Ausklang: Atmen für das Leben

Das bewusste Durchlaufen von Lebensübergängen ist nicht leicht, im Rückblick aber oft eine reiche und fruchtbare Zeit. Am anderen Ufer angekommen, können wir sehen, dass es sich gelohnt hat, hungrig und unbedingt in der Suche nach dem Sinn geblieben zu sein.

Kehren wir von unseren sinnhaften Erfahrungen in der Natur in unseren Alltag zurück, sind die Zweifel oft nicht weit. Innere und äußere Antreiber wie »Jetzt musst du wissen, was du willst!« oder »Du musst jetzt schnell eine neue Tätigkeit finden!« beschleunigen unser Rennen im Hamsterrad der Erwartungen. Umgekehrt zieht das vertraute Alte uns an und unterhöhlt unser Vertrauen in das Neue. An diesen Wendepunkten haben wir die Wahl: Warum sollten wir nicht einen neuen Weg einschlagen, uns überraschen lassen von den Menschen und den unerwarteten Wendungen im Leben?

In unserer Kultur wird der Zwischenraum zwischen dem, was jetzt ist, und dem, was kommen mag, nur ungern ausgehalten, obwohl genau aus dieser Phase der Unsicherheit neue Bilder für die Zukunft aufsteigen. Hier brauchen wir vor allem eins: Vertrauen in die Wandlungskraft, die aus diesem Zwischenraum entspringt. Wir müssen der langsamen Entfaltung des Prozesses viel Raum geben, ohne jemanden glücklich machen zu müssen, ohne Angst, ohne Planungen. Unser innerer Kompass, das, was uns trägt und Sinn finden lässt, wird uns führen.

Während der Reise von Lebensübergang zu Lebensübergang entfalten wir zunehmend unser Bewusstsein. Dann können wir vielleicht feststellen, dass wir in eine größere Dimension des Lebens hineingewachsen sind. Wir sind angekommen in der Wahrnehmung, dass wir nicht nur ein Ich sind, sondern das Leben selbst. Es ist Leben, das leben will – dieser unaufhörliche Strom alles Lebendigen, der durch uns hindurchfließt, der größer ist als wir. Dieses kostbare Geschenk gehört uns nicht, es ist zu uns gekommen, und irgendwann geben wir es wieder ab – so, wie wir ein- und ausatmen. Wir atmen das Leben ein, atmen für das Leben. Im Ausatmen geben wir das Leben weiter an andere Wesen in der Natur.

Dieses Wechselspiel von Geben und Nehmen lehrt uns die Natur immer wieder. Wenn wir das Geschenk des Lebens schätzen, ehren wir auch die Erde und unseren Sinn in ihr. Was geben wir der Erde? Letztlich haben wir diese Sinnfindungsreise in der Natur nicht nur für unsere eigene heilsame Entwicklung gemacht, sondern auch für die Menschen, die wir lieben, und für das Leben an sich, in das wir zurückkehren.

Wenn wir uns, wie Tiefenökologen, Denkerinnen und Vorreiter dieser Zeit sagen, in einem Jahrhundert der Rettung unserer Umwelt befinden, dann hören wir den Ruf nach einer das Leben langfristig erhaltenden Seinsweise auch tief in uns. In der Verbundenheit mit der Erde ändern wir vielleicht unsere Lebensart und bringen sie in Einklang mit der langfristigen Erhaltung unserer eigenen Lebensgrundlagen. Damit haben wir teil an einem großen Wandel und der evolutionären Kraft, die möchte, dass das Leben weitergeht. Den Herausforderungen der ökologischen Krise, durch die viele Arten und die Zukunft allen Lebens auf der Erde in Gefahr sind, können wir aus einer dankbaren Haltung zum Leben heraus ganz anders begegnen, als wenn wir in Ohnmacht, Resignation oder Gleichgültigkeit versinken. Wenn wir Sinn und Heimat in unserer inneren und äußeren Natur gefunden haben, werden wir auch unser Engagement und unsere Weisheit der Natur schenken können.

Mit zwei Segensgrüßen aus indianischen Kulturen möchte ich mich am Ende der Reise von Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, verabschieden:

Mitakuye oyassin. – Wir sind mit allem verwandt.

Walk in beauty. – Mögen Sie in Schönheit gehen.