2003

Fees Junggesellinnenabschied war wie jeder Freitagabend im Bonnie Bairn auch, nur mit Plastikkrönchen, Satinschärpen und blinkenden Ansteckern. Wir acht – Fees älteste Freundin Jayne, ihre Kolleginnen Shirley und Lisa, Sadie, Mama, Tante Linda, ich und die zukünftige Braut – hatten uns an einen der kleinen Tische gequetscht und holten abwechselnd Getränke von der Theke.

»Lustig, was?«, meinte Fee und stieß mir mit dem Ellbogen in die Rippen. Sie hatte ganz glänzende Augen vor Aufregung und Weißweinschorle. Grinsend stieß ich mit ihr an. Wie gerne wollte ich genauso glücklich sein wie sie. Aber ich konnte einfach nicht vergessen, warum wir hier waren, Schnapsgläschen mit grünem Gebräu exten und jeden Mann, der sich in unsere Nähe wagte, johlend aufforderten, die Braut zu küssen. Bisher hatten wir siebzehn schmuddelige Goldmünzen – erklärtes Ziel war es, ein ganzes Pintglas vollzubekommen. »Am Ende nimmt die Braut das Geld mit nach Hause«, hatte Tante Linda uns erklärt, wobei ich vermutete, dass Shirley sich das anders vorgestellt hatte. Fee meckerte immer, dass Shirley sich gerne darum drückte, sich an den Geburtstagsgeschenken für die Kolleginnen zu beteiligen.

»Kommt, wir spielen ein Spiel«, schlug Jayne vor. Sie kramte in ihrer Handtasche und angelte schließlich einen Spiralblock und einen Kugelschreiber mit einem flauschigen rosa Pompon heraus. »Es heißt ›Mr und Mrs‹. Lucas’ Antworten habe ich schon, jetzt brauchen wir nur noch deine, Fee, und dann schauen wir mal, ob ihr übereinstimmt!«

Fee stöhnte. »Himmel, Jayne. Okay … aber erst brauche ich noch einen Schnaps. Wer ist dran mit der nächsten Runde?«

»Ich.« Sadie stand auf, strich sich hüftwackelnd den Jeansmini glatt und nahm ihre schmale Umschlag-Clutch. »Weißt du was, ich hole gleich zwei. Dann sind wir eine Weile versorgt. Mer, hilfst du mir eben?«

Brav trottete ich hinter ihr her zur Theke. Wie üblich mussten wir uns den Weg durch Feierabendbiertrinker und Hardcore-Stammgast-Säufer bahnen. Der Laden kam mir noch vernebelter vor als sonst – vielleicht qualmten die Leute heute ja noch mehr als gewöhnlich, als allerletztes trotziges Aufbegehren gegen das unmittelbar bevorstehende Rauchverbot sozusagen. Für Mama war das ein ganz heikles Thema, immer wieder erzählte sie wehmütig von den guten alten Zeiten, als man noch tun und lassen konnte, was man wollte, und rauchen konnte, wo man wollte, im Bus, in der Schule, sogar anderen Leuten mitten ins Gesicht, wenn einem gerade danach war.

Wie aufs Stichwort zündete Sadie sich eine Zigarette an. »Ich dachte, du brauchst vielleicht eine kleine Pause«, sagte sie. »Wobei deine Mutter heute Abend erstaunlich handzahm ist.«

»Sie ist immer verträglicher, wenn Tante Linda dabei ist.« Ich schaute rüber zu unserem Tisch. Mama und ihre einzige Freundin hatten die Köpfe zusammengesteckt, während die anderen sich gerade über irgendwas auf Lisas Handy schlapp lachten. Das Gesicht meiner Mutter schien nur aus scharfen Kanten und tiefen Falten zu bestehen – kein Wunder, wenn man sein halbes Leben lang rauchte und missbilligend die Stirn runzelte. Meine Schwester gleich daneben strahlte vor Freude übers ganze Gesicht. Würde man sie aus diesem runtergekommenen ollen Pub im Glasgower East End holen und auf die Seiten einer Brautzeitschrift setzen, sie sähe aus wie all die anderen strahlend schönen Bräute, die vorfreudig dem schönsten Tag ihres Lebens entgegenfieberten.

»Also, ich heirate ganz bestimmt nicht«, erklärte ich.

»Sie hörten dazu die Chef-Brautjungfer, meine Damen und Herren«, lachte Sadie. »Gut, dass du keine Rede halten musst.«

»Herrje, kannst du dir das vorstellen? Aber es würde ja doch nichts nützen. Bis es an die Reden geht, hat sie den Widerling längst geheiratet.« Ich lachte, Sadie nicht.

»Denkst du das wirklich, Mer?« Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.

»Komm schon, Sadie. Du weißt, dass ich ihn nicht ausstehen kann.«

»Weiß Fee das auch?«

»Dass er ein Widerling ist?«

Sie zog die Augenbrauen hoch.

Ich seufzte und ließ die Schultern hängen unter der Last, die mich seit Monaten bedrückte.

»Sie weiß, dass Lucas und ich nicht die besten Freunde sind. Aber ich glaube, das stört sie nicht weiter. Sie versucht, ihn so gut es geht von uns abzuschirmen. Damit ihre bekloppte Familie nicht auf ihr Eheleben abfärbt. Ich kann es ihr ehrlich gesagt nicht mal verübeln.«

»Du wirst immer der wichtigste Mensch in ihrem Leben sein, Mer«, sagte Sadie sanft.

Ich schüttelte den Kopf. »Leider nein, Sadie. Nach der Hochzeit steht der Ehepartner an erster Stelle. So ist das nun mal. Oder sollte es zumindest sein, in einer perfekten Welt. Und Fee wünscht sich eine perfekte, heile Welt. Und die wünsche ich ihr auch.«

»Vielleicht solltest du trotzdem mit ihr darüber reden.« Sadie hakte sich bei mir unter und zog mich sachte zur Theke.

»Was, heute Abend? Bei ihrem Junggesellinnenabschied? Mach dich nicht lächerlich. Der Zug ist abgefahren. Sie heiratet in einer Woche. Außerdem, alles wird gut. Er liebt sie, und nur das zählt. Sie wird mir bloß ganz schrecklich fehlen. Sie war immer … da.«

»Sie ist immer noch da.«

»Ja, aber er auch.«

Mit einem Tablett voller Gläser gingen wir zurück zu unserem Tisch, wo das Quiz schon ohne uns angefangen hatte. (»Selber schuld, was müsst ihr auch so rumtrödeln«, zischte Mama.) Viel hatten wir nicht verpasst. Bisher hatte Fee null Punkte, weil sie und Lucas sich bei keiner der folgenden Fragen einig gewesen waren: wer zuerst »Ich liebe dich« gesagt hatte, wer mehr Kinder wollte, wer in ihrer Beziehung die Hosen anhatte und wer der beste Tänzer/Sänger/Autofahrer/Koch war. Fee und ihre Freundinnen lachten sich schief, weil der Bräutigam offenkundig keinen Schimmer von seiner Braut hatte. Ich warf Sadie einen vielsagenden Blick zu und kippte meinen Schnaps.

Der Tag, an dem Fee und Lucas heirateten, sollte eigentlich nass und windig werden, aber der Wetterfrosch hatte sich wohl geirrt.

»Die Sonne scheint!« Mit einem Ruck riss Fee die fadenscheinige rosa Gardine zurück, wie ein kleines Mädchen am Weihnachtsmorgen, das schon beim Aufwachen auf Schnee hofft. Es fühlte sich seltsam an, in meinem alten Bett aufzuwachen, mit der kratzigen Decke und den verbliebenen Postern mit den aufgerollten Ecken an der Wand.

»Ich kann unmöglich allein hier schlafen«, hatte Fee mich angefleht. »Und es bringt Unglück, wenn Lucas und ich uns am Morgen vor der Trauung sehen.« Also hatten wir gemeinsam in unserem alten Zimmer übernachtet, hatten leise über das Nachttischchen hinweg, das noch die Spuren unser kindlichen Aufkleber-Macke trug, miteinander getuschelt, genau wie damals mit sechs, mit acht, mit zehn, mit sechzehn. Uns gefragt, wie die Hochzeit wohl werden wird, und es noch immer nicht ganz fassen können, dass eine von uns bald jemandes Ehefrau sein sollte.

»Vergiss mich nicht«, hatte ich in die Dunkelheit geflüstert, als ich sicher sein konnte, dass sie längst eingeschlafen war.

Ich hatte schlecht geschlafen und war immer wieder aus Albträumen hochgeschreckt.

»Komm schon, wir müssen uns fertig machen.« Fee war schon auf den Beinen und schlüpfte in den Bademantel, auf dem hinten in dicken Lettern das Wort Braut prangte. »Meredith, zieh deinen Bademantel an!«

Ich lief ihr nach, die Treppe hinunter, und die Brautjungfer lag schwer auf meinen Schultern. Aus der Küche schlug uns der Duft von gebratenem Speck entgegen. Mama hatte Fee zur Feier des Tages ein echtes englisches Frühstück versprochen. Vielleicht würde der Tag doch gar nicht so übel.

Ausnahmsweise beklagte Fee sich heute nicht über den bröseligen Speck oder die Gummi-Eier. Tatsächlich rührte sie kaum etwas an. »Ich bin viel zu nervös!«, quiekte sie und lehnte Mamas angebotenen Toast mit ausgestreckter Hand ab wie eine kapriziöse Hollywood-Diva am Filmset. Aber sie grinste, und ihre Augen strahlten. Ich wusste ganz genau, dass sie nicht sonderlich nervös war. Sie hatte nur dieses Bild einer Braut am Morgen der Hochzeit im Kopf, und sie spielte die Rolle perfekt.

Dafür, dass sie sonst eigentlich nicht besonders eitel war, brauchte sie heute verflixt lange, um genau den richtigen Nagellack passend zum Brautstrauß auszusuchen und die goldene Mitte zwischen hochgesteckten und offenen Haaren zu finden. Eine große Hilfe war ich ihr nicht, also kommandierte sie mich ab, das Kleid zu holen, weil wir sonst niemals pünktlich in die Kirche kommen würden.

»Ein Pfund Strafe ins Sparschwein, jedes Mal, wenn du das sagst«, rief ich ihr über die Schulter zu, während ich ins Schlafzimmer flitzte. Sie lachte, froh, dass ich ihr kleines Spiel mitmachte.

Wir hatten kein Brautjungfernkleid mit langen Ärmeln finden können, und für etwas Maßgeschneidertes reichte das Budget nicht, also hatten wir uns – im Flüsterton, während Mama gerade den Preis der Brautdiademe monierte – darauf geeinigt, dass ich einfach einen passenden fliederfarbenen Paschmina dazu tragen würde.

»Du kannst tragen, was du willst«, raunte Fee mir zu und drückte ganz leicht meinen Ellbogen.

»Was ist das denn?«, wollte Mama wissen, als es ans Bezahlen ging.

»Ein Paschmina«, antwortete Fee spitz.

»Eine Stola? Für eine Hochzeit im Juni?« Mama starrte mich an.

»Na ja, wir sind hier schließlich in Schottland. Bestimmt wird es kalt wie eine Hundeschnauze.« Fee zwinkerte mir zu und legte eine Hand auf den Paschmina. Sie wusste, dass Mama im Brautmodenladen keine Szene machen würde.

Der Paschmina schmiegte sich wolkenweich an meine Haut. Das waren womöglich die besten zwanzig Pfund, die Mama je für mich ausgegeben hatte, und sie ahnte nicht einmal, warum. Ich war zwar noch immer nicht ganz überzeugt, dass Flieder meine Farbe war, aber es war der am wenigsten unschöne von all den vielen schlimmen Pastelltönen. Und wie Fee so treffend sagte, Schwarz konnte ich als Brautjungfer unmöglich tragen. So waren nun mal die Regeln.

»Mer! Ich brauche dich hier!«

Sie sah bezaubernd aus. »Du strahlst ja richtig«, sagte ich. »Man sagt das immer so über Bräute, aber bei dir stimmt es.«

»Ehrlich?« Grinsend guckte sie mich an. »Scheiße. Mer. Ich bin eine Braut.« Sie fasste mich an den Händen. »Ich bin eine Braut, verdammt noch mal!«

Ich grinste zurück. »Ich weiß. Wie zum Teufel ist das bloß passiert?«

»Du musst den Reißverschluss zuziehen. Wie spät ist es? Meinst du, ich sollte ein bisschen zu spät kommen? Nur ein paar Minütchen? Das ist doch so üblich, oder, als Braut?«

Ich drehte sie zum Spiegel um. »Fünf Minuten könnten nicht schaden. Er soll ruhig ein bisschen zappeln, was?« Vorsichtig zog ich am Reißverschluss und passte auf, sie nicht einzuklemmen. »Bitte sehr. Perfekt.«

»Danke, Mer.«

Wir schauten einander – und uns selbst – im Spiegel an.

»Hasst du ihn?«, fragte sie und schaute meinem Spiegelbild tief in die Augen.

»Nein«, gab ich zurück.

»Gut. Er liebt mich nämlich, Mer. Er liebt mich wirklich, weißt du?«

»Ich weiß«, sagte ich sanft. Ich drückte ihr einen Kuss auf den Hinterkopf. »Komm schon. Wir müssen zu einer Hochzeit.«

Sie wirbelte herum und fasste mich wieder an den Händen. »Ich werde nie wieder in diesem Zimmer schlafen. Komm, wir sollten uns anständig verabschieden.« Und damit zog sie mich zu ihrem Bett, und wir hopsten darauf herum, bis wir ganz außer Atem waren und Mama von unten hochbrüllte, wir sollten nicht so einen Krawall machen und uns verdammt noch mal beeilen.

Wir kamen fünf Minuten zu spät, aber von Lucas keine Spur.

»Ich fasse es nicht«, zischte Fee. »Heute ist mein Hochzeitstag, und ich hocke hier in einer gottverdammten Abstellkammer.«

»Das ist keine Abstellkammer«, sagte Mama. »Wir warten bloß noch auf Lucas. Er darf dich vorher nicht sehen, das weißt du doch. Das bringt Unglück. Beruhige dich, Fiona. Du wirst ganz rot im Gesicht. Wenn du dich so aufregst, zerfließt dir bloß das Make-up. Denk an die Fotos.«

Ich sah meiner Schwester zu, die aufgebracht in dem kleinen Raum auf und ab lief. »Los, nichts wie raus hier«, sagte sie.

»Echt?«, fragte ich hastig, ehe Mama etwas sagen konnte. »Du willst es doch nicht durchziehen?«

Fee guckte mich befremdet an. »Natürlich ziehe ich das durch. Sei nicht albern, Meredith. Ich meinte, raus aus diesem Kämmerchen. Hier drinnen kriege ich Platzangst.«

»Ja, schon klar«, murmelte ich. »Ich mache eben das Fenster auf.«

»Misch dich bloß nicht ein, Meredith«, herrschte Mama mich an. Sie schaute auf die Uhr. »Er ist dreizehn Minuten zu spät, Fiona. Vielleicht hat er es sich anders überlegt. Wie lange wollen wir auf ihn warten?«

»Ruf ihn an, Meredith!«, flehte Fee. »Finde raus, was zum Teufel da los ist. Bitte. «

»Ich hab seine Nummer gar nicht«, antwortete ich hilflos.

»O Gott … Das ist alles so furchtbar. Mein Leben ist im Eimer«, jammerte Fee.

Mama seufzte.

Vier Minuten später trudelte Lucas schließlich ein, ein bisschen zerknittert und mitgenommen, aber abgesehen davon willens und bereit, meine Schwester zur Frau zu nehmen. Fee richtete sich schnell das Krönchen, puderte sich Nase und Kinn und hielt Mama die Wange für ein Küsschen hin, die danach rausging und sich auf ihren Platz setzte.

Wir hakten uns unter für den Gang zum Altar. »Bestimmt ist er bloß verkatert«, raunte sie mir zu. »Er war gestern Abend mit den Jungs saufen.«

»Wie clever, am Abend vor der Hochzeit.« Die Bemerkung konnte ich mir einfach nicht verkneifen.

Sie seufzte. »Wem sagst du das.«

Die Flügeltür zum Hauptraum der Kirche war das letzte Hindernis. Ich blieb stehen.

»Was?«, fragte sie ungeduldig.

»Ich will, dass du dir ganz sicher bist.«

»Bin ich. Los jetzt.«

»Das ist ein großes Ding, so eine Hochzeit. Und du bist noch so jung.«

»Meredith, Schluss damit. Ich heirate. Wäre mein blöder Verlobter pünktlich gewesen, wäre alles längst vorbei.«

»Okay, okay. Nur eins noch. Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass unser Dad nicht da ist, um dich zum Altar zu führen.«

»Und wenn er da wäre, ich würde mich immer noch lieber von dir zum Altar führen lassen.«

Ich streichelte ihr die Wange. »Du bist so hübsch. Ich weiß nicht, ob er dich überhaupt verdient hat.«

»Niemand hat mich verdient«, meinte sie augenzwinkernd. »Und jetzt komm schon.«