Sonntag, 11. August 2019
Ich habe mir ein gebrauchtes Auto gekauft, eine knallgelbe Knutschkugel, die mich immer, wenn ich sie sehe, zum Lächeln bringt.
»Das ist so cool!«, hatte Jacob von der anderen Straßenseite rübergebrüllt, und wir einigten uns darauf, dass er das gute Stück einmal im Monat für einen Fünfer waschen darf. Er spart auf ein Weihnachtsgeschenk für seine Mum.
Wann immer sich die Gelegenheit ergibt, fahre ich zu meinem neuen Lieblingsfleckchen – an den Strand. Wenn man raus will in die Welt und trotzdem nicht ins Gedrängel, gibt es kaum einen besseren Ort. Ich fahre eine halbe Stunde und habe das Gefühl, die Stadt weit hinter mir zu lassen. Im Kofferraum habe ich alles, was ich brauche, ob es regnet, stürmt oder die Sonne scheint: Flipflops, Gummistiefel, ein Handtuch, eine Decke, ein Schlapphut aus Stroh, Sonnencreme. Die Selbstfürsorgeausrüstung sieht bei jedem Menschen anders aus, hat Diane mir letztes Mal erklärt. Regeln gibt es nicht.
Heute sind auch noch ein Eimer und ein Spaten für Mathilda mit dabei. Sie liebt den Strand genauso sehr wie ich. Wir ziehen die Schuhe aus und rennen Hand in Hand über den Sand und tanzen auf Zehenspitzen am Saum des eiskalten Wassers entlang. Wir füllen den Eimer mit Muscheln und Stöckchen, buddeln ein Loch und vergraben unseren Schatz, dann buddeln wir ihn wieder aus, achtmal, bis sie irgendwann genug davon hat.
Manchmal kommen Sadie und James mit, und das ist auch toll, aber es ist, als hätte ich bei Mathilda was nachzuholen. Ich habe sie erst mit fünf Tagen kennengelernt. Sie musste mit einem Not-Kaiserschnitt geholt werden, und Sadie verlor dabei so viel Blut, dass sie noch eine ganze Weile im Krankenhaus bleiben musste. Mir kommen jedes Mal die Tränen, wenn ich daran denke, was ich alles versäumt habe und wie oft ich nicht für Sadie habe da sein können.
»Sei nicht albern«, meinte sie nur, als ich sie in Tränen aufgelöst angerufen habe, weil mir mit einem Mal bewusst wurde, dass ich drei Jahre in selbst gewählter Isolation verbracht hatte.
»Du warst immer für mich da«, sagte sie. »Immer. Ich meine, ich konnte mich schließlich immer darauf verlassen, dass du zu Hause bist, oder?« Und dann hat sie gelacht, und ich habe gelacht und geweint, und dann habe ich ihr hoch und heilig versprochen, dass ich die Erste bin, die sie im Krankenhaus besucht, sollte sie je wieder ein Kind bekommen.
»Ich bin viel zu alt für Kinder«, sagte sie, aber dann hat sie schnell das Thema gewechselt, und ich wusste, irgendwie hofft sie vielleicht, dass es doch noch nicht zu spät ist. Sollte sie noch ein Kind bekommen, bin ich froh, dass es von Colin sein wird. Er ist genau der liebevolle, treue, großherzige Mensch, den man seiner besten Freundin wünscht, und er ist genau der Mann, den Sadie braucht – witzig und geduldig und toll mit den Kindern. Natürlich war es zuerst ein bisschen komisch, als wir uns kennengelernt haben. Aber er schien auch etwas nervös, und als Sadie irgendwann kurz aufs Klo gegangen ist und uns in der stillsten Ecke des Pubs, die wir hatten finden können, allein gelassen hat, da beugte er sich über den Tisch zu mir rüber und sagte, Sadie sei ja so unglaublich stolz auf mich.
Letzte Woche haben James und Mathilda bei mir übernachtet, und Colin hat Sadie in ihr Lieblingsrestaurant ausgeführt und sie gefragt, ob sie ihn heiraten will. Um Mitternacht hat sie mich angerufen und ins Telefon gequietscht: »Ob du es willst oder nicht, Meredith Maggs, du wirst meine Trauzeugin!« Sie planen eine Winterhochzeit, und ich habe Sadie noch nie so aufgekratzt erlebt.
»Du kannst auch eine Begleitung zur Hochzeit mitbringen«, meinte sie heute Morgen, als sie Mathilda abgeholt hat.
»Das sagtest du schon«, erwiderte ich.
»Ist ja auch so.«
»Mal sehen«, sagte ich. Bis Dezember scheint es noch so unendlich lange hin.
»Colin hat ein paar nette Single-Freunde …«, sagte sie und zwinkerte mir vielsagend zu.
»Stopp«, entgegnete ich.
Es ist nicht gelogen, wenn ich ihr sage, dass ein Mann wirklich das Allerletzte ist, was ich gerade brauche. Es heißt ja immer, es gebe nichts Schöneres, als das Leben mit einem anderen Menschen zu teilen, aber ich bin noch nicht bereit, meins zu teilen. Und außerdem, ich teile mein Leben sehr wohl – mit meiner Schwester und meinen Freunden und James. Und Mathilda, die mit kleinen, sandigen Fingerchen meine Hand umklammert, während wir quer über den Strand zurück zum Auto laufen.
Sie bleibt stehen und streckt die Arme nach mir aus. »Meh«, sagt sie, und ich nehme sie schwungvoll hoch und drücke sie ganz fest. Dann ziehe ich das Handy aus der Tasche und knipse ein Selfie von uns, wie wir in die Kamera grinsen.