Sonntag, 10. März 2019
Nach dem gestrigen Fehlversuch ist mein neuer Plan ganz simpel. Raus – und wieder rein – , und das so schnell wie irgend möglich. Eine Handtasche brauche ich für den kurzen Weg bestimmt nicht.
Ich habe Diane gestern Abend eine E-Mail geschickt und ihr gesagt, dass ich es nicht geschafft habe, es aber heute noch mal versuchen will.
»Recht so«, schrieb sie zurück. »Und immer daran denken: Das ist kein Scheitern. Das ist eine Möglichkeit zum Lernen.«
Langsam mache ich die Tür auf. Draußen ist es klar, aber kalt. Der Wind beißt im Gesicht. In meiner Straße ist es für einen Sonntagnachmittag ungewöhnlich still. Mein Blick geht zu Jacobs Kirschbaum. Die kupferbraune Rinde ist noch nackt. Vor ein paar Tagen habe ich Jacob und seine Mum von meinem Platz im Erkerfenster aus gesehen. Fröhlich plaudernd spazierten sie mit Einkaufstüten in den Händen zum Haus. Er schaute sie mit seinem kleinen sommersprossigen Gesicht an und sagte etwas, worüber sie laut lachen musste. Ich sah ihnen nach, bis die Haustür hinter ihnen ins Schloss fiel.
Heute habe ich einen neuen Plan. Zählen muss ich dafür nicht. »Sobald wieder ein Auto vorbeifährt, gehe ich raus«, sage ich mir. Früher habe ich ständig solche Händel mit mir selbst gemacht.
Erst sage ich noch das Alphabet vorwärts und rückwärts auf, und dann gehe ich ins Bett.
Sobald der Vogel auf dem Zaun da drüben zwitschert, frage ich Mama, ob ich heute Abend zu Sadie darf.
Wenn die letzte Seifenblase zerplatzt ist, steige ich aus der Badewanne.
Immer noch ein bisschen Zeit schinden.
Heute dauert es nicht lange, bis ein roter Mini vorbeirauscht. Sobald er verschwunden ist, gehe ich raus, schwöre ich mir. Ich lasse ihn nicht aus den Augen, folge ihm, bis er nur noch so groß ist wie ein Spielzeugauto, und sehe dann zu, wie er um eine Straßenbiegung verschwindet.
Ich atme tief durch und mache einen Schritt.
Noch nie war ich mir meiner selbst so bewusst – mir und meines Körpers. Es ist, als spürte ich jede einzelne Faser. Mein Bauch zieht sich zusammen, mein Herz hämmert, die Haut innen an den Handflächen ist heiß und juckt. Höllenlärm explodiert in meinen Ohren – ein weißer Wagen donnert röhrend vorbei. Ich muss daran denken, was Diane gesagt hat, ihre Ermahnung, das Atmen nicht zu vergessen. »Es muss nicht immer Flucht oder Kampf sein, Meredith. Erden Sie sich in Ihrem Körper. Lassen Sie die Luft durch die Nase hereinströmen – eins, zwei, drei, vier. Und dann durch den Mund wieder raus – ein, zwei, drei, vier. Sie sind hier. Alles ist gut.«
Alles ist gut. Ich stehe auf dem Treppenabsatz vor meinem Haus, und ich glaube nicht, dass ich sterben werde.
Heb die Beine, wispert ein Stimmchen in meinem Kopf. Mach schon. Du kannst es. Nur noch einen winzigen Schritt.
Und dann tue ich es. Ich mache fünf zaghafte, zittrige Schrittchen, und ich vergesse das Atmen nicht.
Zur Feier des Tages gibt es eine dreilagige Biskuittorte mit Schlagsahne und Beerenfüllung; womöglich der beste Victoria Sponge Cake, den ich je gebacken habe. Vielleicht sollte ich Celeste anbieten, ihr eine Geburtstagstorte zu backen. Ich bin aus dem Haus gegangen – ist der Gedanke da so weit hergeholt, ich könnte auch zu ihrer Party gehen? Ich tanze durch die Küche und schlecke Buttercreme vom Löffelrücken.
Ich schreibe Diane eine E-Mail: Ich habe meine Hausaufgaben gemacht.
Sie schreibt zurück: Sie sind ’ne Wucht.