Lorena Larsen lässt sich auf das Sofa ihrer winzigen Wohnung fallen, legt den Kopf in den Nacken und schließt erleichtert die Augen. Endlich ist das Colloquium vorbei, und wenn es nach ihr geht, dann wird sie so schnell niemanden von den Teilnehmern freiwillig wiedersehen. Schon gar nicht die eitle Moderatorin Melinda Jakobsen oder die aufgedrehte Ratgeberautorin Saskia Grothe. Und besonders auf den eingebildeten Kritiker, der es sogar gewagt hat, ihr nachzustellen, kann sie in Zukunft gut verzichten.
Was Lorena allerdings unbedingt tun will, ist, ihre Eindrücke der so unterschiedlichen Teilnehmer in knappen Skizzen festzuhalten. Sie hat schon immer gern gezeichnet, und seit einigen Jahren illustriert sie ihre Kinderbücher selbst. Sie konnte den Verlag schnell von ihren Entwürfen begeistern und ist seitdem sehr zufrieden damit, dass ihre Figuren nun auch den Bildern, die sie beim Schreiben im Kopf hat, entsprechen.
Nach einer kurzen Konzentrationsphase greift Lorena nach ihrem Block, der immer auf der Fensterbank bereitliegt, und wählt den ersten Stift aus. Ein warmes Braun für das Fell des Maulwurfs, als den sie den verschlossenen Enard Gastmann darstellen will. Das Kätzchen Shirin Yildirim wird ein helles Gesicht und einen gelblichen Körper bekommen, beschließt Lorena, während sie noch an dem Maulwurf arbeitet. Und der Igel, in den sie den Journalisten Fred Hübner verwandeln wird, soll stahlblaue Stacheln und ebensolche Augen erhalten. Irgendetwas an Hübners Ausstrahlung schien ihr bis zum Schluss undurchdringlich zu sein und hat ihr manchmal sogar etwas Angst eingeflößt.
Auch die restlichen Teilnehmer sieht sie bereits deutlich vor ihrem inneren Auge. Die Farbe für den Fuchs Konrad Otze, der sich so plötzlich in einen wo auch immer gelegenen Bau verkrochen hat, wird ein knalliges Rot werden, für die Schlange Jakobsen stellt sich Lorena stechend giftgrüne Augen und ebensolche Schuppen vor, und die Löwin Saskia Grothe wird wohl vor allem durch ihre Körpermasse definiert werden.
Für jede der sechs Zeichnungen wird Lorena etwa zwanzig Minuten brauchen, so dass sie anschließend in Ruhe zu Abend essen, dabei die Stille in ihrer kleinen Wohnung genießen und sich dann vielleicht noch einen Teil ihrer aktuellen Lieblingsserie anschauen kann. Bei dem Gedanken an die abendliche Entspannung drückt sie etwas zu heftig auf, und die Mine ihres Stiftes bricht. Mit einem leisen Fluch steht Lorena auf, um den Anspitzer zu suchen.