1986

Es war beinahe zu still. Ich hörte nicht mal Fionas Atem. Ich sah nur die Wölbung unter der Bettdecke, die leichte Krümmung der Hüfte, den hellen Haarschopf, der oben herausguckte. Wie ich sie um diese Haare beneidete. Fast das ganze Jahr über waren sie strohblond, aber im Sommer leuchteten sie in der Sonne honiggolden. Meine hingegen waren das ganze Jahr über unscheinbar mausbraun.

»Wie Pferdeäpfel«, hatte Fiona mal gesagt, und ich hatte nicht mal widersprechen können.

Selbst mit ausgestrecktem Arm kam ich nicht an die Haare meiner Schwester, sonst hätte ich darübergestrichen, bis sie sich rührte. Ich musste unbedingt eingeschlafen sein, bis Mama hereinkam, weil ich partout nicht vortäuschen konnte zu schlafen. Ich kniff die Augen immer zu fest zusammen und sah aus, als hätte ich Verstopfung. Sagte Fiona. Ich versuchte es mit Schäfchenzählen, verlor aber schnell den Faden und musste wieder ganz von vorne anfangen.

Ich war gerade bei dreiunddreißig, als ich die Treppenstufen knarzen hörte. Die Schritte kamen näher. Diesmal würde das mit dem Zählen wohl nicht funktionieren.

Als Erstes sah ich ihre Hände, die weißen Finger, die sich um die Türkante legten. Die Nägel waren in einer anderen Farbe lackiert als vorhin noch – sie musste sie frisch lackiert haben, nachdem sie uns nach oben geschickt hatte. Das grelle Rosa leuchtete fast im schwachen Schlafzimmerlicht.

»Warum schläfst du noch nicht?«, fragte sie mich mit erhobenem Zeigefinger, als sie ins Zimmer trat. Mein Blick ging zu Fionas reglosem Körper.

»Du sollst doch schlafen.« Mama kniete sich zwischen den beiden schmalen Betten auf den Boden. »Kleine Mädchen brauchen ihren Schlaf.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte – Fiona hätte es gewusst – , also lächelte ich bloß.

Mama schaute mich an, die Lippen ein schmaler Strich. Doch dann lächelte sie ebenfalls. »Komm, wir decken dich schön zu.«

Ich lag ganz still und sah den knallrosa Fingernägeln zu, wie sie an der Bettdecke zupften und sie über meiner Brust glatt strichen. »Es ist ganz wichtig, dass du jetzt schläfst, Engelchen. Du musst morgen in die Schule. Wie willst du denn lernen, wenn du in der Schulbank einschläfst? Du willst doch gute Noten haben, oder nicht? Was aus deinem Leben machen?«

»Glaub schon.«

»Du glaubst schon?« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Glauben wird dir im Leben nichts nützen, Engelchen. Eiserner Wille und harte Arbeit, das braucht es. Was willst du denn mal werden, wenn du groß bist?«

Ich zuckte die Achseln. »Hab ich mir noch nie überlegt. Ich schreibe gerne Geschichten.«

»Du schreibst gerne Geschichten?« Sie lachte. »Das ist doch keine richtige Arbeit.«

»Was wolltest du denn mal werden, als du noch klein warst?«

»Heb mal den Kopf hoch.« Sie schaute mich nicht an, aber irgendwas blitzte in ihren Augen, als sie mein Kissen aufschüttelte. »Meredith, eins kann ich dir sagen. Ich hatte den Kopf voller Träume, als ich so alt war wie du. Ich war sehr fleißig in der Schule. Aber dann habe ich euren Vater kennengelernt, und dann kam erst Fiona, und dann du. Lass dir das eine Lehre sein. Mach es nicht wie ich. Lass dir deine Träume nicht von Kindern durchkreuzen, bis du alt genug bist, dich auch um sie zu kümmern.«

»Okay. Ich … ich glaube, ich kann jetzt auch einschlafen.« Ich war neidisch auf Fiona, die gerade bestimmt alle möglichen schönen Sachen träumte.

Meine Mutter starrte mich eine Weile durchdringend an, dann stand sie auf und ging aus dem Zimmer.