Dienstag, 30. September, 09.29 Uhr, Osthedig, Westerland

Sven Winterberg blickt ratlos an der schlichten Fassade des Mehrfamilienhauses hinauf. Er hat bereits mehrmals geklingelt, ohne dass es eine Reaktion gegeben hätte. Damit, dass Pernille Aurich nicht zu Hause ist, musste er

Doch bevor Sven die erste Frage stellen kann, kommt die junge Frau ihm zuvor. »Unsere Chefin ist irgendwie verschwunden. Stecken Sie vielleicht dahinter?«, erkundigt sie sich aggressiv.

»Ganz sicher nicht. Ich habe gerade selbst vergeblich versucht, Frau Aurich zu erreichen.«

»Also, dann verstehe ich gar nichts mehr. Wir haben eine fette Bestellung für heute Mittag, und wenn Pernille nicht bald auftaucht, müssen wir passen. Zu zweit schaffen wir die Vorbereitungen unmöglich.«

»Herr Goppel ist also bei Ihnen?«

»Aaron ist hier, aber wie gesagt …«, beginnt Nadine Eisleben ihr Lamento von vorn.

»Und wo ist hier genau?«, unterbricht sie der Kommissar.

»Na in unserer Garage. Also in der Garage von Pernilles Eltern, besser gesagt. Die hat Pernille zur Küche umgebaut, dort lagern wir auch unsere Vorräte, und die beiden Gefriertruhen stehen auch hier. Und natürlich das Geschirr und das Besteck und die Gläser …«

»Okay, so genau wollte ich das gar nicht wissen. Wenn Sie mir nur verraten würden, wo genau Sie beide jetzt sind, dann käme ich nämlich gleich mal vorbei.«

»Das passt jetzt überhaupt nicht. Wir haben echt alle Hände voll zu tun. Das habe ich Ihnen doch gerade erklärt.«

»Frau Eisleben, es geht um eine Mordermittlung«, sagt Sven ruhig aber bestimmt. »Da sollten Sie besser nicht querschießen.«

»Die Adresse bitte«, fordert Sven, ohne weiter auf ihre Bemerkung einzugehen.

»Wir sind in der Friesischen Straße, das ist gleich um die Ecke von Pernilles Wohnung. Und unser Lieferwagen steht direkt vor der Garage, können Sie gar nicht verfehlen.«

»Danke. Ich kenne die Straße. Bin in zwei Minuten bei Ihnen.«

Sven unterbricht die Verbindung, wirft sich ins Auto und startet den Wagen. Wenig später parkt er direkt hinter dem Transporter des Cateringunternehmens, das durch seine fette Werbeschrift auf den Hecktüren schon von weitem erkennbar ist. Mit schnellen Schritten betritt Sven die zur Küche umgebaute Garage, deren Tor weit offen steht.

Schlichte Einbauschränke mit extrem tiefen Arbeitsplatten befinden sich zu beiden Seiten des rechteckigen Raums. Am Kopfende stehen zwei riesige Gefrierschränke und ein ebenso breiter Kühlschrank. In der Mitte prangt eine große Kochinsel mit sechs Gasbrennern. Nadine Eisleben und Aaron Goppel sind beide tief über die Arbeitsplatten gebeugt, wo diverse Gemüse darauf warten, geschält zu werden, ein großes Stück Filet neben etlichen Spicknadeln, mehreren Scheiben Speck und drei dicken Kräuterbündeln liegt. In Schüsseln und Schälchen stehen Gewürze, Zwiebeln und Knoblauch bereit zur Weiterverarbeitung. Erst als Sven sich ausgiebig räuspert, blicken der Koch und die Köchin auf.

Bevor Sven etwas sagen kann, erkundigt sich der Souschef ungeduldig: »Haben Sie Pernille inzwischen gefunden?«

Aaron Goppel verdreht die Augen. »Ich verstehe das alles nicht. Schon als ich die Aufträge für heute an Land gezogen habe, war Pernille nicht begeistert. Dabei brauchen wir das Geld dringender denn je. Und jetzt lässt sie uns einfach hängen. Das passt überhaupt nicht zu ihr.«

»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«

»Gestern Nachmittag. Da haben wir das Buffet für eine Surferparty geliefert. Heute früh habe ich die Platten und das Geschirr abgeholt. Pernille hätte eigentlich schon ab halb acht hier sein müssen und das Mittagessen für einen sechzigsten Geburtstag oben in List vorbereiten.« Mit einer hilflosen Geste weist er auf die Lebensmittel, die vor den beiden auf der Arbeitsfläche stehen. »Und das hier ist nur der Hauptgang. Mit der Vorspeise und dem Dessert haben wir noch nicht einmal angefangen. Um zwölf wollen die schon essen, das schaffen wir nie.«

»Ab wann waren Sie denn heute hier?«, wendet sich der Kommissar an Nadine Eisleben.

»Ich bin um neun gekommen. Das war so abgemacht. Aber ich war die Erste, und Pernille ist bisher nicht aufgetaucht.«

»Und geht auch nicht ans Handy?«, fragt Sven nach.

»Nope.«

»Wissen die Eltern vielleicht etwas? Sie wohnen doch wahrscheinlich gleich hier drüben.« Sven deutet nach links, wo die Garage an ein schlichtes Einfamilienhaus grenzt, wie er beim Ankommen gesehen hat.

»Die sind seit drei Wochen verreist. Rentner müsste man sein«, ist die entmutigende Antwort.

Sven überdenkt seine Möglichkeiten, dann fasst er einen

Beide nicken, wobei sie ziemlich beklommen aussehen. Als der Kommissar schon halb aus der Garage ist, ruft ihm Aaron Goppel hinterher: »Übrigens, da wäre noch etwas. Wahrscheinlich nicht wichtig, aber …«

»Ja?« Sven dreht sich um.

»Sie sagten doch, ich solle mich mal umhören wegen der Surfervergangenheit von diesem Otze. Gestern Abend, als ich das Buffet bei der Surferparty aufgebaut habe, da war da so ein Waldschrat, älterer Typ mit Halbglatze und viel zu langem Nackenhaar, der war schon ganz schön hinüber und hat ständig von den guten alten Zeiten schwadroniert, als irgendein Konny noch die ganzen Girls aufgemischt hat.«

»Okay. Und weiter?«, sagt Sven ungeduldig.

»Na, nichts weiter. Ich dachte nur, dieser Konny könnte ja vielleicht Konrad Otze gewesen sein.«

»Haben Sie den Waldschrat danach gefragt?«

»Nö. Geht mich im Grunde ja auch nichts an.«

»Herrgott nochmal, ein bisschen mehr Einsatz hätten Sie schon zeigen können«, platzt es aus Sven heraus. »Wissen Sie wenigstens den Namen von dem Kerl?«

»Glauben Sie vielleicht, ich verderbe es mir mit unseren Auftraggebern, indem ich bei deren Gästen rumschnüffele?«, ist die patzige Antwort.

Sven schluckt die wütende Entgegnung hinunter, die ihm auf der Zunge liegt, und murmelt nur: »Schon in Ordnung, danke trotzdem.«