Montag, 1. April 2019
Grau und glänzend, mit meinem vollen Namen in kursiver Schrift vorne drauf, fällt er durch den Briefschlitz. Mir stockt der Atem. Ich weiß ganz genau, was in diesem Umschlag steckt.
Jetzt, wo er endlich da ist, frage ich mich, ob ich das wirklich will.
Ich lese Celeste wird 30! in fetten, glitzernden Lettern oben auf der Karte. Ich fahre mit dem Finger darüber, der Glitter fühlt sich rau und kratzig an. Zeit und Ort stehen da und darunter Bitte keine Geschenke! Aber wenn ihr in meinem Namen an Rape Crisis Scotland spenden möchtet, würde ich mich freuen.
Alles Liebe, Celeste steht handschriftlich unten rechts in der Ecke.
Ich halte die Karte in der Hand und betrachte sie eine ganze Weile, dann pinne ich sie mit dem Shamrock-Magneten, den Sadie und die Kids mir aus Dublin mitgebracht haben, an den Kühlschrank, gleich neben Toms Freunde-Broschüre. Einem Impuls folgend ziehe ich die Karte wieder unter dem Shamrock-Magneten hervor und schiebe sie über die Broschüre. Die Gesichter habe ich mir lange genug angesehen.
Wie um Himmels willen soll ich Celeste erklären, dass ich nicht kommen kann? Es gibt keine plausible Erklärung, keine Entschuldigung. Ich muss ihr die Wahrheit sagen. Achtlos esse ich eine Rosine aus dem Glas auf dem Küchentisch, dann wähle ich ihre Nummer, ehe ich es mir wieder anders überlegen kann.
»Meredith, das ist aber eine schöne Überraschung!« Ihre Stimme klingt wie ein Sonnenstrahl. Und ich bin die Schlechtwetterwolke, die ihr gleich den heiteren Vormittag verhageln wird.
»Hi! Danke für die Einladung.« Ich versuche, fröhlich und unbeschwert zu klingen.
»Ach, du hast sie schon bekommen? Prima! Weißt du was, inzwischen freue ich mich richtig drauf. Und ich bin so froh, dass du auch kommst und mitfeierst, Meredith.«
Ich schließe die Augen und drücke mir den Hörer ans Ohr. Celeste, ich kann nicht zu deiner Party kommen. Es tut mir so leid. Das ist zwar die Wahrheit, klingt in meinem Kopf aber wie eine Lüge und will mir partout nicht über die Lippen.
»Ich freue mich auch«, sage ich stattdessen.
»Soll ich dir was sagen?«
»Was denn?« Ich setze mich ins Erkerfenster und betrachte Jacobs Kirschbaum, der noch immer in voller Blüte steht. Nur zu gern überlasse ich Celeste das Wort. Ohne es zu wissen, hat sie mich für den Moment vom Haken gelassen.
»Seit dem Überfall bin ich nachts nicht mehr aus dem Haus gegangen. Ich habe … wohl ein bisschen Bammel. Ich meine, ich würde nie alleine rausgehen oder so. Nicht jetzt. Aber es macht mir trotzdem Angst … verstehst du?«
»Verstehe ich«, versichere ich ihr.
»Die Mädels aus dem Salon gehen jeden Samstagabend nach getaner Arbeit gemeinsam auf die Piste. Erst was essen und dann ein paar Drinks. Seitdem bin ich nicht mehr mitgegangen. Allein beim Gedanken daran wird mir ganz komisch.«
»Celeste, ich verstehe das nur zu gut.« Besser, als du dir vorstellen kannst.
»Das dachte ich mir, Mer.«
»Sei nicht zu streng mit dir. Lass dir Zeit. Das wird schon wieder, versprochen.«
»Wenn das so weitergeht, wird meine Geburtstagsparty das erste Mal seit einem halben Jahr, dass ich wieder ausgehe.«
»Na und? Ist doch prima! Da hast du nur liebe Leute um dich, die dich alle von Herzen gernhaben und denen du bedingungslos vertrauen kannst.«
»Stimmt, Mer. Du bist ein Goldschatz, weißt du das?«
Ich bin genau das Gegenteil von einem Goldschatz, war ich versucht zu sagen. Ich könnte Tom verlieren, weil er die Wahrheit kennt, und dich verliere ich vielleicht auch noch, weil ich dir nicht die Wahrheit sagen kann. Stattdessen schwindele ich irgendwas von Scones im Ofen, und dann sitze ich die nächsten zehn Minuten da und streichele die Glitzerbuchstaben.