In der Nacht wachte ich mehrmals auf und schlief in den Phasen dazwischen äußerst unruhig. Als ich am Morgen aufstand, ahnte ich schon, dass etwas im Argen lag. Mein Kreislauf blieb nämlich im Bett liegen. Und noch bevor ich dazu kam, an Frühstück zu denken, rannte ich das erste Mal ins Bad und beugte mich würgend über die Kloschüssel.
Danach drehte sich der Raum um mich, und kalter Schweiß stand auf meiner Haut. Einen Moment lang lehnte ich mich gegen die Wand im Badezimmer und wischte mir die Ponyfransen aus der Stirn. Ich musste mich bei Sören angesteckt haben.
Stöhnend schleppte ich mich zurück ins Bett und schlief für eine weitere Stunde – bis mein Magen erneut rebellierte. Danach war mir klar, dass ich heute nicht würde arbeiten können. Ich wühlte mein Handy hervor und rief unten im Restaurant an, wo Jette, die frisch aus dem Kurzurlaub zurück war, die Vorbereitungen für den Mittagstisch traf.
»Ach, Aline, das ist ja ein Mist«, antwortete sie.
»Tut mir total leid, dass ich euch heute Abend hängen lasse«, jammerte ich.
»Wenn du krank bist, bist du krank. Nützt doch nichts! Ruhe dich aus. Brauchst du was aus der Apotheke?«
»Nein, geht schon.«
Nachdem wir aufgelegt hatten, schlief ich weiter, wurde aber immer wach, wenn mein Magen entschied, ein bisschen Galle würde er gern noch loswerden. Völlig entkräftet kroch ich jedes Mal wieder ins Bett und zog mir die Decke über den Kopf.
Bis es an der Tür klopfte. Es dauerte einen Augenblick, ehe ich das Geräusch richtig einordnete. Hastig rappelte ich mich auf.
»Ja? Moment!«, krächzte ich und wartete, bis der Schwindel nachließ.
»Ich bin’s, Jette. Gerald hat dir eine Gemüsesuppe gekocht, ich stelle sie dir vor die Tür, okay?«
»Danke, das ist lieb!«
Als ich in einen Pulli und eine Jogginghose geschlüpft war und die Tür öffnete, war Jette bereits wieder verschwunden. Auf dem Boden vor der Tür stand ein Tablett mit einem Teller dampfender Suppe und einem Becher Tee. Ein wenig gerührt über diese Geste, nahm ich beides hoch und setzte mich damit an den Tisch. Unter dem Suppenlöffel klemmte ein kleiner Zettel.
Gute Besserung und schön aufessen, Gerald
Ich schmunzelte. Es war bereits Nachmittag, und mein Magen hatte sich in den letzten zwei Stunden etwas beruhigt. Womöglich waren ein paar Löffel Suppe genau das Richtige. Aber zuerst trank ich den Tee, der nach Anis und Fenchel duftete und mich an den Bauchwehtee aus meiner Kindheit erinnerte.
Da mein Magen nichts gegen den Tee einzuwenden hatte, wagte ich mich auch an die Suppe. Sie schmeckte hervorragend, und ich aß einen halben Teller leer. Anschließend fühlte ich mich ein wenig besser, aber immer noch sehr schlapp. Zurück im Bett schrieb ich eine Nachricht an Sören.
Wie geht es dir? Mich hat es heute auch erwischt.
Ich wollte das Telefon gerade beiseitelegen, als seine Antwort eintraf.
O nein, habe ich dich angesteckt? Sorry dafür. Mir geht’s schon wieder recht gut, nachdem sich mein Magen gestern einmal auf links gekrempelt hat.
Das gibt mir Hoffnung für morgen
Ich hätte noch Hühnersuppe von meiner Mutter.
Danke, nicht nötig, Gerald hat mir Gemüsesuppe gekocht.
Die ist bestimmt besser als die von meiner Mutter.
Ich lachte auf, und gleichzeitig wurde mir schwer ums Herz, denn er hatte noch eine Mutter, die ihm Suppe kochen konnte, egal wie scheußlich sie schmecken mochte. Nachdem ich ein lachendes Emoji gesendet hatte, legte ich das Handy weg, kuschelte mich unter die Decke, ließ mich von einer Folge Hart of Dixie einlullen und nickte weg.
Abermals weckte mich ein Klopfen. Dieses Mal kam ich schneller zu mir, stieß dabei jedoch um ein Haar den Laptop vom Bett.
»Komme«, krächzte ich. Meine Stimme klang immer noch etwas mitgenommen vom Übergeben. Bei dem Gedanken wurde mir gleich wieder flau im Magen. Ich öffnete die Tür und war erstaunt, Tom gegenüberzustehen. Meine Augen wanderten von seinem Gesicht über die Brust bis zu dem Tablett, das er in seinen Händen hielt.
»Gerald schickt mich.«
»Ich habe noch Suppe von heute Mittag übrig«, erwiderte ich perplex. Tom zuckte mit den Achseln und schob sich an mir vorbei. Erst da wurde mir bewusst, wie ich aussehen musste – in meiner ausgebeulten Jogginghose und dem viel zu großen Sweater, dazu völlig verschwitzt. Hastig fuhr ich mir mit den Fingern übers Haar.
»Stelle es einfach auf den Tisch. Du solltest dich nicht zu lange hier aufhalten, nachher steckst du dich auch noch an.«
»Also wenn, dann wäre das wohl gestern schon passiert. Aber bisher fühle ich mich topfit, und sollte ich doch noch krank werden, erwarte ich, dass du mir auch eine Suppe von Gerald organisierst und sie mir vorbeibringst.«
»Ich weiß ja nicht mal, wo du wohnst«, sagte ich schmunzelnd.
»Das würde ich dir dann verraten.« Tom stellte das Tablett auf den Tisch und sammelte das benutzte Geschirr vom Mittag ein, dabei nahm er den Zettel von Gerald in die Hand und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Tss, mir hat er noch nie eine Suppe gekocht, wenn ich krank war, und dabei zahle ich ihm sein Gehalt.«
»Vielleicht ist es nicht hoch genug.«
Tom lachte. »Dir scheint es ja schon wieder besser zu gehen.«
»Zum Glück, ich habe mich seit sechs Stunden nicht mehr übergeben, das ist ein echter Fortschritt. Ich denke, morgen kann ich wieder arbeiten.«
»Und wenn nicht, kriegen wir das auch hin.« Er ging zum Fenster hinüber und lehnte sich gegen die Fensterbank. »Du bist noch ganz schön blass, du solltest die Suppe essen.«
»Mache ich gleich«, erwiderte ich, während ich zum Tisch ging und mich setzte. Da stieß Tom sich schon wieder von der Fensterbank ab.
»Ich schreibe dir meine Handynummer auf, falls was ist.« Er nahm ein leeres Blatt vom Tisch, hielt es hoch und schaute mich fragend an. Ich nickte, und er notierte seine Nummer darauf.
»Gute Besserung.« Sein Blick verharrte für mehrere Sekunden auf mir, ehe er seine Hand auf den Türgriff legte.
»Danke«, erwiderte ich.
Danach verschwand er, und während ich die Suppe in mich hineinlöffelte, versuchte ich, den Aufruhr in meinem Magen zuzuordnen. Was lag an dem Infekt, und was war durch Toms Auftauchen verursacht worden?
Ich textete noch ein wenig mit Anni, vermied aber das Thema Tom. Bisher hatte ich ihr nur erzählt, dass er nun eingeweiht war. Dieses Kribbeln im Bauch musste ich erst einmal selbst verstehen. Außerdem kam Anni in gut einer Woche zurück aus den USA , dann würden wir hoffentlich die Gelegenheit finden, uns bald mal wieder persönlich zu treffen, und ich könnte ihr alles in Ruhe erzählen. Zwischen zwei Textnachrichten schlief ich schließlich wieder ein.