Tag 1.392

Samstag, 11. Mai 2019

»Mer, ich glaube, es wird Zeit für was Neues.« Celeste und ich sitzen gerade an der Skyline von Manhattan in eintausendfünfhundert Teilen. Im Puzzeln ist sie eine Niete – viel zu ungeduldig – , aber ich freue mich, dass sie sich für mein Hobby interessiert. Eigentlich wollte ich sie unauffällig zu etwas Einfacherem dirigieren, aber sie war partout nicht davon abzubringen, sich am Big Apple zu versuchen.

»Soll ich uns ein anderes holen? Oder willst du lieber ein bisschen quatschen?«

Sie lacht. »Ich meine die Männer betreffend.«

»Ehrlich? Du willst dich wieder verabreden?«

»Ich glaube schon.« Ihre Wangen sind gerötet, und sie sieht aus wie ein aufgeregtes kleines Mädchen.

»Dann brauchst du zuerst eine Dating-App.« Ich entdecke ein Randstück und lege es auf die Matte, ungefähr da, wo es hingehören müsste.

»Gute Idee! Meinst du, drei Monate reichen, um jemanden kennenzulernen? Pünktlich zu meiner Party?«

Ich muss lachen, wende den Blick aber nicht vom Puzzle. Ich habe das Gefühl, der Traum von ihrer Party rückt für mich in immer unerreichbarere Ferne.

»Wir könnten es doch zusammen probieren.«

»Ha! Wer will denn schon mit mir ausgehen?«

»Meredith Maggs, was redest du denn da?« Sie beugt sich über die Puzzleteile und versperrt mir mit den Armen die Sicht. »Du bist ein Hauptgewinn.«

»Das ist echt lieb von dir, Celeste, aber das glaube ich kaum.«

»Dafür, dass du eigentlich eine furchtbar kluge Frau bist, hast du manchmal echt überhaupt keinen Schimmer, Meredith.«

»Da sagst du was, Celeste.«

»Und … was machen wir jetzt? Uns kopfüber ins kalte Wasser stürzen?«

»Ich glaube, so weit bin ich noch nicht.«

»Wie lange ist deine letzte Beziehung her?«

»Ach … schon ein Weilchen. Ich bin halt alt und schrullig«, erkläre ich lachend.

Sie sagt keinen Ton, schaut mich nur an. »Stimmt doch gar nicht.«

»Ich bin ein alter Miesmuffel. Eine Stubenhockerin. Ich gehe nie aus dem Haus«, sage ich zu ihr. So nahe bin ich der Wahrheit noch nie gekommen.

»Tja, dann solltest du das vielleicht ändern.«

»Sollte ich vielleicht«, muss ich ihr beipflichten.

»Wie hieß er? Dein letzter Freund?«

»Gavin.« Abrupt stehe ich auf. »Ich hole uns mal was zu trinken.«

Als ich kurz darauf zurückkomme, scrollt sie auf ihrem Handy herum. »Ich habe die perfekte App für uns beide gefunden«, verkündet sie stolz. »Absolut bedienerfreundlich und im ersten Monat kostenlos! Komm schon, Mer – das wird bestimmt lustig. Wir könnten uns gegenseitig die schlimmsten Anmachsprüche vorlesen.«

»Lieber helfe ich dir suchen«, sage ich. »Hast du deinen Traumprinzen schon gesichtet?«

»Ach bitte, den gibt’s doch gar nicht. Ich will bloß einen halbwegs anständigen Kerl.«

Die nächsten zwei Stunden erstellen wir Wunschlisten, echte wie imaginäre: nett, groß, eigenständig, muss Katzen mögen (ich); Sinn für Humor, treu, gelassen, muss Kinder wollen (Celeste). Wir schauen uns verschiedene Dating-Apps an, aus denen wir schließlich zwei aussuchen, dann laden wir Celestes Profilfoto hoch, eine Nahaufnahme von ihr, wie sie in die Kamera lacht und aussieht wie das bezaubernde Mädchen von nebenan. Ich brauche zwar kein Profilfoto, sie besteht aber trotzdem darauf, eins von mir zu knipsen.

Sie bequatscht mich, ein hübscheres Oberteil anzuziehen, und lässt mich dann vor der Wand im Wohnzimmer posieren. Zuerst kommt mir das Ganze ziemlich lächerlich vor, aber dann erzählt sie mir einen Witz und bauscht die Pointe so maßlos auf, dass ich laut lachen muss, und sie schafft es doch tatsächlich, ein Foto von mir zu schießen, auf dem ich aussehe wie eine ganz normale, fröhliche vierzigjährige Frau, die ihr Leben vielleicht nicht immer liebt, sich aber zumindest die allergrößte Mühe gibt.