Mittwoch, 27. März 2019
Ich schnibbele gerade Gemüse, als ich das Scharren höre. Es ist so leise, dass das Radio es übertönt hätte, wäre es an gewesen. Aber mir ist heute Abend nicht nach Hintergrundgedudel, nicht mal nach was Klassischem, was ja eigentlich ungeheuer entspannend sein soll.
Ich höre ihn also sofort, lasse Messer und Möhre fallen und drehe mich ganz langsam um, weil ich denke, das kann doch nicht wahr sein. Aber es ist wahr. Er ist da, er ist wirklich da. Deutlich dünner, aber unverwechselbar Fred. Er steht da und guckt mich durchdringend an, ungeduldig wie eh und je, und wartet darauf, dass ich ihn endlich reinlasse.
Er vertilgt ein ganzes Schälchen gekochtes Hühnchen, schlängelt sich bestimmt ein Dutzend Mal in kleinen Achten um meine Knöchel, ringelt sich dann in einer Couchecke zusammen und schläft prompt tief und fest ein. Ich stehe noch eine ganze Weile da, starre ihn an und frage mich, wo er wohl gewesen sein mag. Ich streichele ihn und spüre die Rippen unter den Fingern, aber ansonsten scheint er unversehrt. Augen und Ohren sind noch heil, keine offenkundigen Verletzungen. Vielleicht steckt ja doch ein Straßenkater in ihm.
Ich rufe Tom an, der erste und einzige Mensch, mit dem ich gerade reden will.
»Er ist wieder da.«
»Mensch, da bin ich aber froh. Meredith, du glaubst ja gar nicht, wie erleichtert ich bin.« Aber ich glaube es ihm, ich höre es seiner Stimme an. »Wie geht es ihm? Gesund und munter?«
»Sieht ganz so aus. Er schlummert selig im Hühnchen-Fresskoma.«
Tom lacht. »Danke fürs Bescheidsagen. Ich habe die ganze Zeit an ihn denken müssen. Na ja … genauer gesagt an dich.«
»Mach dir um mich keine Sorgen. Ich habe schon Schlimmeres durchgemacht.«
»Das weiß ich. Klar hast du das. Aber trotzdem … Es ist doch Fred.«
»Ja, es ist Fred. Und er ist wieder da. Sonnenbäder auf den Betonplatten sind vorerst gestrichen.«
»Genau.«
»Ich wollte es dir nur eben sagen. Danke fürs Suchen. Und für die Plakate und … alles. Danke, dass du da warst.«
»Ich bin immer da.«
»Ich weiß.«
»Meredith …«
»Ja?«
»Hat der sozialpsychiatrische Dienst sich bei dir gemeldet?«
»Du hast echt da angerufen?«
»Na ja … ja. Ich hab dir doch gesagt, dass ich das machen muss.«
»Bye, Tom.«
»Warte … Sehen wir uns morgen?«
»Diese Woche lieber nicht.«