Donnerstag, 7. März 2019
Ich weiß zwar nicht, ob ich es zu Celestes Party schaffen werde, aber für sie kochen kann ich. Der Gedanke, sie hier bei mir zu Hause zu haben, macht mich immer noch ein bisschen nervös, aber das liegt nicht am mangelnden Vertrauen in meine Kochkünste. (Ich bin keine Sterneköchin, aber die Messer in meiner Küche sind scharf, ich kenne mich mit Gewürzen aus und probiere immer brav vor dem Servieren.) Was mir Sorgen macht – was mir immer Sorgen macht – , ist vielmehr die Angst, die Wahrheit könne ans Licht kommen und sie könne noch vor dem ersten Bissen wieder gehen. Schrägsein findet sie gut, das wissen wir inzwischen, aber ich weiß nicht, ob »schräg« meine gegenwärtige Lebenslage gänzlich zutreffend umschreibt.
Aber als ich ihr dann die Tür aufmache, geht mir auf, dass sie längst keine Fremde mehr ist. Schließlich war sie schon mal hier, und wir hatten einen schönen Nachmittag, und anscheinend fand sie mich nett genug, um noch mal wiederzukommen. Ich freue mich, sie hierzuhaben – mein Haus wirkt immer ein bisschen sonniger, wenn sie da ist.
Ich glaube, das liegt an ihrem Mund, der immer aussieht, als wollte er gleich lächeln. Ganz anders als meiner – meine Mundwinkel zeigen von Natur aus nach unten. Ich muss mir Mühe geben, mehr zu lächeln und meine Mundwinkel gen Himmel zu ziehen.
Ich frage mich, wie sie so fröhlich sein kann, nach allem, was sie erlebt hat.
»Ich gehe jetzt zum Selbstverteidigungskurs«, erzählt sie mir. »Unsere Trainerin ist fünfzig und kommt aus Govan. Die ist hart wie Stahl. Unglaublich. Diese Woche haben wir den Handballenschlag gelernt. Direkt unters Kinn. Paff!«
»Du tust genau das Richtige«, sage ich zu ihr. Ganz im Gegensatz zu mir.
»Einfach köstlich, Mer«, schwärmt sie zwischen zwei Löffeln Chili. »Ich bin als Köchin eine Niete.« Sie trinkt einen Schluck Wein und grinst mich fröhlich an. »Wenn du zu mir kommst, kriegst du höchstens einen Schinken-Käse-Toast. Wenn du Glück hast.«
»Tja, dann ist es doch prima, dass ich so gerne koche«, antworte ich und hoffe, dabei ganz natürlich zu klingen. »Du musst halt immer herkommen.«
»Hat deine Mum dir das beigebracht?«
»Nein. Bei uns zu Hause wurde nicht gekocht. Alles, was bei uns auf den Tisch kam, kam aus der Tiefkühlabteilung im Supermarkt.«
Kaum im Teenie-Alter, verkündete Mama damals, wir seien nun alt genug, uns ab sofort selbst ums Einkaufen und Kochen zu kümmern. Und solange wir brav alles besorgten, was sie so brauchte, war sie zufrieden. Die lebenswichtigsten Dinge schrieb sie immer in Großbuchstaben auf den Einkaufszettel. WE I ßWEIN . ZIGARETTEN . HAARSPRAY . Von ihren Sachen durften wir um Himmels willen nichts vergessen, aber alles andere war ihr egal. Bis in die Küche reichte Mamas Kontrollzwang nicht. Also beluden wir den Einkaufswagen mit unseren Lieblingssachen aus der Tiefkühlung: Pizza, Pancakes, lachende Kartoffelgesichter, Pommes in Riesentüten, Viennetta. Gelegentlich warf ich eine Tüte Erbsen mit in den Wagen, nur der frischen Farbe wegen.
Manchmal saß Mama auf dem Fensterplatz in der Küche, ein Glas Wein in der einen Hand, eine Zigarette in der anderen, und sah uns dabei zu, wie wir unsere gefrorenen Köstlichkeiten zubereiteten. Am frühen Abend war sie immer am unkritischsten. Angenehm angeschickert vom dritten Glas Wein, die Zigarettenschachtel noch voll und ihre Töchter direkt unter ihrer Fuchtel. Wenn wir aufgegessen hatten, war die Weinflasche meist leer, das stille Zuschauen war unverhohlener Verachtung gewichen, und wir flehten sie in Gedanken an, endlich einzuschlafen. Ich spülte ab, Fiona leerte den Aschenbecher, dann machten wir die Lichter aus und huschten schnell ins Bett, wie zwei Mäuschen, die Angst hatten, die Katze zu wecken.
»Hattest du eine schwere Kindheit, Mer?«, fragt Celeste mich sanft.
»Wenn ich das wüsste«, sage ich ehrlich. »Aber ich habe keine Ahnung, wie andere Kinder aufgewachsen sind.«
Ganz sachte drückt sie meine Hand und lässt sie nicht mehr los. Und so sitzen wir da und reden. Ich erzähle ihr von meinem Leben mit Mama, kleine Einblicke, wie etwa, dass wir immer auf Zehenspitzen an ihrem Schlafzimmer vorbeigeschlichen sind, um sie nicht zu wecken, dass ich stundenlang in der Badewanne ausgeharrt habe, obwohl das Wasser längst kalt war, weil nur das Badezimmer eine Tür hatte, die man abschließen konnte, dass ich mit zwanzig ausgezogen bin und das Gefühl hatte, nun würde das Leben endlich anfangen. Es fühlt sich gut und richtig an, sie einzuweihen, aber nicht zu viel auf einmal. Ich will sie ja nicht gleich in die Flucht schlagen.