Elisa Werner platziert das letzte Lachsröllchen auf dem Cracker und deckt das Tablett dann vorsichtig mit Klarsichtfolie ab. Jetzt noch schnell die zwanzig Cocktailgläser mit dem Geflügelsalat füllen, Ananasstückchen obendrauf, und dann ist das kalte Buffet für den sechzigsten Geburtstag des Kunden aus Westerland fertig. Draußen auf dem Parkplatz steht schon der Fahrer und wartet mit laufendem Motor auf die letzten beiden Platten. Die Lieferung ist für Viertel nach fünf bestellt, damit das noch klappt, müssen sich jetzt alle beeilen.
Als das Telefon klingelt, erwägt Elisa, den Anruf gar nicht erst anzunehmen. Bis sieben muss sie noch eine weitere Bestellung bearbeiten, das wird ohnehin extrem knapp. Andererseits könnte es sich um eine Kundenanfrage handeln, und sie haben für die kommenden zwei Wochen durchaus noch Kapazitäten. Also wischt sich Elisa die Hände ab und hetzt zum Telefon.
»Bistro to go, was kann ich für Sie tun?«
Eine sonore Männerstimme antwortet. Der Anrufer stellt sich als Kriminalkommissar Kreuzer vor und bittet höflich um Auskunft zu einer zurückliegenden Bestellung.
»Das ist jetzt ganz schlecht. Kann ich Sie morgen zurückrufen?«
»Nein.«
»Aber ich habe jetzt wirklich keine Zeit und müsste erst nachsehen …«, beginnt Elisa, wird aber energisch unterbrochen.
»Keine Chance, es geht um eine Mordermittlung. Bestimmt haben Sie von dem Fall gehört. Der Tote in der Vogelkoje? Das ist möglicherweise ein wenig wichtiger als die Einhaltung Ihrer Termine.«
Elisa erinnert sich an einige verstörende Radiomeldungen, doch da heute in der Firma Hochdruck herrscht, hat sie dem Ganzen nicht viel Beachtung geschenkt. Und sie hat auch jetzt weder Lust noch Zeit, sich länger mit dem Thema zu beschäftigen. Aber zum Glück hat sie eine Idee. »Lassen Sie mich bitte erst Ihre Identität überprüfen, bevor ich vertrauliche Details preisgebe. Ich rufe gleich mal bei der Kripo an und frage nach Ihnen. Dann melde ich mich wieder unter der Nummer, die hier auf meinem Display steht, okay?«
Bevor der Mann am anderen Ende der Leitung antworten kann, hat sie schon aufgelegt. Mit fliegenden Händen füllt sie den Geflügelsalat in die Gläschen und platziert die Ananasstücke obendrauf. Fertig. Während der Fahrer die Platte mit den Lachscrackern zum Wagen trägt, deckt Elisa schnell die Gläschen mit einer einzigen großen Folie ab und bringt sie selbst nach draußen.
»Beeil dich«, ruft sie dem anderen zu, der schon hinter dem Steuerrad sitzt. Bernd ist ein umsichtiger Mitarbeiter und fährt stets besonders behutsam, allerdings neigt er auch dazu, mal eine etwas längere Pause zwischendurch einzuschieben. Daher fügt Elisa vorsichtshalber hinzu: »Und komm bitte sofort wieder zurück, die nächste Lieferung geht runter nach Hörnum, du weißt ja, wie lange das dauert.«
Bernd brummelt eine Antwort und setzt den Lieferwagen zurück, um zu wenden. Währenddessen läuft Elisa wieder in die Küche, hektisch sucht sie nach der Nummer der Westerländer Polizeistation und lässt sich verbinden. Als sich eine Beamtin meldet, fällt ihr auf, dass sie den Namen des Kommissars vergessen hat. Stammelnd erklärt Elisa der Beamtin den Sachverhalt.
»War es vielleicht Sven Winterberg?«, hilft diese ihr.
»Nein, sicher nicht. Der Name war irgendwie knackiger.«
Vielleicht stellt sich der Anruf tatsächlich als Fake heraus, dann kann ich wenigstens in Ruhe die nächsten Platten vorbereiten, denkt Elisa gestresst. Doch die nächsten Worte der Beamtin lassen ihre Hoffnung wie einen Luftballon platzen.
»Dann kann es eigentlich nur Hauptkommissar Kreuzer gewesen sein.«
»Ja, genau, das kommt hin. Vielen Dank auch.«
Kurz überlegt Elisa, den Rückruf bis nach sieben aufzuschieben, aber dann siegt ihr schlechtes Gewissen über ihr Berufsethos. Als sie wenige Sekunden später den Kommissar wieder am Apparat hat, begrüßt er sie mit den Worten: »Ich hätte fast drauf gewettet, dass Sie sich nicht zurückmelden.«
Elisa schämt sich ein wenig dafür, wie durchschaubar sie ist, aber sie lässt sich nichts anmerken und fragt entrüstet: »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Erfahrung und Instinkt«, ist die lakonische Antwort. »Aber diesmal scheine ich mich ja getäuscht zu haben. Mit wem spreche ich eigentlich?«
»Elisa Werner. Ich bin die Co-Geschäftsführerin von Bistro to go.«
»Dann bin ich bei Ihnen richtig. Es geht um den Auftrag für das Literaturcolloquium letzte Woche, den Ihr Unternehmen offenbar kurzfristig bei Melinda Jakobsen abgesagt hat.«
»Da sind Sie aber gehörig auf dem Holzweg.«
»Ich verstehe nicht ganz«, beginnt der Kommissar, doch in Elisa kocht schon die Wut hoch.
»Hören Sie, ich weiß ja nicht, wer Ihnen diesen Unsinn erzählt hat, aber in Wirklichkeit war es komplett andersherum. Und sehr ärgerlich dazu. Wir hatten uns auf eine Woche Exklusiv-Catering eingestellt, alle anderen Anfragen abgesagt und sogar noch einen Leihkoch engagiert. Und dann ruft mich acht Tage vor dem Veranstaltungsbeginn so eine schnöselige Assistentin von der Jakobsen an und erklärt mir lapidar, dass man es sich anders überlegt habe und den Auftrag zurückziehe.«
»Interessant. Aber ist das nicht Vertragsbruch?«
»Eigentlich schon. Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass wir uns einen aufwendigen Prozess leisten können? Und die Anzahlung wird erst am siebenten Tag vor Auftragsbeginn fällig. Pech für uns also.« Am anderen Ende der Leitung ist es still. »Wenn das alles war, was Sie wissen wollten, dann würde ich jetzt gern weitermachen.«
»Moment noch. Waren Sie selbst es, die den Anruf dieser Assistentin entgegengenommen hat?«
»Ja.«
»Erinnern Sie sich vielleicht an deren Namen?«
»Leider nein. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob sie überhaupt einen Namen genannt hat. Es war ein ziemlich kurzes Gespräch.«
»Schade. Aber eine letzte Frage hätte ich noch. Ihre Firma hat doch bestimmt einen oder mehrere Lieferwagen.«
»Einen.«
»Welche Farbe und welches Fabrikat?«
»Warum wollen Sie das denn nun wieder wissen?«
»Antworten Sie bitte einfach.«
»Er ist weiß und von Iveco.«
»Tatsächlich?« Die Stimme des Kommissars trieft vor Ironie, was Elisa ebenso beunruhigt wie erbost.
»Haben Sie etwas dagegen?«
»Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Und ich nehme mal an, dass der Wagen auch keinen Firmenaufdruck trägt.«
»Ganz im Gegenteil«, zitiert ihn Elisa kühl. »Warum sollten wir uns die Chance entgehen lassen, mit unserem Wagen Werbung für unser Unternehmen zu machen? Das große grasgrüne Logo von Bistro to go ist auf beiden Seiten und noch mal am Heck aufgedruckt. Das können Sie gar nicht übersehen.«
»Wäre es möglich, dass Sie mir ein Foto davon schicken?« Die Frage hört sich schon deutlich kleinlauter an.
»Kann ich machen. Im Moment ist unser Fahrer unterwegs, aber spätestens gegen sechs wird er wieder zurück sein. Reicht Ihnen das?«
»Selbstverständlich. Und das war’s auch schon. Fast jedenfalls. Eines wüsste ich noch gern. Haben Sie eine Ahnung, wer den Auftrag fürs Catering an Ihrer Stelle bekommen hat?«
»Nein, leider nicht. Aber wenn ich die erwische, drehe ich denen den Hals um. Die müssen sich mit einem Dumping-Angebot dazwischengedrängt haben. Das ist wirklich schlechter Stil, so geht man unter Kollegen nicht miteinander um.«
»Das mit dem Halsumdrehen habe ich jetzt nicht gehört«, erwidert der Kommissar belustigt. »Denn wissen Sie, ich hab schon mit der einen Mordermittlung genug zu tun.«