5. Naturrituale für die dritte Übergangsphase in der Praxis: Das Neue willkommen heißen

Confirmation: das neue Ich bestätigen

Wenn wir Klärung in unser Leben gebracht haben und uns weitgehend mit dem Vergangenen versöhnt fühlen, ist es an der Zeit, die Phase des Übergangs zu verlassen. Wir sind aus der alten Haut, die uns lange geschützt hat, herausgewachsen und streifen sie ab. Die innerseelische Arbeit ist vollbracht, die Transformation hat bereits stattgefunden und das Neue kündigt sich schon an.

Das Einzige, was an diesem Punkt noch fehlt, ist, die Wandlung bewusst zu erkennen, zu würdigen und das neue Ich in einem rituellen Rahmen zu bestätigen. Confirmation bedeutet, genau diesen bewussten Schritt, die neue Identität anzuerkennen und sie rituell zu bestätigen. An dieser Schwelle können wir prüfen, ob wir uns die Erlaubnis und Selbstermächtigung geben, uns für das Neue in unserem Leben zu öffnen. Durch eine rituelle Bestätigung und Bezeugung kann sich das Neue tiefer ins Leben hinein entfalten.

Es ist eine uralte Tradition, mit einer neuen Identität oder Rolle auch einen neuen Namen zu erhalten, um das Neue nach außen hin sichtbar werden zu lassen. Das finden wir noch im Namenswechsel beim Heiraten, beim Eintritt in eine spirituelle oder religiöse Gemeinschaft oder auch beim Annehmen eines Künstlernamens. Oft drücken sich neue Identitäten auch in Geleitsprüchen aus, wie im Spruch für ein neues Haus beim Richtfest oder im Konfirmationsspruch. Damit wird dem Bedürfnis Rechnung getragen, dass ein neues Ich auch einen neuen Namen braucht und mit diesem eine neue Identität verkörpert. Der neue Name, der Spruch oder auch ein eigenes Lied werden zu einem Teil der Identität und begleiten eine Person über ihren gesamten bevorstehenden Lebensabschnitt. Aus der indianischen Kultur kennen wir den Medizinnamen, den eine Initiantin im Spiegel der Natur erhält.

Die Confirmation-Arbeit58 knüpft an diese Tradition an. Sie besteht darin, für das neue Ich einen kraftvollen Bestätigungssatz zu finden und diesen rituell zu verankern. Wenn sich unsere Identität verändert und wir ein zweites Mal geboren werden, brauchen wir eine neue Ausrichtung. Im rituellen Akt wird bewusst Ja gesagt zum neuen Ich. Damit wird die Bereitschaft bezeugt, mit der neuen Qualität ins Leben zu gehen.

Dazu wird in der Confirmation danach gefragt: Was ist es, das ich gelernt habe? Welche neue Qualität ist durch die Transformation in mein Leben gekommen und will bestätigt werden? Wer bin ich geworden? Welche tiefe seelische Arbeit kann ich würdigen? Was habe ich vielleicht noch nicht gelebt? Wenn der Bestätigungssatz wahrhaftiger und ehrlicher Selbstschau entspringt und unsere Schattenseiten liebevoll mit einschließt, kann er uns über schwierige Zeiten hinwegtragen und im Alltag Kraft geben, vor allem wenn wir mit dem Neuen hadern. Er entfaltet sich zum Kraftsatz. Im Unterschied zur Affirmation, die etwas Neues ins Leben hereinruft, wird in der Confirmation das Neue, das bereits innerseelisch gewachsen ist, bestätigt.

Der Satz drückt eine Qualität aus, die für das Leben öffnet. Die umfassende Qualität eines Bestätigungssatzes kann nie sofort eingelöst werden. Im Laufe der Zeit wachsen wir tiefer in den Satz und in unser neues Ich hinein. Er ist nicht für immer abgeschlossen, sondern kann sich entsprechend der eigenen Entwicklung verändern. Wie lange der Satz trägt, bleibt offen.

Mario, der seine Frau durch einen Unfall verloren hat, ist auch ein Jahr später immer wieder voll tiefer Trauer und Verzweiflung. In einer rituellen Naturwanderung fand er den Satz »Ich umarme meine Not«, der für ihn etwas Tröstendes hat. Wann immer der starke seelische Schmerz kommt, wendet er sich mit dem Satz seiner inneren Qualität zu, für sich selbst mehr und mehr da zu sein. Im Laufe der Zeit ändert sich der Satz zu: »Ich umarme mich.« Trotz viel Trauerarbeit merkt er einige Monate später, dass er immer noch mit dem Schicksal hadert und sich kaum mit dem Geschehenen versöhnen kann. Er bestätigt das in dem Satz: »Ich versöhne mich mit dem Unversöhnbaren.« Dieses scheinbare Paradox wirkt tief befreiend in ihm: Er fühlt sich innerlich damit einverstanden und versöhnt, dass der Verlust auch erst einmal unversöhnt bleiben darf. Sein Satz verändert sich in seinem Trauerprozess, in dem er sich und dem Leben mehr und mehr verzeiht, noch zwei Mal in den folgenden beiden Jahren, zunächst zu: »Ich sage Ja zu mir und der Vergangenheit, so, wie sie war.« Ein weiterer Verlust führt ihn zu der Erkenntnis, dass das Leben größer ist und anders als sein Wille: »Ich lerne mehr und mehr die Hingabe an das Leben.«

Wie das Beispiel zeigt, sind Confirmation-Sätze Verdichtungen von tief durchlebten Prozessen. In ihnen schwingt oft der ganze Werdeprozess mit. Bei diesen Sätzen wird deutlich, dass sie eine Bewegung der Seele in Richtung neuer Öffnung, Erlaubnis oder Bereitschaft ankündigen. Manchmal tragen Sätze über viele Jahre, manchmal – wie in Marios Beispiel nur für einige Monate. Immer werden sie zu einem Teil der Identität. Das folgende Naturritual bereitet das Finden eines Bestätigungssatzes im Spiegel der Natur vor und dient dazu, die neuen Qualitäten und Seelenbewegungen wie einen Schatz noch mehr ans Licht zu heben.

Rituelle Naturwanderung

Das Neue erkennen

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Finden Sie etwas Neues in der Natur, das Sie so noch nie gesehen haben. Setzen Sie sich eine Weile davor und gehen Sie in Kontakt mit dem Neuen. Lassen Sie sich inspirieren, welche Qualitäten neu in Ihr Leben gekommen sind, was sich neu anfühlt. Versuchen Sie nach der Auszeit, die Qualität des Neuen in einem Satz zu beschreiben.

Viele Sätze beginnen mit: »Ich bin die Frau, die …« bzw. »Ich bin der Mann, der …«, wie uns dies auch schon in zwei Beispielen begegnet ist.59 In lyrischer Form erkennen Menschen sich selbst und ihren eigenen Mythos darin wieder. Wenn der Satz stimmt, können sie sagen: »Ja! Die bin ich! Der bin ich jetzt!« Um Ihren eigenen Bestätigungssatz zu finden, eignet sich die folgende Naturwanderung:

Rituelle Naturwanderung

Den eigenen Bestätigungssatz finden60

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Finden Sie einen Satz, der Ihr neues Ich bestätigt. Erzählen Sie ihn laut den Wesen der Natur. Warten Sie einen Moment, um genau nachzuspüren, wie es für Sie ist, den Satz laut auszusprechen. Schauen Sie, wie die Wesen darauf reagieren und wie es für Sie ist, diesen Satz auszusprechen. Sprechen Sie mit den Wesen darüber.

Den in der Natur gefundenen Satz können wir wie einen Rohdiamanten sehen, den wir durch den Prozess, möglichst genau und präzise die Bewegung der Seele zu erfassen, polieren, bis er strahlt. So ist es gut, darauf zu achten, welche Öffnung und Veränderung sich bereits im Leben abzeichnet, ob der Satz dies widerspiegelt, sich für uns wahr anfühlt und die vollbrachte innere Arbeit kraftvoll bestätigen kann. Wenn wir dagegen mit dem Satz etwas heraufbeschwören wollen, das wir im Alltag nicht einlösen können, kann er zur Last werden, uns überfordern und Selbstzweifel verstärken.

Einen Satz können wir polieren, indem wir die Worte genau abwägen. Eine Frau fand den Satz »Ich wachse in meinen heiligen Raum und lade Menschen zum Kontakt ein.« Sie realisierte erst einige Zeit später, dass sie nicht einfach nur Kontakt möchte, und präzisierte den Satz hin zu: »… und lade Menschen zur Freundschaft ein.«

Der Satz sollte im besten Fall unsere Ganzheit zum Ausdruck bringen. Dazu gehört, unsere Stärken und Gaben, die wichtige Bezugspersonen an uns neu bemerken, zu benennen und auch, Schattenaspekte mit hineinzunehmen, die unsere fehlbare Seite berücksichtigen. So hieß etwa ein Satz: »Ich bin eine bedürftige Frau, die lernt, ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu ihnen zu stehen.« Ein Kriterium für einen stimmigen Satz ist, ob er für die schwierigen Situationen in unserem Leben taugt und uns dort ein wertvoller Anker sein kann.

Mit dem Bestätigungssatz können wir auch eine Öffnung oder einen Ruf ins Leben aussenden, wie die folgenden zwei Sätze zeigen: »Ich bin der Mann, der auf seine innere Stimme achtet«, und: »Ich öffne mich für meine Bedürfnisse, Mutter zu sein, Gott als meine Freundin zu spüren und ganz bei mir zu sein.« Confirmation-Sätze sind in diesem Sinne auch Selbstakzeptanz, Selbstwürdigung und Hinwendung zum Leben.

Achtsamkeit in Bezug auf die Worte, die gewählt werden, lohnt sich. Die »Geister, die ich rief«, brauchen eine klare Botschaft, wenn sie unterstützen sollen. Eine Frau, die lange Zeit Suizidgedanken mit sich trug und diese in einem therapeutischen Prozess für sich transformieren konnte, wollte in ihren Satz den Teil »Ich bin die Frau, die ins Licht geht« einflechten. Nun ist das »Ins-Licht-Gehen« ein Symbol für Sterben, was sie in ihrem Satz aber gar nicht ausdrücken wollte. Sie änderte den Satz zu: »Ich bin die Frau, die sich erlaubt, in der Sonne zu stehen.«

Im Ringen um den stimmigen Satz ist es hilfreich, sanft und freundlich mit sich selbst zu sein und die Wesen der Natur immer wieder um eine Resonanz zu bitten. Dann kann die eigene Confirmation-Arbeit das Neue in einem tiefgreifenden Selbstfindungsprozess herauskristallisieren.

Elisabeth Reisch, inspiriert von der buddhistischen Philosophie, arbeitet ähnlich mit heilsamen Wunschsätzen, durch die wir uns mit einer tiefen inneren Weisheit in uns verbinden.61 Die Sätze beginnen mit »Möge …«, wie zum Beispiel: »Möge ich mich immer wieder an meine große Liebe erinnern.« Diese Sätze können Mut und Vertrauen geben, lassen uns gnädiger mit uns selbst sein. Mit ihnen laden wir uns selbst ein zu einer Qualität, die wir vielleicht nicht immer leben können.

Confirmation-Arbeit kann auch dazu dienen, eine Bekräftigung für ein neues Projekt oder eine neue berufliche Rolle zu finden.

Andrea, Mitte dreißig, möchte sich mit Elternarbeit selbstständig machen, hat aber immer wieder Selbstzweifel und kommt nicht so in ihre Kraft, wie sie das von sich erwartet. Im Spiegel der Natur entdeckt sie sowohl ihre Ressourcen als auch ihre Wunde, sich selbst als Mutter nicht glaubwürdig genug zu fühlen, um andere Frauen zu begleiten. Sie findet für sich den Satz: »Ich begleite andere Frauen auf dem Weg in ihr Muttersein und zeige mich mit all meiner Menschlichkeit, meinen Stärken und Schwächen.«

Die Bekräftigung ist stärker, wenn sie in einem vertrauten sozialen Gefüge geteilt oder auch gefeiert wird. Dazu können Sie Freunde und Menschen in die Natur einladen, den Satz dabei laut aussprechen und sich Resonanz im Kreis holen. Zur tieferen Verankerung können Sie den Satz in einen Stein sprechen, den Sie bei sich tragen.

Mit dem folgenden Naturritual können Sie Ihren Confirmation-Satz rituell bestätigen:

Naturitual

Um das Neue bitten62

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Gestalten Sie einen Kreis mit Symbolen, Steinen, Ästen, Blättern, der symbolisch für das Neue in Ihnen steht. Treten Sie ganz bewusst rituell in Ihren Kreis ein, in dem Sie um das Neue in Ihrem Leben bitten. Bleiben Sie die ganze Zeit in Ihrem Kreis, was auch immer Sie dort tun. Sie können das Neue herbeisehnen, rufen, ihm lauschen, singen, für es beten oder dichten. Vertrauen Sie darauf, dass die Natur Ihnen das zeigt, was Sie erfahren sollen. Was ist es, das Sie sich erhoffen?

Wenn Sie bereit sind, verlassen Sie Ihren Kreis und lösen ihn auf. Kehren Sie über die Schwelle zurück.

Es kann sehr nachhaltig sein, wenn Sie im Anschluss einen Brief an Ihr zukünftiges Ich schreiben, den Sie erst nach einigen Wochen lesen. Dabei ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, dass sich die Wirkung mancher Rituale erst im Laufe von mehreren Monaten entfaltet und nicht sofort sichtbar wird.

Ein anderes Naturritual, das Neue ins Leben hineinzurufen, ist das folgende:

Rituelle Naturwanderung

Neues gebären

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Finden Sie etwas in der Natur, an dem Sie erkennen, dass die Natur Leben neu gebiert oder Neues entfaltet. Wie macht sie das? Finden Sie etwas in der Natur, das Sie berührt. Kreieren Sie ein spontanes Ritual, um das Neue in Ihnen auszudrücken.

Ein sehr schönes Naturritual, das Sie wiederholt durchführen können, ist folgendes:

Naturritual

Ein Lied oder einen Namen finden für das Neue

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Hören Sie so lange dem Wind, dem Wasser oder den Vögeln zu, bis Sie Ihr eigenes Seelenlied oder Ihren eigenen Seelennamen für Ihren neuen Lebensabschnitt hören.

In eine neue soziale Rolle hineinwachsen

Mit dem Übergang in das Neue ist oft eine neue soziale Rolle oder Ausrichtung verbunden. Dadurch verändert sich auch äußerlich viel in unserem Leben: Kontakte, Partnerschaften, Beziehungen, soziale Netze, Aufgaben, Verpflichtungen und Herausforderungen sowie auch unser Zeitgefüge.

Um ganz Ja zum Neuen sagen zu können und Mut und Kraft für es zu schöpfen, können wir die neue soziale Rolle bewusst willkommen heißen. Wenn wir unser Ja in einem bewusst gestalteten Ritual geben, bezeugt das unser tiefes Sich-Einlassen. Wir bekennen, bereit zu sein, trotz so mancher Ängste, Unsicherheiten und Restzweifel. Das führt zu einer klaren Ausrichtung, die den Weg für das Neue bereitet.

In unserer Kultur gibt es kaum Formen, um Übergänge in neue soziale Rollen in einem Gemeinschaftskontext rituell zu bestätigen. Wir stolpern förmlich in die neue Rolle hinein, finden uns irgendwie in ihr zurecht, ohne große Würdigung der Veränderung. Werden wir aber in der neuen sozialen Rolle bekräftigt und gibt es einen rituellen Raum, um auszudrücken, dass wir uns dieser Rolle nun auch gewachsen fühlen und weshalb wir sie annehmen, können wir tiefer Ja zu ihr sagen.

Segen für eine neue soziale Rolle

Viele Menschen wünschen sich zutiefst, den Segen und die ausgesprochene Ermächtigung einer Gemeinschaft, der Eltern oder von weisen Personen zu erhalten. Heute dürfen oder müssen wir uns die Ermächtigung für neue soziale Rollen oft selbst geben – mit all den Chancen und Schatten, die das mit sich bringt.

Nehmen wir als Beispiel die unbewusste Sehnsucht von Menschen, den Segen der Eltern für den ganz eigenen Lebensweg zu erhalten – einen Segen, nach dem sie ihr Leben lang innerlich immer wieder »rufen«. Fehlt dieser Segen, wird der Wunsch danach im Laufe des Lebens auf andere Menschen oder auf Objekte projiziert. Plötzlich erkennen Menschen dann, dass sie in der verzweifelten Suche nach Anerkennung bei ihrer Vorgesetzten, ihrem Partner oder auch bei spirituellen Leitfiguren unbewusst nach der liebevollen und stärkenden Ermutigung durch die Eltern hungern: »Geh deinen Weg. Meinen Segen hast du.«

Diese rituelle Bekräftigung kann viele Jahre später, auch ohne Anwesenheit der konkreten Eltern, nachgeholt werden, wenn im Ritual die Natur zur symbolischen Mutter und zum symbolischen Vater wird. Damit das Ritual seine Wirkung entfaltet, muss der Segen symbolisch auch empfangen und die innere Seelenbewegung wahrgenommen werden. Das kann schlichtweg das Gefühl sein: Jetzt darf es ruhen. Jetzt ist es gut. Ein nachgeholtes »Segensritual« kann den Wechsel vom bedürftigen Kind zu einem aus dem Herzen handelnden Erwachsenen erleichtern.

Philipp erlebte zwei große Lebensübergänge. Zum einen wurde er aus dem Team heraus Führungskraft in einer sozialen Organisation, zum anderen wurde er Vater. Die neuen sozialen Aufgaben in seinem Leben hatten beide mit dem Rollenwechsel zum fürsorglichen und Verantwortung übernehmenden Mann zu tun. Nun gab es Konflikte am Arbeitsplatz: Unsicherheit, wie er die neue Rolle denn ausfüllen soll, Akzeptanzprobleme bei seinen Mitarbeiterinnen und seine Tendenz, Konflikten auszuweichen. Das Autoritätsverhältnis zu seinem Chef beschäftigte ihn, der sich zu sehr in seinen Führungsbereich einmischte. Die Beziehung zu seinem eigenen Vater beschrieb er als kühl und distanziert, es gab eine längere Kontaktpause. Den Segen für seinen eigenen Weg hatte er von ihm nie bekommen. Es überraschte ihn, dass er seinem Chef gegenüber ähnlich empfand wie als Kind seinem Vater gegenüber. Auch zu seinem Sohn fühlt er sich distanziert. Er fragt sich: Wie kann ich etwas weitergeben, wenn ich es selbst nicht erfahren habe?

In einem Naturritual begegnet er einem großen Stein, dessen Form, Farbe, Standort und Risse ihn an seinen Vater erinnern. Er erzählt dem Stein als Stellvertreter für seinen Vater von all seinen Sehnsüchten nach Nähe, Anerkennung und Vertrauen in ihn. Er hört vom Stein, wie dieser seinen Lebensweg zutiefst segnet. Philipp empfängt diesen Segen rituell, langsam und spürt dem immer wieder nach. Dabei merkt er, dass sein »Vater« es ernst meint, aber es einfach nie ausdrücken konnte. Philipp erlebt dies zunächst körperlich als Einfließen von Kraft: Er atmet leichter, fühlt sich getragener. Zum Abschluss stellt er sich mit dem Rücken vor den Stein, um mehr und mehr die unterstützende Kraft im Rücken zu spüren.

In den Tagen darauf schreibt er einen Brief an seinen Vater, den er ihm persönlich vorliest, der davon sehr berührt und dankbar für die neu fühlbare Nähe war. In den darauf folgenden Wochen tritt er seinem Vorgesetzten souveräner gegenüber, ist gelassener und verbindlicher im Kontakt und der Konfliktklärung und fühlt sich auch seinem Sohn näher.

Hier konnte im Ritual das nachreifen, was lange Zeit unerfüllt geblieben war und die aktuellen Beziehungen überlagert hatte.

Die folgende Naturübung beschreibt einen möglichen Weg einer ganz individuellen Segensgebung.

Naturritual

Segen für eine neue Rolle

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Lassen Sie sich von der Natur lehren, wie sie sich segnet oder gesegnet ist, wie sie sich erlaubt, neu zu sein.

Vergegenwärtigen Sie sich eine Person, von der Sie sich den Segen für das Neue wünschen. Das können auch Sie selbst sein. Finden Sie ein Wesen, das diese Person symbolisiert. Gehen Sie in Kontakt mit dem Wesen. Wenn es bereit ist, spüren Sie seinen tiefen Segen für Ihren neuen Weg.

In der Regel sind die Naturwesen sehr bereit, uns zu unterstützen. Sollte dies einmal nicht der Fall sein, können Sie das Wesen fragen, was es von Ihnen noch braucht oder ob für Sie etwas anderes ansteht. Durch dieses Überprüfen des Einverständnisses drücken wir unsere Haltung von Respekt und Achtsamkeit aus.

Alternativ können Sie auch ein Wesen in der Natur als Symbol für sich selbst finden und dann dieses Wesen an Ihrer Stelle auf Ihre eigene Art und Weise rituell segnen. Sich selbst zu taufen in der neuen Qualität kann ebenfalls sehr kraftvoll sein. Dazu ein Beispiel:

Elena, die sich viele Jahre ihres Lebens mit Schuldgefühlen und Suizidgedanken gequält hatte, geht am Ende ihres Selbstversöhnungsprozesses auf Visionssuche in die Berge, um sich endlich im Leben willkommen zu heißen. Sie trifft plötzlich auf eine kleine, halbverfallene Staumauer – ohne See – und ist völlig perplex, da sie früher tatsächlich den Suizidgedanken gehabt hatte, sich eine Staumauer hinabzustürzen. Auf der Staumauer liegend erkennt sie, welche Sehnsucht in ihr eigentlich dahinterlag: sich fallen zu lassen und endlich ankommen zu dürfen im Raum der Geborgenheit, im Schoß der Mutter. Verbunden mit dieser tiefen Einsicht geht sie seitlich in das kleine Tal hinunter zum Wasserlauf. Aus einer Feuerstelle daneben nimmt sie Asche, mit der sie ihr Gesicht schwärzt, um die vielen traurigen, fahlen Zeiten in ihrem Leben zu symbolisiern. Dann entschließt sie sich, endlich das Ufer zu wechseln, und überquert den kleinen Wasserlauf. Auf der anderen Seite wäscht sie sich die Asche ab. Sofort werden ihr all die Blumen bewusst, mit denen sie sich einen Kranz für ihr neues Ich flicht und ihn im Haar trägt. Sie fühlt sich leichter, freier, singt vor sich hin und hat das Gefühl, sich endlich für das Leben entschieden zu haben. Kurze Zeit später kommt sie an einen Wasserfall mit einem Becken, in dem sie badet und sich rituell tauft. Sie tauft die Frau, die endlich leben darf und Ja zum Leben sagt. Da sieht sie eine kleine Wasserschlange, die ihr zum Symbol ihrer Transformation wird.

Willkommen im Leben – ein Naturritual für ein Neugeborenes und für die neuen sozialen Rollen der Eltern, Großeltern und Paten

Das folgende Willkommensritual in der Natur beschreibt eine Alternative zur Taufe und wurde für ein einjähriges Kind mit den Eltern entwickelt.

Das Ritual fand im Garten im Kreis der Familie statt. Nach der Begrüßung wurde die Absicht des Rituals benannt: das Wunder des Lebens zu ehren, das Kind gemeinsam im Kreis der Gemeinschaft willkommen zu heißen und ihm Kraft mit auf seinen Lebensweg zu geben. Symbolisch werde mit dem Bau einer Schutzhütte ein Fundament für sein Leben gebildet und die Eltern, Großeltern und Paten in ihrer neuen Rolle begrüßt.

Anschließend wurden auch unerfüllte Erwartungen der Großeltern angesprochen, die sich eine Taufe gemäß ihrer Tradition gewünscht hätten: »Jede Generation entwickelt ihre eigenen Rituale. Das ist manchmal für Eltern ein herausfordernder Prozess. Alle sind eingeladen, das Ritual mit ihren Ideen zu bereichern und das Baby auf ihre Art und Weise willkommen zu heißen.« Die Eltern formulierten, weshalb sie diese Form des Rituals gewählt hatten.

Der Hauptteil des Rituals beinhaltete den Bau einer Weidenhütte aus lebenden Zweigen. Zunächst wurde gemeinsam die Mitte der Hütte dekoriert und eine Decke für das Baby bereit gelegt. Die Feiergäste bildeten ein Spalier, durch das die Eltern sehr langsam mit dem Baby auf dem Arm hindurchgingen. Die Großeltern wurden als Ahnen geehrt, die Elternschaft gewürdigt. und es wurde ausgesprochen, wie sehr ein Kind die Verbindung zwischen Eltern und Großeltern vertieft. Sie gaben dem Kind ihren Segen. Die Eltern konnten nun mitteilen, wie es ihnen seit ihrem Rollenwechsel mit ihren eigenen Eltern ging. Dann begann der Bau der Hütte. Symbolisch steht die Hütte dafür, dass mit dem Wachsen der Weiden auch die Beziehungen zum Kind wachsen, die Menschen mit dem Kind verwachsen und das Kind in der Mitte dieser Menschen verwurzelt ist und wachsen kann. Die Weidenschutzhütte ist ein Ort des Rückzugs. Wie jede Pflanze will auch die Beziehung zum Kind gehegt und gepflegt, gegossen und genährt werden, damit sie wachsen kann. Das Kind kann später in der Hütte immer wieder spüren, dass es Menschen gibt, die es gern haben, die ein Dach und eine Hütte für es gebaut haben.

Alle Personen erhielten eine vorher schon angespitzte, gut getränkte Weidenrute. Die Löcher für die Weiden waren ebenfalls vorher schon bereitet worden. In die Löcher wurde Tabak mit Dank für die Erde und ein Bergkristall von den Eltern mit guten Wünschen hineingegeben. Nacheinander sprach jede Person ihre Wünsche für das Baby in die Weide und steckte diese in das Pflanzloch. Die Weiden wurden gebogen und an ihren Spitzen miteinander verflochten, so dass sich eine Kuppel ergab. Die Großeltern formten die Weidenrute am Eingang zu einem Tor.

Anschließend wurden die Paten in ihre Rollen eingeführt. Sie drückten ihre Beziehung zum Paar und dem Kind aus und bekräftigten, weshalb sie diese neue Rolle gerne annehmen und wie sie diese ausfüllen wollten. Rituell gaben sie ihr Versprechen, das Kind auf seinem Lebensweg zu begleiten. Alle sprachen noch einmal aus, welche Bedeutung die neue Rolle für sie hat und was sie dem Kind mit auf den Weg geben wollen. Mit einem Lied und Geschenken wurde das Ritual beendet.

An diesem Beispiel wird sichtbar, wie verbindend und sinnstiftend es ist, Rituale in größere soziale Kontexte einzubetten. Anforderungen und Widersprüche können darin berücksichtigt werden. Ein Übergangsritual ermöglicht so den Beteiligten, ihre zukünftige Rolle anzuerkennen. Vergleichbare Rituale können auch für eine neue soziale Rolle im Erwachsenenalter gestaltet werden.

Die folgenden zwei Naturrituale stärken das Bewusstsein vom neuen Ich und damit die Entfaltungskraft der neuen Identität.

Rituelle Naturwanderung

Symbol für das neue Ich63

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Finden Sie ein Symbol für Ihr neues Ich. Tragen Sie das Symbol mit sich durch die Natur. Lassen Sie die Natur dazu etwas sagen. Was sagt sie Ihnen? Was wollen Sie mit der Aussage tun? Tun Sie es.

Weitere kraftvolle Bestandteile von selbstgestalteten Ritualen in der Natur zur Begrüßung des Neuen sind: ein Versprechen oder ein Ja-Wort geben, einen neuen Namen für die neue Rolle finden, ein Lebenslied für sich und das Neue finden. Sie können auch einen Stock für Ihre eigene Identität gestalten, in ihn etwas hineinschnitzen, ihn mit Federn und Symbolen schmücken, bis er ihre neue Identität verkörpert.

In vielen Kulturen ging mit dem Rollenwechsel das Wechseln der Kleidung oder der Haartracht einher. Dies kann auch heute in Rituale eingeflochten werden, wie die zwei folgenden kurzen Beispiele zeigen.

Zu Beginn ihres Ruhestandes geht Rosmarie rituell in die Natur, bindet sich mit Fäden an einen Baum, zerschneidet sie dann rituell als Symbol für den Abschied von der Rolle der berufstätigen Frau und zieht danach selbst gestaltete Schmetterlingsflügel an als Symbol ihrer neuen Rolle. Mit ihnen tanzt sie durch den Wald und begrüßt ihre neu gewonnene Freiheit und Leichtigkeit.

In einem Initiationsritual für junge Mädchen gehen im Rahmen eines großen Sommercamps in einer Prozession alle Mädchen und Frauen gemeinsam zu einem geweihten Ort in der Natur.64 Sie tragen die Farben der Göttin: weiß für das noch nicht blutende Mädchen, rot für die blutende Frau und schwarz für die nicht mehr blutende Frau. Alle jungen Mädchen, die zum ersten Mal im vergangenen Jahr ihre Blutung hatten, gehen zunächst in Weiß. An dem geweihten Ort in der Natur schreiten sie rituell durch ein Tor in ihre fruchtbare Zeit. Dort an einem Altar ziehen sie rote Kleider an, die sie vorher selbst genäht haben. Jedem Mädchen steht eine Frau in schwarzer Kleidung als Patin zur Seite, die sie auch später noch begleitet. Gleichzeitig stehen die Männer in großem Abstand im Kreis im Wald und trommeln für die Frauen. Wenn die Frauen in der Prozession zurückkehren, werden die Männer gefragt, ob sie bereit sind, die Weiblichkeit zu ehren. Erst nach einem Ja gehen alle zurück zum Camp und beenden das Ritual.

Blessing way – Ritual für eine werdende Mutter und ihr Kind

Das folgende Ritual habe ich gemeinsam mit einer werdenden Mutter kurz vor ihrer Niederkunft in Anlehnung an ein Ritual aus der Tradition amerikanischer Ureinwohnerinnen entwickelt und durchgeführt.65 In der Essenz des Rituals geht es um die Ehrung und Weihung der werdenden Mutter und darum, sie im Kreis von Frauen mit Liebe auf die Geburt vorzubereiten. Blessing-way-Zeremonien wurden auch bei anderen zentralen Lebensübergängen gefeiert.

Kurz vor der Geburt merkt Carla, wie der tiefe Wunsch in ihr reift, die Energie der Urweiblichkeit im Kreis ihrer Frauengruppe zu feiern und mit anderen zu teilen. Sie lädt alle zum Ritual und zum Mitgestalten ein.

In der Mitte des Ritualplatzes liegt eine Blume als Symbol, sich dem neuen Leben zu öffnen, eine Muschel steht für die Quelle des Weiblichen, eine Kalebasse dient als Symbol für die Kraft zu gebären und ein Weizenhalm für Stärke.

Zu Beginn werden alle Frauen gereinigt und die Schutzkräfte gerufen, die Carla auch bei der Geburt unterstützen sollen. Als Absicht wird benannt, die Verbundenheit der Frauen mit der Schwangeren zu intensivieren sowie der Mutter für die tiefe anstehende körperliche und spirituelle Transformation Kraft, Liebe und Vertrauen mit auf den Weg zu geben.

Anschließend gehen alle Frauen für eine halbe Stunde rituell über eine Schwelle in die Natur, um ihrer eigenen Mütterlichkeit zu begegnen. Alle Frauen erzählen ihre Geschichten im Kreis. Im Zuhören lässt sich Carla von den anderen Frauen etwas lehren über die für sie wichtigen mütterlichen Qualitäten. Der Kreis bestätigt Carla in ihrer neuen Mutterrolle. Gegenstände aus der Natur, die Carla energetisch bei der Geburt unterstützen sollen, werden feierlich überreicht und schmücken den Altar.

Im nächsten Schritt nimmt Carla Abschied von der Schwangerschaft. Sie drückt ihre Bereitschaft aus, das Kind freizugeben und auf die Erde zu bringen. Mit einem Mantra für Liebe und Mitgefühl bitten alle Frauen um Kraft, Unterstützung und eine sanfte Geburtserfahrung.

Gemeinsam wird die Geburtskerze für das Neugeborene angezündet, die auch während der Geburt brennen wird. Die Frauen sprechen ihre Segenswünsche für das neu werdende Leben in die Kerze hinein. Alle fädeln Perlen auf eine Geburtskette und geben noch einmal ihre Gebete für die werdende Mutter und ihr Kind sowie ihre Bitten um Schutz für beide während der Geburt in die Perlen hinein.

Zum Abschluss singen alle ein Lied für die Ahninnen und verbinden sich mit einem Band, das sie zum Schluss durchtrennen. Jede Frau wird ein Stück dieses Bandes bis zur Geburt als Ausdruck ihrer Verbundenheit bei sich tragen.

Bindungen bekräftigen, Bindungen erneuern

Blumen, die nicht gegossen werden, verwelken. Ein Garten ohne Kompost und Humus verliert im Laufe der Jahre seine Fruchtbarkeit. Wie die Blumen und die Erde brauchen Beziehungen immer wieder unsere Zuwendung, Aufmerksamkeit und achtsame Handlungen. Sie wollen gegossen und gedüngt werden, um nicht einzugehen. Dadurch können sie sich erneuern. Es reicht nicht, sich einmal das Ja-Wort zu geben. Es muss auch wieder erneuert, bekräftigt und die Beziehung gereinigt werden.

Die bei uns noch vorhandenen Traditionen der Silbernen und der Goldenen Hochzeit gehören zu den wenigen Erneuerungsritualen für bestehende Beziehungen. In ihnen wird die Herausforderung des Zusammenseins gewürdigt und die Verbundenheit neu bestätigt.

Für eine dauerhafte Partnerschaft ist es nährend, gemeinsam kleine, einfache Rituale zu entwickeln, die die Beziehung untereinander stärken und Versöhnung und Klärung ermöglichen. Dadurch wachsen die Verbundenheit, das Verständnis für die Unterschiedlichkeit sowie die Anerkennung der Andersartigkeit des anderen. Konflikte können leichter gelöst, Entscheidungen aus einer tieferen Durchdringung der Aufgaben und Fragen gemeinsam getroffen werden. Die verschiedenen Versöhnungsrituale, die bereits beschrieben wurden, können auch als Paar gemeinsam durchgeführt werden.

Ein sehr einfaches Ritual für Paare empfiehlt Michael Lukas Moeller in seinem Buch »Die Wahrheit beginnt zu zweit«66. In dem wöchentlichen Ritual der »Zwiegespräche« sprechen zwei Menschen miteinander in einem rituellen Raum auf der Herzensebene darüber, was sie im äußeren Leben, innerseelisch und in der Beziehung bewegt. Das dient dazu, mehr mitzubekommen, wo die andere Person im Leben gerade steht, was ihre Themen, Nöte, Ängste und Hoffnungen sind. Sie sprechen mit Hilfe eines Redegegenstands. Der Redegegenstand kann ein Stein oder ein schöner Holzstab sein. Wer den Redegegenstand in der Hand hält, hat das Wort, spricht von Herzen von sich selbst und wird nicht unterbrochen. Die andere Person hört aufmerksam zu und reagiert nicht vorschnell. Die Partner versuchen, sich nicht anzuklagen, gegenseitig zu überzeugen oder einander zu widersprechen, sondern die seelische Wahrheit der anderen Person wirklich zu hören, mitzufühlen und zu erfassen. Damit wird neben der Alltagskommunikation vor allem die wahrhaftige Begegnung beseelt. Dieses Ritual können Paare auch an einem Kraftort in der Natur durchführen und sich dazu gemeinsam einen Kreis gestalten, in den sie sich setzen.

Ganz ähnlich ist ein Ritual, das bei Konflikten in der Partnerschaft, zum Beispiel bei unterschiedlichen Vorstellungen zu einem Umzug, einer Operation oder einem Kinderwunsch, hilfreich ist. Während einer rituellen Naturwanderung beleuchten beide eine halbe Stunde lang bzw. auf dem Hinweg nur die eine Seite des Themas, eine halbe Stunde lang bzw. auf dem Rückweg die andere Seite. Beide argumentieren in dem Ritual für die jeweilige Seite, unabhängig davon, welche Position sie selbst einnehmen. Sie nehmen bewusst auch die Sichtweise ein, die sie vorher vielleicht am anderen bekämpft haben. Während der Naturwanderung können sie auch ein Symbol in der Natur finden für die eine und ein Symbol für die andere Seite ihrer Meinungsverschiedenheit. Im Sprechen über die Bedeutung des Symbols vertiefen sich die Beweggründe für die eigene Sichtweise und werden für den anderen transparent. Durch dieses Ritual wächst das Verständnis füreinander und der Boden für eine kooperative Lösung, in der beide sich wiederfinden können, wird bereitet.

Daran anknüpfend gibt es ein kraftvolles Ritual, das Sie vor allem, bevor Sie einen Konflikt gemeinsam bearbeiten, durchführen können.

Naturritual

Dankbarkeitsritual zur Bekräftigung einer Beziehung

Gehen Sie zu zweit über eine Schwelle schweigend hinaus in die Natur, bis Sie zu Ihrem Lieblingsplatz kommen. Gestalten Sie dort gemeinsam einen Kreis aus Steinen, Zapfen, Blättern oder einfach durch ein dreimaliges Abschreiten eines Kreises.

Setzen Sie sich in den Kreis und schauen Sie sich eine Weile in die Augen. Versuchen Sie, den Glanz Ihrer Partnerin bzw. Ihres Partners wahrzunehmen und den Menschen hinter seinen Mustern zu sehen.

Dann sprechen Sie nacheinander mit einem Redegegenstand, wofür Sie dankbar in der Beziehung sind. Erwähnen Sie alles, was Ihnen einfällt. Wenn der Quell Ihrer Worte aufhört, bleiben Sie in der Stille, bis wieder ein Gedanke ausgesprochen werden möchte. Danken Sie all dem, was Sie an Wertvollem in der Beziehung erlebt haben. Wenn es für Sie stimmt, danken Sie auch für die schwierigen Zeiten und dafür, was Sie daraus lernen konnten.

Wenn Sie möchten, beenden Sie dieses Ritual damit, dass Sie Ihre rechte Hand auf das Herz Ihres Partners legen und Ihre linke Hand auf die rechte Hand Ihres Partners, die auf Ihrem Herzen liegt. Spüren Sie die Verbundenheit und Liebe, die in dem Kreis Ihrer Hände, Arme und Ihrem Herzen fließen. Lösen Sie dann die Verbindung und den Kreis auf und gehen Sie schweigend bis zur Schwelle zurück.

Sie können die Übung variieren, in dem Sie sich während einer rituellen Naturwanderung gegenseitig erzählen, was Sie am Anfang besonders aneinander geliebt haben, und sich an die Beweggründe erinnern, die Sie zusammenkommen ließen. Sie können sich an die fließende Liebe erinnern, vielleicht auch an die spirituellen Kräfte und Ihre gemeinsame spirituelle Aufgabe, die sie zusammengeführt haben, und sich darin rituell bestätigen. Was immer Sie rituell tun: Achten Sie darauf, einen geheiligten Beziehungsraum zu schaffen, in dem Sie offen füreinander sein und sich auf das eigenständige Wesen der Bindung einlassen können. Gerade wenn wir in einer Beziehung an einem Tiefpunkt angelangt sind, bringt ein Blick auf die ursprüngliche spirituelle Verbundenheit eine neue Ausrichtung in die Beziehung. Jede Krise kann so zur Botschaft für spirituelles Wachstum werden.

Ein realistischer Blick auf die eigenen Beziehungen schließt auch die Trennung von alten Mustern oder von idealisierten Partnerschaftsbildern mit ein. Nicht jede Wunschvorstellung konnte eingelöst werden, einiges wird vermisst, oder es wird ernüchtert erkannt, dass wir in den anderen etwas hineingesehen haben, das er nicht ist. In einem Ritual kann der Partner befreit werden von diesen unerfüllt gebliebenen Erwartungen. Es kann ausgesprochen werden, welche Bilder noch nicht losgelassen werden können und was eigene Wünsche sind, die der andere nicht einlösen kann. Rituell können dafür Steine ins Wasser geworfen, Stöcke zerbrochen, ein Floß gebaut werden, in dem die alten, überholten Bilder mit Naturgegenständen dem Fluss übergeben werden. Anschließend können Sie nachspüren, für was der Raum durch den Abschied von den alten Bildern frei geworden ist, und so Ihre Bindung erneuern.

Trennen sich Eltern, so können sie ihre Bindung nach der Trennung in einem Ritual erneuern, in dem sie ihre gemeinsame Elternverantwortung für die Kinder rituell bekräftigen.67

Die folgende Naturwanderung können Sie immer wieder alleine durchführen, um Ihre Bindung zu stärken.

Rituelle Naturwanderung

Bindungen stärken

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Finden Sie einen Baum oder Platz in Ihrer Nähe, der für Ihre Beziehungspartnerin bzw. Ihren Beziehungspartner oder für die Beziehung selbst steht. Sprechen Sie mit dem Baum oder Platz, fühlen Sie ihn und drücken Sie aus, was im Alltag ungesagt bleibt.

Ein afrikanisches Erneuerungsritual für Bindungen

Aus der afrikanischen Tradition hat Sobonfu Somé mehrere Erneuerungsrituale für Beziehungen beschrieben. Die Ehe wird in der Tradition der Dagara als ein Weg beschrieben, in dem spirituelle Kräfte weitergetragen werden können. Nach Somé ermöglicht die Ehe, dass die spirituellen Kräfte, die den Einzelnen unterstützen, nun in der neuen Bindung zusammenfließen können, wodurch eine größere spirituelle Kraft entsteht, die der Gemeinschaft dienen kann.68 Konflikte werden dabei als Botschaft der spirituellen Kräfte an das Paar verstanden, sich zu wandeln und sich durch die Bewältigung des Konflikts tiefer zu verbinden.

Das folgende Erneuerungsritual69 kann zu eigenen Ritualen in der Natur inspirieren. Es basiert darauf, dass angestaute Gefühle wieder in Fluss kommen und so eine Versöhnung möglich wird.

Alle fünf Tage gibt es für Paare die Möglichkeit, ihre Beziehung zu revitalisieren. Dazu wird alles Negative aus der Beziehung hinausgeworfen. Mann und Frau sitzen mit dem Rücken zueinander in einem »Aschekreis«. Die Frau ist nach Norden, der Mann nach Süden ausgerichtet. Sie rufen die spirituellen Kräfte an und anschließend sprechen sie gleichzeitig all ihre Frustrationen und ihren Schmerz in der Beziehung zu diesen spirituellen Kräften hin aus. Durch das gleichzeitige Sprechen, Schreien oder stilles Klagen achten sie mehr auf sich als auf den anderen. Nach und nach werden sie leiser, langsamer und lassen ihre Gefühle los. Sie versöhnen sich, in dem sie sich gegenseitig mit Wasser begießen und damit die Spannungen von sich abwaschen.

Share the blanket: Ein Hochzeitsritual

Bei vielen indianischen Völkern gibt es nur ein Wort für Liebe, Freundschaft, Ehe, Verbundenheit: »Share the blanket«, also: »Teilt die Decke miteinander«. Dort, wo die Decke geteilt wird, ist Verbundenheit, Wärme, Liebe zu finden, Hab und Gut werden geteilt. So spielt in vielen Bindungsriten das Miteinander-Teilen der Decke eine große Rolle.

Alternativ zur kirchlichen Hochzeit führen Paare heute immer häufiger selbstgestaltete spirituelle Hochzeitsrituale durch. Das folgende Hochzeitsritual habe ich mit dem Paar gemeinsam entwickelt und durchgeführt. Als Vorbereitung des Rituals hatte das Paar eine rituelle Naturwanderung mit der Absicht, ihre alte Rolle als Single loszulassen, durchgeführt und gemeinsam rituell verbrannt, was sie hinter sich lassen wollten.

Die Einstimmung ins Ritual begann damit, dass das Paar von Osten durch ein Spalier aus Blüten in einen Kreis zog, der sich an einem wunderschönen Ritualplatz in der Natur befand, und von allen vierzig Verwandten und Freunden dabei besungen wurde. Die Menschen, der Platz wurden begrüßt, die Kräfte eingeladen und die Ahnen geehrt. Die Absicht wurde benannt: gemeinsam die rituelle Vermählung durchzuführen und sich im Ritual an die eigene Liebesfähigkeit erinnern zu lassen. Das Paar entzündete ein Feuer, das ihre Liebe symbolisierte. Alle konnten anschließend mit einer Prise Lavendel, die sie ins Feuer gaben, weitere Kräfte in den Kreis rufen.

Jede Person erzählte kurz, woher sie das Paar kannte. In einer kurzen rituellen Auszeit in der Natur verband sich jede Person mit ihrer eigenen Liebesfähigkeit und den Wünschen für das Paar. Bei ihrer Rückkehr lagen Birkenzweige, Bänder und dicke Stifte bereit. Zu zweit oder zu dritt schrieben sie ihren Wunsch für das Paar auf ein Band und wickelten es um den Birkenzweig und dekorierten ihn mit Blüten und Symbolen aus der Natur.

Die Männer wurden eingeladen, sich auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite des Kreises einzufinden. Dann priesen die Männer den Bräutigam spielerisch der Braut an: Was ist an ihm liebenswert, weshalb lohnt es sich, mit ihm durchs Leben zu gehen? Wenn die Braut überzeugt war, bewegte sie sich auf ihn zu. Dann priesen die Frauen umgekehrt die Braut an. Im Hintergrund wurde im Herzrhythmus leise getrommelt. Als sie schließlich voreinander standen, lasen sie sich gegenseitig einen Brief vor, in dem beschrieben wurde, was sie am anderen lieben, ehren und schätzen, was sie beherzigen wollen, wenn es schwierig wird, und was sie dem anderen versprechen. Anschließend gaben sie ihr gemeinsames Versprechen, miteinander durchs Leben zu gehen, sich zu lieben und in guten wie in schlechten Zeiten zusammenzuhalten. Während die Gäste mit Rasseln und Trommeln das Ja-Wort bezeugten, wurden die Ringe überreicht.

Die neue Verbindung wurde gesegnet und die Kräfte um Schutz und Begleitung gebeten. Auch die Trauzeugen bekräftigten die Ehe. Sie versprachen, das Paar in schwierigen Zeiten an diese lichtvollen Momente zu erinnern und für beide da zu sein. Die Trauzeugen überreichten dem Paar eine selbst gehäkelte Decke und wickelten beide in die Decke ein, mit den Worten, dass sie ihre Decke nun teilen und sich gegenseitig wärmen mögen. Der Kreis bezeugte mit Rasseln und Rufen die neue Verbindung. Reihum gaben sie dem Paar ihre Segenswünsche mit auf den Weg.

Zum Abschluss wurde den Kräften, dem Feuer, dem Wind, der Erde und dem Wasser gedankt und das Ritual beendet. Die Gäste konnten sich aus einer großen Schale, die im Kreis herumgereicht wurde, Rosenblüten, Reis und Lavendel herausnehmen und bewarfen damit das Paar zum Zeichen ihrer Glückwünsche. Sie bildeten mit den Wunschbändern ein hohes Spalier, durch welches das Paar hindurchging.

Gelassenheit und Lebensfreude entwickeln

Ich bat um Kraft,

und das Göttliche gab mir Schwierigkeiten,

um mich stark zu machen.

Ich bat um Weisheit,

und die Schöpfungskraft gab mir Probleme,

um sie zu lösen und dadurch weise zu werden.

Ich bat um Wohlstand,

und die Schöpferin gab mir ein Gehirn und Muskeln,

so dass ich arbeiten konnte.

Ich bat um Liebe,

und Gott gab mir Menschen,

die meine Hilfe benötigten.

Ich bat um Gnade,

und die Göttin gab mir Möglichkeiten.

Ich erhielt nichts von dem,

was ich wollte.

Ich erhielt alles

was ich brauchte.

SWAMI VIVEKANANDA70

Die Zeilen des hinduistischen spirituellen Lehrers und Gelehrten Swami Vivekananda laden uns ein, in all unserem Wünschen und Wollen genau zu erspüren, was wir denn nun wirklich im Leben brauchen. Erfahrungsgemäß erhalten wir im Leben nicht immer, was wir uns wünschen, und haben dennoch alles, was wir brauchen. Wenn wir den Überfluss, die Weisheit und die Stärke wahrnehmen, die bereits da sind, und erspüren, ob das, was wir im Leben bekommen, nicht schon Fülle genug ist, können wir einverstanden sein mit dem, was ist, und unseren Widerstand gegen die Wege unseres Lebens beiseite legen. Gelassenheit heißt, mit dem, was ist, einverstanden zu sein.

Gelassener werden wir dann, wenn wir das ändern, womit wir unzufrieden sind, und uns dabei an dem, was wir nicht ändern können, nicht täglich aufreiben, sondern es als Lernaufgabe oder wichtige Botschaft lieben lernen. Wenn wir einen Lebensumstand weder ändern noch lieben können, ist es an der Zeit, die Konsequenzen zu ziehen und die ungute Situation hinter uns zu lassen, auch wenn wir dafür einen Preis zahlen müssen. Reiben wir uns weiter auf und können etwas weder ändern noch lieben lernen oder verlassen, dann laufen wir Gefahr, in der Hoffnungslosigkeit stecken zu bleiben. Wunschkultur und universelle Bestellungen helfen uns wenig, wenn wir nicht zu Veränderungen, innerer Arbeit und zum Handeln im Alltag bereit sind. Die Frage »Was fehlt mir?« erscheint in ganz anderem Licht, wenn wir uns auf das Hier und Jetzt besinnen: »Was fehlt mir denn genau in diesem Augenblick?«

Jeder erfüllte Wunsch ist ein Wunsch weniger, und so mancher Wunsch erfüllt sich vielleicht deshalb nicht, weil wir ihn nicht leben könnten. Dennoch sind wir gehetzt im Verlangen nach mehr. Dieses Verlangen kann selten befriedigt werden, weil es als Haltung selbst unzufrieden macht. Was für eine Befreiung könnte es dagegen sein, davon auszugehen, dass wir bereits alles erhalten haben, was wir brauchen. Das fördert unsere Gelassenheit enorm. Zu vertrauen, dass genau das in unserem Leben ist, was richtig ist, erleichtert es, mit uns selbst gnädig zu sein. Wir können uns selbst anerkennen und die eigenen unerfüllten Wünsche innerlich durchlässig und gegenwärtig einfach nur spüren, ohne uns selbst in unserer Ganzheit mit unseren Gefühlen zu verwechseln.

Zur Gelassenheit gehören die Haltungen der Dankbarkeit, der Großzügigkeit und der Mitfreude. In der Qualität der Mitfreude empfinden wir Freude darüber, wenn anderen etwas zuteil wird, das wir uns vielleicht für uns selbst gewünscht haben. Die Kraft der Mitfreude bedeutet, die Grenzen zwischen dem Ich und den anderen aufzulösen und teilzuhaben am Glück der anderen. Was uns eigentlich unglücklich macht, ist, wenn unsere Mitfreude fehlt. Dies erzeugt Distanz und quält uns mit Neidgefühlen. Indem wir schenken, was wir uns für uns selbst wünschen, und uns am Glück anderer erfreuen, können wir selbst Glück erleben.

Die folgende rituelle Naturwanderung lädt Gelassenheit ins Leben ein:

Rituelle Naturwanderung

Gelassenheit

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Beobachten Sie, wie die Natur Gelassenheit verkörpert. Lassen Sie sich von ihr Gelassenheit lehren.

Man sagt, dass unruhige Geister, die nur selten Gelassenheit empfinden, vielleicht im nächsten Leben als Baum wiedergeboren werden. Die nächste rituelle Auszeit greift diese Sichtweise zur Gelassenheit spielerisch auf.

Rituelle Naturwanderung

Zukünftiges Wesen

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Stellen Sie sich vor, dass Sie im nächsten Leben als ein anderes Wesen auf die Erde wiederkommen. Suchen Sie dieses Wesen und gehen Sie in Kontakt mit ihm. Lassen Sie sich von ihm lehren, warum Sie als dieses Wesen wiedergeboren werden.

Nehmen Sie die Erkenntnis der Wanderung mit in Ihr jetziges Leben. Was wurde Ihnen mitgeteilt, das Ihre Gelassenheit wachsen lassen kann?

Lebensfreude und Selbstliebe

Eng verbunden mit Gelassenheit ist die Lebensfreude. Wir empfinden sie verstärkt im Frühling, wenn alles erblüht, die Sonne wieder wärmt, die Vögel zwitschern und die Natur in ihrer Grünkraft erwacht. Es ist ein Lebensgefühl von Freude, Leichtigkeit und überschwänglicher Kraft. Im Gefühl der Lebensfreude fließen wir über und verschenken uns an das Leben.

Wenn wir einen Alltag leben wie eine Maschine, die funktioniert und ein festgelegtes Programm abarbeitet, kann sich Lebensfreude kaum ausbreiten. Hektik, Zeitdruck und Anspannung führen dazu, dass wir uns zu wenig Zeit nehmen für unsere Bedürfnisse, unser seelisch-körperliches Wohlbefinden und für das, was uns gut tut. Manche Menschen besinnen sich oft erst dann, wenn sie ausbrennen oder krank werden.

Lebensfreude braucht Zeit und Raum, um sich auszubreiten und als Quelle in unserem Leben zu fließen. Sie lässt sich weder erzwingen noch festhalten. Kinder sprudeln in ihrem kindlichen Spiel förmlich davon über. Sie vergegenwärtigen uns, dass der spontane Ausdruck von Lebensfreude zu uns Menschen inhärent dazugehört. Was sind unsere ganz eigenen Schlüssel zum Tor unserer Lebensfreude? Was ruft sie wach? Was lässt uns vor Freude hüpfen und die ganze Welt umarmen?

Unsere Energie folgt unserer Aufmerksamkeit. Fokussieren wir uns auf die Freude statt auf die Sorge, so wird sie mehr in unserem Leben erscheinen können. Zu hohe Erwartungen an uns selbst, Ängste, Selbstablehnung, Abhängigkeit von der Anerkennung anderer sind dagegen wie Riegel vor dem Tor der Lebensfreude und verstärken die alltägliche Freudlosigkeit.

Die folgende rituelle Naturwanderung zur Lebensfreude lässt sich vielfältig variieren.

Rituelle Naturwanderung

Ein Lächeln finden

Gehen Sie über eine Schwelle in die Natur mit der Frage: Was löst in mir Lebensfreude aus?

Finden Sie dann ein Lächeln in der Natur, in einer Eichenrinde, in Wolkenformationen oder anderen Gebilden. Lassen Sie sich erinnern an Zeiten, in denen Sie viel Lebensfreude gefühlt haben. Teilen Sie diese Erfahrung mit der Natur und schenken Sie sie ihr.

Alternativ können Sie sich ein Medizinbündel zu Ihrer Lebensfreude oder einen Lebensfreudestrauß binden, wobei jede Blüte für eine Qualität steht, die Ihnen Freude bereitet. Aus Naturgegenständen können Sie etwas bauen für Menschen, die Ihnen am Herzen liegen, und Ihre Vorfreude dabei erleben, anderen rituell etwas Selbstgestaltetes zu schenken. Sich mit Blumen zu schmücken oder in Tagträumen zu verlieren, Sorgen und Gedanken an die Natur mit der Bitte um Transformation abzugeben, ein Symbol für Ihre Lebensfreude zu finden, rituell mit der Lebensfreude zu spielen – all dies kann Sie auf die Spur zur Quelle Ihrer Lebendigkeit führen.

Aufschlussreich kann es auch sein, mit der Frage rituell in die Natur zu gehen, was die Lebensfreude blockiert und was sie mehr ins Fließen bringen kann.

Eng verbunden mit der Lebensfreude ist die Selbstliebe. Sich selbst lieben zu lernen, ohne Egospielen zu erliegen, ist eine große Kunst. Viele Menschen fragen sich, ob sie von einer anderen Person wirklich geliebt werden. Dabei sind die Fragen, ob wir unser göttliches Geliebtsein spüren und uns selbst lieben, viel wesentlicher. Daran knüpft sich die dritte Frage an, nämlich, ob wir einer anderen Person Liebe schenken. Und erst zuletzt käme die Frage, ob wir selbst von einer anderen Person geliebt werden.

Rituelle Naturwanderung

Sich selbst lieben

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Was lieben Sie an der Natur? Was liebt die Natur an Ihnen?

Das, was wir an der Natur lieben und wie wir sie lieben, ist oft ein Spiegel dafür, was wir an uns selbst lieben. Wenn Sie nach der Auszeit die Erfahrungen reflektieren, können Sie diese Perspektive einnehmen und sich so auch Selbstliebe schenken.

Als Ausdruck der Selbstliebe und dafür, sich selbst als Gewordene und Werdende voll und ganz anzunehmen, feiern Menschen auch eine rituelle Hochzeit mit ihrem zukünftigen Sein oder ihrem höheren Selbst. In diesem Ritual verbinden Sie sich auf eine tiefe Weise mit Ihrer spirituellen Quelle.

Die spirituelle Dimension von Ritualen in der Natur

Begegnung mit dem Göttlichen

Menschen, die sich rituell auf den Spiegel der Natur einlassen, berichten nicht selten von außergewöhnlichen, übernatürlichen Erfahrungen. Sie erleben die Natur als heiligen und heilsamen Raum in einer spirituellen Dimension, die sich fast nur als Begegnung mit dem Göttlichen beschreiben lässt und in der Heilkraft erfahrbar wird.

Sie knüpfen damit an ein uraltes archetypisches Feld an, in der Menschen schon immer im Spiegel der Natur transzendente Erfahrungen gemacht haben, die über das Alltägliche hinaus verweisen. Zahlreiche Begegnungen mit dem Göttlichen und göttliche Erscheinungen wurden in der Natur gemacht. Solche Begegnungen ermöglichen auch heute eine tiefe Rückverbindung, berühren sie doch die Tiefenschichten des menschlichen Seins, des Menschen als verbundenem Naturwesen. Es ist nicht von ungefähr, dass »religio« nichts anderes bedeutet als Rückverbindung. Und diese »religio« kann in der Natur in besonderer Weise verwirklicht werden, wie Geseko von Lüpke und Sylvia Koch-Weser betonen: »Denn wer heute in freier Natur dem Göttlichen begegnet, belebt eine Erfahrung neu, die offenbar an der Wurzel aller Religiosität liegt. […] In solchen Erfahrungsräumen fallen wir also nicht zurück in eine schamanische Naturverehrung, sondern öffnen uns für eine Religiosität, aus der sich auch alle moderne Religiosität schrittweise entwickelt hat.«71

Wie wir das Göttliche erfahren und erleben, basiert auf unserem eigenen spirituellen Weltbild, auf unserer persönlichen spirituellen Lebensphilosophie. Während die einen Gott erkennen, sehen andere die Göttin, beten zu Allah, erfahren Buddha oder sprechen mit Naturgeistern. Jeder begegnet seiner Erscheinungsweise des Göttlichen. Im Spiegel der Natur erspüren wir diese Erfahrung des Einsseins, Verbundenseins und der Entgrenzung sehr direkt. Wir erleben es als Gefühl, vom Göttlichen berührt zu sein, als Gebet, Tagtraum, Moment tiefer Sinnhaftigkeit, als göttlichen Funken, der durch uns hindurchstrahlt. Spirituelles Naturerlebnis heißt, dem Staunen, dem Wunder und dem Ewigen Aufmerksamkeit zu schenken.

Max, der rituell in den Bergen unterwegs ist, lässt nach vielen Jahren innerlich eine große Belastung los. In diesem Moment bricht in der Nähe ein Stück Gletscher mit einem lauten Krachen weg und wird im Wasserbecken des Gebirgsflusses weggespült. Für Max ist es ein tiefes Berührtsein von Gnade, Gehörtwerden und Demut vor den größeren Kräften.

Rituell in der Natur zu sein bedeutet, dem Einbruch des Numinosen Raum zu geben. Verstärkt durch Fasten, Alleinsein und durch die Bereitschaft, sich den Naturmächten auszuliefern, gleichen rituelle Auszeiten in der Natur traumähnlichen Zuständen. Diese synchronistischen, d. h. sinnhaft gleichzeitig auftretenden Erlebnisse, die kausal gesehen eigentlich nicht zusammenhängen, sind nicht machbar. Wir können uns lediglich für sie öffnen. Aus dem transzendenten Raum heraus entsteht das Gefühl von Geheimnis, Ehrfurcht und Allverbundensein. Selbst der Gletscher scheint Max’ Bereitschaft, loszulassen, zu spüren. Solche Erfahrungsräume erfüllen das tiefe Bedürfnis nach Transzendenz, Entgrenzung und der größeren Dimension unseres Seins.

Übergangsrituale ermöglichen die Rückverbindung mit der inneren Welt und vermitteln Wissen um die transzendente Existenz. Wir gehen verändert aus diesem Prozess der Rückverbindung hervor, erkennen, was wesentlich und unwesentlich ist, betrachten Taten, Handlungen und Gedanken aus der Perspektive des höheren Selbst statt aus der des ansprüchlichen Ich.72 Das höhere Selbst als die zeitlose Dimension unseres seelischen Seins, das viel größer ist als unser gewöhnliches Dasein im Alltag, erwacht und erweitert sich im rituellen Naturraum. Es dehnt sich förmlich in andere Seinsweisen aus.

Wirklichkeitsebenen von Naturerlebnissen

Blicken wir auf ganzheitliche Erlebnisweisen ritueller Zeiten in der Natur aus einer objektiven Wirklichkeitssicht zurück, kann das zu Verwirrungen führen. Die sich entfaltende Wirkung eines Rituals kann so nur kaum spürbar werden. Umgekehrt erscheinen viele Naturerlebnisse während der Auszeit als ganz gewöhnlich und erst im Nachhinein sind wir erstaunt über ihre Größe und Bedeutung.

Für das Verständnis von Naturritualen und ihrer spirituellen Dimension ist es sehr erhellend, die vier Welten der Wirklichkeitswahrnehmung heranzuziehen, wie sie im hawaiianischen Schamanismus unterschieden werden. Serge Kahili King beschreibt sie als vier Ebenen, wie wir die Welt betrachten können.73

Die objektive Welt als die gewöhnliche Ebene der Realität ist geprägt von der Annahme, dass die Dinge voneinander getrennt seien. Den Weiher nehmen wir mit unseren Sinnen wahr: seinen Geruch, die Wasseroberfläche, die Mücken, die aus ihm trinken. Ursachen sind kausal-linear.

Aus einer subjektiven Wirklichkeitsebene sind wir uns über die wechselseitige Verbundenheit alles Lebendigen bewusst. Alles ist Teil des großen Kreislaufs, auch unsere Gefühle. Im Weiher sehen wir die Schatten der Wolken, die sanften Wellen des Windes auf der Wasseroberfläche, den Laich von Erdkröten. Alles hängt voneinander ab, und auch wir sind ein Teil davon. Wir erinnern uns an frühere Erlebnisse an Weihern, werden seelisch von der Natur berührt, empfinden Stille und Frieden und können mit dem Wesen des Wassers sprechen.

Auf der symbolischen Ebene wird alles zum Spiegel für den eigenen Lebenshintergrund. Wir fragen danach, was uns die Symbole sagen möchten, sehen, dass diese Wirklichkeit ein Traum sein könnte. Der Weiher wird zum Zeichen der eigenen Tiefe und führt zu allen unterirdischen Gewässern der Seele. Er begegnet mir, weil ich mich reinigen oder den Ort weihen soll. Erlebnisse auf dieser Ebene können durch die Auswahl anderer Symbole oder anderer Interpretationen verändert werden.

Die holistische Wirklichkeitserfahrung entspricht der unio mystica, dem Einssein mit allen Wesen. Ich bin der Weiher und das Wasser. Ich tanze als Libelle um die Rispen, werde vom Wind geschaukelt. Die Grenzen zwischen dem Ich und dem Anderen zerfließen. Es gibt keinen Unterschied mehr, ob ich den Weiher berühre, der Weiher mich berührt oder ich als Weiher die Berührung genieße. Im rituellen Naturerleben tauchen wir in diese holistische Ebene ein.

Von Ebene zu Ebene nimmt die Trennung zwischen der äußeren und der inneren Welt ab und das Allverbundensein zu. Nun kommt es entscheidend auf das Zusammenspiel der vier Welten an. Serge Kahili King meint, dass viel Irritation dadurch entsteht, dass wir meist nicht wissen, in welcher Welt wir uns gerade bewegen, und sie vermischen. Aus der objektiven Perspektive sind die Ebenen getrennt, auf der holistischen Ebene sind sie ineinander verwoben. Sobald wir eine Welt aus der Perspektive einer anderen sehen, scheint sie plötzlich kaum noch Sinn zu machen. Ein kritisch denkender Zugang zu den anderen Welten, die Zweifel, was denn nun wirklich real oder nur eingebildet ist, kann dazu führen, die Erfahrungen aus der nichtalltäglichen Wirklichkeitsschicht als seltsam, esoterisch, beängstigend oder pathologisch zu bewerten. Während die holistische Ebene eine sehr sinnliche Welt voller Beseeltheit ist, zeitlos, wortlos, ein Raum »in between«, eine Zwischenwelt, wechseln wir in der objektiven Welt den Standpunkt hin zum Denken, Bewerten und Betrachten von außen.

Für Rituale bedeutet dies, dass die simple objektive Betrachtung einer Kerze niemals erklären kann, warum die Kerze uns an eine verstorbene Person erinnert, oder dass objektiv nicht nachzuvollziehen ist, wieso wir ihr im Traum oder in einem Baum begegnen können. Um den wirksamsten Standpunkt einnehmen zu können, ist es wichtig, fähig zu sein, sich bewusst zwischen den Welten zu bewegen. Dazu »müssen Sie üben, die Annahmen jeder Welt, die Sie verlassen, fallen zu lassen – sowie die kritische Analyse, die sich aus ihnen ableitet –, bevor Sie zur nächsten übergehen«74.

Aus diesem Grund sollten wir andere Menschen, mit denen wir transzendente Naturerfahrungen teilen möchten, erst einmal auf eine andere Ebene der Wirklichkeit mitnehmen, die dem Geheimnis Entfaltung ermöglicht. Das kann ganz einfach bedeuten, vor dem Erzählen Stille spürbar werden zu lassen.

Susanne erlebt die Ebenen, ohne von ihnen zu wissen, so:

»Mir begegnet immer wieder die Idee, die tiefen Weisheiten nur in der Stille, in der Ruhe finden zu können. Ich gehe gerne in den Wald. Schon als Kind habe ich die Natur als wohltuenden Schatz empfunden. Wenn ich die Natur über die einfache Freude, in ihr zu sein, hinaus wirken und antworten lassen will, ist es dann gut, mir vorher schon ganz konkrete Fragen an sie zu überlegen? Hilft mir die Natur, meine immer wiederkehrenden Fragen zu erkennen? Ist es vielleicht gar nicht nötig, etwas zu fragen und trotzdem ›Antworten‹ zu bekommen?

Manchmal hat die Natur mit mir gesprochen, manchmal nicht. Vielleicht bin ich auch nicht gut im Hinhören. Dann frage ich mich: Wer hat mir geantwortet? Sind es nur Einbildungen? Mache ich mir was vor? Was ist wahr? Worauf soll ich hören? Wer ist die interpretierende Instanz?

Und trotz des ganzen Herumgefrages und einer gewissen Skepsis gibt es hoch wirksame Erlebnisse und Bilder, die ich von draußen mitgebracht habe, in einer Zeit, als ich alle Zuversicht verloren glaubte: Ein kleines, blauschillerndes Insekt, das ich noch nie vorher gesehen habe und das in mir Neugier und den Mut machenden Gedanken erzeugt, dass ich noch viele Dinge sehen werde, die ich noch nie gesehen habe. Oder einen kräftigen, üppig tragenden Apfelbaum, den ich trotz meiner Krise nach der Trennung als Sinnbild für mein Leben auswählte und der mich an reiche Früchte, kraftvolles Wachstum und Vielfalt erinnert. Und an einen Baum, der durch Blitzschlag stark beschädigt wurde und einfach kraftvoll in eine andere Richtung dem Licht entgegengewachsen ist.«

Initiation im sakralen Raum der Natur

Ida, Mitte sechzig, hat ihr altes berufliches Leben hinter sich gelassen und gerade eine letzte Ausbildung abgeschlossen, mit der sie neu in die Welt gehen möchte. Obwohl sie ihre Qualitäten erkennt, fällt es ihr doch schwer, sich den Menschen in ihrem ganzen Wesen zu zeigen. Ihren Bestätigungssatz »Ich bin die Älteste, die ihre Gaben lebt und teilt« bekräftigt sie in einer rituellen Naturzeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.

Sie erzählt: »Es schüttet und ich habe nur leichte Kleidung an. Da fällt mir bei einer hochstämmigen Kiefer auf, dass am Stamm ein kleines Stück am Boden trocken ist. Über mir schließen sich zwei Eichenäste zusammen und bilden einen Regenschirm für mich. Ich bin so dankbar über diesen Schutz. Wegen der Kälte massiere ich die Kiefer, streichle sie, die Rinde wärmt meine Hände. Die Kiefer bleibt den ganzen Tag mein Bezugsbaum. Da sehe ich in einiger Entfernung eine lichtdurchflutete Kathedrale: Hochstämmige Kiefern bilden einen heiligen Raum. Rotorange-golden leuchten die Säulen ihrer Stämme im Regen und Nebel. Das berührt mich sehr. Ich bin fasziniert von diesem Geheimnis. Und ich weiß, dass ich das erkunden will. In einer Regenpause gehe ich hin zur Kathedrale und entdecke in ihrem Säulengang einen Riesenbaumstamm, von dem nur das Gerippe steht. Ich bin so überwältigt, dass ich erst einmal zu meiner Schutzkiefer zurückgehe. Ich weiß, dass dort etwas Wichtiges auf mich wartet.

Mittags hört es auf zu regnen. Die wunderschönen Kiefern leuchten noch goldener und erscheinen wie ein heiliger Park, den man fast nicht betreten darf. Es ist so still und besonders. Nun ist es Zeit, zu diesem Riesenbaum zu gehen. Es ist eine uralte Weide, von der nur noch der Stamm steht, vierzehn Schritte im Umfang. Ihr Stamm endet in der Form eines Adlerkopfes. Sie ist so unglaublich majestätisch, geerdet, so voller Leben, obwohl sie keine Äste mehr hat. Ich bin so berührt von dieser Begegnung.

Ein wunderschöner Ast, der Teil der alten Weide ist, spricht mich an. Er ist geschwungen wie eine Schlange, und ich weiß, dass er mein Stab ist, mit dem ich meine Geburt zur Ältesten besiegeln möchte – mein Ältestenstab. Er ist voll Erde, eigentlich unansehnlich, und doch weiß ich: Der ist es! Wie ich so über den Adlerkopf schaue, da bewegt sich etwas Pelziges. Ich bin total fasziniert: Dort oben haust eine Waschbärenmutter mit zwei Kleinen. Sie betrachtet mich, säugt ihre Jungen und schläft dann wieder. Nichts bringt sie aus der Ruhe, ob ich singe, klatsche, stampfe. Zwischendurch spielt sie mit den Kleinen, die mir zuschauen wollen. Ich bin zutiefst beseelt.

Nun bin ich bereit, meine Initiation zur Ältesten durchzuführen. Ich habe Zeugen: die alte Weide, den Adlerkopf, die Waschbärenfamilie und die Vögel. Auf einer Seite ist der Stamm geöffnet und bildet einen Geburtsraum mit einer Vulva. Ich gehe mit meinem Ältestenstab in den Gebärraum hinein und weiß, dass dort der Platz für meine Geburt ist. Ich meditiere im Raum, singe, stelle mir meine Qualitäten und Gaben vor, die ich leben und teilen will ,und bete um Unterstützung für diese Aufgabe. Mein Stab gibt mir Energie und das Gefühl der Zugehörigkeit im Ältestenrat, dessen Ruf ich gehört habe. Ich bete, weine und bitte um einen sanften Übergang für meine todkranke beste Freundin. Zutiefst spüre ich, wie nah beieinander Tod und Leben an diesem kraftvollen Ort sind.

Als Älteste, die ihre Gaben lebt und teilt, trete ich aus dem Geburtsraum heraus, bedanke und verabschiede mich. Beglückt kehre ich zurück.«

Idas Initiation führt sie zu einem Heiligtum in der Natur: zu einer Naturkathedrale, in einen sakralen Gebärraum hinein, der zum Ort ihrer Wandlung wird. Es wird spürbar, wie tief das Heilige sie berührt und wie beseelt alle Wesen sind. Die Lebendigkeit um sie herum erweckt auch ihr eigenes lebendiges Wesen.

Idas Erlebnisse zeigen, dass spirituelle Naturerfahrung im Ritual bedeutet, sowohl in sich selbst als auch im größeren Strom des Lebens gleichermaßen zu ruhen und zu fließen. Es heißt, in die Präsenz der Gegenwärtigkeit und in einen Raum offenen Gewahrseins einzutauchen. Dort fühlen wir die Quelle unserer Energie und die aller Wesen – im Wissen darum, dass alle Energien eines Tages wieder in das große Ganze einfließen werden. In dieser Verbundenheit mit den größeren Kräften erfahren wir uns als transzendente und transzendierende Wesen. Wir erkennen, was die Welt von innen her zusammenhält, und ahnen den allen Dingen innewohnenden Geist auch in uns.

Diese spirituelle Dimension von Naturerleben geht mit einer tiefen Geborgenheit in der Anima mundi, der Weltenseele, einher. Zu spüren, dass wir getragen sind, wann immer wir atmen, löst ein Gefühl tiefer Zugehörigkeit zum Leben aus. Sich rituell in die Natur zu begeben, kann so als ein großes Nachhausegehen verstanden werden: nach Hause zu Mutter Erde, in den ewigen Kreislauf von allem, was lebt. Es gibt viele Worte für diese Einsicht, doch Worte machen nicht fassbar, was gemeint ist: Es ist das Unendliche, Unsichtbare, Unbegreifbare, Unbenannte, Unmanifeste, das Sein an sich.

Um Ihrer eigenen spirituellen Ausrichtung auf die Spur zu kommen, können Sie mit einer rituellen Auszeit in die Natur gehen.

Rituelle Naturwanderung

Dem Göttlichen begegnen

Gehen Sie über eine Schwelle hinaus in die Natur. Begegnen Sie der Schöpfungskraft, dem Göttlichen in der Natur. Sprechen Sie mit ihr oder ihm. Bleiben Sie so lange, bis Sie dem Göttlichen in sich im Spiegel der Natur begegnen.

Bei der Frage, wie wir spirituelle Naturerlebnisse im Alltag umsetzen können, geht es nicht vorrangig um das Tun, sondern mehr um das Wirkenlassen der Erfahrung und darum, ihr im eigenen Leben Raum zu geben und die anderen Ebenen dahinter schwingen zu spüren. Der Weg zum Tun ist zu sein.

Und doch es geht auch um das Tun im Sinne von verantwortungsvollem Handeln. Spirituelle Erfahrungen ohne Erdung sind meist nur kurze Strohfeuer. Tiefe Einsichten im Spiegel der Natur ändern jedoch oft unsere Weltanschauung und unseren Respekt vor allem Lebendigen. Dann wollen unsere Erkenntnisse und Einweihungen, die wir in der Natur geschenkt bekommen haben, zurückfließen zu den Menschen, die wir lieben. So bewirken die Naturerfahrungen oft eine gelebte Spiritualität im Alltag, aus der heraus wir sinnvoll in der Welt wirken und neue Wege der Kooperation mit der Erde gehen können.