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»Tee?«, fragte Patrick.

Domino wandte sich vom Wohnzimmerfenster ab und zog eine skeptische Miene. »Seit wann trinkst du Tee?«

Patrick zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ist das schlimm?«

Domino kam grinsend in die Küche. »Nein. Schätze nicht.«

»Auf dem College kannte ich viele Teetrinker«, sagte Patrick. »Die britischen Jungs, die Rugbyspieler. Die waren knallhart.«

Domino hob abwehrend die Hände. »Okay, Kumpel. Mach mir einen Tee.«

Patrick lächelte und setzte den Kessel auf. »Willst du Milch und Zucker?«

»Serviere ihn so, wie du ihn immer servierst.«

Patrick griff in den Schrank, als sein Handy piepte. Er nahm einen Becher und schaute auf sein Telefon. Der Becher entfiel seiner Hand und zersprang auf dem Boden in tausend Stücke, als er das Bild sah, das ihm entgegenstarrte.

Domino riss Patrick grob das Telefon aus der Hand. Höflichkeiten waren in einer Notfallsituation fehl am Platz. Domino stierte auf das SMS-Foto von Amy Lambert – im Heck eines Transporters, geknebelt und an einen Stuhl gefesselt, ihr Gesicht eine tränenverschmierte Maske aus Furcht und Scham.

Domino stieß einen Fluch aus, zog mit der anderen Hand sein eigenes Handy aus der Tasche und wählte Christopher Allans Nummer. Nach viermaligem Klingeln legte er auf; wäre alles in Ordnung gewesen, hätte Allan spätestens nach dem zweiten Rufzeichen abgehoben.

Patricks Handy piepte erneut. Domino drückte auf das kleine Umschlag-Symbol, das eine eingegangene Nachricht anzeigte, woraufhin eine Nahaufnahme von Allans Gesicht auf dem Bildschirm erschien – leblose offene Augen, ein Loch in der Schläfe.

»Was ist los?«, platzte Patrick heraus.

»Allan ist tot. Sie haben Amy«, sagte Domino.

»Kacke«, murmelte Briggs. Er senkte den Kopf und bekreuzigte sich.

Domino hob das Kinn in Richtung Wohnzimmer. »Verzieh dich mit den Kindern da rein. Ich werde dir Bescheid geben, wenn ich weiß, wie es weitergeht.«

Briggs nickte und leistete Carrie und Caleb Gesellschaft. Von der Küche aus erhaschte Domino einen Blick auf die beiden Kinder – beide lagen auf dem Bauch, die Köpfe in die Hände gestützt. Ihre Augen klebten am Bildschirm, die Füße schwangen vor und zurück wie Katzenschwänze. Komplett nichtsahnend und unschuldig. Ihre Mutter befand sich in den Klauen von Psychopathen, von denen einer der Albtraum-Mann war, der immer noch durch ihre so jungen Köpfchen spukte und nur ganz allmählich verblasste. Und sie schauten fern, waren sich der Ereignisse zu ihrem Glück nicht im Geringsten bewusst; wie an einem ganz normalen Tag. Als würde Mommy jeden Augenblick durch die Tür treten.

Domino warf erneut einen Blick auf das Foto von Allan, schluckte bittere Galle und drückte auf Senden. Das Handy fing zu läuten an.

»Kidnappen und Kaltmachen von Schwachköpfen GmbH, Miss Smith am Apparat«, sagte eine Frau in heiterem Tonfall.

»Wie soll es ablaufen?«, fragte Domino.

»So ist’s recht – geradewegs auf den Punkt. Gefällt mir«, sagte die Frau. »Fürs Erste werde ich die entzückende Mrs. Lambert einer Art Wiedervereinigung zuführen.«

»Und wo wird die stattfinden?«

»Geradewegs auf den Punkt, aber auch ein wenig naiv. Das werde ich natürlich nicht verraten.«

Domino atmete schwer durch die Nase. »Dann sagen Sie mir, ab wann wir ins Spiel kommen.«

»Tja, mir scheint, Sie spielen schon seit geraumer Weile mit. Bombenjob, Sir. Mit einem neuen Hund wären die Lamberts wahrscheinlich besser gefahren.«

Domino verfügte über die professionelle Selbstkontrolle von tausend Pazifisten, doch mit jedem weiteren Wort dieser Frau bewegte er sich näher auf den Berserker-Modus zu. Er biss sich auf die Wange und schmeckte Blut. »Reden Sie«, sagte er.

»Im Moment ist mir nicht besonders nach Reden – es gibt sooo viel zu erledigen. Aber tun Sie mir doch einen Gefallen, und richten Sie Patrick aus, dass Arthur ihn in Bälde kontaktieren wird … nachdem er seine Freundschaft zu Amy aufgefrischt hat, versteht sich. Ciao!«

Die Frau beendete das Gespräch.

»Was sagen sie?«, wollte Patrick wissen. »Es klang nach einer Frau. War es eine Frau? Was hat sie gesagt?«

Domino antwortete nicht sofort. Dutzende von Optionen rasten durch seinen Verstand. Wenn diese Schweinepriester Amy tot sehen wollten, wäre sie es längst, oder? Also war sie ein Köder. Das Problem lag nur darin, was diese Wichser mit dem Köder anstellten, während sein Team …

(ein guter Mann aus dem Spiel, Gott verdammt noch mal)

… nach einer Möglichkeit suchte, sie zu befreien? Sie mussten sie schnell finden. Denn plötzlich kam Domino ein Gedanke in den Sinn, der seine bisherigen Schlussfolgerungen zunichtemachte und sein Blut in Eiswasser verwandelte:

Ein Köder muss nicht unbedingt lebendig sein.

»Es war eine Frau«, sagte er schließlich. Domino konnte seinem Freund nicht in die Augen schauen, als er hinzufügte: »Sie hat gesagt, sie würde Amy zu einer Art Wiedervereinigung mit Arthur bringen. Und dass Arthur sich bald melden würde.«

Patricks Kopf sackte nach vorne.

Domino hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so elend gefühlt. Zum ersten Mal fühlte er sich sowohl als Versager als auch hilflos. »Es tut mir leid, Mann. Wir werden sie da rausholen.«

Patrick hob den Kopf. Keine Tränen, keine Wut. Stattdessen ein merkwürdiger Ausdruck von Erleuchtung. »Die Dame am Telefon hat von Wiedervereinigung gesprochen?«, wollte er wissen.

Domino nickte.

»Ich glaube, ich weiß, wo sie sie hinbringen«, sagte Patrick.