17
Patrick hatte an der Penn State studiert und war durchgeknallte Sportfans daher gewohnt. Aber hier, in dieser Nachbarschaftsbar, kam Patrick der Verdacht, dass diese Einheimischen und ihre Hingabe an die Hershey Bears die leidenschaftlichen Fans der Penn-State-Footballmannschaft tatsächlich übertrumpften. Es war eine Nachbarschaftsbar im wahrsten Sinn des Wortes, vom nicht mehr ganz taufrischen, aber freundlichen Personal, das seinen ewig währenden Aufenthalt in diesen überschaubaren Räumlichkeiten aufrichtig zu genießen schien, bis hin zu dem Krempel, der sich in fünfzig Jahren an allen vier Wänden angesammelt hatte und mit denen jeder außerhalb eines Radius’ von dreißig Kilometern nichts würde anfangen können …
Es war kein einfaches Unterfangen, einen Platz an der Bar oder – was weitaus wichtiger war – mit freier Sicht auf den Fernsehbildschirm zu finden, aber Bob Corcoran war in Gilley’s Tavern beinahe so etwas wie eine Berühmtheit. Er wurde mit Handschlägen und Klopfern auf seinen mächtigen Rücken überschüttet. Dann teilte sich das Meer seiner Bewunderer und gab die Sicht auf zwei wundersamerweise immer noch vakante Barhocker frei.
Himmel, hier geht’s ja zu wie bei Cheers, dachte Patrick.
Schwiegervater und Schwiegersohn setzten sich. Patrick widmete seine Aufmerksamkeit weder dem Fernseher noch den Getränken, sondern gänzlich der in die schlichte Kneipe gequetschten, illustren Gästeschar– Jung und Alt, Säufer, Geschäftsmänner, Handwerker. Leute, die sich zu anderen Gelegenheiten nicht mal mit dem Arsch angeguckt, geschweige denn auf der Straße ein freundliches Lächeln zugeworfen hätten, bildeten an diesem Abend eine verschworene Gemeinschaft, zusammengeschweißt durch die heimatliche Eishockey-Mannschaft. Die Stimmung wirkte sofort ansteckend. Patrick, der in der Vergangenheit vielleicht ein oder zwei Spiele der Bears gemeinsam mit dem angetrunkenen und den Fernseher lautstark zusammenstauchenden Bob im Heim der Corcorans weitgehend teilnahmslos verfolgt hatte, mutierte augenblicklich zum Fan. Nichts sehnte er mehr herbei als einen Sieg der Bears, eine Feier mit diesen Fremden, denen er sich nun so eng verbunden fühlte. Es war eine bizarre, aber beglückende Erfahrung, die den Wunsch in ihm weckte, dass auch die erfolgsverwöhnten Philadelphia-Fans Fremden gegenüber einen ähnlichen Kameradschaftsgeist wecken würden.
»Noch wach, Kumpel?«, fragte Bob Patrick mit einem leichten Ellenbogenstupser.
Patricks kehrte ins Hier und Jetzt zurück. »Hä?«
Der Barmann, ein massiger Typ mit Halbglatze, aus dessen fleckigen aufgerollten Hemdsärmeln haarige Unterarme ragten (stimmig ergänzt von feuchten Halbmonden unter den Achseln sowie einem Putzlappen über der Schulter, und wäre das Rauchen in den Kneipen Pennsylvanias nicht untersagt gewesen, hätte Patrick darauf gewettet, dass er sein Erscheinungsbild mit einem zerkauten Zigarrenstumpen im Mundwinkel vervollständigt hätte), stemmte sich auf die Theke und fixierte Patrick.
Bob lachte. »Was willst du trinken?«
Patrick lächelte den Barkeeper an. »Verzeihung.« Der Mann reagierte mit einem weder ungehaltenen noch freundlichen, sondern schlicht betriebsamen Nicken. Patrick wandte sich rasch Bob zu. »Ich weiß nicht – was nimmst du, Bob?«
»Whiskey und Bier.« Seine kurze Erwiderung war von einer solchen Selbstverständlichkeit, als fragte man das Krümelmonster aus der Sesamstraße, was es am liebsten aß.
»Prima, ich bin dabei«, sagte Patrick.
Der Barmann machte sich daran, ihre Getränke zuzubereiten.
»Alles klar bei dir?«, wollte Bob wissen.
»Unglaublich.«
»Was?«
Patrick umschrieb mit einer allumfassenden Handgeste die brechend volle Bar. »Das hier. Man kann die Energie dieses Ortes buchstäblich fühlen.«
Bob lächelte stolz, als hätte sein eigenes Kind gerade ein überschwängliches Lob eingeheimst. Der Barkeeper trat wieder in Erscheinung und stellte zwei Bourbons ohne Eis und zwei Flaschen Bier vor ihnen hin. Beide Männer nippten am Bourbon und spülten mit einem Schluck Bier nach.
»Randalieren die Leute hier manchmal?«, fragte Patrick.
»Darauf kannst du gewaltig einen lassen. Aber es gibt keine Schlägereien. Nie.«
»Nie?«
»Keine Chance. Es wäre respektlos gegenüber Gilley’s und besonders gegenüber den Bears, wenn man sich am Abend einer Spielübertragung prügelt. Man fliegt achtkantig raus. Die Leute würden sich lieber die Beine amputieren lassen, als an einem Bears-Abend ein Lokalverbot zu riskieren.«
Patrick lächelte und nahm einen weiteren Schluck Bier. »Ich wünschte mir, die Fans aus Philly würden sich ein Beispiel an diesem Laden nehmen.«
»In Philly gibt’s keine echten Fans …« Und dann, als hätte er seinen Kommentar exakt choreografiert, brach lauter Jubel aus, als die Bears aufs Eis liefen. Bob grinste und rief laut: »Das hier sind Fans!«
Patrick grinste seinerseits breit. Dann folgte er dem Vorbild seines Schwiegervaters, kippte seinen Whiskey (die Grimasse, die normalerweise gefolgt wäre, hatte an einem Ort wie diesem nicht die geringste Chance, sich auf seinem Gesicht breitzumachen – bedaure, Gesicht), stieß erneut mit ihm an und löschte freudig das Feuer in seiner Kehle und seinem Magen mit einem kräftigen Zug eiskalten Bieres.
Bob ließ ein befriedigtes Keuchen vernehmen, wischte sich über den Bart und signalisierte dem Barmann, unverzüglich Nachschub zu bringen.
Die Hershey Bears schlugen die Norfolk Admirals mit 4 : 1, was Patrick eine Erfahrung bescherte, die er nicht so schnell vergessen würde. Er brüllte und jubelte, bis sein Hals kratzte, trank einen amtlichen Stiefel weg (obwohl er in dem Moment, in dem Bob endlich zur Toilette ging, geistesgegenwärtig den Barkeeper bat, den jedes neue Bier begleitenden Whiskey diskret wegzulassen) und schien innerhalb von drei Stunden mit restlos allen Einwohnern von Harrisburg, Pennsylvania, Freundschaft geschlossen zu haben.
Erst eine volle Stunde nach Abpfiff teilte sich die Kundschaft des Gilley’s in zwei Lager. Manche blieben und rekapitulierten die Höhepunkte des Spieles mit nachdrücklicher Mimik, während andere blieben, um den feuchtfröhlichen Pegelstand, auf den sie sich während des Spiels gebracht hatten, nicht sinken zu lassen.
Bob Corcoran gehörte zur letzteren Gruppe. Er winkte den Barmann herüber und zeigte auf sich und Patrick. Patrick stellte kurz Augenkontakt zu der Thekenkraft her, die unmerklich nickte, bevor sie wenige Augenblicke später mit zwei Bieren und nur einem Whiskey zurückkehrte. Bob neigte sich sofort über den Tresen, um Einspruch zu erheben, doch Patrick legte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter, tätschelte sie und zog ihn sanft zurück.
»Schon gut, Bob, ich bleibe bei Bier.«
»Das ist ungefähr schon das fünfte Mal, dass er’s mit deinem Whiskey verkackt.« Er lallte, seine Augen waren rot gerändert, die Lider hingen schlaff herab.
»Ist in Ordnung, Bob, wirklich. Außerdem muss irgendwer uns nach Hause fahren.«
»Ruf Amy an, die holt uns ab.«
Patrick zog eine Augenbraue hoch. »Wie gut kennst du deine Tochter eigentlich?«
Bob lachte schallend. »Du hast nichts bei ihr zu melden, stimmt’s? Sie hat dich bei den Eiern.«
»Wenn ich sie jetzt anrufe und darum bitte, unsere besoffenen Ärsche einzusammeln, wird sie jedenfalls ziemlich fest zudrücken.«
Bob schluckte seinen Whiskey, als wäre es Eistee, und starrte stur geradeaus. »Das ist meine Kleine …« Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Bierflasche und schnaufte. »Knallhart.«
»Du rennst offene Scheunentore ein, mein Bester.«
Plötzlich wurde Bob still, und seine trunkene Redseligkeit verflüchtigte sich von einer Sekunde zur anderen. »Sie ist noch immer bei mir«, sagte er.
»Wie bitte?«
Bob wandte sich Patrick zu. In seinen vom Schnaps glasigen Augen schimmerte jetzt ein Tränenschleier. »Meine Tochter ist immer noch bei mir. Sie ist bei mir, weil es dich gibt.«
Selbst wenn Patrick die Worte nicht gefehlt hätten, wusste er, dass sie seinen Mund niemals verlassen hätten. Zumindest nicht in diesem Moment. Der Vorfall am Crescent Lake war bereits erschöpfend diskutiert worden. Einige Details hatte man zurückgehalten, andere nicht. Man war sich immer und immer wieder in die Arme gefallen. Audrey Corcoran hatte geweint. Amys älterer Bruder Eric hatte geweint. Aber so ein männlicher Typ wie Bob Corcoran? Weinen? Patrick war sich nicht mal sicher, ob ein Kerl wie Bob überhaupt wusste, wie das ging. Nichtsdestotrotz saß er vor ihm und befand sich offenbar am Rande eines echten Tränenausbruches. Selbstverständlich hatte der exzessive Alkoholkonsum das Ganze beschleunigt, aber Patrick war immer fest davon ausgegangen, dass höchstens ein Zug von einer verdammten Crackpfeife seinen Schwiegervater zum Weinen bringen konnte.
»Bob, ich …«
Bob platzierte seine fleischige Pranke auf Patricks Schulter und drückte fest zu. Der Damm brach. Tränen rollten die Wangen hinab in seinen Bart. »Sie ist noch bei mir, weil es dich gibt.«
Jetzt fehlten Patrick die Worte nicht mehr. »Sie ist bei dir wegen mir und ihr. Sie hat mir genauso den Arsch gerettet wie ich ihr.«
Bob zog die Hand von Patricks Schulter und wischte sich die Augen. »Echt wahr?«
Die Lamberts hatten den Corcorans erzählt, wie Amy Maria Fannelli ein Küchenmesser an die Kehle gedrückt und deren Leben vor den Augen Arty Fannellis gegen das ihrer eigenen Familie gesetzt hatte. Unglücklicherweise war die Drohung nach hinten losgegangen und hatte Schüsse zur Folge gehabt – Arty hatte sowohl auf Amy als auch auf seine eigene Adoptivmutter gefeuert. Dank Patrick, der wenige Augenblicke später aufgetaucht war, hatte Amy die Schussverletzung überlebt; ihr Mann hatte Arty und Jim in einer derart brutalen Raserei außer Gefecht gesetzt (Jim war an Ort und Stelle gestorben, Arty hatte mit viel Glück überlebt), dass es Patrick häufig beim Gedanken daran schauderte und er sich gelegentlich ernsthaft fragte, ob er diese Dinge wirklich und wahrhaftig anderen menschlichen Wesen angetan hatte.
Doch jetzt ließ er seinen Geist an einen finsteren Ort abschweifen, den er um jeden Preis zu meiden versuchte. Er stand, im Gilley’s, kurz davor, seinem Schwiegervater etwas zu enthüllen, was er noch niemandem erzählt hatte. Amy würde schwer angepisst sein, aber das war nicht zu ändern. Es war unvermeidlich. Ja, er war angeheitert, aber nicht besoffen wie Bob. Und Patrick glaubte fest – jedenfalls glaubte sein berauschter Schädel es –, dass Bob erfahren musste, was seine Tochter getan hatte: dass ohne Amy wahrscheinlich die ganze Familie tot wäre. Am Ende mochte es Patrick gewesen sein, der die wirklich grässliche Arbeit erledigt hatte, aber Amy hatte ohne den allergeringsten Zweifel einen nicht unerheblichen Teil davon übernommen und etwas getan, das viele für sogar noch grässlicher halten würden – die meisten Männer jedenfalls.
»Wenn Amy nicht gewesen wäre, hätte ich diese beiden Kerle niemals außer Gefecht setzen können«, sagte Patrick.
Bob nahm die Hand von den Augen, kippte sein Bier runter und unterdrückte ein Rülpsen. »Du meinst, als sie das Messer gezogen und gedroht hat, die Mutter umzubringen?«, sagte er.
»Nein – ich meine das davor.«
Bob runzelte fragend die Stirn.
Patrick nahm einen kräftigen Schluck Bier und wog erneut seine Entscheidung ab, Bob einzuweihen.
Scheiß drauf.
»Sie hat einem der Brüder eine große, metallene Nagelfeile in die Eier gerammt. Dadurch konnte sie sich aus seiner Gewalt befreien.«
Bob entglitten die Gesichtszüge.
Patrick lehnte sich auf seinem Hocker zurück und wappnete sich für die wie auch immer ausfallende Reaktion … und sie ließ verdammt lange auf sich warten, zur Hölle noch mal.
Und dann, endlich, Gott sei Dank, ein ungläubiges Lächeln. »Sie hat was getan?«, polterte er los.
Patrick war extrem erleichtert darüber, dass die Information bei Bob anscheinend Entzücken statt Entsetzen auslöste. Dennoch hielt er es für nötig, sich zu ihm vorzubeugen, um ihm höflich, aber entschieden zu bedeuten, leiser zu reden. Bob Corcoran verkörperte in jeder Hinsicht das fleischgewordene Gegenteil von Subtilität und Feinsinn, und dies war wahrlich keine Unterhaltung, die für ein größeres Publikum taugte. Patrick legte flüchtig einen Finger auf die Lippen und vollführte dazu eine Beschwichtigungsgeste. »Nicht so laut, Bob. Das wissen noch nicht mal die Medien.«
»Warum hat sie mir nichts davon erzählt?«
»Vermutlich gehört das zu den Dingen, mit denen man den eigenen Vater verschont, wenn es sich vermeiden lässt.«
»Ich will alles wissen.« Bob strahlte, und Patrick spürte, wie angesichts des plötzlichen Interesses seines Schwiegervaters, der nach einem umfassenden Bericht der grausigen Vorkommnisse regelrecht zu gieren schien, leichtes Unbehagen in ihm aufstieg. Aber schließlich war seine Neugier berechtigt, und seine Reaktion auf die vorangegangene Auskunft hätte weitaus schlimmer ausfallen können.
Also berichtete Patrick so viel wie möglich mit so wenigen Einzelheiten wie möglich. Schließlich war Patrick sich sicher, dass Bob, trotz des geäußerten Verlangens, »alles« wissen zu wollen, und trotz des unverhohlenen Stolzes auf die Arschtritt-Begabung seiner Tochter, nicht in sämtlichen Details davon in Kenntnis gesetzt werden wollte, wie Amy gezwungen wurde, Jim Fannelli einen zu blasen. Wie sie insgeheim beabsichtigt hatte, ihm den Schwanz abzubeißen, und dieser Plan schrecklich nach hinten losgegangen war. Wie Amy dann mit Gewalt entkleidet und über eine Kommode gedrückt wurde, wo ihr die rettende Nagelfeile entgegengeklappert war und sich geradezu auf magische Weise angeboten hatte, in besagtem Hodensack versenkt zu werden. Was Patrick Bob hingegen mit großem Vergnügen erzählte, war die Tatsache, dass Amy Jim, nachdem dieser mit den Händen vor seinen gepeinigten Eiern zusammengeklappt war, eine schwere Lampe auf den Schädel gedonnert und ihm so »das Licht ausgeblasen« hatte.
Bob warf den Kopf zurück und bellte ein Lachen hervor, das die übrigen Gäste heftig zusammenzucken ließ. Er gab Patrick einen mächtigen Klaps auf die Schulter. »Und dann?«
Patrick zuckte die Achseln. »Den Rest kennst du doch. Sie ging die Treppe runter ins Erdgeschoss, hielt der Mutter das Messer an die Kehle …«
»Und fing sich eine Kugel ein«, vollendete Bob ausdruckslos. Sein Grinsen war verschwunden.
Patrick nickte bedächtig und war verwirrt. Er konnte die abrupte Stimmungsschwankung seines Schwiegervaters nicht recht deuten. Höre ich da etwa eine Anklage raus, dachte Patrick. Nach den überschwänglichen Dankbarkeitsbekundungen von vorhin?
»Das stimmt«, sagte Patrick.
»Und dann hast du die Bühne betreten.«
Patrick nippte an seinem Bier und nickte.
»Du warst oben im ersten Stock?«
»Genau. Ich war an einen Stuhl gefesselt. Carrie hat mich losgeschnitten. Wir alle waren in jener Nacht Helden, Bob. Ich, Amy und die Kinder.«
»Du wurdest also befreit, bist dann runtergekommen und …?«
Bob kannte diesen Teil der Geschichte bereits in so gut wie allen Einzelheiten, doch ähnlich wie bei der Erinnerung an ein unvergessliches Rendezvous würde eine zweite – und aller Voraussicht nach dritte, vierte und immer so weiter – Schilderung diese zweifellos grässlichen Ereignisse zu einer kinotauglichen Heldentat verklären. Patrick gefiel das ganz und gar nicht. Alles spielte sich in seinem Kopf aufs Neue in einer grausamen Klarheit und Schärfe ab, gegen die weder die seither vergangene Zeit noch der Alkohol etwas ausrichten konnten – bis hin zu den allerletzten Blutspritzern und Fleischfetzen auf seinem Gesicht, als er einen Mann getötet und einen anderen schwer verwundet hatte. Seine Hoffnung, jenen dunklen Ort meiden zu können, verblasste. Er musste dieses Gespräch dringend zu einem Ende führen. Er hatte von Amys heldenhaftem Einsatz erzählt, das musste reichen.
Bob stieß ihn leicht gegen den Oberarm. »Und …?«
Patrick nahm einen tiefen Atemzug, ließ die Luft langsam wieder entweichen und sagte so leise, dass es einem Flüstern nahekam: »Und dann habe ich mich um den Kerl gekümmert.«
»Um die beiden Kerle«, korrigierte Bob. Erneut schien er stolz zu sein. Stolz auf seinen Schwiegersohn.
»Nun ja, nicht gleichzeitig. Eher einen nach dem anderen.«
»Wie hast du es angestellt?«, fragte Bob.
»Was?«
»Wie hast du sie erledigt?« Er schlug mit den Fäusten spielerisch ein paar Haken in die Luft, wobei er beinahe von seinem Barhocker purzelte.
Patrick streckte einen Arm aus, um ihn aufzufangen. »Das weißt du doch schon, Bob. Das ganze Land scheint es zu wissen, zur Hölle noch mal.«
Bob lächelte. »Ja, aber von Amy und der Nagelfeile in den Eiern wusste niemand was …«
Patrick seufzte zum wiederholten Male. »Ich hab den einen erstochen und den anderen niedergeschossen«, sagte er knapp.
Bob neigte den Kopf. Die enttäuschte Miene auf seinem freundlichen Gesicht ließ keinen Zweifel daran, dass er nach mehr verlangte. »Komm schon …«, gurrte er.
Erzähl ihm was, Patrick. Himmel, liefere ihm irgendwas, sodass wir diesen Kram endgültig eintüten können.
Patrick beugte sich vor und flüsterte: »Einem hab ich die Nase abgebissen.«
Bobs versoffene Schlitzaugen weiteten sich. »Du hast was?«
Patrick warf einen schnellen Blick in die Runde, um sicherzustellen, dass niemand sie beobachtete, bevor er sein Hemd hochzog und die quer über seinen Unterleib verlaufende dicke rotblaue Narbe präsentierte. Bobs Augen fokussierten sie, als handelte es sich um ein Paar malerischer Möpse. »Man hatte gerade auf mich eingestochen; ich war mit Adrenalin vollgepumpt … also habe ich mir den Typen einfach gegriffen, seine Nase abgebissen, ihn zu Boden geworfen und erschossen.«
»Lieber Gott …«
Lass es jetzt gut sein, Bob. Bitte.
»Ich denke, du könntest einen Drink vertragen«, sagte Bob.
Patrick hob sein Bier in die Höhe. »Bin versorgt.«
»Einen echten Drink. Einen Drink, mit dem ich dir angemessen Respekt dafür zollen kann, dass du das Leben meiner Tochter gerettet hast.«
Bobs laute Stimme sorgte dafür, dass Patrick ein Schauer über den Rücken fuhr. Er scannte rasch den Raum, um zu sehen, ob ihn jemand gehört hatte. Abgesehen von ein paar Einheimischen, die an der Bar herumhingen, sowie einem groß gewachsenen Mann, der alleine vor seinem Bier an einem Ecktisch saß, war der Laden ziemlich leer. Niemand schien mitgehört zu haben.
Patrick brachte seinen Mund an Bobs Ohr. »Na schön – ein letzter Drink. Dann bringe ich uns nach Hause«, sagte er leise.
Bob schlug mit der flachen Hand auf den Tresen und orderte lautstark zwei Gläser Whiskey. Der Barmann streifte Patrick mit einem flüchtigen Blick, auf den Patrick ein kaum merkliches Nicken erwiderte. Der Barkeeper zuckte mit den Schultern und schenkte ihre Schnäpse ein.
Bob zückte ein Bündel Scheine.
»Das übernehme ich, Bob«, sagte Patrick, hob eine Gesäßhälfte vom Hocker und griff nach seiner Geldbörse.
Mit der Grazie eines Gorillas schlug Bob seine Hand weg. »Nichts da. Du bist in meiner Stadt. Dein Geld ist hier nichts wert.«
Patrick legte keinerlei Einspruch ein.
Lass ihn zahlen. Wir kippen das Zeug zügig und verduften. Apropos …
»Kann ich bitte die Wagenschlüssel haben, Bob?«
Bob sah ehrlich erstaunt drein. »Weshalb?«
Es war unmöglich, einem Mann vom Schlage Bob Corcorans beizubringen, dass er zu besoffen zum Autofahren war. Ihm mitzuteilen, er habe einen kleinen Penis, hätte wohl weitaus weniger schlimme Folgen gehabt. Patrick war diese Tatsache bewusst. Er wägte die richtige Antwort ab und entschied sich für: »Weil du mehr getrunken hast als ich.«
Bob grinste. »Den Weg von Gilley’s nach Hause finde ich verkackt noch mal mit geschlossenen Augen.«
Patrick gluckste und wählte eine weniger offensive Variante. Während seiner Zeit an der Penn State hatte er als Türsteher gearbeitet, weshalb er aus eigener Erfahrung wusste, dass es in der Regel vergebliche Mühe war, mit einem Besoffenen zu diskutieren. »Das glaube ich gern, aber wenn man uns anhält und kontrolliert …«
Bob schüttelte grinsend seinen Kopf. »Wir nehmen die Woodmere; da passiert uns nichts.«
Der Barmann brachte die Drinks, und Bob nutzte die Ablenkung, um die Debatte zu beenden. Er langte nach einem der Schnäpse, reichte ihn Patrick und grapschte sich dann seinen eigenen, wobei er sich etwas davon über die Hand schüttete. Er hob feierlich das Glas. »Auf meinen Schwiegersohn!«
Patrick zog ihn wieder näher zu sich heran. »Belass es dabei, okay, Bob? Du erzählst nichts über Amy oder das, was passiert ist.«
Bob zuckte die Schultern und wiederholte dann lauter: »Auf meinen Schwiegersohn!«
Patrick hatte nicht vor, abzuwarten, ob es Bob wirklich dabei belassen würde. Er hob sein Glas und kippte den Kurzen in einem Zug hinunter.
Bob schluckte den seinen, keuchte und knallte das Glas dann auf den Tresen. Er drehte sich zu Patrick und umarmte ihn schraubstockfest, was Patrick beinahe den Hockern unter dem Hintern wegzog. »Danke, mein Sohn«, wisperte er ihm ins Ohr. Und dann, nachdem er ihn aus den Armen entlassen hatte, umschlossen beide Hände Patricks Gesicht, als wollte er es zu einem Kuss an seines heranziehen: »Danke, mein Sohn.«
Bob Corcoran hatte Patrick seinen Sohn genannt – etwas, das er noch nie zuvor getan hatte. Schwiegersohn ja, aber niemals schlicht und einfach Sohn. Patrick war klar, dass Bob ordentlich einen im Kahn hatte, aber ebenso erkannte er wahre Dankbarkeit und Aufrichtigkeit, wenn sie ihm über den Weg liefen. Das machte es ihm noch schwerer, darauf zu reagieren; auf einmal hatte sich ein dicker Kloß in seinem Hals gebildet. »Gern geschehen«, brachte er heraus. Patrick ließ einen kurzen Augenblick verstreichen, bevor er ein neckisches Grinsen aufsetzte. »Also … bekomme ich jetzt bitte die Wagenschlüssel … Dad?«
Bob musterte ihn eindringlich.
Patrick wusste, dass er ihn so gut wie breitgeschlagen hatte, und daher fügte er – in der haarsträubenden Stimmlage, die Amy sowohl verabscheute als auch liebte – ein paar Zeilen von Harry Chapins »Cat’s in the Cradle« hinzu, mit besonderer Betonung der Worte Dad und geliehene Wagenschlüssel, um seinen Widerstand ein für alle Mal zu brechen.
Schließlich ließ Bob ein herzliches Lachen ertönen und gab sich geschlagen. Er wühlte in seiner Tasche herum und händigte die Schlüssel aus. »Du bist ein Prachtkerl, mein Junge«, sagte er. »Aber versprich mir bitte, das Singen einzustellen.«
»Jawohl – du bist eindeutig Amys Vater.«
Beide Männer lachten und erhoben sich dann von ihren Barhockern. Bob stieß seinen um und lachte noch mehr. Patrick hob den Hocker auf, dankte dem Barmann und geleitete seinen schwankenden Schwiegervater aus dem Gilley’s.
John Brooks saß alleine an einem Ecktisch. Er hatte die komplette Unterhaltung zwischen Bob Corcoran und Patrick Lambert mit angehört: Zuvor hatte er dort, wo die zwei Männer gesessen hatten, eine Wanze unter der Kante des Tresens installiert. Er hatte das Gerät dorthin geschmuggelt, als Patrick zur Toilette gegangen und Bob damit beschäftigt gewesen war, den Fernsehbildschirm anzubrüllen, unmittelbar nachdem die Admirals ihr erstes und einziges Tor geschossen hatten.
Zunächst fiel der Ertrag ihrer Konversation spärlich aus. Und auch wenn es um bedeutendere Dinge gegangen wäre, hätte kaum etwas davon den Weg in Johns so gut wie unsichtbare Ohrstöpsel gefunden. Der Lärm der Gäste fungierte wie ein Störsignal. Doch das war nicht so schlimm. Dadurch hatte er Zeit, die beiden eingehend zu studieren; ihre Körpersprache zu analysieren; ihre Gewohnheiten zu beobachten. Schwachpunkte zu entdecken.
Als sich die Menge nach dem Spiel allmählich ausdünnten, hörte und sah John alles: der dem Weihnachtsmann gleichende Trottel, dem vor Stolz der Sabber aus dem Mund lief, als Patrick ihm erzählte, wie dessen Drecksfotze von Tochter seinem Sohn eine Nagelfeile in die Eier gerammt hatte. Wie Patrick danach seinem Sohn die Nase abgebissen und ihn dann erschossen hatte. Wie er wiederholt auf Arthur eingestochen hatte.
John registrierte Angst bei Patrick, als dieser von den Geschehnissen jener Nacht berichtete. Sie war nicht unbedingt an seiner Stimme zu erkennen, sondern an der Art und Weise aus, in der er auf seinem Hocker herumrutschte, während er redete. Es löste offensichtlich nicht das geringste Vergnügen, geschweige denn ein Gefühl von Stolz auf seine Taten in ihm aus, die Tragödie erneut zu durchleben. Und das war gut. Es war eine Schwachstelle. Es belegte die Existenz eines Gewissens. John Brooks kannte Begriffe wie »Schuld« und »Reue« nur aus dem Kreuzworträtsel.
»Haben Sie noch einen Wunsch?«, fragte die Kellnerin.
John schüttelte den Kopf und gab ihr zwei Zwanziger. Mehr als genug. »Behalten Sie den Rest.«
»Danke, Schätzchen.«
Er wartete, bis die Bedienung wieder im hinteren Bereich verschwunden war, bevor er aufstand und zu Bobs Barhocker hinüberging. Der Barkeeper wischte gerade die Theke sauber.
»Der verpasst nie ein Spiel, nicht wahr?«
Der Barmann schaute auf. »Wer, Bob? Keine Chance. Mag es regnen, graupeln oder schneien.«
John lächelte ihn an. Der Barmann wandte sich um und wischte den gegenüberliegenden Teil des Tresens. John griff unter die Kante der Bar, entfernte die Wanze und starrte sie mit mühsam unterdrückter Wut an, als wäre das kleine Gerät auf seinem Handteller nicht Übermittler, sondern Verursacher all der Abscheulichkeiten und Gräueltaten, die er heute Abend vernommen hatte.
Als er ging, ignorierte er den Abschiedsgruß des Barmannes.
John Brooks saß auf dem Parkplatz des Gilley’s in einem verbeulten, im Leerlauf vor sich hin tuckernden Dodge Dakota, den er sofort nach seiner Ankunft in Harrisburg gekauft und bar bezahlt hatte. Er spielte nochmals das Gespräch zwischen Patrick und Bob auf dem kleinen tragbaren Gerät ab, mit dem er es aufgenommen hatte. Als die Stelle kam, an der Amy seinem Sohn eine Nagelfeile in die Eier stach, spulte John zurück und spielte sie erneut ab. Er lauschte, drückte unverzüglich die Rückspultaste und hörte es sich erneut an. Beim vierten Mal verlor John Brooks für einen Moment die Beherrschung und drückte zu, bis das Gerät in seiner Hand zersplitterte und sich ein scharfrandiges Plastikstück tief in seine Handfläche bohrte. Er schmiss den kaputten Apparat auf den Wagenboden, zog die Plastikscherbe jedoch nicht aus seiner Hand, sondern trieb sie tiefer in sein Fleisch, drehte sie in der Wunde, quälte seine Nervenenden. Der Schmerz tat gut; er gab ihm ein Gefühl von Kontrolle zurück. Er stieß das Plastik kräftiger hinein. Warmes, klebriges Blut strömte seinen Arm hinab und ließ seinen Ärmel wie Frischhaltefolie an seiner Haut kleben.
John Brooks, dem es jetzt deutlich besser ging, zog die Kunststoffscherbe aus seiner Hand, wischte sich die blutverschmierte Innenfläche an seiner Jeans ab und schnippte die Scherbe aus dem Fenster wie einen Zigarettenstummel. Während er vom Parkplatz der Kneipe fuhr, summte er »Cat’s in the Cradle« vor sich hin.