Eigentlich hatte ich Sadie mit Pizza erwartet, aber die Geräusche an der Haustür klangen so gar nicht danach. Misstrauisch machte ich auf. Und tatsächlich, da stand Sadie, ein breites Grinsen im Gesicht, in den Händen einen großen Karton, der allerdings so gar nicht nach Pizza aussah. Und Pizza schnurrt auch nicht.
Ich trat einen Schritt beiseite und ließ sie herein, und sie ließ sich nicht lange bitten, stellte den Karton im Flur auf den Boden und hob mit dramatischer Geste den Deckel. Heraus schaute ein pelziges Tierchen, das mich mit großen goldenen Augen ansah. Ich glotzte blöde zurück.
»Sadie …«
»Warte – hör mir erst mal zu. Er ist gerade erst ein paar Monate alt, aber schon kastriert, und er ist einfach ein Traum von einem Kater. Im Tierheim meinten sie, so eine Katze kann man lange suchen. Schau ihn dir an – ein roter Kater wie aus dem Bilderbuch!«
»Das sehe ich. Aber ich will keinen Kater. Weder rot noch sonst wie.«
»Den hier wirst du wollen, Schätzchen. Guck mal.« Sie hob ihn mit beiden Händen aus dem Karton und hielt ihn mir entgegen. Er guckte mich noch immer unverwandt an. Fast, als wolle er mich um Hilfe bitten.
Ich blinzelte. »Wie hast du …? Was …?«
»Ich stand im Tierheim auf der Warteliste.« Sadie setzte den Kater auf den Boden, und endlich riss er den Blick von mir los, schaute auf seine eigenen Pfoten und inspizierte kurz den ungewohnten Untergrund. Dann setzte er sich und gähnte ausgiebig.
»Du willst also eine Katze?«
»Wollte ich, ja. Ich dachte, so ein Haustier wäre doch ganz schön. Für James, weißt du? Und Katzen sind so viel pflegeleichter als Hunde. Selbstständiger, reinlicher, man muss nicht mit ihnen Gassi gehen. Aber … tja, na ja, ich bin schwanger.«
»Du bist bitte was?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich bin schwanger. Ich kann mir jetzt keine Katze anschaffen. Nicht mit einem Baby. Ich will nicht, dass die Katze in den Kinderwagen springt oder es sich in der Wiege gemütlich macht.«
»Sadie, wie lange weißt du das schon?« Nachdrücklich packte ich sie an den Schultern und zog sie zu mir. »Freust du dich?« Schon als James noch ein ganz kleiner Knirps gewesen war, hatte sie Steve-den-Möchtegern-Casanova abservieren wollen.
Sie ließ sich von mir kurz in die Arme nehmen, dann entwand sie sich mir wieder, so wie immer.
»Seit einer Woche. Ich wollte es dir persönlich sagen. Und da bin ich nun, höchstpersönlich.«
»Mit einer Katze«, bemerkte ich spitz.
»Mit einer Katze! Und ja, natürlich freue ich mich. Es gibt nichts Süßeres als ein Baby. Außer einem Kätzchen vielleicht?« Sie schaute mich an und klimperte mit den langen Wimpern.
»Versuch bloß nicht, mich einzuwickeln, Sadie Jess«, sagte ich streng, dabei konnte ich mir das Grinsen kaum verkneifen.
»Setzt du schon mal Teewasser auf? Ich hole noch eben Rotbarts Sachen aus dem Auto, und dann richten wir es ihm hier häuslich ein.«
Ich sah ihr nach, wie sie den Gartenpfad zu ihrem verbeulten blauen Skoda entlanghopste. »Ich nenne ihn ganz bestimmt nicht Rotbart!«
Der Kater streckte sich lang auf dem Boden aus und schob die Pfote gegen meinen Fuß.
»Und ich verspreche gar nichts«, flüsterte ich ihm zu.
Er schloss die Augen.
Nie im Leben hätte ich gedacht, dass eine Katze so viel Kram braucht. Ein Katzenklo. (»Er könnte natürlich auch Freigänger werden«, meinte Sadie. »Aber du willst dir ja nicht dauernd Sorgen um ihn machen, wenn er mal wieder nachts nicht nach Hause kommt.«) Dann so ein knautschiges kariertes Ding, von dem Sadie behauptete, es sei ein Katzenkörbchen. Eine Schachtel mit Medikamenten, angeblich lebensnotwendig für die kätzische Gesunderhaltung. Bürste und Kamm im Miniaturformat. Ein Dutzend glänzender Alubeutelchen mit Katzenfutter. (»Das reicht mindestens einen Monat«, meinte sie, während sie alles in meinen Vorratsschrank stopfte.) Truthahn, Forelle, Ente, Wild, Thunfisch.
»Fehlt nur noch ein Kratzbaum.«
»Ein Kratzbaum? Was zum …«
»Ich zeig’s dir. Du glaubst ja gar nicht, was es im Netz alles gibt.« Sie zog das Handy aus der hinteren Hosentasche und fing an, auf dem Display herumzutippen.
»Sadie …« Ich nahm ihre Hand. »Genug jetzt mit dem Kater. Rede mit mir. Was ist los? Was sagt Steve zu dem Baby?«
»Ich hab ihm gesagt, es ist nicht von ihm. War natürlich nur ein Witz. Wollte mal sehen, wie er reagiert.«
»Und?« Ich hatte zwar schon seit geraumer Zeit keine Beziehung mehr gehabt, war mir aber trotzdem ziemlich sicher, dass man so was nicht machen sollte.
»Er hat mich ausgelacht.« Sadie nippte an ihrem Tee und sah dem Kater zu, der tapsig das Wohnzimmer erkundete und alles interessiert beschnüffelte. »Er hat mich ausgelacht, weil er ein Arsch mit Ohren ist und meint, kein anderer Mann würde mich auch nur angucken.«
»Er ist ein Arsch mit Ohren«, stimmte ich ihr zu. »Du brauchst nicht bei ihm zu bleiben, bloß weil du schwanger bist.«
»Ich weiß. Aber eins nach dem anderen. Außerdem möchte ich keine obdachlose schwangere Alleinerziehende werden.«
»Immerhin wirst du nicht die irre alte Katzentante.«
Wir mussten beide lachen.
»Du bist das neue, frische, hinreißende Gesicht der Irre-alte-Katzentantigkeit. Heißt das, du behältst ihn?«
»Mir bleibt ja wohl nichts anderes übrig, oder?« Mit einem Nicken wies ich auf den Kater, der es sich auf dem lila Sessel im Wohnzimmer bequem gemacht hatte. Mein Lieblingsplatz. Den würde ich ab jetzt wohl teilen müssen.
»Du wirst es nicht bereuen, Mer.«
Ich sah sie an. »Und was, wenn er zum Tierarzt muss?«
»Da kommt dann Tante Sadie. Keine Sorge, Süße. Wir kriegen das schon hin.«
Und dann sah ich meiner ältesten Freundin nach, die zu ihrem Auto ging, gut gelaunt und unbeschwert, trotz allem, was sie mit sich herumschleppte. Aber das sah außer mir niemand. Sie würde zurückgehen nach Hause, zu ihrem arschigen Freund und ihrem zuckersüßen Sohn, während ich versuchte, mich mit dem roten Kater anzufreunden. Ich winkte ihr nach, als sie losfuhr, und sie warf mir eine Kusshand zu.
Ich stand noch immer in der Haustür, da schmiegte sich etwas Weiches an meine Knöchel. Der Kater drückte sich gegen meine Beine, und ich spürte ihn heftig schnurren. Nach draußen schien es ihn nicht zu ziehen. Da hatten wir schon mal was gemeinsam. Energisch schloss ich die Tür, und dann gingen wir zusammen ins Wohnzimmer, machten es uns auf dem lila Sessel gemütlich und hielten einander warm.