Samstag, 27. September, 20.12 Uhr, Parkplatz Sansibar, Rantum

Bastian Kreuzer steuert den Wagen bis an die Dünenkante, bremst und schaltet dann den Motor ab. »Vielen Dank erst mal für die ausführliche Schilderung dieses Literaturcolloquiums«, fasst der Kommissar die bisherige Unterhaltung zusammen. »Sie müssen verstehen, dass es enorm wichtig für uns ist, zu wissen, mit wem Konrad Otze die letzten Tage seines Lebens verbracht hat.«

»Aber niemand von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist ein Mörder«, entgegnet Melinda Jakobsen entrüstet. »Oder eine Mörderin«, fügt sie leise hinzu.

»Das haben wir auch gar nicht behauptet. Allerdings

»Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wo genau Konrad Otze umgebracht worden ist«, beschwert sich die Moderatorin. »Und ich war doch nun wirklich überaus kooperativ.«

»Dafür sind wir Ihnen auch sehr dankbar, Frau Jakobsen. Trotzdem müssen Sie Verständnis dafür haben, dass wir die Umstände des Mordes zunächst für uns behalten. Übrigens auch die Art, wie Herr Otze zu Tode gekommen ist, auch wenn Sie bisher gar nicht danach gefragt haben.«

»Ich habe was?«, empört sich Melinda Jakobsen. »Na hören Sie mal, Sie bombardieren mich mit allen möglichen Fragen, sowie ich Ihren Wagen besteige, und hinterher beschweren Sie sich darüber, dass ich nicht zu Wort gekommen bin.«

»Bitte beruhigen Sie sich«, mischt sich Silja von der Rückbank aus ein. Die Kommissarin hat sich während der gesamten Fahrt zurückgehalten und Bastian das Feld überlassen. Aber nun beschließt sie, die Schraube noch ein wenig enger zu drehen. »Wir sind Ihnen überaus dankbar, vor allem für die schonungslose Einschätzung der Teilnehmer Ihres Colloquiums. Und Sie dürfen auch gleich zu Ihrem Date gehen, ich möchte nur noch …«

»Es ist kein Date, es ist ein Geschäftsessen«, korrigiert Melinda Jakobsen sie sofort.

Silja kann im Rückspiegel sehen, wie Bastian die Augen verdreht. Sie wissen beide, was ein Abendessen in der Sansibar kostet und dass für dieses Abendessen – wie sicher für

»Frau Jakobsen, wenn ich Sie recht verstanden habe, war Konrad Otze ein ziemlich erbarmungsloser Kritiker, der gern kräftig ausgeteilt hat«, setzt Silja noch einmal an.

»Er konnte schon sehr direkt sein, das ist richtig«, antwortet die Jakobsen vorsichtig.

»Und in der letzten Woche haben sowohl Fred Hübner, der für uns im übrigen kein Unbekannter ist, als auch die Bestsellerautorin Saskia Grothe durchaus Anlass gehabt, sich narzisstisch gekränkt zu fühlen«, fährt Silja fort.

»Wenn Sie das so ausdrücken wollen«, ist die schmallippige Antwort.

»Andere Animositäten haben Sie aber nicht beobachten können?«

Unwillkürlich muss Silja noch einmal in den Spiegel blicken. Bastian, der schon bei dem Wort narzisstisch die Stirn gerunzelt hat, reagiert auch auf Animositäten mit leichtem Kopfschütteln. Aber Silja weiß genau, was sie tut. Es geht darum, Augenhöhe herzustellen. Unbedingt möchte die Kommissarin vermeiden, dass die Moderatorin glaubt, sie könne ihnen beiden etwas vormachen, weil sie auf dem ihr ureigensten Gebiet, nämlich dem der Sprache, überlegen ist.

»Animositäten?«, wiederholt die Jakobsen dann auch nachdenklich. »Nein, eigentlich nicht. Enard Gastmann hat Herrn Otze vielleicht ein wenig zu sehr angehimmelt, aber das ist ja nun wirklich kein Mordmotiv.«

»Kommt drauf an. Wie hat Herr Otze denn auf dieses Angehimmeltwerden reagiert?«

Melinda Jakobsen zuckt die Schultern. »Er hat es

»Weiß das auch dieser Gastmann selbst?«

»Aber sicher. Er verdankt Otze diverse Preise, ohne die er sich wohl kaum finanziell hätte über Wasser halten können. Merkwürdigerweise haben sich die beiden vorher nie persönlich getroffen.«

»Oh, das ist interessant. Könnte man also sagen, dass Herr Otze von der Person Gastmann irgendwie enttäuscht war, sosehr er dessen Arbeiten auch geschätzt hat?«

»Das werden wir vermutlich nie erfahren«, antwortet die Jakobsen schnippisch. »Schließlich ist er tot, oder?«

»Vielleicht kann uns Herr Gastmann ja weiterhelfen.«

»Woher soll ich das wissen?«, entgegnet die Moderatorin abwehrend. Es ist überdeutlich, dass sie nur noch raus will und nichts Zielführendes mehr aussagen wird.

»Wir werden Herrn Gastmann selbstverständlich so schnell wie möglich befragen. Und alle anderen Teilnehmer des Colloquiums auch. Sicher haben Sie sämtliche Kontaktdaten. Die bräuchten wir natürlich.«

Melinda Jakobsen zögert nur kurz, dann holt sie ihr Handy aus der Tasche und öffnet eine Datei. »Ich maile Ihnen die Teilnehmerliste. Da finden Sie alles Nötige.«

»Wunderbar. Am besten Sie schicken mir das gleich über AirDrop.«

»Siljas Handy?«, fragt die Moderatorin stirnrunzelnd.

»Jepp. Danke. Ist angekommen.«

»Kann ich jetzt gehen?«

»Eines noch«, wendet Bastian ein. »Es wäre überaus hilfreich, wenn Sie das Vorgefallene für sich behalten würden.«

»Das ist nicht Ihr Ernst. Sie wollen einen Mord

»Nein, natürlich nicht«, antwortet er ruhig. »Aber wir wollen den Täter finden, und dafür wäre es nicht schlecht, wenn zunächst so wenig Menschen wie möglich vorgewarnt werden würden.«

»Also gut«, seufzt die Moderatorin, »vierundzwanzig Stunden, okay? Danach garantiere ich für nichts.«

»Das kann ich mir vorstellen«, gibt Bastian schärfer als nötig zurück.

»War’s das jetzt?« Die Jakobsen wirft ihr Handy zurück in die Designertasche und öffnet die Wagentür.

»Für Sie erst mal schon, für uns noch lange nicht«, grummelt Bastian, aber da hat die Jakobsen bereits das Auto verlassen und hastet über den Parkplatz ihrer Verabredung entgegen.