Kapitel 7: Aquarizamax
„Sind alle bereit?“,
tönte Kreels Stimme aus dem Amulett. „Also los! Ich hole euch jetzt hierher.”
Vor meinen Augen erschien die Einladung. Sie stammte von einem einzelnen Spieler, nicht von einem Trio aus Magiern. War Kreel tatsächlich so verschwenderisch mit seinem Geld, dass er seine Raid-Gruppe mithilfe von Schriftrollen teleportieren wollte? Der Preis dafür lag bei einem Mehrfachen der Summe, die er für drei Magier bezahlen musste. Nun, vielleicht wusste der Titan es nicht besser. Außerdem konnte er seine Leute zu sich holen, wie auch immer er wollte. Wenn er dabei haufenweise Schriftrollen verbrauchen wollte, dann war es eben so. Für mich machte das keinen Unterschied – Hauptsache, wir trafen alle im Dungeon ein.
Ich hatte den neuen Standort kaum erreicht, als auch schon eine enorme Wolke die strahlende Sonne von Barliona verdunkelte.
„Hallo – ich grüße euch!“, dröhnte der Hüne und streckte mir seine riesige Pfote hin. Erst in diesem Augenblick fiel mir auf, dass es sich bei der Wolke in Wirklichkeit um den Titanen handelte, der in voller Kampfpanzerung vor mir stand. Ich sah ihn zum ersten Mal im Stehen – er war zwischen zweieinhalb und drei Metern groß. Und was sein Gewicht betraf... Nun, sagen wir einfach, bei seinem Anblick würde jedes Flusspferd vor Neid erblassen. Selbst mit meiner gesamten Kraft hätte ich den Typen keinen Millimeter bewegen können, außer vielleicht als Drache. In dem Zusammenhang überlegte ich, ob Kreel auf Level 201 womöglich seine Kampfform eingenommen hatte und deshalb so viel beeindruckender wirkte als bei unserem Treffen in der Taverne. Ich meine, als Drache nahm ich die Hälfte der Haupthalle von Altameda ein, war also kaum kleiner als er, ganz im Gegenteil. Verdammt! Wo war ich bloß mit meinen Gedanken? Und wie war ich auf die Idee gekommen, meine Größe mit der eines Titanen zu vergleichen?
Ich ließ mir meine Hand von seiner mächtigen Pranke
zerquetschen und deutete mit einer Kopfbewegung auf den riesigen Turm hinter uns. „Das ist also dein Dungeon?“
Kreel wandte den Kopf in die Richtung, in die ich zeigte. Das veranlasste das kleine Wesen auf seinem Helm, Purzelbäume zu schlagen, um der Bewegung zu folgen. Dabei hinterließ es eine schwache, blau-weiße Spur in der Luft.
„Das ist er.“ Der Titan nickte. „Über den Turm zu fliegen ist übrigens verboten. Es würde dir nicht gelingen, die erforderliche Massenträgheit zu bewahren. Ich glaube, die haben einen Störsender installiert. Es gibt also nur einen Weg – zu Fuß durch den Haupteingang. Hier ist die Einladung zur Raid-Gruppe. Die anderen werden auch bald hier sein.“
Über der Wüste, die sich vor uns erstreckte, ragte ein gewaltiger Turm aus weißem Stein in die Höhe, etwa 50 Meter breit und 100 Meter hoch. Die brennende Sonne verschaffte allen hier durchgehend die Debuffs „Geblendet“, „Ausgedörrt“ und „Durstig“. Zusammengenommen führten sie zu einer Verringerung aller Haupteigenschaften um 20 %. Darüber hinaus informierte eine Meldung mich darüber, dass sämtliche Debuffs sich jeweils im halbstündigen Abstand intensivieren würden. Im Turm sah ich mehrere Fenster in etwa 30 Metern Höhe. Das musste Spieler, die über hohe Beweglichkeit verfügten, zwingend dazu verleiten, dorthin hochzuklettern oder, in meinem Fall, zu fliegen. Doch ich glaubte Kreel aufs Wort. Wenn er erklärte, Fliegen wäre hier verboten, war das gewiss auch so. Außerdem gab es nur noch einen Boss in diesem Dungeon, ganz oben, alle anderen Mobs waren bereits erledigt. Da hätte es sich ohnehin nicht gelohnt, über ein Fenster einzudringen.
„Wieso hast du uns nicht gleich von der Turmspitze aus herbeigeholt?“, stellte ich die entscheidende Frage, nachdem mir klar geworden war, wie hoch wir zu klettern hatten. 100 Meter Steigung!
„Keine Sorge – es gibt ein Portal zur Turmspitze gleich am Eingang“, grinste Kreel. „Es sind alle bereit, es kann losgehen.“
Erstaunt stellte ich fest, dass Plinto und Anastaria anders als ich nicht mit Schriftrollen herbeigeholt wurden, sondern von Magiern, genauer gesagt, von einem Magier. Dabei handelte es sich um niemand anderen als unsere gute alte Freundin Alisa Reyx, die seit unserer letzten Begegnung weiter gelevelt hatte und nun auf Level 239 angekommen war. Sie schaffte es, Spieler allein zu transportieren, ohne sich dabei auf zwei Kollegen stützen zu müssen. Wie war das bloß möglich?
„Glaubst du etwa, nur in deinem Clan finden sich einzigartige Spieler?“, beantwortete Kreel meine unausgesprochene Frage.
„Nein, aber... Ach, egal. Hast du bereits eine Strategie für den Drachen entwickelt?“
„Ja – und ich will gleich zu Anfang ein paar Dinge klarstellen. Moni, alles erledigt?“ Beim letzten Satz wandte er sich an einen Elf, der sich gerade zu uns gesellt hatte. Moni der Bucklige war ein Druide auf Level 190 mit einem Gesichtsausdruck, als schuldeten wir ihm mehrere Millionen Goldstücke.
„Wie ist dein Status, Mahan? Sind deine Fähigkeiten noch immer blockiert?“
Automatisch versuchte ich, einen Geist herbeizurufen, und schüttelte den Kopf. Bis zu dem glücklichen Augenblick, in dem mir das endlich wieder möglich war, musste ich noch immer anderthalb Tage warten, was angesichts der derzeitigen Situation eine Ewigkeit war.
„Okay – dann hört mal gut zu, ihr drei.“ Der Druide sprach zu jemandem hinter mir. Ich drehte mich um und sah Plinto und Anastaria. „Ihr seid unsere Lockvögel und Opferlämmer. Helfen könnt ihr uns nicht, also werden meine Heiler auch kein Mana an euch verschwenden. Wenn es euch erwischt, seid ihr eben tot – wiederbeleben können wir euch später immer noch. Die Erste Tötung wird euch ja auch gutgeschrieben, wenn ihr tot seid. Habt ihr irgendwelche Fragen? Nein? Gut!“
„Verstehe ich das richtig – du willst keinerlei Unterstützung, um unsere Taktik festzulegen?“ Anastaria hob die Augenbrauen.
„Wir sind doch keine Neulinge – wir werden uns schon etwas ausdenken.“ Moni feixte. „Falls Probleme auftreten, fragen wir dich gern um Rat. Wir leiden nicht an falschem Stolz.“
Anastaria weigerte sich, aufzugeben, und verwandelte sich in eine Sirene. „Und was, wenn ich in dieser Form an dem Raid teilnehme? Verschafft uns das eine Rolle bei der Schlacht und Heilung, falls es uns erwischt?“
Plinto folgte Anastarias Beispiel. An seine Stelle trat ein dunkler Nebel, aus dem langsam ein halb durchsichtiger, wirbelnder Vampir-Priester hervortrat. Nun bekam ich Plinto das erste Mal in seiner derzeitigen Vampirform zu sehen. Es war ein merkwürdiger Anblick – gleichzeitig faszinierend und furchterregend. Besonders beeindruckend waren die roten Augen des Schurken. Sie funkelten wie zwei Rubine in seiner schwarzen Silhouette.
„Aha“, bemerkte Moni trocken. „Was sind eure Fähigkeiten in dieser Form? Wozu seid ihr imstande?“
„Hier ist die Beschreibung.“ Anastaria wirbelte mehrfach mit den Händen.
„So ist das also...“ Moni blickte sie nachdenklich an. „Aber die Abklingzeit wird hier nicht erwähnt. Wie lange ist die?“
„Wenn ich deine Frage richtig verstehe, ein Tag. Und es wirkt gegen alle Kreaturen, auch gegen Bosse.“
„Hmmm...“ Ich konnte Monis umfangreiches Vokabular nur bewundern. „Also gut – schauen wir uns mal Plinto an. Aha. Das ist gut! Und das hier... Hey, willst du mich verarschen? Eine Abklingzeit von einem weiteren Tag?“
„Das kommt darauf an, was du meinst.“ Das Grinsen des Schurken und sein heiseres Flüstern jagten mir einen Schauer über
den Rücken, und ich spürte den drängenden Wunsch, wegzulaufen, mich in einem Loch zu verstecken, Barliona zu verlassen, mein Konto zu löschen und niemals zurückzukehren.
„Ich meine den Kuss.“
„Ja, ein Tag. Das wirkt ebenfalls bei allem und jedem.“
„Okay... Hmmm... Also gut... Ich kapiere das ja, aber... Zur Hölle mit euch! Ihr werft meine gesamten Pläne über den Haufen! Und was hast du anzubieten, Mahan? Du bist doch ein Drache, oder? Was ist bei den fliegenden Echsen gerade modern?“
„Das ist weniger wichtig als das, was mein Totem anzubieten hat“, erwiderte ich und rief Draco herbei. „Draco, schick doch bitte dem Druiden eine Liste deiner Fähigkeiten.“
„Aber gern. Begeben wir uns in eine Schlacht, Bruder?“
„Das tun wir – und du wirst der wichtigste Krieger dabei sein. Es wird höchste Zeit, dass wir dich in einem echten Kampf testen.“
„Nun... ähm...“ Der Bucklige Elf wandte sich an Kreel. „Ich brauche eine halbe Stunde, um meine Gedanken zu ordnen und unsere Strategie zu überarbeiten. Inzwischen gibt es so viele neue Variablen, am besten fange ich noch einmal von vorn an. Anscheinend müssen wir doch unser Mana auch an diese drei verschwenden.“
„Kreel, dir ist doch klar, dass du nach unserer derzeitigen Vereinbarung an anderer Stelle kein Wort über diese Fähigkeiten verlieren darfst, oder?“, meldete sich Anastaria zu Wort. Um ehrlich zu sein, hatte mich diese Überlegung ebenfalls beunruhigt. Deshalb hatte ich lediglich Dracos Fähigkeiten freigegeben. Sollten die schön alle denken, ich brächte nichts zustande. Dass ich über Beschleunigen und Donnerschlag verfügte, wollte ich derzeit noch nicht offenlegen. Irgendetwas sagte mir, es war besser, wenn der Titan das nicht wusste.
„Ich werde mich an die Vereinbarung halten“, erklärte Kreel. „Alle Informationen, die ich im Rahmen des Raids empfange, bleiben ein Geheimnis. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt für alles, was ihr über meine Leute lernt. Ach, und Anastaria – tu mir einen Gefallen und versuche nicht, mir Alisa abspenstig zu machen und sie für Phönix zu gewinnen. Einverstanden?“
„Das kann ich nicht versprechen.“ Anastaria zeigte lächelnd ihre weißen Fangzähne. „In unserer Welt ist Sklaverei illegal. Falls Alisa sich entschließen sollte, zu Phönix zu wechseln, werde ich sie gewiss nicht davon abhalten.“
„Das ist in Ordnung – aber du solltest nicht versuchen, sie abzuwerben.“
„Solange der Raid andauert, verspreche ich das gern. Was nachher ist... nun, das werden wir sehen.“
Kreel und Anastaria starrten einander an wie bei einem Wettbewerb, wer als Erster blinzelte. Erneut zeigte die Sirene ihre Zähne.
„Du kannst mich nicht hinauswerfen, Kreel. Wir haben einen Vertrag geschlossen, und den musst du einhalten. Also beruhige dich und genieße das Spiel.“
„Bilde dir ja nicht zu viel ein“, knurrte Kreel. „Um meine Leute zu schützen, bin ich sogar bereit, Elunas Zorn auf mich zu ziehen. Also führe mich besser nicht in Versuchung.“
„Ich wiederhole – ich halte mich an unsere Absprachen.“
„Dann tu das. Und jetzt brechen wir auf – wir haben schon viel zu viel Zeit mit Quatschen verschwendet.“
Kreels Raid-Gruppe wies eine enorme Vielfalt auf. Das höchste Level unter seinen Spielern hatte ein gewisser Prospero, ein Menschenheiler auf Level 312, wie ich der Beschreibung seines Avatars entnahm. Die Level der anderen Spieler bewegten sich
zwischen 160 und 260, wobei die Spieler unter Level 200 in der Mehrheit waren. Meiner Meinung nach war die Gruppe viel zu unausgeglichen. In manchen Dungeons in Barliona richtete sich das Level der Mobs nach dem Spieler auf dem höchsten Level. Zu Raids in solche Dungeons würde man niemanden auf so hohem Level wie Prospero einladen. Mobs auf Level 312 konnten den Rest der Gruppe zum Frühstück vernaschen. In Dungeons für Spieler auf Level 180 hingegen verdienten sich alle auf Level 230 und darüber keinerlei Erfahrungspunkte. Aber das war Kreels Problem, nicht meines. Er hatte bestimmt seine Gründe für diese merkwürdige Zusammenstellung.
„Wenn ich mir diese Dinger so betrachte, hast du für die Eroberung der ersten paar Meter des Dungeons einen hohen Preis bezahlt“, bemerkte Anastaria, nachdem wir den schimmernden Eingang durchschritten hatten. Überall schwebten transparente Obelisken, durch die man hindurchgehen konnte. So etwas hatte ich vorher noch nie gesehen. „Gehen wir einmal davon aus, ihr wart 30 Leute, dann seid ihr hier alle mindestens zweimal gestorben. Vermute ich richtig?“
„Niemand erwartet, dass der erste Boss eines Dungeons direkt hinter dem Eingang lauert!“ Kreel zupfte seinen dunkelgrauen Umhang zurecht und machte sich nicht die Mühe, das Offensichtliche zu leugnen. „Wir hatten keine andere Wahl – wir mussten auf die harte Tour mit ihm fertigwerden.“
„Sind das etwa Grabsteine?“,
fragte ich Anastaria neugierig telepathisch. „Ich sehe so etwas zum ersten Mal.“
„Wenn die gesamte Raid-Gruppe beim ersten Versuch ausgelöscht wird, einen Dungeon abzuschließen, stellt das System für alle Grabsteine auf. ‚Ruhe in Frieden‘, ‚In liebevoller Erinnerung‘ und so weiter. Die Grabsteine bleiben stehen, bis der Dungeon abgeschlossen wurde. Wenn es die Gruppe ein weiteres Mal vollständig erwischt, tauchen neue Grabsteine auf. Als wir uns unsere Ersten Tötungen verdient haben, gab es ganze Wälder an Grabsteinen. Manchmal konnte man schon nichts mehr sehen vor all den Obelisken.“
Erst als Anastaria ihre Erklärung beendet hatte, fiel mir auf, dass sie auf jeglichen Sarkasmus oder Spott verzichtet und auch nicht herablassend gesprochen hatte. Stattdessen hatte sie den normalen, geschäftsmäßigen Tonfall verwendet, in dem ein Spieler im Normalfall einem anderen etwas erklärte. Ich würde diese Frau nie verstehen!
Das erste Stockwerk des Dungeons erwies sich als sehr ausgedehnt. Die Decke war etwa sechs Meter hoch, und das Ganze bestand aus einer großen Halle mit mehreren Säulen und einer Wendeltreppe, die sich an der gegenüberliegenden Wand nach oben erstreckte. Davor schimmerte ein goldenes Portal, unser derzeitiges Ziel.
„Was für ein Boss war denn hier?“, erkundigte ich mich.
„Ein Skelett“, antwortete der Titan knapp. „Ein drei Meter hohes Skelett mit vier Armen, durchsichtigen Flügeln und der sehr unangenehmen Fähigkeit, jedes Mal seine Handlanger herbeirufen zu können, wenn es 10 % seiner Trefferpunkte verloren hatte. Außerdem verfügte das Monster über einen Bannspruch mit dem schönen Namen ‚Lebenssauger‘. Den hat der Kerl immer dann eingesetzt, wenn wir ihm mehr als 10 % seiner Trefferpunkte auf einmal rauben konnten.“
„Wie viele Trefferpunkte konnte er dadurch wiederherstellen?“, wollte Anastaria wissen.
„5 %.“
„Sind die Mobs dadurch auch zurückgesetzt worden?“
„Du meinst, wenn eine weitere 10 %-Marke erreicht wurde? Oh, ja – die Mobs, und der Lebenssauger-Bannspruch. Es wurde alles zurückgesetzt.“
„Kannst du mir ein Video davon zeigen?“
„Nein. Es spielt doch keine Rolle, wie wir ihn besiegt haben – für
diesen Boss bist du schließlich nicht hier.“
Kreel trat durch das Portal und beendete damit die Unterhaltung. Er hatte nicht ganz unrecht – wir waren für einen anderen Boss hier. Wir waren gekommen, um den Drachen des Schattens zu töten.
„Willkommen auf dem Dachboden“, verkündete Kreel, nachdem die gesamte Raid-Gruppe vom ersten Stock nach oben teleportiert hatte. „Über uns befinden sich das Dach und unser Drache. Moni, wie sieht der aktualisierte Schlachtplan aus?“
„Zuschlagen und weglaufen. Ich habe den Drachen bisher noch nicht zu Gesicht bekommen, da kann ich noch keine speziellen Ratschläge erteilen. Es sind gerade unerwartet drei Kämpfer mit höchst merkwürdigen Fähigkeiten zu uns gestoßen, die bislang noch nicht kampferprobt sind, jedoch von großem Nutzen sein könnten. Mit anderen Worten – wir fangen einfach einmal an, den Boss zu bekämpfen, und dann sehen wir weiter.“
„Was für ein überragendes taktisches Genie!“, spottete Anastaria. „Geht ihr so bei allen Bossen vor, denen ihr begegnet?“
„Raynest, du bist Teil der Reserve“, befahl Moni, ohne auf die höhnische Bemerkung der Sirene einzugehen. Einer der Paladine auf geringem Level nickte und steckte sein Schwert wieder ein. Moni dachte ein wenig nach und fragte Anastaria dann mit melodischer, hohntriefender Stimme: „Was ist denn Euer Rat, oh, große Anastaria? Wie sollen wir unseren bislang noch unsichtbaren Feind besiegen?“
„Du hast vergessen, das Knie zu beugen“, erwiderte Stacey, ohne mit der Wimper zu zucken. „Und deiner Stimme fehlt es an Ehrfurcht.“
„Oh, verdammt!“, knurrte Moni erbost und gestikulierte ungehalten. „Wie soll ich denn auf diese Weise arbeiten? Wie?“
„Schon kapiert“, lächelte Anastaria. „Ich werde mich zurückhalten.“
„Ich habe keine Probleme damit, Hilfe anzunehmen. Wie gesagt, ich habe den Boss noch nicht gesehen. Ich habe also keine Ahnung, wessen er fähig ist.“
„Aber wieso hast du den Boss bisher noch nicht zu Gesicht bekommen?“, konnte ich mich nicht enthalten, zu fragen. „Wie lange seid ihr jetzt schon in diesem Dungeon?“
„Eine Woche“, antwortete statt Monis Kreel. „Und in diesem Dungeon...“
„… greifen die Bosse an, sobald du ein neues Stockwerk erreicht hast“, beendete Anastaria seinen Satz. „Wenn Kreel sich bereits aufs Dach begeben hätte, wäre der Drache möglicherweise sofort über ihn hergefallen. Wer weiß, wie diese Schlacht sich entwickelt hätte – da gibt es zu viele Eventualitäten. Kreel hat sich mit dem entscheidenden Schritt zurückgehalten, bis wir alle dabei waren. Schließlich wollte er seinen Vertrag einhalten...“
Stacey schenkte ihm ein so giftiges Lächeln, dass es mich wunderte, wie der Titan dabei ruhig bleiben konnte. Wenn Anastaria eine Zicke sein wollte, konnte ihr keiner das Wasser reichen.
„Haben wir jetzt endlich genug geredet?“, übernahm Moni die Führung, als sich Schweigen ausbreitete. „Dann lasst uns zur Sache kommen. Uggtur, was stehst du so untätig herum? Schaufel gefälligst ein paar Kohlen in den Kessel, und los! Du gehst voran. Prospero, du begleitest ihn. Verschaff ihm ein paar Schutzschilde. Ich zähle bis zehn, und dann betreten wir alle das Dach. Der Countdown beginnt jetzt. Aden, Marlan und Potrohari, ihr seid die zweite Runde. Verseht euch mit Tarnung und verlangsamt alles, was sich auf dem Dach bewegt. Nathan, anschließend bist du an der Reihe. Hol deine Armee herbei, sobald du das Dach betreten hast. Krolom, Pecador und Baruz, für euch habe ich eine andere Aufgabe...“
Ich konnte Monis Anweisungen kaum noch folgen. Aden, Marlan und Potrohari waren Schurken, und einer von ihnen ein Goblin, wenn ich das richtig verstand. Nathan war ein Totenbeschwörer. Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, was
für eine Armee diese Klasse herbeirufen konnte. Monis Anweisung war allerdings eindeutig gewesen, also war sie garantiert nicht zu unterschätzen. Krolom, Pecador und Baruz waren Krieger. Sie sollten einen Sicherheitskreis einrichten, in dem die Heiler und Fernkämpfer geschützt waren, die ihnen folgten. Danach verlor ich jeglichen Überblick angesichts all der Namen, bis endlich der wichtigste Teil kam: „Los, Mahan!“
Der Eingang zum Dach war ein weiteres Portal in der Form einer normalen Treppe. Kaum hatte ich den Fuß auf die erste Stufe gesetzt, verzerrte und verdunkelte sich alles um mich herum. Als ich endlich wieder sehen konnte, fand ich mich in der Hölle wieder.
„Haltet die Stellung! Ihr müsst Feanor wiederbeleben! Wir brauchen mehr DPS, Schaden pro Sekunde, auf den Kriechtieren! Mahan, du musst alle einfrieren!“ Wundersamerweise konnte man Monis Befehle trotz des schrecklichen Schlachtenlärms aus gebrüllten Bannsprüchen, klirrenden Waffen, schreienden Monstern und fluchenden Spielern hervorragend verstehen. Das Dach war ein kleiner Bereich, eine offene Plattform in etwa von der Größe eines Basketballfelds, voller fliegender, kriechender, hüpfender und huschender Monster auf Level 180. Die fliegenden Mobs griffen uns aus allen Richtungen heraus an. Einige verließen dabei sogar die Grenzen des Bereichs. Wo die huschenden Biester hervorgekrochen kamen, war mir absolut schleierhaft. Jedenfalls respawnten sie aber irgendwo, denn es waren mehr als auf die Plattform passten. Schon nach dem ersten Schritt stand ich knietief in Mobs. Na, wenigstens taten die bereits erschlagenen mir nichts mehr an. Sie verblieben lediglich als Projektionen auf dem Dach, damit wir nachher die Beute einsammeln konnten, die sie gedroppt hatten.
„Komm her, Draco!“,
rief ich mein Totem herbei, das ich nach der Übergabe der Eigenschaftenliste an Moni zunächst einmal wieder fortgeschickt hatte.
„Schon unterwegs!“
„Gib einen Donnerschlag von dir, sobald du eintriffst!“
„Kapiert!“
„Leute, wir haben eine Minute – also ran an den Speck! Macht alles nieder, was noch aufrechtsteht. Plinto! Zeig mir, was ein Vampir auf deinem Level ausrichten kann! Warum ist dein Schaden so gering? Es sind nur 30 % des Gesamtschadens, den die Raid-Gruppe anrichten kann! Das müssen mindestens 40 % werden. Kreel, wir brauchen deinen Bannspruch ‚Durchbruch‘! An alle – ANGRIFF!“
Der Raid-Anführer hat seine Fähigkeit des „Donnernden Schreis“ eingesetzt. + 20 % Energie und + 20 % für alle Haupteigenschaften bei allen Mitgliedern der Raid-Gruppe.
Dauer: 5 Minuten
Alle Mobs auf dem Dach waren erstarrt. Draco schaute sich um. Ohne um Erlaubnis zu bitten, hob er sich in die Luft, sobald er sich einen Überblick verschafft hatte, und stürzte sich auf die nächste Harpyie, in der er seine Zähne versenkte. Erst jetzt konnte ich mir genauer ansehen, womit wir es hier zu tun hatten. Die fliegenden Mobs waren Schatten-Harpyien. Aus ihren Flügeln strömte grauer Nebel. Die Kriechtiere waren Schatten-Schnecken. Sie krochen in einem nicht enden wollenden Strom über den Rand der Plattform und hinterließen eine grüne Schleimspur, die giftig zu sein schien. Die springenden und rennenden Viecher waren Schatten-Gargoyles. Sie versuchten, über unsere Tanks zu springen und über die Heiler und Fernkämpfer herzufallen. Alle drei Mob-Arten waren so sehr mutiert, dass mir allein ihre Namen noch verrieten, welchem ursprünglichen Stamm sie angehörten. Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, etwas eine Schnecke zu nennen, das aussah wie ein in Nebel gehüllter toter Mensch und sich auf Tausenden von Spinnenfüßen fortbewegte. Ich musste nicht nur gegen diese Kreaturen kämpfen, sondern auch gegen meine Abscheu, mit ihnen in Berührung zu kommen.
Die Designer, die für die Gestaltung der neuen Erweiterung der Schattenwesen zuständig waren, kannten sich gut darin aus, wie man Ungeheuerlichkeiten schuf.
„Portal voraus!“, rief Anastaria. Dank des Durchbruch-Bannspruchs des Titanen war bald nahezu die Hälfte der Mobs vernichtet. Wenn der Titan diesen Bannspruch verhängte, schoss aus seinen Händen etwas auf die Monster zu, das an ein schwarzes Loch erinnerte und sie dem Nichtsein zuführte. Anschließend schwankte Kreel ein wenig, als wäre er erschöpft, und nahm einen Schluck aus einer Flasche mit einer Flüssigkeit. Ob er damit seine Energie wiederherstellte? Bedeutete das etwa, wenn Kreel seinen „Durchbruch“ einsetzte, musste er dafür Energie aufwenden? Diese Titanen waren schon eine merkwürdige Klasse, das musste ich sagen! Brach Kreel etwa, wenn er sein Ziel ein- oder zweimal verfehlte, zusammen und musste warten, bis ihm jemand einen Energietrank einflößte? Oder war die Sache mit dem Durchbruch nur eine seiner Fähigkeiten?
„Plinto, das Portal gehört dir!“ Moni verlor keine Sekunde die Kontrolle über die Steuerung des Raids. „Mit den Mobs hier sind wir fertig – also alles Feuer auf das Portal!“
Am anderen Ende der Plattform schimmerte rot ein Portal, aus dem Gargoyles hervorgeströmt waren. Eines der Monster hatte das Portal noch nicht vollständig verlassen, als Dracos Donnerschlag alle erreicht hatte. Ich stellte mir vor, wie der Gargoyle gerade irgendwo in Armard hilflos und voller Wut auf mein Totem mit den Beinen zappelte...
Die Magier, Jäger und anderen Fernkämpfer dirigierten ihre Angriffe in Richtung des Portals, über dem nun ein Haltbarkeitsbalken erschien. Plinto kam Monis Befehl nach und verwandelte sich in einen dunklen Nebel, der auf einmal direkt neben dem halb erstarrten Gargoyle auftauchte. Seine Arme änderten die Form, wurden länger, mit Fingern wie glitzernde Klauen, und der Schurke wurde zu einem Propeller in Menschengröße. Er bewegte sich in einer so irrsinnigen Geschwindigkeit, dass wir die Luft um ihn herum zischen hörten. Der Nachteil dieses Vorgehens war ein rascher Abfall an Trefferpunkten, wie als Bezahlung für diese wahnsinnige Raserei. Dann explodierte das Portal mit einem lauten Knall, was die auf dem Boden liegenden Monster in alle Richtungen davonfliegen ließ – und gleichzeitig
Plinto tötete, der sich bis zum letzten Augenblick als Windmühle betätigt hatte. Mir war aufgefallen, dass die Heiler versucht hatten, seine Trefferpunkte vorab wiederherzustellen, doch es war ihnen nicht gelungen. Ihre Heilungsversuche blieben ohne Wirkung.
„Zehn Sekunden, bis die Betäubung der Mobs endet. Sofort Plinto wiederbeleben! Wir müssen die verbleibenden Gargoyles erledigen und nach den Portalen für die Harpyien und die Schnecken Ausschau halten. Bewegt euch, Leute! Wir haben die Chance, hier gleich beim ersten Versuch durchzukommen!“
„Puh!“ Schwer landete Draco neben mir. „Ich habe erst einmal genug gekämpft!“
„Wie sieht es aus?“, fragte ich mein Totem und überprüfte besorgt seine Trefferpunkte und Statuswirkungen. Was, wenn...?
„Ich konnte kein einziges Monster töten, aber ich habe ihnen ordentlich zugesetzt. Meine Kiefer sind total wund! Ich habe etwa 20 Harpyien die Flügel zerfetzt – wollen wir doch mal sehen, ob sie jetzt noch immer fliegen können! Übrigens, warum versuchst du es nicht auch, selbst zu fliegen? Du stehst einfach nur da, ohne etwas zu machen... Oh! Sie bewegen sich wieder!“
Die Betäubung, die der Donnerschlag ausgelöst hatte, war abgelaufen, und die Monster erwachten erneut zum Leben. Die Schnecken krochen weiter, die Harpyien stürzten sich aus der Luft auf uns. Gleichzeitig zuckten Lichtblitze um Draco – er war etliche Level aufgestiegen. Anscheinend hatte er den Harpyien, deren Flügel er zerstört hatte, tatsächlich das Fliegen unmöglich gemacht.
„Das Portal für die Schnecken befindet sich drei Meter unterhalb der Plattform!“, brüllte einer der Schurken. Sofort erschien ein Marker auf dem neuen Ziel, sodass wir es sehen konnten, obwohl die Plattform im Weg war.
„Alisa!“, rief Moni. „Greif dir alle Fernkämpfer und konzentriere dich auf das Portal! Alle anderen befassen sich weiter mit den Monstern! Mahan, verpass ihnen wenigstens einen Schlag mit
deinem Stab – jede Unterstützung hilft uns! Also hör endlich auf, dazustehen wie eine Statue!“
Ich wollte dem Befehl des Buckligen Druiden gerade nachkommen, als eine Glühlampe der Erleuchtung in meinem Gehirn aufblitzte. Die Explosion des ersten Portals hatte einige der Mobs von der Plattform geworfen. Draco hatte die Harpyien nicht umbringen können, sie waren ihm schließlich etwa 100 Level überlegen. Doch es war ihm möglich gewesen, ihre Flügel zu zerfetzen und sie so vom Fliegen abzuhalten.
Und ich war schließlich ein Drache! Eine gigantische Tötungsmaschine, vier Meter lang und drei Meter hoch! Warum sollte ich versuchen, die Mobs einzeln umzubringen, wenn ich weit effektiver vorgehen konnte?
„Alle Mann aus dem Weg!“, brüllte ich, rannte los und sprang mitten in eine Horde von Schnecken hinein. Noch in der Luft verwandelte ich mich in einen Drachen. Auf vier riesigen Pfoten mit Klauen landete ich auf den grünen Schleimspuren. Sofort richteten die Mobs ihre Aufmerksamkeit auf das neue Opfer, das sich ihnen so selbstlos ausgeliefert hatte. Meine Trefferpunkte sanken rasch. Ich vergewisserte mich, dass keine anderen Spieler in meiner Nähe waren, und begann, mich um die eigene Achse zu drehen. Schon war auf dem Dach ein neuer Propeller zu sehen...
Levelaufstieg!
Levelaufstieg!
Levelaufstieg!
Energie-Level: 30. Hör auf, wütender Schamane!
„Warum hast du das nicht schon längst vorher eingesetzt?“, fragte Moni. Alle Schnecken waren vernichtet. Aus einem mir unbekannten Grund hatte das System alle Erfahrungspunkte dafür mir allein zugeschrieben. So hatte ich innerhalb weniger Augenblicke zwölf Level aufsteigen können, und ein Schamane auf
Level 149 war durchaus ernst zu nehmen!
„Was ist denn mit den Harpyien?“, fragte ich und nahm einen tiefen Schluck von einem Elixier. Nicht einmal meine telepathischen Unterhaltungen raubten mir so schnell meine Energie, wie es bei meinem Drehen auf der Stelle gerade eben der Fall gewesen war. Hätte nicht jedes neue Level meine Energie erst einmal wiederhergestellt, wäre diese heroische Tat rasch zu einer heroischen Selbstaufopferung geworden, aber ich hatte Glück gehabt.
„Die kommen aus einem Fenster zehn Meter unterhalb der Plattform. Da respawnen sie. Die Krieger und Schurken befassen sich bereits damit.“
„Und wo ist der Schattendrache?“
„Gute Frage – weißt du was? Die wollte ich selbst auch gerade stellen. Mahan, wo steckt unser Drache?“
„Wahrscheinlich taucht er auf, sobald wir alle Mobs erledigt haben. Wenn er sich jetzt ins Getümmel stürzen würde, hätten wir keine Chance.“ Anastaria kam heran, wieder in ihrer menschlichen Form. Gegen die fliegenden Monster konnte sie als Sirene wenig ausrichten. Jetzt sah sie sich auf der von Monsterleichen übersäten Plattform um.
„Kreel, bitte sag mir, dass ein Spieler in der Gruppe ist, der sich auf das Einsammeln von Beute spezialisiert hat. Wenn der Boss jetzt auftaucht, verschwindet alles, und das würde mir nicht gefallen. Du denkst doch an unseren Vertrag, oder?“
„Seit wann bist du denn so gierig?“ Diese Frage konnte ich mir nicht verkneifen, während sich Moni und einer der Raider ans Sortieren der Beute begaben.
„Das hat mir mein Ehemann beigebracht. Kannst du dir das vorstellen – seine Gier kennt keine Grenzen. Er hat mir sogar eine Burg gestohlen!“
„Altameda stand dir niemals zu!“
„Sag das lieber Viltrius. Übrigens, Mahan, du und ich, wir haben noch unerledigte Dinge miteinander zu besprechen. Du wolltest mich mit irgendetwas überraschen, aber dann wurdest du abgelenkt, und jetzt hast du es anscheinend vergessen. Wann bitte bekomme ich endlich meine Überraschung?“
„Eine Überraschung?“ Einen Augenblick hatte ich keine Ahnung, worauf sie anspielte, doch dann fiel es mir wieder ein. Tief in mir stieg Zorn auf. Ich hatte ihr versprochen, ihr den Tintenfischdelfin-Embryo zu zeigen, bevor sie mich nach Strich und Faden fertiggemacht hatte. Woher nahm sie diese unerhörte Frechheit, jetzt darauf zu bestehen? Halt – ich musste mich beruhigen, schließlich war ich noch immer die Eiskönigin! „Schätzchen, ich glaube, du übersiehst etwas – diese Überraschung war für ein Mitglied meines Clans bestimmt. Du hast den Clan verlassen – tut mir leid, also gibt es auch keine Überraschung. Selbst schuld!“
„Ich bin bereit, jederzeit zurückzukommen“, entgegnete Anastaria mit einem Schulterzucken. „Du musst mich nur darum bitten.“
„Was für eine harmonische Beziehung ihr habt!“, grinste Moni, der noch immer die Fernkämpfer steuerte. „Ihr seid nicht zufällig miteinander verheiratet?“
„Das Portal ist zerstört!“,
schrieb Ugtur im Raid-Chat und lenkte mich so von Anastarias Provokation ab. Ich hatte schließlich Besseres zu tun, als mich mit ihr zu streiten! „Machen wir den Rest der Mobs fertig!“
Nachdem die letzte Harpyie aufs Dach gestürzt war, herrschte plötzlich Stille. Wir versammelten uns an einer Stelle und warteten auf das Auftauchen des Bosses. Die Heiler hatten ihre Verteidigungs-Bannsprüche vorbereitet, die Tanks ihre schadenmindernden Fähigkeiten und die Krieger ihre stärkenden. Anastaria hatte sich in eine Sirene zurückverwandelt, bereit, ihren Killer-Bannspruch
einzusetzen.
Doch der Boss kam nicht.
„Auf die Gefahr hin, die offensichtliche Frage zu stellen – wo zum Teufel bleibt der Drache?“, fragte einer von Kreels Söldnern nach einer angespannten Minute.
„Vielleicht haben wir ein paar Mobs übersehen?“, überlegte ein anderer, doch Moni schüttelte den Kopf. Wir befanden uns nicht mehr im Zustand des „Kampfes“ – also mussten alle Mobs erschlagen worden sein.
„Anscheinend fehlt noch etwas, Kreel“, regte Moni an. „Vielleicht müssen wir ein Liedchen singen, einen Tanz tanzen, ein Opfer bringen... Warum stehen wir herum wie eine Bande von Vollidioten? Wo, verdammt noch mal, bleibt der Boss?“
„Worauf wartest du, Bruder?“,
hörte ich plötzlich Dracos Stimme in meinem Kopf. Mein Totem umkreiste die Plattform. Kreel und Moni diskutierten heftig, und Anastaria hatte sich ihnen angeschlossen, doch ich konnte nicht hören, was sie sagten – Dracos Stimme blendete alles andere aus.
„Eigentlich sollte jetzt der Schattendrache erscheinen, aber aus irgendeinem Grund tut er das nicht. Also warten wir.“
„Aber wie soll er denn erscheinen, wenn er noch gar nicht geboren wurde?“
„Was meinst du damit, er wurde noch nicht geboren?“
„Ich dachte, du weißt das. Sobald der Schattendrache aus dem Ei schlüpft, ist er praktisch unbesiegbar. Nicht einmal Vater würde es anschließend wagen, gegen ihn zu kämpfen. Nachdem er uns bislang noch nicht angegriffen hat, kann der Drache noch nicht geschlüpft sein, das liegt doch auf der Hand.“
„Moment – der Drache existiert also momentan noch gar
nicht?“, fragte ich laut. Sofort richteten die Spieler in der Nähe ihre Aufmerksamkeit auf mich. „Und wo ist das Ei?“
„Ich habe keine Ahnung.“ Draco landete elegant auf der Plattform, setzte sich und stützte nachdenklich den Kopf auf den Schwanz. „Es gibt mehrere Möglichkeiten, die du überlegen musst. Nummer 1 – auf der offenen Plattform hier wirst du das Drachenei gewiss nicht finden. Das liegt irgendwo auf einem weichen Kissen und ist tief in der Erde vergraben. Nummer 2 – wenn du mich fragst, könnte uns das Portal weiterhelfen, das etwa 20 Meter über uns hängt. Vielleicht führt es irgendwohin.“
„Wo ist es?“ Wie auf Kommando schauten alle Spieler nach oben. Tatsächlich – direkt über unseren Köpfen schwebte ein schimmerndes Portal. Gegen den Hintergrund der Wolken war es nahezu unsichtbar.
„Da ist noch eine Nummer 3“, ergänzte Draco. „Ich weiß natürlich, wie wir das Portal erreichen können – nur gibt es da ein großes Aber. Es ist eine Einbahnstraße. Einen Weg zurück gibt es nicht, sobald du es erst einmal betreten hast.“
„Jetzt ist mir klar, warum Renox darauf bestanden hat, dass ich dich mitnehme“, bemerkte Kreel, der mich mit neu gewonnenem Respekt betrachtete. Innerlich fluchte ich. Renox hatte mich als Transporttier in diesen Dungeon geschickt!
„Mahan, wie viele Spieler kannst du tragen?“, erkundigte sich Moni sofort.
„Zwei“, antwortete ich schlechtgelaunt. „Draco kann einen weiteren transportieren. Mehr geht nicht. Und ihr könnt nicht während des Flugs abspringen, also kann ich euch nicht zum Portal bringen und für weitere Spieler zurückkehren.“
„Alisa, Prospero und Ugtur – ihr seid die ersten drei. Mahan, wie lange dauert es noch, bis die Abklingzeit für Dracos Donnerschlag abgelaufen ist?“
„Zehn Minuten.“
„Alisa, sobald ihr am Portal angekommen seid, holst du zuerst Plinto zu euch – er kann euch helfen. Anschließend ist Kreel an der Reihe, und dann arbeitest du dich durch die Liste der anderen. Hast du genügend Mana-Elixiere? Prima. Wir machen jetzt erst einmal zehn Minuten Pause. Wer will, darf sich gern kurz in die Realität abmelden. Ich werde das auf jeden Fall tun.“
In der Luft tauchte ein Timer auf, und ein Teil der Spieler löste sich sofort auf.
„Da hast du dir ja einen netten Dungeon ausgesucht“, sagte ich zu Kreel, der sich neben mir auf den Boden gesetzt hatte. „Eine solche Beschränkung auf fliegende Spieler erlebe ich jetzt das erste Mal.“
„Es ist auch das erste Mal, dass ich von einem Architekten höre, der einen solchen Turm erbauen kann. Renox hat gedrängt, dass ich ein paar fliegende Spieler mitnehme. Ich hatte allerdings vermutet, ich würde sie für den Aufstieg im Turm brauchen. Mahan, ich habe dir einen geschäftlichen Vorschlag zu machen.“
„Ich glaube, ich ahne bereits, worin er besteht. Du bist ein Titan – und musst, um dir ein paar der Boni deiner Klasse zu verschaffen, einen Drachen töten. Wenn der Schattendrache aber bisher noch gar nicht aus dem Ei geschlüpft ist, zählt das nicht.“
„Genau. Und was soll ich dann tun?“
„Du bringst mich um, nachdem wir den Dungeon abgeschlossen haben. Das verschafft dir die Boni. Anschließend belebst du mich wieder, und dann tragen wir ein Duell miteinander aus. Ich will wissen, wer besser ist – ein Titan oder ein Drache. Und bei einem Duell wird ein etwa bestehender Unterschied in den Leveln ausgeglichen, soweit ich das weiß. Richtig?“
„Nur solange der Kampf in der Arena von Anhurs stattfindet. Um ehrlich zu sein, würde ich ebenfalls gern herausfinden, was du in
deiner Eidechsenform alles zustande bringst.“
„Kreel, was machen wir denn mit Gnum, wenn der Drache noch nicht existiert?“, mischte sich Alisa ein, die unserer Unterhaltung zugehört hatte.
„Du kennst den Gehässigen Gnum?“, fragte ich überrascht. Natürlich konnte es in Barliona auch mehrere Gnums geben, schließlich war es kein Zufall, dass sich auch eine Kneipe so nannte. Allzu häufig war dieser Name jedoch nicht.
„Oh, ja, wir sind uns mehrfach begegnet. Ich habe ihm versprochen, dass er sich ein Teil von dem Drachen abschneiden kann, sobald ich ihn erledigt habe. Er braucht das für irgendein Projekt für dich.“
„Ja, ein hübsches Stück Drachen-Filet“, spottete Moni, der das Spiel wieder betreten hatte. „Es heißt, das Fleisch sei zarter und leichter zu verdauen. Mahan, kannst du dich mal schnell in einen Drachen verwandeln? Dann können wir gleich ausprobieren, ob das stimmt.“
Verwundert betrachtete ich den kichernden Druiden. Ich war immer davon ausgegangen, es wäre eine schlechte Angewohnheit, über die eigenen Witze zu lachen. Kreel schien ein Spieler zu sein, der die Sache sehr ernsthaft betrieb. Wie zum Teufel war er bloß an einen solchen Raid-Anführer geraten?
„Ich sehe schon, niemand lacht“, stellte Moni fest. „Ja, ja – das ist alles eine sehr ernste Sache und so weiter. Allerdings musst du dich auf jeden Fall in einen Drachen verwandeln, Mahan – das war kein Scherz. Die Pause ist zu Ende. Das Portal erwartet uns, und die Truppen sind voller Erwartung und Motivation und all solchem Mist. Also mach dich bereit. Dein Befehl lautet: Du und Draco fliegt mit den drei Spielern ins Portal und verschafft Alisa 20 Sekunden, damit sie ungestört Kreel herbeiholen kann. Danach verschafft ihr ihr noch einmal 20 Sekunden. Anschließend könnt ihr machen, was ihr wollt.“
„Moni, wir haben doch zwei Paladine in der Gruppe.“ Mir war
etwas eingefallen. „Die sollen, kurz bevor wir das Portal betreten, Schutzblasen über Alisa und Prospero werfen. Zehn Sekunden garantierter Immunität sind nicht zu verachten.“
„Ich sehe schon – du bist doch zu mehr in der Lage, als nur mit deinem Schwanz zu wedeln“, stellte Moni grinsend fest. Gleichzeitig las ich im Raid-Chat: „Aufwachen, Raynest! Begib dich aufs Dach. Es wartet Arbeit auf dich.“
„Sind alle bereit?“, fragte Moni. „Dann alle Mann aufsteigen und vorwärts im Galopp! Mahan, wo sollen die Leute auf dir sitzen?“
„Ich zeige es dir – aber Vorsicht, ich bin kitzlig. Zu viel Herumrutschen, und ich könnte zusammenzucken und den Reiter abwerfen.“ Die Bemerkung trug mir allgemeines Gelächter ein. „Einer klettert auf meinen Nacken, der andere zwischen meine Flügel. Da ist eine Einbuchtung, fast wie ein Sitz.“
Draco und ich stiegen mit unserer Last in die Höhe und kreisten dort. „Ich zähle bis drei, und dann schickt ihr die Schutzblasen“, befahl Moni. Ich konnte genau sehen, wo ich frei fliegen konnte und wo der Bereich begann, in dem das Fliegen verboten war. Ein halb transparenter Kegel begann etwa 20 Meter unterhalb des Dachs und erstreckte sich in einem Winkel von 45 Grad nach oben. Wenn ich mich also auch nur 20 Meter vom Dach entfernte, würde ich abstürzen. Anscheinend hatten die Designer bei der Gestaltung dieses Dungeons tatsächlich fliegende Spieler im Auge gehabt. Spieler wie mich. Hmmm... Wie mich... Hieß das also, es gab irgendwo in Malabar oder Kartoss oder den Freien Landen (aus denen Kreel wahrscheinlich stammte) noch andere Spieler, die fliegen konnten, ohne dafür auf Transporttiere zurückgreifen zu müssen? Vielleicht solche mit der Klasse eines Phönix oder einer Schwalbe oder eines Grashüpfers... Nach allem, was ich über Barliona wusste, dachten die Programmierer sich die verrücktesten Dinge aus, wenn sie gerade in Stimmung waren.
„Eins, zwei...“, zählte Moni. Ich stieg steil nach oben und raste auf das Portal zu. Ich trug den Heiler und den Tank, musste also vor Draco eintreffen. „Drei!“
Der schimmernde Schleier umgab uns von allen Seiten. Als die Sicht wieder klar wurde, sah ich eine riesige Halle vor mir. In der Mitte lag ein schneeweißes Ei, umgeben von vier Fackeln, die ein wenig von der herrschenden Dunkelheit vertrieben. Gleichzeitig registrierte ich, dass ich meine Arme und Beine nicht fühlen und weder Flügel noch Schwanz bewegen konnte. Es kam mir vor, als befände ich mich nicht einmal in der Halle, als wäre mein Avatar verschwunden und ich würde mir lediglich einen Film anschauen.
„Siehst du das?“,
meldete sich Anastaria in meinem Kopf zu Wort.
„Ja, aber ich verstehe nicht...“
„Es ist der Beginn einer Videosequenz für dieses Szenario. Gleich werden wir mehr über die Geschichte dieses Ortes erfahren. Man wird uns zeigen, was, wann, wie – und wer für das alles verantwortlich ist. Es ist schon lange her, dass ich so etwas zuletzt zu sehen bekommen habe.“
Der erste Charakter erschien auf der Bühne, und ich hörte Anastaria nicht weiter zu. Die Gestalt war der halb durchsichtige Schatten eines Phantoms, in der düsteren Umgebung kaum auszumachen, was alles nur noch unheilvoller und furchterregender wirken ließ. Der Schatten flog um das Ei herum und versuchte dabei mehrfach, es mit seinen Armen zu berühren, oder was auch immer diese Anhängsel waren. Doch die vier Fackeln verhinderten, dass der Schatten sich dem Ei nähern konnte, und es blieb unangetastet.
„DAS IST MEIN LAGER!“, brüllte eine wilde Stimme, und der zweite Charakter trat auf. Der Goldene Drache Aquarizamax war fast noch gewaltiger als Renox. Mit einem ungeschickten Watscheln näherte er sich den Fackeln und vertrieb den Schatten. „NIEMAND WIRD SICH AN MEINER BRUT VERGREIFEN!“
„Draco, ich habe vergessen, dich zu fragen, wofür dieser Aquarizamax bekannt war. Was war er für eine Art Drache?“
„Soweit ich das weiß, war an ihm nichts Besonderes. Er hat wie
alle anderen Drachen den Tarantel-Meistern gedient, unzählige empfindungsfähige Wesen getötet und sich am Ende geweigert, diese Welt zu verlassen, als die Zeit dafür gekommen war. Nichts Besonderes.“
Plötzlich war in der gesamten Halle ein Flüstern zu hören, das mich erschauern ließ, auch wenn es nur Teil der Filmszene war. „Deine Kraft lässt nach, Drache! Bald wird das Ei uns gehören, und die Welt wird einen Drachen des Schattens erleben!“
„DAS WIRD NIEMALS GESCHEHEN!“ Aus dem Schlund des Drachens drang eine Feuersäule hervor und zerriss den Schatten. „MEIN SOHN WIRD ALLEIN ÜBER DIESE WELT HERRSCHEN UND NICHT AN DER SEITE EINES SCHATTENS!“
„Weißt du, Aquarium, wenn wir so weitermachen, gehen mir bald die Krieger aus.“ Der dritte Charakter betrat die Bühne – der Gebieter des Schattens, Geranika.
„MEIN NAME IST AQUARIZAMAX!“
„Was macht das schon für einen Unterschied? Ich brauche entweder dich oder deinen Sohn – die Wahl überlasse ich dir. Einer von euch beiden wird der Drache des Schattens werden, und der andere wird sterben. Zwei Drachen sind mir zu viel. Ich rate dir, selbst eine Wahl zu treffen. Ich habe wenig Lust, deine Brut aufzuziehen und ihr den Hintern abzuwischen. Die Mühe würde ich mir gern sparen.“
„NOCH EIN WEITERER SCHRITT, MONSTER, UND ICH WERDE DICH VERNICHTEN!“, brüllte Aquarizamax, ohne Geranika jedoch anzugreifen.
„Du willst mich vernichten?“ Grinsend trat Geranika immer weiter auf den Drachen zu. „Du bist alt, du bist schwach, und du hast schon seit etwa 2.000 Jahren nichts mehr zu essen bekommen, weil du die ganze Zeit dieses Ei hier ausbrüten musstest. Glaubst du wirklich, du seist stark genug, mich zu besiegen, DEN GEBIETER DES SCHATTENS?“
Geranika sprach die letzten Worte kaum lauter aus als den Rest, doch sie hallten mit solcher Macht in mir wider, dass ich einen Augenblick lang meine Konzentration verlor. Die Düsternis in der Halle erzitterte wie ein Blatt Papier im Wind und raste dann auf die vier Lichtpunkte zu, die rasch im grauen Licht untergingen, das von Geranikas Stab ausströmte. Merkwürdigerweise konnte ich in diesem Licht auf einmal die gesamte Szene mitsamt der Umgebung sehen und stellte dabei fest: Dies hier war gar keine Halle. Stattdessen war alles im Lager eines Drachens gedreht worden, das lediglich um das Ei herum an eine Halle erinnerte. Der Rest des Lagers war gefüllt mit Schatten wie dem, den der Drache bereits zerfetzt hatte.
„ENTWEDER DU ODER DEIN SOHN – DU HAST DIE WAHL. TRIFF SIE. JETZT!“ Zwei Schritte vor dem Drachen blieb Geranika stehen. Auch wenn er sehr viel kleiner war als das Reptil, schaffte er es dennoch, auf den Drachen herabzuschauen. Drohend kamen nun auch die Schatten heran, umgaben den Drachen in einem dichten Ring, bis er gezwungen war, zurückzuweichen. Einen Schritt, einen zweiten und einen dritten – bis sein Schwanz das Ei berührte. Mehrfach wollte Aquarizamax sich auf Geranika stürzen, doch jedes Mal zögerte er nach einem Blick auf das Ei, das er der Horde der Schatten nicht überlassen wollte.
„DU HAST RECHT, GEBIETER DES SCHATTENS.“ Der Drache grinste, als ihm ein weiteres Zurückweichen unmöglich war. „ICH HABE DIE WAHL. ABER DU IRRST DICH, WENN DU GLAUBST, ICH HÄTTE NUR ZWEI MÖGLICHKEITEN. DU WIRST MEINEN SOHN NIEMALS IN DIE FINGER BEKOMMEN, UND ER WIRD EINES TAGES ÜBER DIE GANZE WELT HERRSCHEN!“
Der Drache brüllte laut. Um ihn herum entstand eine mächtige Aura, die Geranika mehrere Meter zurückwarf. Anschließend brach Aquarizamax‘ enormer Körper auf dem Boden zusammen. Sofort stürzten sich die Schatten auf die Fackeln, brachten sie zum Erlöschen, aber noch immer konnten sie das Ei nicht erreichen. Stattdessen hatte sich um das Ei herum eine pulsierende, goldene Kugel gebildet. An verschiedenen Stellen der Oberfläche schimmerte das Siegel eines Drachens.
„Was ist das, Draco?“
„Es ist der Letzte Wille“,
flüsterte mein Totem ehrfürchtig. „Der Drache hat sich selbst geopfert und ist dadurch zu einem Verteidiger geworden. Wenn jemand die Kugel zerstört, zerstört er damit auch das Ei – Ei und Kugel sind zu einem Ganzen verschmolzen.“
„NEIN!!“, röhrte Geranika und ballte die Hände zu Fäusten. „Warum müssen Drachen bloß immer so widerspenstig sein? Bringt mir die Schwärzer!“
Kurz darauf traten mehrere Schatten aus einem Portal, die zwei der enormen Geräte trugen, die ich bereits in Dochtheim zu sehen bekommen hatte.
„Warum konnte er nicht einfach sterben, ohne einen solchen Affenaufstand zu verursachen?“, beklagte Geranika sein Schicksal. Sobald die Schwärzer einander gegenüber aufgestellt waren, mit dem Ei dazwischen, schnippte er mit den Fingern, was sie aktivierte. Sofort strömte aus den langen Antennen der Geräte ein dunkler Dunst in Richtung des Eis. Als er die goldene Kugel berührte, war das Klirren von zerbrechendem Glas zu hören.
„Wie lange wird die Umwandlung dauern?“, fragte Geranika einen kleinen Schatten in der Form eines Goblins, der neben den Schwärzern stand.
„Drei Jahre, Meister“, flüsterte der Goblin, dessen Augen nichts anderes waren als zwei Kreise wirbelnder Nebel. Erneut klirrte es. Geranika verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen.
„Wenn es drei Jahre dauern muss, dann dauert es eben drei Jahre“, erklärte er mit unverhülltem Abscheu. „Ich bin geduldig. Ich hasse diese Düsternis!“ Er zeichnete mit den Fingern etwas in die Luft und schuf dadurch einen Dolch ähnlich dem, mit dem ich im Dunklen Wald die Spieler umgebracht hatte. Er brach den Dolch in zwei Hälften und schmolz die Klinge ein, dann näherte er sich der goldenen Kugel und stieß den Rest schwungvoll hinein. Erneut klang
es, als ob Glas zerbräche. Gleichzeitig drang nun nicht nur aus seinem Stab, sondern auch aus dem Dolchgriff, der im Ei steckte, ein silbriges Licht.
„Das wird die Umwandlung effizienter verlaufen lassen“, bemerkte Geranika befriedigt. „Errichte einen Sicherheitskreis! Niemand darf sich dem Ei nähern! In drei Jahren werden wir den Geist von Aquarizamax vernichten, und dann gehört sein Sohn uns! An die Arbeit!“
Quest aktualisiert: „Ermorde den Drachen Aquarizamax“
Der Drache hat sich selbst geopfert, um sein Ei zu retten. In einem Jahr wird der Goldene Drache aus dem Ei schlüpfen und die ganze Welt beherrschen. Wenn es dir nicht gelingt, die Schwärzer zu vernichten, bricht nach diesem Jahr die Verteidigungskugel zusammen und der Goldene Drache wird als Verfluchter Drache des Schattens geboren. Triff die richtige Entscheidung!
Belohnung: variabel
Strafe für Fehlschlagen der Quest: variabel
„Alisa, hol die anderen hierher“, flüsterte ich, sobald ich die Kontrolle über meine Glieder zurückgewonnen hatte. Nach dem Ende der Filmsequenz stellten die anderen Spieler im Raid-Chat sofort alle möglichen Vermutungen an, doch wir hatten Besseres zu tun, als über Sagen und Legenden zu diskutieren. Das Portal hatte uns ins Lager des Drachens gebracht, das mit einem silbrigen Licht gefüllt war, das aus dem Dolchgriff strömte. Schwarze Tentakel erstreckten sich aus den Antennen der riesigen Schwärzer und krochen in Richtung der Kugel, deren goldener Schein bereits matt und trüb war. Jetzt erinnerte die Farbe mehr an die einer ausgeblichenen Sonne, verdeckt von grauen Wolken. Es war nicht länger der Klang von zerspringendem Glas zu hören, und die Schwärzer arbeiteten summend auf Hochtouren. Die Leiche von Aquarizamax lag noch immer neben der Kugel, unangetastet von der
inzwischen vergangenen Zeit. Das war allerdings nicht das Unangenehmste an der Szene – das war der Goblin mit den Nebelaugen, den wir im Video gesehen hatten und der noch immer neben dem Ei stand. Er hielt etwas in einer Schriftrolle fest. Wahrscheinlich erstellte er einen Bericht über den Fortschritt der Arbeit für Geranika.
Er, also der untote grüne Goblin, war offensichtlich der letzte Boss dieses Dungeons. Seine Fähigkeiten standen in einem krassen Widerspruch zu seiner schmächtigen Gestalt. Der Schattengoblin auf Level 240 verfügte über vier verborgene Eigenschaften. Auch seine Trefferpunkte waren verborgen. Das einzig Gute an all dem war, dass uns einstweilen noch niemand angriff und wir in aller Ruhe den Rest der Raid-Gruppe herbeiholen konnten.
„Okay, ich gebe es offen zu.“ Moni seufzte, nachdem alle eingetroffen waren. „Anastaria – ich hätte nichts gegen deine Hilfe einzuwenden. Vier verborgene Eigenschaften, ein mysteriöser Hinweis, der in der Beschreibung der Quest versteckt ist, und ein untoter Goblin als Boss... So etwas habe ich bisher noch nie erlebt.“
„Vier verborgene Eigenschaften habe ich bisher auch noch bei keiner Kreatur gesehen“, bemerkte Anastaria grüblerisch und betrachtete den Goblin. „Und dieses ‚Triff die richtige Entscheidung‘... Darüber muss ich erst einmal nachdenken. Fest steht nur, dass das Ei in jedem Fall zerstört werden muss. Es gibt keine andere Möglichkeit. Nur, wie sollen wir das anstellen? Wenn wir die Kugel zerstören, kann das dazu führen, dass die Schwärzer den Schattendrachen schlüpfen lassen. Und warum haben sie den Goblin hier gelassen? Wir haben zu wenige Informationen. Es hat sicher seine Gründe, warum die Programmierer die Schwärzer hier aufgestellt haben. Wahrscheinlich müssen wir sie benutzen, vielleicht als Deckung – die Frage ist nur wann. Oder vielleicht müssen wir den Boss auch hinter die Schwärzer locken, wenn er einen Bannspruch verhängt, damit der das Ei nicht trifft. Und dann ist da ja noch der Dolch... Himmel, ich wünschte, Höllenfeuer wäre hier!“
„Unser Tank ist auch nicht gerade eine Niete!“, entgegnete Moni
gekränkt.
„Ja, ja – Sprüche wie diese habe ich schon oft gehört.“ Anastaria winkte ab. „Momentan ist die wichtigste Frage, nein, die einzige Frage, wohin wir den Boss treiben wollen. Es gibt hier vier Säulen – die müssen ebenfalls irgendeinem Zweck dienen, ebenso wie die Schwärzer. Höchstwahrscheinlich müssen wir versuchen, den Goblin vom Ei fortzulocken. Ich schlage vor, wir fordern ihn in Wellen heraus. Ist dir klar, was du zu tun hast, Ugtur? Und wer ist unser zweiter Tank?“
„Baruz. Er ist ein Krieger.“
„Baruz, Ugtur – zu mir.“ Anastaria zog ein Stück Pergament hervor und zeichnete einen exakten Plan der Halle, in dem sogar der Goblin vermerkt war. „Baruz, du wirst dich zusammen mit Ugtur zuerst einmal entlang dieser Kurve bewegen. Anschließend legen wir eure endgültige Position fest. Wer kann vorübergehend eine Menge Schaden abfangen?“
„Ich“, meldete sich Kreel angespannt.
„Wie viel Schaden?“
„Genug. Meine Panzerung ist gut.“
„In Ordnung. Befassen wir uns jetzt mit dem Tank, der nicht versucht, den Boss an einem bestimmten Ort festzunageln. Im Video haben wir jede Menge Schatten gesehen. Bestimmt respawnen die regelmäßig. Der freie Tank muss diese Schatten in einer Gruppe zusammentreiben. Verfügt jemand von euch über Feuermagie?“
„Wozu brauchen wir denn Feuermagie?“
„Hast du nicht gesehen, wie der Drache die Schatten getötet hat? Er hat sie verbrannt. Das ist ein ziemlich deutlicher Hinweis. Wir brauchen unbedingt Feuer-Bannsprüche.“
„Die Totenbeschwörer können ihre Neigung entsprechend
ändern, und ebenso die Magier, solange wir nur genügend Zeit haben. Obwohl... Nein, nur zwei der Magier können ihre Ausrichtung auf Feuer ändern. Alisa ist das nicht möglich, sie könnte nicht wieder zurückkehren, wenn sie jetzt geht.“
„Gut, sag ihnen, sie sollen gehen und zu Feuer wechseln. Das ist extrem wichtig.“
Ohne jede Widerrede schickte Moni die beiden Magier zurück nach Anhurs, um ihre Neigung anzupassen.
„Außerdem schlage ich vor, wir bilden eine Gruppe, die sich auf die Schwärzer konzentriert“, ergänzte Anastaria nach einer Weile des Nachdenkens. „Ich kann die Gruppe organisieren. Du musst mir nur die Berechtigung einräumen, alles zu konfigurieren. Alle Nahkämpfer müssen sich auf den Boss konzentrieren. Die Fernkämpfer stellen wir an diesen Stellen auf“ – sie deutete auf ihren Plan – „du hier, du dort... Plinto, du befasst dich mit den Schatten. Wir müssen sie ein wenig weichklopfen, bevor wir mit Feuer auf sie losgehen. Erste Gruppe, ihr positioniert euch in der Nähe der roten Markierung und stürzt euch auf die Schwärzer.“ Nicht weit von einer der Säulen entfernt erschien ein roter Strahl, der sich vom Fußboden bis zur Decke erstreckte. „Ihr dürft den Bereich der roten Markierung nur verlassen, wenn ich das sage, und dann auch nur in Richtung der blauen Markierung. Alle anderen unterstützen bei der Provokation des Bosses. Gebt alles, was ihr habt! Wo bleiben die Magier?“
„Ich hole sie jetzt zurück“, versicherte Alisa.
„Okay. Jetzt die Anweisungen für die Gruppe, die sich mit den Schatten befasst. Ich wiederhole: Der freie Tank treibt sie zusammen, Plinto bearbeitet sie ein wenig, und ihr, die Magier, äschert sie anschließend ein. Das ist alles nicht sehr kompliziert. Moni, weise den Magiern ein paar Heiler zu.“
„Wird gemacht.“
„Ich glaube, das war es einstweilen. Ich habe eine immens wichtige Forderung an alle – sobald ich einen Befehl gebe, müsst ihr
alles stehen und liegen lassen und sofort tun, was ich anordne. Wenn ich euch sage, ihr springt bei drei, springt ihr, sobald ich bis drei gezählt habe, nicht eine Sekunde früher und nicht eine Sekunde später. Und wenn ich euch sage, ihr müsst fliehen oder euch verstecken, befolgt ihr auch das. Auch wenn der Mob oder Boss, den ihr in den Fingern habt, nur noch über einen einzigen Trefferpunkt verfügt. Ich gehe davon aus, dass alle einverstanden sind? Du hast doch nichts dagegen, Moni, wenn ich den Raid leite, oder?“
Der Druide breitete die Arme aus. „Ich bin voll dafür. Es ist immer ein Vergnügen, von einer hübschen Lady herumkommandiert zu werden.“
„Prima. Haben eure Schurken genügend Wiederbelebungs-Schriftrollen?“
„Warum?“ Das erste Mal seit Beginn des Raids schien Moni überrascht. „Wir haben doch einen Paladin als Rückversicherung.“
„Der Paladin wird aber nicht in der Lage sein, sich zu verstecken oder von einem anderen Stockwerk aus zu uns zu teleportieren. Ich bezweifle stark, dass er fliegen kann. Sobald der Kampf beginnt, hat jeder seine Rolle zu spielen, ohne Ausnahme. Die Bannsprüche des Bosses könnten sich durchaus auf die gesamte Höhle erstrecken. Die Schurken sind die einzige Klasse, die den Kampf getarnt verlassen und sich in einer Ecke verstecken kann. Ohne Schriftrollen müssten wir diesen Kämpfern regelmäßig einen Paladin-Heiler zuweisen, um ihr Überleben zu sichern.“
„Ich verstehe das Problem nicht“, meldete sich einer der Söldner zu Wort. „Wenn etwas schiefgeht, landen wir eben beim Respawn – so schlimm ist das doch nicht. Das ist schließlich ein Boss, der selbst nicht respawnt.“
„Bist du bereit, mich für die Erfahrungspunkte zu entschädigen, die ich durch einen Respawn verliere?“ Anastaria funkelte ihn zornig an. „Solange wir unsere Leute wiederbeleben können, verliert niemand seine bereits gewonnene Erfahrung. Aber wenn die gesamte Gruppe beim Respawn landet, gehen uns 30 % unseres Fortschritts
zum nächsten Level verloren. Wenn man erst einmal mein Level erreicht hat, ist das ein verdammt hoher Preis. Das, was ich verliere, würde dich gleich zwei oder drei Level aufsteigen lassen. Hat sonst noch jemand Fragen?“
„Du hast mich einer anderen Gruppe als deiner zugewiesen“, meldete ich mich zu Wort, als alle anderen den Kopf schüttelten. „Warum?“
„Deine Aufgabe besteht darin, an deinem Platz auszuharren und uns nicht im Weg zu sein. Du verfügst nicht über Schamanenkräfte, dein Eidechsenschwanz wird uns hier wenig helfen, und dein Totem willst du gewiss nicht verlieren. In diesem Kampf bist du nichts als ein Waggon. Und ich will nicht, dass irgendjemand Mana-Punkte auf dich verschwendet. Tut mir leid, aber du bist hier absolut nutzlos. Deshalb habe ich dich einer anderen Gruppe zugewiesen, um die Heiler nicht zu verwirren. Das Einzige, was du erreichen kannst, ist, die Mobs einmal pro Stunde für eine Minute zu betäuben. Dafür lohnt es sich nicht, dich am Leben zu erhalten. Weitere Fragen?“
Nun sah sich das einer an – es war Anastaria ein weiteres Mal gelungen, allen klarzumachen, was für ein wertloser Spieler ich war, und zwar auf die rationalste, überzeugendste Weise, unter Anführen von Beispielen. Sie war dabei so geschickt vorgegangen, dass ich nichts gegen das vorzubringen hatte, was sie gesagt hatte. Mein Eidechsenschwanz war hier, anders als beim Kampf auf dem Dach, tatsächlich zu nichts nutze.
„Wenn jeder weiß, was er zu tun hat, nehmen wir jetzt unsere Positionen ein. Wir beginnen mit ‚Auf die Plätze, fertig, los‘. Sind alle bereit? Also dann... Auf die Plätzer, fertig – los!“
A C H T U N G !
„Treibt ihn zum Marker! Wir brauchen mehr Schaden! Tanks – die Schatten respawnen! Plinto, jetzt bist du an der Reihe! Vermeidet die Pfützen! Alle hinter die Säulen! Baruz, greif dir den Boss! Konzentriert euch jetzt auf die Schatten! Und wenn noch einmal jemand Mana auf Mahan verschwendet, werfe ich ihn
höchstpersönlich aus der Raid-Gruppe!“
Ich stand neben der Kugel mit dem Ei, wie von Anastaria angewiesen, und betrachtete das Blutbad, das sich um mich herum entfaltete. Von Anastaria kam ein endloser Strom an Befehlen. Sie platzierte Marker, gab Anweisungen, kroch auf ihrem Sirenenschwanz herum und verpasste allen Heilern Ohrfeigen, die es wagten, mir eine Heilung zu schicken. Die erste Fähigkeit des Bosses hatte sich als „Giftwolke“ herausgestellt. Das war eine riesige, grüne Welle, die alle Spieler tötete, die nicht hinter einer Säule oder einem Schwärzer Schutz gesucht hatten. Der Boss konnte einmal pro Minute eine solche Wolke aussenden, also mussten wir immer wieder rennen und Schutz suchen. Doch selbst wenn ein Spieler eine Wolke überlebte, verblieb der „Vergiftet“-Debuff, der ihm pro Sekunde 3 % seiner Trefferpunkte raubte, und das volle zehn Sekunden lang. Auflösen ließ sich dieser Debuff nicht. Die Heiler hatten also einmal pro Minute alle Hände voll zu tun, um die Gesundheit der Gruppe wiederherzustellen. Widerstrebend musste ich Anastaria recht geben – unter den Umständen Mana an einen fetten Drachen zu verschwenden war in der Tat sinnlos.
Es gab auch Gutes zu berichten: In meiner Drachenform konnte die Giftwelle mir nichts anhaben, ebenso wenig wie der ihr folgende Debuff. Der einzige Nachteil an der Sache waren die Schatten, die wieder und wieder respawnten. Die Tanks waren nicht in der Lage, sie alle rechtzeitig zusammenzutreiben. Also wurde ich ab und zu von tollwütigen Mobs angegriffen, was mich dazu zwang, in Richtung einer der Tanks auszuweichen. Sobald ich mich inmitten anderer Spieler befand, schickten die Schatten ihre Aggro auf sie. Gleichzeitig gewann ich dabei manchmal durch Massenheilungs-Bannsprüche ein paar Trefferpunkte zurück. Was Anastaria jedes Mal rasend machte.
A C H T U N G !
„Bruder, warum stehst du denn so untätig da?“, fragte Draco mich verwundert, als ein weiterer schwarzer Tropfen von etwas zu Boden fiel, das an Schmieröl erinnerte. Wir kamen gerade in den Genuss des zweiten Bannspruchs des Bosses, „Grausamer Tropfen“. Der Goblin entschied sich wahllos für einen bestimmten Spieler,
machte ein paar Handbewegungen, und über dem Ziel erschien eine dunkle Wolke, aus der ein Tropfen Öl herabfiel. Wurde der Spieler getroffen, war er sofort tot, und alle in seiner Nähe erreichte ein Debuff von + 100 % Schaden durch Gift. Kaum war der Tropfen verdampft, schickte der Boss seine Giftwolke hinterher, mit den entsprechenden Folgen. Beim zweiten Grausamen Tropfen hatte Anastaria entdeckt, dass der Schaden unter allen Mitgliedern der Raid-Gruppe verteilt werden musste, bei gleichzeitiger Abmilderung durch alle Verteidigungs-Bannsprüche, über die wir verfügten.
„Weil man mir befohlen hat, hier zu stehen und zu sterben“, erwiderte ich. „Allerdings setzt der Goblin Gift ein, gegen das ich immun bin. Deshalb bin ich noch immer am Leben. Und Schatten gibt es keine mehr, die ich angreifen könnte. Halt – warte! Da sind noch ein paar. Ich bin gleich zurück!“
Ich lief zur Gruppe hinüber und verschaffte dadurch einem Tank die Möglichkeit, den Schatten zu erledigen, der mich verfolgte.
„Ich will nicht wissen, warum du den Boss nicht angreifst“, stellte Draco klar. „Der ist mir egal. Aber warum unternimmst du nichts, um das Ei zu retten? Die Sirene will es zerstören!“
„Zerstören müssen wir es doch in jedem Fall“, wandte ich ein. „Die Welt kann weder einen Schattendrachen noch einen Alleinherrscher gebrauchen, tut mir leid.“
„Wie kannst du nur so ruhig bleiben, wenn es darum geht, einen Drachen zu töten, der noch nicht einmal geboren wurde?“ Draco war maßlos empört. „Was hast du ihm denn vorzuwerfen? Die Tatsache, dass er existiert?“
„Sieh mal, Draco, du musst verstehen, das ist...“
„Bruder, du bist es, der etwas verstehen muss! Es sind der Titan und die Sirene, die diesen Drachen umbringen wollen. Für dich gilt das nicht. Du bist schließlich selbst ein Drache! Inzwischen sind nur noch so wenige von uns übrig, wir müssen jedes Ei bis zum letzten Blutstropfen verteidigen! Aquarizamax hat sich geopfert, damit sein
Sohn geboren werden kann. Ich flehe dich an – denk darüber nach, wie du ihn retten könntest! Was würde geschehen, wenn tatsächlich ein Drache zum Herrscher der Welt wird? Eluna und Tartarus würden es gewiss nicht zulassen, dass er etwas Dummes oder Grausames anstellt. Ganz im Gegenteil – dadurch könnte Barliona ein Zeitalter des Fortschritts erleben, ein goldenes Zeitalter!“
„Stacey, ich habe eine Idee. Was wäre, wenn...?“
„Nein!“,
erwiderte sie entschieden, nachdem ich ihr Dracos Überlegungen mitgeteilt hatte. „Es wird in Barliona keine Drachen geben! Ich verfolge in dieser Sache meine eigenen Ziele. Das Zeitalter der Sirenen ist gekommen!“
A C H T U N G !
„Du musst etwas unternehmen, Bruder! Sie werden das Ei töten!“
„Mahan, denk nicht einmal daran! Das Ei muss zerstört werden!“
„Ich grüße dich, mein gescheiterter Schüler.“ Auf einmal gesellte sich Geranikas Stimme zu den beiden anderen in meinem Kopf. Er stand vor mir, in einigen Metern Entfernung, und beobachtete amüsiert die Spieler, die gegen den Boss kämpften. „Ich bin neugierig – was macht ihr denn alle in dieser Höhle? Ah! Ich sehe, Kreel ist ebenfalls hier!“
„Ein neues Ziel! Baruz, stürz dich auf ihn! Nagele ihn bei den Säulen fest!“
„Der NPC reagiert nicht auf mich!“, rief der Tank verblüfft aus. Das Messer, mit dem er nach dem Gebieter des Schattens geworfen hatte, zischte durch ihn hindurch, ohne einen Schaden anzurichten.
„Das ist nur eine Projektion – ignoriere sie!“ Anastaria hatte kapiert, was gerade vor sich ging. „Macht euch bereit – in drei Minuten kommt ein weiterer Bannspruch vom Boss. Und der nächste
Grausame Tropfen steht uns in drei Sekunden bevor!“
„Eine Projektion?“ Grinsend zupfte sich Geranika den Aufschlag seines Jacketts zurecht, und auf einmal wurde alles still. „Glaubst du etwa, eine Projektion würde das
zustande bringen?“
Spieler und Boss waren in verrenkten Haltungen erstarrt. Die Szene wirkte, als wollte ein durchgeknallter Bildhauer den Zuschauern durch seine Statuen die Grausamkeit des Krieges vor Augen führen. Die Lichtblitze, die Pfeile, der Grausame Tropfen, der sich gerade bildete – alles war eingefroren. Nur Geranika konnte sich weiter frei bewegen. Er schritt so selbstbewusst auf die Spieler zu, als würde alles hier ihm gehören.
„Wenn ich das richtig verstanden habe, Partner, hast du dich dazu entschlossen, meinen zukünftigen Drachen zu töten?“
„Wir sind keine Partner!“, brüllte Kreel. Eine Handbewegung von Geranika hatte ihm die Fähigkeit zu sprechen wiederverschafft.
„Ach, nein?“ Der Schamane hob die Augenbrauen. „Du warst mir eine so große Hilfe beim Erwerb des Herzens des Gebieters des Chaos, dass ich nicht einmal weiß, wem ich dankbarer sein soll – dir oder dieser unwichtigen Kreatur, die das Herz in unsere Welt gebracht hat. Ayrun, erkläre mir doch bitte einmal, was hier vor sich geht.“
Der Goblin klopfte sich die Kleidung ab, als hätte sich Staub darin verfangen, und gesellte sich selbstbewusst zu Geranika. Davon, dass er gerade 47 % seiner Trefferpunkte verloren hatte, war nichts zu spüren.
„Wie Ihr es vorausgesehen habt, Meister, haben die Freien Bürger mich in der Hoffnung angegriffen, am Ende das Ei zerstören zu können. Gleich als die Schlacht begann, habe ich euch darüber informiert und die Spieler wie befohlen abgelenkt. Ich möchte erwähnen, Meister, dass mir das sehr viel Spaß gemacht hat. Die Freien Bürger lernen schnell, improvisieren gut und handeln entschieden. Ich wollte ihnen gerade einen neuen Trick zeigen, als
Ihr erschienen seid und allem Einhalt geboten habt.“
„Du wirst noch mehr zu tun bekommen. Wie steht es um das Ei?“
„Ich glaube, wir können die Kugel jetzt zerbrechen – der Geist von Aquarizamax wurde vertrieben.“
„Bist du dir darüber bewusst, was dir bevorsteht, falls du dich irren solltest?“, fragte Geranika.
„Lediglich dieses Wissen hat mich davon abgehalten, Euch bereits vor einer Woche zu benachrichtigen, als Aquarizamax gestorben ist. Er existiert nicht mehr. Ich habe alles mehrfach überprüft, wieder und wieder, bis sich meine Annahme zur Gewissheit verdichtet hat. Ja, wir können die Kugel jetzt zerstören. Das Ei wird es überleben, und dann steht Euch ein neuer Krieger zur Seite.“
„In dem Fall werde ich das Ei mit nach Armard nehmen.“ Geranika klang hoch zufrieden. Die Schwärzer stellten den Betrieb ein, stießen keine dunklen Dämpfe mehr aus. Die Kugel um das Ei herum schimmerte jetzt nicht mehr golden wie noch vorhin. Stattdessen wurde sie dunkler und dunkler und verwandelte sich in einen gewöhnlichen, toten Nebel. „Du hast mir hervorragend gedient, Ayrun. Weil du mir diese gute Nachricht überbracht hast, möchte ich jetzt etwas für dich tun. Bitte mich um etwas – ich werde dir jeden Wunsch gewähren.“
„Die Sirene, Meister – sie hat die Leitung der Freien Bürger übernommen. Ich würde sie sehr gern in meiner neuen Probearena testen. Ihr habt mir einmal gesagt, nur ein Verrückter würde sich darauf einlassen, also brauche ich einen Freiwilligen. Und was ist die Sirene, wenn nicht ein höchst geeigneter Freiwilliger?“
„Dein Wunsch sei dir erfüllt“, erklärte Geranika, und die Raid-Gruppe verlor einen Spieler. Zu meiner Verblüffung verwandelte sich der Gebieter des Schattens nach Anastarias Verschwinden auf einmal so massiv, als wäre er schlagartig 300 Jahre gealtert. Seine Gestalt wurde dürr und kraftlos, sein Gesicht schmal und blass, und
seine Hände zitterten. Trotzdem blieb der Schamane fest auf seinen beiden Beinen stehen und grinste.
„Ich danke Euch, Meister!“, murmelte der Goblin ehrfürchtig und verneigte sich. „Habt Ihr Pläne für die anderen Spieler?“
„Für Mahan und Kreel ja – aber nicht jetzt. Es ist sehr ermüdend, Freie Bürger gegen ihren Willen zu transportieren. Du kannst erst einmal alle töten – um die beiden kümmere ich mich später.“ Plötzlich war Geranika von Schatten umgeben. „Liefert mir die Schwärzer und das Ei in die Burg“, befahl er ihnen. „Vernichtet die Freien Bürger und legt den Turm in Schutt und Asche. Ich will, dass ihr jede Erinnerung an diesen Ort und den Drachen tilgt, der einmal hier gelebt hat!“
Einer nach dem anderen wurden die Rahmen um die Spieler herum grau. Geranika hatte ein Portal geöffnet, aus dem neue Schatten drangen, die sich ein Vergnügen daraus machten, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Sie begannen mit dem Transport der Schwärzer und erledigten nacheinander die Spieler der Gruppe. Es sah alles danach aus, als wäre zufällig ich der Letzte, den sie zum Respawn schicken würden.
„Bruder, tu doch etwas!“,
flehte Draco. „Sie werden das Ei rauben!“
Ich versuchte, mich zu bewegen, doch Geranikas Bannspruch wirkte weiter. Was sollte ich machen? Dastehen und zusehen, wie in Barliona ein neues, episches Monster geboren wurde? Zeuge sein, wie unsere Raid-Gruppe zum Auslöser eines neuen globalen Ereignisses wurde, das unweigerlich eine Unzahl von Spielern mit dem Bestreben nach einem einzigen Ziel vereinen würde? Wie war das doch gleich mit der sozialen Komponente? Wir sind alle eins...
Oh, nein, nicht mit mir!
Ich verfügte nicht über die Stärke, Geranikas Bann zu durchbrechen, dazu war er mir in den Leveln zu sehr voraus. Aber ich kannte in dieser Welt eine Kreatur, die mir helfen konnte, gegen Geranikas Zauber immun zu werden, wenn auch nur vorübergehend.
Die Göttin hatte mir ein Geschenk versprochen. Warum sollte ich ihr Versprechen nicht genau jetzt einlösen?
„Eluna, ich habe Euch nur selten um etwas gebeten“,
wandte ich mich mental an die Göttin. „Aber jetzt ist ein Augenblick gekommen, in dem ich Eure Hilfe brauche. Das Schicksal von Barliona hängt davon ab, ob ich Geranika genau jetzt aufhalten kann oder nicht.“
Sie reagierte sofort. „Was willst du, Schamane? Hast du etwa vor, das Ei zu retten? Ich kann dir nicht versprechen, dass der Goldene Drache Barliona Ruhe und Frieden bringen wird. Der Drache, der dich seinen Sohn nennt, hat das Erscheinen des Goldenen Drachens vorausgesagt, der alle Rassen dieser Welt versklaven und sich zu ihrem Meister aufschwingen wird. Ist dies das Schicksal, das du dir für Barliona wünschst? Für mich spielt es keine Rolle, ob ein Drache ein Goldener oder ein Schattendrache ist. Ginge es nach mir, würde ich das Ei selbst zerstören, doch mir sind die Hände gebunden. Ich frage dich ein weiteres Mal: Was willst du, Schamane?“
„Ich möchte 30 Sekunden Immunität gegen Geranikas Bannsprüche“
, sagte ich. Mir war auf einmal klargeworden, was ich tun musste. Durch Elunas Erwähnung meines Vaters waren plötzlich alle Puzzleteile an ihren Platz gefallen. Wieso hatten sich mir diese Zusammenhänge nicht schon viel früher erschlossen? „Und die vollständige Kontrolle über meinen Körper. Bitte vertraut mir, Göttin. Habe ich Euch jemals enttäuscht?“
„Es gibt immer ein erstes Mal. Also gut, Schamane – 30 Sekunden. Du hast 30 Sekunden. Anschließend kann ich dir nicht mehr helfen. Tu, was du tun musst!“
Buff erhalten: Elunas Kuss
„Wie merkwürdig!“ Geranika erstarrte, als sich um mich herum eine goldene Wolke bildete. „Hast du etwa beschlossen, zu fliehen?“
„Etwas in dieser Richtung, ja“, erwiderte ich. Ich hatte keine
Zeit für eine Unterhaltung. Rasch stürzte ich mich auf die Kugel, schlug meinen Schwanz darum und aktivierte ein Portal nach Vilterax. Als Eluna von Renox gesprochen hatte, hatte ich daran denken müssen, dass mein Vater sich in wenigen Wochen zu seiner ewigen Ruhe begeben würde. Das war etwas, das ich nicht ändern konnte, und sogar Eluna hatte mich darum gebeten, mich in diese Sache nicht einzumischen. Der Anführer aller Drachen musste sterben. Aber in meinem Schwanz hielt ich das, was einmal zum zukünftigen Oberhaupt der Drachen werden würde! In der Weissagung war mit keinem Wort erwähnt worden, dass der Goldene Drache unbedingt über Barliona herrschen musste. Es hieß nur, er würde zum Beherrscher der Welt werden, in der er lebte. Oh, ja, ich würde Vilterax nun seinen neuen Herrscher vorstellen, und die armen Eisriesen, die ewigen Feinde der Drachen, sollten vor dem Goldenen Drachen auf die Knie fallen. Aber nicht Barliona! Warum war ich nicht schon viel früher darauf gekommen?
„Tschüss denn auch – und schreibt mir mal!“, rief ich, als ich ins Portal sprang.
„Sohn?“ Verwundert schaute Renox hoch, als ich auf der mit Schnee bedeckten, steinernen Plattform erschien. „So rasch hatte ich mit deinem Erscheinen nicht gerechnet.“
„Vilterax – natürlich! Warum habe ich nicht gleich daran gedacht?“ Geranika tauchte ein paar Meter neben mir auf, sein Gesichtsausdruck gehässig.
„Was machst du hier, Feind?“, fragte Renox argwöhnisch. „Hast du etwas vergessen?“
„Vater, er will sich das Ei des Goldenen Drachens greifen!“, rief ich. Ängstlich überprüfte ich den Timer für „Elunas Kuss“. Mir blieben weitere 15 Sekunden.
„Was?“, brüllte Renox und stellte sich dem Schamanen gegenüber, der sich in diesem Augenblick in etwas Schreckliches verwandelte. Auf seinem Rücken wuchsen zerfetzte schwarze Flügel, seine Augen färbten sich rot, und ihn umgab eine tödliche Aura, die
alles Leben, sei es Pflanze oder Mineral, im Umkreis von einem Meter um ihn herum vernichtete Sie ließ den dunklen Schamanen so erscheinen, als schwebte er im Nichts. Das war also die Kampfform des Gebieters des Schattens, eines empfindungsfähigen Wesens von Barliona auf Level 500. Ein wahrhaft furchterregender Anblick!
„DU!!!“ Aus Geranikas Händen strömte ein dunkler Nebel, der sich um mich herum legte. „DU HAST ES GEWAGT, MEINE PLÄNE ZU DURCHKREUZEN! ES WIRD ZEIT, DEM EIN ENDE ZU BEREITEN. DAS EI GEHÖRT MIR!“
Debuff erhalten: „Fluch des Gebieters des Schattens“
- 90 % für alle Eigenschaften (einschließlich derer, die durch Gegenstände modifiziert werden).
Der „Fluch des Gebieters des Schattens“ wurde aufgelöst durch „Elunas Kuss“.
„GLAUBST DU ERNSTHAFT, DU KÖNNTEST MEINER STRAFE ENTGEHEN?“ Geranika machte einen Schritt in meine Richtung. Unter seinen Füßen schmolz der Stein dahin. „DU BIST NICHTS ALS EINE ARMSELIGE KLEINE SCHNECKE, DIE ICH NACH BELIEBEN ZERQUETSCHEN KANN!“
In dem Nebel, der aus seinen Händen drang, erschienen auf einmal merkwürdige Funken. Doch dann trat Renox vor.
„Deine Macht erstreckt sich nicht auf diesen Ort, Gebieter des Schattens“, sagte er mit ruhiger Stimme. Doch ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er am Ende seiner Kräfte war. Nebel und Funken zerschellten an der Schutzkugel, die er um mich herum gebildet hatte. Elunas Buff war inzwischen abgelaufen. Dennoch sah alles danach aus, als wären wir in einer Sackgasse gelandet. Geranika konnte mich nicht töten, aber Renox konnte auch nichts gegen ihn ausrichten. Seine gesamte Energie war darauf gerichtet, mich zu schützen. Dieser Zustand schien eine Ewigkeit anzuhalten, obwohl der Timer eine Dauer von lediglich 90 Sekunden meldete. Dann schlossen sich uns endlich andere Drachen an.
„DU WIRST MEINEM ZORN NICHT ENTGEHEN!“, brüllte Geranika, als 20 Drachen auf einmal ihr Feuer auf ihn spien. Weitere zehn unterstützten Renox darin, die Schutzsphäre um mich herum aufrechtzuerhalten, die mich vor Geranikas Angriff bewahrte. Ich konnte mich in diesem Augenblick nur wundern, was sich die Spieler dabei dachten, die allen Ernstes planten, Armard anzugreifen. Geranika verfügte über eine solche Macht - er konnte ganze Armeen mit einer einfachen Handbewegung vernichten. Es war schon merkwürdig, dass die Programmierer den Schamanen so stark gemacht hatten. Welchem Zweck diente ein solch mächtiger Feind?
„Deine Macht erstreckt sich nicht auf dieses Land“, wiederholte Renox. „Fliehe, solange du noch kannst, oder wir werden dich zerquetschen wie ein Insekt! In den Anfängen Barlionas haben wir Wesen wie dich scharenweise getötet. Glaubst du etwa, du hättest eine Chance gegen uns?“
„DU KANNST MICH NICHT VERNICHTEN, DRACHE!“, brüllte Geranika. Die schwarzen Flügel des Schamanen erinnerten jetzt an verkohlte Knochen, und in seinem durchsichtigen Körper zuckte hin und wieder Drachenfeuer auf. Auch mit ihm war also nicht alles in Ordnung. Dennoch ließ Geranika nicht nach und schickte weiter den Nebel mit seinen schrecklichen Funken in meine Richtung. Er war ein verdammt hartnäckiger NPC!
„Aber ich kann dein unsterbliches Leben in eine Hölle verwandeln!“, erwiderte Renox.
Unsterbliches Leben? Gab es das in Barliona tatsächlich?
„DU HAST KEINE AHNUNG, WIE EINE WAHRE HÖLLE AUSSIEHT! ICH WERDE ZURÜCKKEHREN, DRACHE, UND ES DIR ZEIGEN! DANN WIRST DU DICH FÜR ALLES VERANTWORTEN MÜSSEN!“ Nach dieser Drohung verschwand Geranika auf einmal, und mit ihm die Schutzhülle um mich herum. Alle Drachen, auch Renox, fielen erschöpft zu Boden. Und ich musste mich in die Lüfte erheben – der kochend heiße Stein unter mir war nichts, worauf ich längere Zeit stehen konnte.
„Ich werde dich nicht einmal fragen, wie es dir gelungen ist, das Ei des Goldenen Drachens an dich zu nehmen, mein Sohn.“ Endlich besaß Renox wieder genug Kraft, den Kopf zu heben. „Aber etwas bereitet mir Sorge. Was ist diese merkwürdige Kugel um das Ei herum?“
„Das, Vater, ist der Letzte Wille von Aquarizamax“, antwortete statt meiner Draco. „Geranika hat seinen Geist gebrochen, und er ist von uns gegangen, aber wir haben es gerade noch rechtzeitig geschafft, das Ei zu stehlen.“
„Aquarizamax?“ Erstaunt richtete Renox sich weiter auf. „Ihr habt den Goldenen Drachen gesehen? Wie ist es dazu gekommen, dass er seinen Letzten Willen eingesetzt hat?“
„Daran ist Geranika schuld. Er hat sein Lager und das Ei gefunden.“
Draco berichtete, was wir in der Filmsequenz gesehen hatten. Ich grübelte derweil über etwas anderes nach. Wie konnten wir es schaffen, die Kugel zu zerstören, das Ei herauszuholen und vor allem den Dolchgriff zu entfernen, der noch immer silbriges Licht ausstrahlte? Dieser Dolchgriff war doch schließlich der Hauptgrund für meine Kampagne mit dem Drachen-Dungeon!
Etwas Besseres wollte mir nicht einfallen, also packte ich den Griff mit den Pfoten und zog ihn aus der Kugel. Mit einem unangenehmen Schmatzen, als würde etwas Schweres aus einem Sumpf herausgezogen, verschwand die trübe, einstmals goldene Kugel und gab ein schneeweißes Ei frei.
„Lass sofort den Dolch fallen, mein Sohn“, sagte Renox rasch. „Er muss zerstört werden!“
„Das ist kein Dolch, nur der Griff, und ich brauche ihn, Vater. Er darf nicht zerstört werden!“
„Ich werde dich nicht dazu befragen, warum du unbedingt ein Stück von Geranika brauchst. Aber denk daran – du wirst dich am
Ende für deine Taten verantworten müssen.“ Zu meinem Erstaunen gab Renox nach, und ich durfte den Dolchgriff behalten. Allerdings ergänzte er ernst: „Du musst jedoch wissen: Solange du im Besitz dieses Gegenstands bist, wird niemand mit dir sprechen, kein einziges empfindungsfähiges Wesen, ob es dem Licht folgt oder der Dunkelheit. Stattdessen werden sie alles versuchen, um dich zu vernichten. Wer ein Objekt des Schattens bei sich trägt, wird dadurch selbst zum Schatten. Es ist meine Pflicht, dich zu warnen.“
„Mich vernichten? Alle? Auch diejenigen, die mir Treue geschworen haben?“
„Oh, ja. Nur werden diejenigen, die dir Treue geschworen haben, dazu nicht in der Lage sein. Dieser Widerspruch wird sie innerlich zerreißen. Ihr Instinkt drängt sie, den Diener des Schattens zu töten, doch ihre Pflicht verlangt von ihnen, ihr Leben für ihren Meister zu geben. Das kann am Ende sogar ihren Tod bedeuten. Du darfst auf keinen Fall in deine Burg zurückkehren – es sei denn, du möchtest sie menschenleer sehen. Ich habe die Warnung ausgesprochen – alles andere liegt bei dir.“
„Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte? Ich meine, außer dass mich ab sofort jeder umbringen will? Und da wir schon einmal bei diesem Thema sind – wie kommt es, dass du oder die anderen Drachen sich nicht auf mich stürzen?“
„Wir haben gesehen, wie du in den Besitz dieses Gegenstands gelangt bist. Wir wissen genau, wer ein wahrer Diener des Schattens ist und wer lediglich unter seinem Einfluss steht. Schließlich sind wir Drachen. Du hast bestimmt sehr viele Fragen für mich, doch momentan kann ich sie dir nicht beantworten. Ich muss den Goldenen Drachen auf das Schlüpfen vorbereiten, bevor das eintreten wird, von dem wir beide wissen, dass es unausweichlich ist. Außerdem muss ich einen Mentor für ihn bestimmen und seine Ausbildung organisieren. Bald wird in unserer Welt ein neuer Meister erscheinen.“
Der Dungeon von Aquarizamax wurde zerstört.
Für diesen Dungeon kannst du nicht länger das Achievement der Ersten Tötung erhalten.
Ähm... WAS BITTE? Eine solche Meldung hatte ich vorher noch nie zu Gesicht bekommen. Irgendetwas sagte mir, Kreel würde darüber nicht glücklich sein. Und da ich schon an Kreel dachte - ich hatte die Bezahlung vergessen, die ich ihm dafür schuldete, dass er mich in den Dungeon mitgenommen hatte!
„Ich habe nur eine Frage“, sagte ich rasch, bevor Renox verschwinden konnte. „Wer kann mir sagen, wo die verbleibenden Gegenstände aus dem Göttlichen Set des Ersten Königs der Titanen zu finden sind? Ohne den Titanen hätten wir den Dungeon niemals erreichen und das Ei nicht retten können. Ich stehe in seiner Schuld.“
„In den Tiefen der Elma-Berge lebt ein Einsiedler“, erwiderte Renox nach kurzem Zögern. „Er kennt den Standort der anderen Objekte. Ich habe dir die Koordinaten seiner Behausung geschickt. Ich weiß jedoch nicht, wie du ihn dazu bringen kannst, mit dir zu sprechen. Das wirst du selbst herausfinden müssen. Und jetzt entschuldige mich bitte – ich habe Dringendes zu erledigen.“
Quest abgeschlossen: „Ermorde den Drachen Aquarizamax“
Abgeschlossen zu: 200 %
Belohnung: + 10 Level, + 20 für alle Haupteigenschaften, + 5 % für alle Eigenschaften von Gegenständen, + 1.000 Reputation bei allen Fraktionen, denen du bisher begegnet bist.
Der Imperator von Malabar möchte mit dir sprechen.