Hübsch war er, sogar im Schlaf. Sogar, wenn ihm der Mund offen stand und der Sabber übers Kinn lief. Hübsch war er und ganz schrecklich süß und entzückend und nett und geduldig, und es gab eigentlich gar nichts an ihm auszusetzen.
Aber ich musste mich von ihm trennen. Ich machte mitten in der Nacht mit ihm Schluss, noch ehe er richtig wach und wieder so süß und hübsch war und mir ein leckeres Frühstück zauberte und ich es mir doch noch mal anders überlegte.
»Gavin.« Ich knipste die Nachtischlampe an und rüttelte ihn unsanft an der Schulter.
Brummend drehte er sich um. »’Tschuldigung.«
»Was?«
»Entschuldigung. Habe ich geschnarcht?«
»Nein, du hast nicht geschnarcht. Ich muss mit dir reden.«
Er drehte sich wieder zu mir um und blinzelte mich verschlafen an. »Was ist denn los? Wie spät ist es? Ist alles okay?«
»Ja. Na ja … fast. Eigentlich nicht.«
»Was ist passiert, Meredith?« Er setzte sich auf und stopfte sich das Kissen hinter den Kopf.
»Ich muss dir was sagen.«
Er gähnte. »Entschuldige. Ich bin hundemüde. Ich höre.«
Mir war schlecht. Er sah mich an und wartete geduldig, was ich zu sagen hatte.
Ich zog die Knie an die Brust und schlang die Arme darum. Ich wollte nicht, dass er mich berührte, aber ich musste irgendwas sagen.
»Meredith, was ist los?« Er war die Sanftmut in Person. Er wurde nicht mal sauer, wenn ein anderer Autofahrer ohne zu blinken auf seine Spur wechselte oder im Kino ein Handy klingelte.
»Nichts. Entschuldige. Vergiss es.«
»Nein, sag’s mir. Wirklich.«
Ich wandte den Kopf ab und starrte ins Licht, bis mir die Augen wehtaten.
»Meredith, ich weiß, wie schwer es dir fällt, Menschen an dich heranzulassen.«
»Tatsache.«
Ich drehte mich wieder zu ihm um, und wir sahen uns an, über das Bett hinweg, das mir irgendwie breiter vorkam als sonst. Er wollte mich trösten – ich wusste es. Ich rückte von ihm ab. Nur einen Zentimeter oder zwei, aber er merkte es sofort und seufzte.
»Du hast Mauern, höher als der Hadrianswall.«
»Du bist doch ein großer, starker Kerl. Bestimmt könntest du mühelos den Hadrianswall erklettern.« Was für ein lahmer Versuch, das Ganze ein bisschen aufzuheitern.
»Darum geht es doch gar nicht. Du willst überhaupt nicht, dass ich es auch nur versuche.«
Ich dachte einen Moment nach. »Da hast du wohl recht. Aber es liegt nicht an dir. Ich weiß, ein schreckliches Klischee. Es liegt nicht an dir, es liegt an mir. Aber es stimmt. Ich meine, du bist perfekt.«
»Ist es wegen deiner Mum?«
»Irgendwie schon.«
Langsam streckte er die Hand nach mir aus. Er nahm meine Hand, drückte sie sachte, dann ließ er wieder locker.
»Es tut mir leid, Gavin.«
»Es muss dir nicht leidtun. Und du brauchst dich auch nicht zu entschuldigen. Ich will dir helfen. Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Du kannst gehen.« Ich sagte es ganz behutsam, aber es war trotzdem ein Schlag in die Magengrube. Er sah mich an, als hätte ich ihm gerade gestanden, einen Welpen umgebracht zu haben.
»Ich soll gehen ?« Linkisch tastete er neben dem Bett nach seinem Handy. »Um … halb zwei Uhr nachts? Ist das dein Ernst?« Sein sanfter Blick wich heilloser Verwirrung.
»Es tut mir leid. Es ist bloß … wenn du hier bist, ist alles noch viel schwerer.«
»Ich wusste nicht, dass ich dir so eine Last bin.« Er ließ meine Hand endgültig los, und ich wusste, er würde sie nie wieder nehmen.
Ich sah ihm dabei zu, wie er sich anzog, wütend und ein bisschen unbeholfen. Das ist so ziemlich das Letzte, was du bist, dachte ich. Es ist bloß einfacher, allein zu sein. Aber das wollte ich nicht laut sagen, ich wollte nicht zugeben, dass ich anders war als andere.
»Also … nur, damit ich dich richtig verstehe.« Er hatte sich von mir abgewendet, saß auf der Bettkante und zog sich die Socken an. »Du willst, dass ich gehe, weil dein Dad euch verlassen hat und deine Mum behauptet, das sei alles deine Schuld gewesen.«
Sein Ärger traf mich mit voller Wucht. Ich hatte es nicht anders verdient. Es war nur ein Bruchteil der Wahrheit, aber mehr konnte ich ihm nicht sagen.
»So ungefähr«, sagte ich zu seinem Hinterkopf. Er hatte weiche, wellige Haare – seit Wochen jammerte er schon, er müsse dringend zum Friseur. Sie lockten sich im Nacken wie bei einem Kind.
»Soll ich noch mal wiederkommen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Gar nicht?«
»Ich glaube nicht«, flüsterte ich.
»Meredith, ich verstehe das nicht.«
»Ich auch nicht.«
»Tu das nicht.« Er stand auf und zerrte sich den Pulli über den Kopf.
»Was soll ich nicht tun?«
»So passiv tun. Dich selbst bemitleiden. Du bist es, die das hier gerade macht. Nicht ich.«
»Das weiß ich.«
Das war die Gelegenheit, ihm zu sagen, dass es mir leidtat, mir selbst einzugestehen, was für ein Scherbenhaufen ich war, ihn zu bitten, den Pulli wieder auszuziehen und sich zu mir ins Bett zu legen und mich den Rest der Nacht ganz fest im Arm zu halten. Ihm zu sagen, dass ich ihn liebte, denn das tat ich, glaube ich – nur nicht genug, um gegen alles andere anzukommen.
Aber ich tat nichts von alledem. Ich wartete nur darauf, dass er aus dem Zimmer ging, die Treppe hinunter, und die Haustür hinter sich zumachte, ein bisschen lauter als sonst.