem Sterben.

Die Lebensphase nach dem Erwerbsleben ist in der heutigen Zeit kein Abschnitt, der geprägt ist vom Selbstbild des Altwerdens und des Lebensabends. Viele nehmen ihr Leben neu in die Hand und geben ihre sozialen und geistigen Fähigkeiten ohne die einstigen Pflichtgefühle weiter. Rainer Treptow nennt diesen Übergang daher den »Unruhestand«12. Die bisherige Lebensweise wirkt sich im Alter sowohl finanziell, sozial als auch gestalterisch aus.

Ob der Übergang in den Ruhestand ersehnt oder gefürchtet wird, hängt entscheidend davon ab, wie erfüllt das eigene Berufsleben verlaufen ist und ob wir uns auf das Neue freuen. Wird dieser Übergang gut gestaltet, vorbereitet und mit Visionen erfüllt, dann können wir Älteste oder Ältester werden, statt alt zu sein, d. h. wir können unsere Weisheit weitergeben und aus den neuen Freiräumen sinnvoll in die Welt hineinwirken.

Im Gebrechlicherwerden wird mehr und mehr das Loslassen von geliebten Menschen, Körperfunktionen, Träumen, Möglichkeiten, materiellen Bezügen gefordert. Wir bereiten uns auf den letzten Abschied vor, den großen Übergang.

Übergänge im Zyklus der Natur

Das Rad des Lebens als Symbol für Lebensübergänge

Die beschriebenen Lebensphasen folgen den gleichen Rhythmen, wie wir sie in der Natur im Lauf von Sonne und Mond und in den Jahreszeiten finden. Im Leben der Nomaden galt die Sonne als eigentliche Führerin. Sie legte mit dem Sonnenaufgang den Osten, mit dem höchsten Sonnenstand im Zenit den Süden und mit ihrem Untergang den Westen fest. Nachts markierte der fixe Polarstern den Norden. Auch der Wechsel der Jahreszeiten von Frühling, Sommer, Herbst und Winter mit seinen vielfältigen Übergängen war und ist bis heute prägend für unser Verständnis von den zyklischen Rhythmen in der Natur, für unsere Lebensgestaltung und ist ein Gleichnis für Lebensphasen, die als innere Jahreszeiten verstanden werden können. In den jahreszeitlichen Kreisläufen spiegeln sich die seelischen Wandlungsprozesse des Menschen wider: Wir erblühen, reifen heran, verfallen und sterben.

Mit diesen uralten räumlichen und zeitlichen Orientierungssystemen der Natur haben sich Menschen über Jahrtausende im Rhythmus des Lebens verbunden. Daraus sind die sogenannten Lebensräder, die indianischen Medizinräder, das keltische Rad oder der moderne Kompass des Lebens13 entstanden. Allen Rädern ist gemeinsam, dass sie die Qualitäten der Himmelsrichtungen und Jahreszeiten auf die menschliche Seele übertragen. So ermöglichen sie eine Orientierung, wie wir uns in Übergängen seelisch entwickeln. Mit der Perspektive der Lebensräder wird es möglich, die Entfaltung des eigenen Potenzials im Spiegel des Laufs des natürlichen Lebens zu betrachten.

Stephen Foster und Meredith Little haben die verschiedensten Räder auf ihre archetypischen Gemeinsamkeiten hin untersucht und diese analog zu den vier Himmelsrichtungen als die vier Schilde der menschlichen Seele beschrieben. Mit Schilden meinen sie unsere verschiedenen Qualitäten, mit denen wir uns der Welt zeigen, und die »einzigartige Weise von Ausdruck und Abwehr«.14 Sie beziehen sich dabei auf Wurzeln ursprünglicher Zivilisationen auf der ganzen Welt, der Maya-Kultur, der Azteken und auf viele andere Riten und Räder, die ihnen überliefert wurden.15 Die vier Himmelsrichtungen und Schilde stehen für persönliche Wesenskräfte oder Haltungen, durch die wir auf das Leben schauen.

Die Zuordnungen der Lebensphasen zu den Himmelsrichtungen und Jahreszeiten sind in jeder Tradition unterschiedlich, ebenso ihre Ausgestaltung, die sich von den Besonderheiten des Landes, den heimatlichen Naturgegebenheiten und den gelebten Gemeinschaftsbezügen ableiten. Jeder Richtung werden dabei weitere Vierheiten wie die vier Elemente, vier Tageszeiten, aber auch vier Lebensalter des Menschen – Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter und Alter – sowie vier Arten von Heilung – körperlich, seelisch, geistig, spirituell – zugeordnet.

Lebensräder sind wie Tore zur Weisheit, zu einer tieferen Verwurzelung im Leben und zur Wegweisung. Das wahrhaftige Einverstandensein mit den zyklischen Stirb- und Werde-Prozessen ermöglicht eine Hinwendung zum ureigenen Lauf des Lebens, in dem Energie erwacht, aufsteigt, sich ausdehnt, zusammenzieht und schließlich wieder versinkt.16 Es ist eine liebevolle, versöhnte und gelassene Sicht auf das, was in unserem Leben passiert.

Betrachten wir die Lebensübergänge im Spiegel des Jahreszyklus und der Himmelsrichtungen, angelehnt an die vier Schilde von Foster und Little, nun genauer.

Die Lebensthemen des Frühlings und Ostens

Im Frühling wie im Osten bahnt sich die Energie des Neuen an. Samen werden in die fruchtbare Erde gesetzt, wo sie sich langsam, je nach Erdbeschaffenheit, entfalten. Alle Wesen, die Vögel, die Pflanzen scheinen aus einem tiefen Winterschlaf aufzuwachen. Die Blätter an den Bäumen künden davon, dass das Leben langsam neu beginnt. Es ist die Zeit des Staunens, ein Sich-Hineinräkeln ins Leben, dieses Vorsichtige, Zarte, Junge, des noch nicht Sichtbaren.

Die Natur befindet sich in den Startlöchern und wartet förmlich auf Licht und Wärme, bis die Knospen an den Bäumen sprießen und das erste zarte Grün aus der Erde hervorschimmert. Diese Jahreszeit verkörpert die Energie des Durchbruchs, des Aufbruchs und der Zuversicht. Von der Tageszeit her ist es Sonnenaufgang. Das erste Licht taucht ganz zart auf. Alles wächst ins Leben hinein. Diesem Anfang »wohnt ein Zauber inne«, wie Hermann Hesse sagt.

Das Lebensgefühl des Frühlings und des Ostens bedeutet, »von der Gnade beschenkt zu sein«. Unberührt könnten wir tanzen, als würde uns niemand zuschauen, arbeiten, als müssten wir kein Geld verdienen, und lieben, als wären wir nie verletzt worden. Dieser Anfängergeist, der uns ereilt, steht symbolisch für das Neue: das staunende Baby in uns, das den Glanz der »anderen Welt« noch in sich trägt. Es scheint »ganz« zu sein und tief verbunden mit einer Wesenhaftigkeit, die dem göttlichen Funken sehr nahe ist.

Bezogen auf den menschlichen Lebenszyklus bedeutet die Phase des Frühlings und Ostens: Das Kind wächst im geschützten Raum in ein ihm eigenes Familien-, Gesellschafts-, Kultur-, Zeitgeist- und Ahninnensystem hinein.

Die Obstbäume erblühen und die Blüten fallen herab. Dieser Lebensübergang gleicht dem vom Säugling zum Kind. Dieser Übergang von der Allverbundenheit wird nach und nach abgelöst vom Kontakt zu den Menschen und der Umwelt. Der Zauber des Anfangs verliert sich – das Leben wird sichtbarer und manifester, Persönlichkeitszüge reifen heran. Die zentralen Themen des Frühlings sind das Erwachen und die Hingabe.

Die Lebensthemen des Sommers und Südens

Wenn in der Natur alles kräftiger, grüner und bunter wird, die Tage länger werden, halten sich die Menschen mehr draußen auf. Pflanzen, Blumen, Bäume wachsen und gedeihen. Das Leben ist einfach, da es angenehm warm ist. Nahrung findet sich in dieser Jahreszeit überall. Daher ist es die einfachste Jahreszeit: Man kann sich treiben lassen. Auch das Kind ist rundum versorgt. Grundbedürfnisse werden erfüllt. So kann es erforschen, erste Grenzen ausloten, und wenn es etwas braucht, schreit es und vertraut darauf, dass jemand kommen wird, der ihm hilft.

Diese Lebensphase geht damit einher, mit unschuldiger Neugier, mit Spiel und Freude die Welt zu erkunden. Was erforscht werden will, wird zerlegt und genau betrachtet, betastet, begriffen. Im Sommer und als Kind bewegen wir uns sinnlich und körperlich. Wie in der Natur im Sommer die Kräfte frei fließen, so auch beim Kind die Emotionen: Lachen und Weinen, Schmerz und Freude wechseln sich sehr schnell ab, ohne dass das Kind lange an einer Emotion anhaftet.

Wenn in der Natur alles kräftig wächst, dann wird auch einiges überwuchert, dann wird gerungen um den eigenen Platz. Was als Kind zur Entwicklung des Ego dazugehört, wirkt im Erwachsenenalter ganz anders: »Ich will jetzt sofort dieses und jenes, das gehört mir.« Wenn wir in diesem Bereich im Mangel sind, hungern wir nach der Befriedigung unserer Bedürfnisse, gehen in Konkurrenz, um Vorteile für uns zu erwirken und überleben zu können. Als Erwachsene wird die Frage aufgeworfen, wie wir Gefühle so ausdrücken können, dass wir andere einbeziehen und wie wir unser inneres Kind mit ins Leben hineinnehmen können.

Die Qualität des Sommers lädt uns ein, das freie Kind in uns zu nähren und zu fühlen, was ihm gut tut. Unser inneres Kind ist von Natur aus quicklebendig, voller Sinneseindrücke und Freude. Zentrale Themen des Sommers und Südens sind das Fließen, Sich-Ausdehnen und die Zugehörigkeit.

Die Themen des Herbstes und Westens

Gegen Ende des Sommers und zu Beginn des Herbstes reifen die Früchte heran. Prall mit Äpfeln oder Birnen gefüllte Bäume neigen sich zur Erde, das Laub verfärbt sich, Herbstwinde wehen, es wird kühler. Die Blüten haben sich zu Fruchtständen und neuen Samen entwickelt. Kerne, Nüsse und Früchte fallen zu Boden, damit daraus im nächsten Zyklus neues Leben entstehen kann. Das Korn wird geschnitten. Wenn wir die Eichhörnchen im Herbst beobachten, dann sind sie unablässig damit beschäftigt, für den Winter vorzusorgen, überall Vorräte anzulegen, auch wenn sie vielleicht so manches Versteck vergessen und daraus neue Walnussbäume und Haselsträucher wachsen. Es wird Zeit, die Ernte einzufahren und für Vorräte zu sorgen, damit im Winter genug da ist. Die Energie sinkt langsam zur Erde zurück. Mit der untergehenden Sonne im Westen ereignet sich der Übergang vom Tag zum Abend. Die Schatten werden länger.

In der Natur beginnt das große Loslassen. Herbststürmen gleich werden in der radikalen Zeit der Jugend die großen Sinnfragen gestellt: Wer bin ich? Wozu bin ich hier? Was gehört wirklich zu mir? Was soll ich mit meinem Leben anfangen?

Die Zeit der Jugend ist geprägt von Widersprüchen und Reibungen mit der Welt. Unser innerer Jugendlicher experimentiert mit dem Dagegensein, grenzt sich ab, ist zugleich rebellisch und angepasst. Wie im Märchen vom hässlichen Entlein suchen wir in der Qualität des Westens nach dem uns ganz Eigenen, fühlen uns oft gejagt, nicht mehr zugehörig, leer und hässlich, ecken an, laufen weg, versinken im Selbstmitleid, sterben fast und können angesichts der schönen Schwäne kaum glauben, dass auch wir ein Schwan sind. Zutiefst suchen wir unser wahres Sein und Gleichgesinnte, die uns verstehen.

Die eigenen Schatten werden wie in der Abenddämmerung überdimensional groß, begleitet von der Angst, aus dem Tal der Dunkelheit vielleicht nicht wieder herauszukommen und von allen guten Mächten verlassen zu sein. Die Decke wird noch tiefer über den Kopf gezogen, man verkriecht sich wie die Natur in dunkle Schlupfwinkel. Selbstzweifel und Leere wechseln sich ab mit tiefer Innenschau. Solange wir um uns selbst kreisen, ist es schwierig, zur eigenen Mitte zu finden und von anderen wahrhaftig erkannt zu werden.

Die Herausforderung, die es zu bestehen gilt, ist, durch die Begegnung mit den inneren Dämonen und Schatten die eigenen Schätze zu bergen und trotz der Herbststürme die Fülle unserer seelischen Ernte einzusammeln und uns mit uns selbst auszusöhnen.

Selbst durch die inneren Tiefen gegangen und unsere dunkle Seiten geschaut zu haben, lässt uns Mitgefühl für andere Wesen entwickeln. In dieser tiefen Innenschau erahnen und entdecken wir eigene Ressourcen und erkennen wir unsere Gaben. So wird der Westen zum Ort der Wandlung, wo die Initiation in die eigene Lebenskraft stattfindet: Wir sterben symbolisch, um in der inneren Dunkelheit zu erkennen, wer wir sind und wozu wir auf der Welt sind. Archäologisch in unserer eigenen Dunkelheit unterwegs, können wir unsere Einzigartigkeit würdigen und so mit ihr in die Welt hineinwirken.

Jugendliche sind vom Wunsch erfüllt, die Welt zu verändern. Mit der Erkenntnis im Westen, selbst Motor für die nächste Generation zu sein, selbst die Veränderung in Bewegung zu bringen, die sie in der Welt verwirklicht sehen möchten, initiieren sie ins Erwachsensein.

Der Herbst und der Westen verkörpern die zentralen Themen der Unabhängigkeit, der tiefen Innenschau und der Initiation in die eigene Kraft.

Die Themen des Winters und des Nordens

Im Winter zieht sich die Energie in der Natur zurück, die Lebenssäfte der Bäume und Pflanzen sinken nach unten in die Erde hinein. Die Bäume stehen stark und klar in ihrer Struktur. Die Bewegung an sich wird langsamer und das Fließen weicht einer Verlangsamung bis hin zur Erstarrung in den gefrorenen Seen. Draußen gibt es nichts zu tun. Tiere verziehen sich in den Winterschlaf, es ist lange Zeit dunkel und die Menschen verlagern ihr Leben nach innen. Hätte das Eichhörnchen nicht vorgesorgt, müsste es wohl sterben. Die Konsequenzen des eigenen Handelns im Herbst zeigten sich früher im Winter mitunter unerbittlich: Wer nicht vorgesorgt hatte, musste hungern. So brauchte es Regeln, die das Überleben sicherten.

Innerseelisch geht es im Norden um das Thema, Verantwortung zu übernehmen, die eigenen Fähigkeiten weiterzugeben und die eigene Lebensaufgabe in die Welt zu tragen. Wenn die Gemeinschaft den Winter überleben sollte, war es erforderlich, dass alle erwachsen geworden waren.

Wir werden geprüft, ob wir unsere Lebenskompetenz und unser Potenzial hineingeben in das Leben oder ob wir weiter in Selbstzweifeln versinken. Es ist die Frage, ob wir in Familie, Beruf, für unsere Seelenentwicklung und für die Gemeinschaft das tun, was uns entspricht und was getan werden muss. Wir werden geprüft, ob wir unsere Wahrhaftigkeit leben und bereit sind, den Preis zu bezahlen, der mit den Konsequenzen unserer Entscheidungen verbunden ist. Die Qualität des Nordens und des Winters ist daher auch die mitfühlende soziale Verantwortung, die Kommunikation und die Teilhabe.

Die zentralen Themen des Winters sind Selbstständigkeit, Meisterschaft und mitfühlender Dienst in der Gemeinschaft. Wir sind innerlich frei geworden für die Menschen, die uns brauchen, und haben die Fragen losgelassen, wer uns noch etwas schuldig geblieben ist. Im eigenen Erwachsensein können die eigenen Eltern auf Augenhöhe gesehen werden, weil auch sie ein gewöhnliches Schicksal haben und auch nur ganz normale Menschen sind.

Aus dem Herzen handelnd wollen wir, dass es allen gut gehen möge, auch der Ökologie der Erde im Sinne einer guten Balance von Geben und Nehmen. Wir schenken unsere Liebe anderen. In der Art, wie wir Verantwortung übernehmen können, zeigt sich auch, ob wir das Gefühl haben, genug im Leben bekommen zu haben. Sind wir in der Nordqualität unbalanciert, dann scheinen wir nichts zu brauchen und nur geben zu wollen. Manche werden zu Workaholics oder opfern sich für andere auf, bis sie in der Lebensmitte regelrecht ausbrennen.

Nach dieser Zeit des Winters wechselt der Jahreslauf erneut in den Frühling und den Anfängergeist; der Norden geht wieder langsam in den Osten über. In manchen Rädern wird das Alter noch dem Norden, in anderen bereits dem beginnenden Osten zugeordnet. Der Mensch zieht sich zunehmend aus dem Handeln zurück. Er muss nicht mehr an erster Stelle stehen. Im Idealfall entwickelt sich die Kraft einer weisen Ältesten bzw. eines weisen Ältesten, an die oder den sich jüngere Menschen bei schwierigen Lebenssituationen wenden können. In ihrem gelassenen Dasein, in ihrer Fähigkeit zum Halten, ihrem Wartenkönnen, ihrer Großzügigkeit als weise Ratgeber und mit ihrem Überblick über das Leben sind die Ältesten in unserer Gesellschaft viel zu sehr aus dem Bewusstsein gerückt. Älteste können es sich leisten, auch eingefahrene Strukturen über den Haufen zu werfen. Sie sind angesichts des großen Loslassens und des bevorstehenden Todes wie das Neugeborene der Schöpferkraft nahe. Von daher ist der beginnende Osten und das Alter auch die Zeit des heiligen Clowns, der wachrüttelt, alles über den Haufen wirft, der Chaos produziert, damit aus eingefahrenen Strukturen Neues wachsen kann. Es ist der Ort der Kreativität, von Eingebung und Erleuchtung.

Von der Qualität entspricht der beginnende Osten dem Raum von Essenz, unserer Anbindung an das Göttliche und der eigenen spirituellen Ausrichtung.

Balance in allen vier Aspekten

Im Leben gehen wir immer wieder durch das Rad, sowohl im großen Bogen unseres ganzen Lebens, in kleinen Bögen von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt, als auch in den kleinsten Alltagssituationen. Dazu ein Beispiel: Im Osten, als dem Ort der Inspiration, entspringt eine Idee. Der Süden, das Kind in mir, freut sich spontan. Im Westen kommen Zweifel, Ängste und Selbstkritik ins Spiel. Schließlich mischt sich der Norden ein mit seiner realistischen Entscheidungs- und Tatkraft: Unter welchen Umständen kann es gelingen? Welche Ressourcen habe ich?

Für unsere Ganzheit ist es sinnvoll, allen vier Aspekten unseres Seins Raum zu geben und sie zu nähren. Wir tragen das kleine Mädchen oder den kleinen Jungen, die rebellische Jugendliche bzw. den widerständigen jungen Mann, den tatkräftig handelnden Erwachsenen ebenso wie die weise Älteste oder den weisen Ältesten, der seiner Eingebung folgt, in uns. Es geht darum, in all diesen Qualitäten in unserem Leben ausgewogen zu sein und nicht einer einzigen Qualität den Vorrang zu geben. Sich dies immer wieder bewusst zu machen, kann zum Kompass im Leben werden.

Die Qualitäten sind in unterschiedlichen Zeiten anders in uns ausgeprägt. Manchmal ist ein Aspekt zu wenig entwickelt, verwundet oder unterversorgt und braucht unsere besondere Zuwendung. Umgekehrt kann eine Qualität auch überdominant werden. Wenden wir uns nur einer Richtung zu, erhalten wir Schlagseite – wie ein Schiff, das einseitig beladen ist. Im Süden wäre das zum Beispiel zu viel erwartende Bedürftigkeit, im Westen das Versinken in der Innenschau und die Flucht in psychologische Krisen, im Norden das Zuviel an Verantwortung und das Umsorgen anderer bis zur Erschöpfung und im Osten das Flüchten in die spirituellen Welten ohne Bodenkontakt. Schwierige Beziehungspartner liegen im Rad oft auf der gegenüberliegenden Seite. Um eine Qualität mehr zu stärken, geht der Weg immer mit dem Lauf des Rades. Wenn wir aus der Depression im Westen in das Gefühl spirituellen Getragenseins im Osten kommen möchten, dann hat die Stärkung des Nordens Priorität: etwas Sinnstiftendes für andere Menschen tun, sich um sie sorgen, aufräumen oder Ordnung schaffen.

Archetypen der Wandlung in Lebensübergängen

So wie die Zyklen der Natur uns Hinweise zum Verständnis von Wandlungsprozessen in Lebensübergängen liefern, finden wir archetypische Modelle für die Wandlung, die in Lebensübergängen geschieht, auch in Heldenmythen und den entsprechenden rituellen Heldenreisen. Heldinnen und Helden lösen scheinbar unlösbare Probleme, sie entwaffnen, verlaufen sich, finden sich in Labyrinthen wieder, überwinden Mauern ebenso wie Schwierigkeiten, passieren Grenzen, erfahren Hilfe in der Not, setzen sich für das Gute ein, werden geprüft, begegnen Mysterien und haben an Geheimnissen teil. Am Ende ihrer Reise sind sie meist geläutert, initiiert und können ihre eigene Lebenskraft verwirklichen.

Diese Heldenmythen erzählen uns von gelungenen Lebensübergängen; die in ihnen enthaltenen archetypischen Bilder der Wandlung sind gerade für Übergangszeiten von Menschen ermutigend und wegweisend. Die Heldenmythen beschreiben, wie wir mit Hindernissen auf dem Weg zur Entfaltung und Ganzheit umgehen können. Sie zeichnen nach, wie der menschliche Entwicklungsweg verlaufen könnte, und gehören damit unweigerlich zum menschlichen Leben dazu.

Heldinnen- und Heldenmythen werden uns in Märchen, Geschichten, Filmen, Träumen und anderen Ausdrucksformen des Unbewussten übermittelt. Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene spüren die Faszination alter und moderner Mythen. In den Medien sind sie omnipräsent: Star Wars, Harry Potter, Pippi Langstrumpf, der Herr der Ringe, Superman, der drachentötende Held moderner Computerspiele – sie alle zeugen von der Sehnsucht, den eigenen Lebensweg als Helden- und Heldinnenreise zu verstehen. Heldenmythen verdeutlichen die Sehnsucht nach Identifikationsfiguren, die für unseren persönlichen Umgang mit Hindernissen auf dem Weg zu uns selbst und zur Tiefe unseres seelischen Wirkens leiten.

Heldenmythen finden oft in der Natur statt und beziehen diese in den Prozess der Wandlung zentral mit ein. Bedeutsame Plätze in der Natur wie der Wald, Bäche, Quellen, Höhlen sowie Begegnungen mit Wesen aus der Natur unterstützen den Prozess der Wandlung. So sprechen in diesen Mythen und Märchen Bäume, etwa der Apfelbaum bei Frau Holle, und helfen der Heldin auf ihrem Weg. Im Märchen Eisenhans erfährt der junge Prinz die Initiation in die eigene Wildheit, indem er dem wilden Mann in den tiefen Wald an den Goldbrunnen folgt.

Die Heldinnen- bzw. Heldenreise

Schauen wir uns die grundlegenden archetypischen Muster der Wandlung von mythischen Heldinnen und Helden auf ihrer Reise einmal genauer an. Joseph Campell hat diese eindrücklich beschrieben.17

Wann immer die Heldin sich auf den Weg macht: Die Reise beginnt in der ersten Phase damit, sich von der bisher gewohnten Welt abzuwenden. Ein Ruf ertönt, nach Abenteuer, nach der eigenen Berufung. Gerade wenn dieser Ruf stark ins Leben einbricht, kann der Held sich weigern, dieser Aufgabe zu folgen. Sie mag zu groß, unvernünftig, abwegig und vielleicht nicht zu bewältigen erscheinen. Ängste, Müdigkeit, Willenlosigkeit, Schwäche hemmen den Aufbruch. Oft braucht es dann erst die Begegnung mit einer Mentorin, damit der Aufbruch aus dem Bekannten, der immer auch ein Bruch mit dem bisherigen Selbstbild ist, gelingen kann.

Dann kann die Schwelle überschritten werden. Sie ist ein zentraler Bestandteil der Heldinnenreise. Sie ist wie eine Schranke, eine Grenze und Scheidelinie, an der sich zwei Welten berühren. Einst wurden Urteile an Schwellen gesprochen, magische Sprüche geschrieben. Wächter schützen sie. Durch das Passieren der Schwelle wird eine alte Welt hinter sich gelassen.

In der zweiten Phase der Verwandlung, Transformation und Initiation treten Schwierigkeiten auf, bei denen sich herauskristallisiert, wer in der Bewährungsprobe mit der Heldin verbündet oder verfeindet ist. In dieser Zeit erlebt der Held oft übernatürliche Hilfe, die in sein Leben einbricht. So gestärkt steht die entscheidende Prüfung an. Durch aktive Taten wie den Drachenkampf oder passive Reaktionen wie Aushalten oder Hingabe geschieht die eigentliche Transformation. Die Heldin erlangt Reife, Segnung und Belohnung.

Rückkehr und Wiedereingliederung prägen die dritte Phase. Die Heldin kehrt über die Schwelle zurück in ihre Gemeinschaft, in der sie das Erlebte erzählt und darin gewürdigt wird. Was sie auf ihrem Weg mitgebracht hat, ist das Elixier, um mit Gefahr umzugehen. Zusammen mit ihren Gaben kann sie dazu beitragen, dass ihre Gemeinschaft sich weiterentwickeln kann.

Der Mythos vom unsterblichen Helden beziehungsweise die Identifikation mit dem Heldenmythos der Machbarkeit und materiellen Unsterblichkeit entpuppt in der Realität auch Schattenseiten. Heldengeschichten sind vielfach patriarchal belegt und mit Töten verbunden. In ihrer Glorifizierung kommt eine Missachtung der Mutter Erde in der zivilisatorischen Tradition zum Tragen, die heute in der ökologischen Zerstörung sichtbar wird. Wenn sich das Ich mit dem Göttlichen identifiziert, heißt das auch, dass das Ich sich nicht mehr in den Dienst des Größeren stellen kann. Dabei ist sowohl diese Demut als auch die Erkenntnis, dass das Leben und die Naturmächte »größer« sind als wir, eine zentrale Erfahrung initiierter Heldinnen und Helden.

Im Kern der Wandlung geht es im Heldenmythos nicht um Kampf und Konfrontation, sondern darum, die innere Verblendung zu lichten, Mut und Engagement für einen tieferen Sinn zu beweisen und sich zu öffnen für die Mysterien des Lebens. »Statt Aggression und Wut als treibende Kraft der Veränderung würde dann vom Helden Wachheit, mitfühlende Präsenz für das Lebendige in sich und im Anderen gefordert, statt wilder Kraft seine Offenheit und Bereitschaft«18, so Dieter Kraft.

Der Inanna-Mythos – von der Erlösung des Verbannten

Der sumerische Mythos von Inanna erzählt eine Heldinnenreise zu mehr Lebendigkeit und einer tieferen Dimension menschlichen Seins.

Inanna, Königin des Himmels und des Ortes, wo die Sonne aufgeht, steigt in der ersten Phase der Ablösung von der bekannten Welt hinab in die Unterwelt zu ihrer Schwester Ereshkigal. Sie geht vom Licht bewusst ins Dunkel, in das Land ohne Wiederkehr. An sieben Toren muss sie nach und nach ihre göttlichen Attribute niederlegen.

Die zweite Phase der Transformation und Initiation wird eingeläutet durch den Tod Inannas, die im Blick des zornigen und hasserfüllten Todesauges Ereshkigals stirbt. Vor ihrem Abstieg hat Inanna ihre Helferin Ninshubur informiert, und diese wendet sich an Enki, den Gott des Wassers und der Weisheit. Aus dem Dreck unter seinen Fingernägeln schafft er zwei kleine Wesen, die in die Unterwelt schleichen. Auf ihrer Schulter sitzend hören sie Ereshkigal tagelang zu und helfen ihr so zu trauern. Dankbar und erfüllt vom Mitgefühl spricht sie Inannas Leichnam frei.

Wieder zum Leben erweckt, muss Inanna in der dritten Phase der Wiederkehr einen Ersatz in der Totenwelt für sich stellen. Als sie in die Oberwelt zurückkehrt, bestimmt sie dafür mit dem Auge des Todes, das sie nun in sich trägt, ihren Gatten Dumuzi. Dieser hatte es sich während ihrer Reise auf ihrem Thron wohl eingerichtet.

Der Inanna-Mythos zeigt uns Initiation als Zyklus von Tod, Wandlung und Wiedergeburt. Wie jede Initiation erfordert auch Inannas Reise in die Unterwelt, Dinge hinter sich zu lassen, äußerliche Identifikationen, Macht und alte Illusionen abzustreifen und in gewisser Weise nackt zu werden vor der Wahrheit dessen, was in den Untergrund verbannt wurde. Im Mythos wird die Geschichte einer Frau erzählt, die bereit ist, Isolation und Tod auf sich zu nehmen, um sich wieder mit den eigenen, tief verborgenen Seiten zu verbinden. Hier wurde Inanna übernatürliche Hilfe zuteil. Instinkt und Intuition können aus der Unterwelt geborgen werden. Ihr neuer Blick im Angesicht des Todes bringt ihr eine glasklare und entscheidungszentrierte Kraft. Der Kern der Transformation ist das Trauern mit dem Verbannten: Es gibt ein einfühlendes Gegenüber, das über sein Mitgefühl den Trauerprozess erst möglich macht. Dadurch können sich Strenge in Gnade, Tod in Leben, Stillstand zur Bewegung wandeln.19

Bedeutung der Heldinnen- und Heldenreise für heutige Menschen

Viele Menschen in Lebensübergängen fühlen die Dimension einer Reise in die Unterwelt wie in den Heldinnenmythen, in denen Schwellen überstreift, symbolische Tode gestorben, alte Kleider und Rollen abgestriffen und Ängste sowie Hindernisse überwunden werden. Sie sehnen sich danach, sich inmitten der Auflösung und Veränderung wieder mit dem Kern ihrer Lebendigkeit zu verbinden. In diesem Sinn können wir Lebensübergänge als ganz persönliche Heldinnenreise verstehen, die uns herausfordert, unsere Lebensaufgabe tiefer zu erkennen und die eigenen Kräfte zu entfalten.

Heldenmythen beschreiben diese Wege der Wandlung. In Lebensübergängen kann uns der Archetyp der Wandlung in Form einer Heldenreise »mitnehmen« und ergreifen. Die tief im Menschen verankerten Archetypen sind geistige Wirkmächte, die eine innere Entwicklungsdynamik einleiten.

Moderne Übergangsrituale, wie sie in diesem Buch vermittelt werden, zeichnen die archetypische Struktur der Heldinnenreise rituell nach. Dadurch ermöglichen sie, eine ganz eigene Heldenerfahrung im Spiegel der Natur zu machen. Die Art und Weise, wie wir die Geschichten unseres Lebens erzählen, schafft einen persönlichen Mythos von uns selbst und prägt damit entscheidend unsere Identität.

Durch eine initiatorische Erfahrung in der Natur können wir unseren ganz eigenen persönlichen Mythos neu erschaffen und ihn dadurch im Alltag lebbarer werden lassen. Es ist ein Mythos, in dem wir symbolisch eine Wandlung vollziehen, die archetypischen Mustern folgt. Wir beginnen, neue Geschichten zu erzählen oder bisherige Heldinnengeschichten von uns zu aktualisieren.

Das, was im Leben schwierig ist oder im Begriff, sich zu wandeln, erhält im Kontext der eigenen rituellen Heldenreise eine neue Dimension. In der Natur wird die übernatürliche Hilfe oft auf symbolischer Ebene sichtbar. Die einzige Voraussetzung ist, sich selbst auf den Weg zu machen, wie das folgende Beispiel einer kleinen, doch bedeutsamen individuellen Heldinnenreise zeigt.

Aufwachen und barfuß gehen – ein Naturritual

Anne verspürt in ihren Wechseljahren den tiefen Wunsch, alte Belastungen abzustreifen und ihren Gleichgültigkeitstendenzen mit wahrhaftigem Hinschauen zu begegnen. Sie beschließt, mit einem Aspekt sofort anzufangen: Aus Respekt vor und Liebe zu den Tieren will sie kein Fleisch mehr essen. Jahrzehntelang habe sie verdrängt und nicht realisiert, was sie da eigentlich noch mitesse: all die Qualen unwürdiger Tierhaltung. Sie möchte ein Versöhnungsritual machen und den Tieren, die durch ihr Essverhalten sterben mussten, ihre Würde zurückgeben.

In einer ersten rituellen Zeit in der Natur nimmt sie ihr altes Muster der Gleichgültigkeit in den Blick. Sie würdigt, dass dieses Muster nicht mehr zu ihr passt, schreibt es auf ein Blatt Papier und vergräbt es in der Erde mit der Bitte, die Erde möge es transformieren. Von ihrem rechten Wanderschuh löst sich die Sohle und sie bindet sie notdürftig wieder fest. Im Kontakt mit dem Wald, der Erde, den Bäumen merkt sie, wie namenlos die Natur im Laufe der Jahre für sie geworden ist.

In einer zweiten Auszeit läuft sie rituell mehrere Stunden in den »Fußspuren eines Tieres« durch den Wald, um sich mit dem Wesen eines Tieres zu verbinden und tiefer mitfühlen zu können. Sie spürt Schreckhaftigkeit, Ausgeliefertsein. Beständig ist sie auf der Hut und sehr achtsam. Ihr Lebensraum als Tier stößt ständig an Grenzen. Überall, wo sie in Ruhe rasten könnte, lauern Hochsitze. Der Wald ist zum Nutzwald für den Menschen gemacht und es gibt keine Vielfalt mehr. Sie betrauert, wie sehr Menschen über Lebensraum und Lebensrecht von Tieren bestimmen – und erkennt dies als Symbol dafür, wie sie selbst oft mit ihrer inneren Natur umgegangen ist. Beim Weitergehen löst sich auch ihr linker Schuh auf, so dass sie sich entschließt, barfuß zu gehen. Nur ganz mühsam und langsam kommt sie voran. Nach anfänglichem Schmerz genießt sie den Waldboden, die Kühle, alles zu spüren, was unter ihren Füßen ist. Auf dem Weg muss sie ihre weltlichen Attribute ablegen: Die Trennung zwischen ihr und der Walderde wird aufgelöst – ihre Schuhsohlen als Grenze und Abgrenzung fallen ab.

In einem dritten Schritt erzählt sie ihre Erlebnisse. Sie spricht laut das Versprechen aus, es auf ihre Weise wieder gut zu machen. Als Dank an die Tiere verteilt sie zum Abschluss des Rituals Mais im Wald.

Anne kreiert durch ihre rituelle Zeit in der Natur einen neuen Mythos. Es ist der Mythos einer Heldin, die aufbricht, über die Schwelle geht und bereit ist, eine neue Sicht auf ihr Leben einzunehmen – barfuß. Dazu muss sie alte Attribute – ihre Wanderschuhe, ihre Verhaltensmuster –, die sie von ihrer tiefen Einsicht und ihrem Veränderungswunsch entfernen, ablegen. In gewissen Sinn ist Anne aufgewacht und einen wichtigen Schritt hin zu mehr Bewusstheit gegangen.

Die Heldinnenreise wird für Anne auch für viele andere Aspekte in ihrem Leben zum Symbol ihrer eigenen Wahrhaftigkeit und der Aufhebung der Trennung zwischen ihrem Ich und dem »natür-lichen Sein«.