Als Bastian und Silja die Tür zu ihrem Büro aufstoßen, empfängt sie Sven mit einem breiten Lächeln und einer Tüte Bürgermeister. Das marzipanhaltige Plundergebäck ist der erklärte Lieblingssnack der Kommissare und bestens geeignet, selbst die schlechteste Laune aufzuheitern.
Noch bevor er seine Lederjacke auszieht, greift Bastian in die Tüte und genehmigt sich den ersten großen Bissen.
»Wie war’s bei der Caterin?«, erkundigt er sich kauernd.
»Die war nervös. Zu nervös, wenn du mich fragst. Aber vielleicht unterschätze ich auch die Panik, in die man gerät, wenn das eigene Geschäftsmodell zu scheitern droht. Sie ist pleite, und das Verschwinden der Messer scheint ihr den Rest gegeben zu haben. Emotional und finanziell.«
»Hat sie denn irgendeine Idee, wer die Messer genommen haben könnte?«, will Silja wissen.
»Absolut nicht. Ihre Mitarbeiter schließt sie aus, das fand ich auch glaubhaft. Und bevor ihr fragt: Von den dreien scheint niemand ein Motiv zu haben. Im Gegenteil. Es war Pernille Aurichs große Hoffnung, dass der Kritiker das junge Unternehmen weiterempfiehlt und ihr so der Sprung in vermögende Kundenkreise gelingt.«
Bastian, der inzwischen sein Plunderteilchen verputzt hat, wäscht sich die klebrigen Hände und zieht anschließend die Lederjacke aus. »Die Leute haben entweder kein Motiv oder ein wasserfestes Alibi, das ist doch zum Davonlaufen«, schimpft er leise. »Unsere letzte Hoffnung ist diese Berliner Autorin mit dem Latex-Bestseller. Aber die geht ja nicht ans Telefon. Oder hast du sie inzwischen erreicht?«, wendet er sich an Silja.
»Das nicht, aber ich habe die Berliner Kollegen informiert, die müssten gerade bei ihr zu Hause vorbeischauen.«
»Super. Bleibt noch unser guter alter Freund Fred Hübner. Aber bevor ich mir an dem die Finger verbrenne, rede ich noch einmal mit der Staatsanwältin. Und zwar jetzt gleich, solange der Zuckerflash noch anhält. Wollt ihr mithören?«
»Unbedingt«, antwortet Sven, und auch Silja nickt.
Bastian wirft sich auf seinen Schreibtischstuhl und greift nach dem Telefon. Wenige Sekunden später hallt das Klingelgeräusch durch das Büro. Einmal, zweimal, fünfmal. Schließlich wird das Gespräch angenommen.
»Bispingen hier. Wurde auch Zeit, dass Sie sich endlich melden, Kreuzer. Ein erstochener Promi am Kampener Watt ist nicht gerade das, was ich mir für meinen Sonntag erträume«, erklingt die wohltönende Stimme der Staatsanwältin, in der immer auch eine gewisse Schärfe mitschwingt.
»Glauben Sie bloß nicht, dass wir untätig waren. Es sind fast alle Zeugen der letzten Stunden unseres Opfers vernommen, und die Obduktion hat auch schon stattgefunden. Allerdings ohne nennenswerte Erkenntnisse. Der Tod trat gegen siebzehn Uhr ein, und ab etwa fünfzehn Uhr verliert sich die Spur des Opfers.«
»Sie wissen also weder, wie dieser Herr Otze in die Vogelkoje gekommen ist, noch, warum es ihn dorthin verschlagen hat.«
»So ist es. Allerdings stehen noch zwei Zeugenvernehmungen aus.«
»Ich höre ein leichtes Zögern in ihrer Stimme.«
»Richtig, Frau von Bispingen. Das ist auch der Grund dafür, dass ich Sie jetzt schon anrufe. Einer der Teilnehmer des besagten Colloquiums war Fred Hübner.«
Unwillkürlich hält Bastian die Luft an. Und er würde darauf wetten, dass es Silja und Sven ganz ähnlich geht. Es ist totenstill im Raum, so dass alle drei Kommissare deutlich hören können, wie die Staatsanwältin einen ziemlich undamenhaften Fluch ausstößt.
»Nicht Ihr Ernst, Kreuzer«, schiebt sie nach einer kleinen Pause nach.
»Leider doch«, muss Bastian bekennen.
»Und jetzt erwarten Sie von mir irgendwelche Handlungsanweisungen? Sehe ich das richtig?« Elsbeth von Bispingens Stimme klingt belegt.
»Zunächst wollte ich erfahren, ob Sie rüberkommen wollen und vielleicht die Vernehmung selbst durchführen«, erkundigt sich Bastian vorsichtig.
»Sie glauben tatsächlich, dass das die richtige Methode wäre, um Herrn Hübner dazu zu bringen, mir mein harsches Vorgehen im letzten Mordfall zu verzeihen?«, ätzt die Staatsanwältin.
»Wir alle haben ihn verdächtigt. Die Indizien sprachen absolut gegen ihn.«
»Aber ich habe die entscheidenden Anweisungen gegeben, die letztendlich zu einer unhaltbaren Situation geführt haben und ihn fast das Leben gekostet hätten. – Und bevor Sie fragen, Kreuzer. Seitdem herrscht Funkstille zwischen Herrn Hübner und mir. Er hat weder den Brief gelesen, den Sie damals freundlicherweise mit ins Krankenhaus genommen haben, noch auf irgendeinen anderen meiner Kontaktversuche reagiert. Ich weiß also genauso wenig über Fred Hübner und sein Leben in den vergangenen zehn Monaten und neunzehn Tagen wie Sie.«
»Autsch«, murmelt Silja etwas zu laut.
»Die Kollegen hören mit?«, erkundigt sich die Staatsanwältin, wobei sie weniger pikiert als vielmehr resigniert klingt.
»Nun ja«, beginnt Bastian, wird aber sofort unterbrochen.
»Kreuzer, lassen Sie die Ausflüchte. Wir alle wissen vermutlich mehr voneinander, als für unser professionelles Zusammenarbeiten gut ist. Aber es hilft ja nichts. Sie müssen Ihren Job tun und ich den meinen. Also vernehmen Sie Fred Hübner ebenso unvoreingenommen wie gründlich. Sie können ihn gern von mir grüßen, sie können es aber auch bleiben lassen. Nur einen einzigen Gefallen tun Sie mir bitte: Stellen Sie sicher, dass er nicht zu Unrecht unter Verdacht gerät. Seien Sie gründlich und seien Sie fair. Wir alle haben ihn im letzten Winter nicht gut behandelt. Ich möchte auf keinen Fall, dass sich das wiederholt. Habe ich mich da klar ausgedrückt?«
»Vollkommen, Frau von Bispingen.«