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Patrick überprüfte zum wiederholten Male diverse Grafiken seiner PowerPoint-Präsentation, als sein Mitarbeiter Todd Hartnett an sein Bürofenster klopfte. Patrick winkte ihn herein.

»Hey, Todd, wie läuft’s?«

»Wollte wissen, ob du das mit Lucas gehört hast.«

»Steve Lucas?«

Todd nickte. »Ist heute nicht aufgekreuzt.«

»Hat jemand angerufen?«

Todd nickte erneut. »Nur der Anrufbeantworter.«

»Vielleicht ist er krank.«

»Jedenfalls hat er nicht angerufen«, sagte Todd. »Er muss doch demnächst diese Präsentation halten, oder? Für diese Fremdsprachensoftware?«

»Ja, am Freitag, glaube ich.«

»Ich müsste schon auf der Schwelle des Todes stehen, um nicht zur Arbeit zu kommen, wenn meine Präsentation am Ende der Woche anstünde.«

Patrick reagierte mit einem zustimmenden, aber abwesenden Nicken. Er war in leichte Benommenheit verfallen und entsann sich des Vorfalls mit Steve Lucas vom vorigen Freitag. Lucas hatte seine neue Freundin treffen wollen und einen aufgedrehten Eindruck gemacht. Vielleicht waren sie nach Vegas durchgebrannt, um heimlich zu heiraten?

»Hm«, grunzte Patrick.

»Was?«

»Nichts, nur … Lucas hat mich letzten Freitag auf einen Feierabend-Drink eingeladen. Wollte, dass ich seine neue Lady kennenlerne. Ich habe gerade überlegt, ob sie durchgebrannt sind oder so was.«

Todd schnaubte. »Wenn das der Fall sein sollte, hoffe ich für ihn, dass das Mädchen Geld hat – denn wenn er nicht bald verkündet, wo er sich rumtreibt, ist er seinen Auftrag ganz schnell los.«

Patrick nickte erneut zustimmend.

Todd Hartnett zog ab. Patrick dachte kurz über das soeben geführte Gespräch nach, bevor er die Sache ad acta legte und sich wieder an seine Arbeit machte.

Patrick nippte an einer Flasche warmer Cola und sah auf die Uhr. Es war vier Uhr nachmittags. Steve Lucas hatte sich noch immer nicht gezeigt. Doch was zum Geier ging ihn das eigentlich an? Der Penner konnte froh sein, sich nach seinem Gequatsche vom Freitag keine eingefangen zu haben.

Patrick trank den letzten Schluck warmer Coke, warf die Flasche in den Mülleimer und rollte wieder vor seinen Rechner. Er glotzte auf den Monitor, der genauso gut tintenschwarz hätte sein können. Doch, es ging ihn etwas an. Wenn er auch nicht wusste, weshalb.

Patrick griff sich sein Telefon und gab zwei Ziffern ein. »Suzy, könnten Sie mich bitte mit Steve Lucas’ Privatnummer verbinden?«

»Es geht nur der Anrufbeantworter dran«, sagte seine Sekretärin. »Alle möglichen Leute versuchen es schon den ganzen Tag.«

»Was ist mit seinem Handy?«

»Haben wir auch probiert.«

Patrick seufzte. »Und die Adresse? Haben Sie seine Privatanschrift?«

Eine Pause.

»Suzy?«

»Ich schaue nach … hier ist sie.«

Sie las sie ihm vor, und Patrick schrieb mit.

»Wollen Sie vorbeifahren?«, fragte sie.

»Ich weiß noch nicht. Eventuell. Danke, Suzy.«

Patrick kontrollierte die notierte Adresse zum zweiten Mal, sah zum Haus hinüber, warf den Adresszettel auf den Beifahrersitz und stieg aus seinem Highlander. Er ging durch den Vorgarten zu Steve Lucas’ Eingangstür und drückte die Klingel.

Nichts.

Er klopfte laut. »Steve? Bist du da? Patrick Lambert hier.«

Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet, die Sicherungskette blieb vorgehängt, und dahinter kam ein Teil von Steves Gesicht zum Vorschein.

»Steve? Alles in Ordnung bei dir?«

»Bist du allein?«, fragte Lucas.

Patrick schaute sich um und sah dann mit befremdlichem Blick wieder Lucas an. »Äh … ja. Was zum Teufel ist los, Mann?«

Lucas entriegelte die Kette und öffnete die Tür ein wenig weiter. »Komm rein. Mach schnell.«

Patrick trat ein. Lucas schloss die Tür hinter ihnen ab und schob die Kette in die Schiene.

»Steve, was wird hier gespielt? Du führst dich auf, als würden dich Außerirdische im Visier haben.«

Lucas schlurfte ins Wohnzimmer und warf sich aufs Sofa. Er trug eine Jogginghose sowie ein weißes Unterhemd, und der Länge seiner Bartstoppeln nach zu urteilen hatte er sich seit einigen Tagen nicht rasiert.

Patrick machte ein paar umsichtige Schritte vorwärts. Er entdeckte ein Loch von der Größe einer kleinen Melone in Lucas’ Wand.

»Steve?«

Lucas hob den Kopf.

»Eine Menge Leute aus der Firma haben sich nach dir erkundigt«, sagte Patrick. »Sie haben dich ständig angerufen.«

»Ich weiß.«

Patrick verzog das Gesicht. »Okay … gibt es einen Grund dafür, dass du nicht reagiert hast? Oder zurückgerufen?«

Lucas massierte sich die Schläfen und sperrte den Mund auf, doch es kam keine Antwort heraus.

Patrick ging weiter ins Wohnzimmer hinein. »Bist du krank?«

Lucas schüttelte den Kopf.

Patrick bewegte sich nach links Richtung Küche. »Was ist dann los? Willst du es mir nun erzählen oder nicht?«

Lucas kauerte schweigend auf der Couch. Patrick befand sich jetzt in der Küche. Er öffnete einen Schrank und erblickte eine Flasche Wodka. Ein Drink. Vielleicht könnte ein Drink ihn entspannen und seine Zunge lösen.

Patrick nahm die Flasche aus dem Wandschrank und rief: »Wie wär’s, wenn ich uns einen einschütte?«

»NEIN.« Lucas’ Stimme war fest und klang sehr bestimmt. Und einige Sekunden später kam leise und schwächlich: »Ich werde das Zeug nie wieder anrühren.«

Aha, dachte Patrick, so langsam kommen wir der Sache näher. Er verließ die Küche und setzte sich an den Couchtisch. »Was ist passiert?«

Patrick kam zwei Stunden zu spät nach Hause. Der sich anbahnende Megablast-Auftritt stellte eine gute Entschuldigung dar, doch er hatte Amy versprochen, pünktlich zuhause zu sein. Als er die Küche betrat, war sie bereits mit dem Abwasch beschäftigt. Sie sah ihn nicht an.

»Das Essen steht in der Mikrowelle, falls du was willst«, sagte sie.

Er stellte sich an der Spüle hinter sie und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Tut mir leid, dass ich so spät bin. Aber es gibt einen ziemlich guten Grund dafür, das kannst du mir glauben.«

Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa. Amy hatte die Beine ausgestreckt und in Patricks Schoß gebettet. Patrick massierte ihre Füße – so konnte er wiedergutmachen, dass er zu spät zum Abendessen gekommen war.

»Wie schlimm war es?«, fragte Amy.

»Er ist nicht allzu sehr ins Detail gegangen«, sagte Patrick. »Er hat behauptet, sie wäre mit einem Veilchen aufgetaucht. Was schlimm genug ist, schätze ich.«

Amy nickte. »Ich erinnere mich von euren Betriebsfeiern an ihn. Eine Nervensäge, aber alles andere als ein Schläger.«

»Er behauptet, sich an nichts erinnern zu können. Nicht mal irgendwie unscharf.« Er zog an einer Zehe und brachte sie zum Knacken.

Sie schlug ihm auf den Handrücken. »Ich hasse das.«

Er lächelte wissend.

»Also, hat diese Dame die Polizei verständigt?«

»Ich glaube nicht«, sagte Patrick. »Dann hätten die sich schon längst gemeldet. Außerdem scheint von dem Bruder der Dame, dem Loch im Mauerwerk nach zu urteilen, eine weitaus größere Bedrohung auszugehen als von der Polizei.«

»Und jetzt …? Will sich der Kerl für immer in seinen eigenen vier Wänden verkriechen? Was ist mit seinem Job?«

»Genau das habe ich ihn auch gefragt. Er hat dieses Riesenprojekt an der Backe. Wenn es aus schierem Pech nicht klappt, dann ist das eben so, höhere Gewalt, passiert auch den Besten von uns. Aber wenn es nicht klappt, weil er sich wenige Tage vor der Präsentation in einen untätigen Einsiedler verwandelt …«

Amy zog sich den Daumen über die Kehle und gab ein gurgelndes Geräusch von sich.

»Exakt«, sagte Patrick.

»Und du hattest Angst, er würde sich Megablast unter den Nagel reißen.«

»Ich hatte keine Angst.«

Sie hob den Fuß an und kitzelte ihn am Kinn.

»Hatte ich nicht«, beharrte er. »Höchstens davor, dass er mir … reinpfuschen, mich aus der Spur bringen könnte.«

»Aus der Spur bringen?«

Patrick versuchte, einen anderen Zeh zu erwischen, aber sie entzog sich ihm rechtzeitig und warf ihm einen triumphierenden Blick zu. »Genau – der Kerl lenkt einen ab, wenn du verstehst, was ich meine. Ich wollte nicht, dass er jeden meiner Arbeitsschritte kritisiert, wenn irgendwas nicht so läuft, wie er es will.«

»Für wen hält der sich, dass er dich beurteilen darf?«, fragte sie.

»Tut er ja nicht, ich meine ja nur.« Patrick ächzte und versuchte die richtigen Worte zu finden. »Er ist wie der lästige Kumpel, der dich daran hindert, die Braut abzuschleppen.«

Amy neigte den Kopf und hob beide Brauen. »Interessante Analogie.«

»Oh, hör auf – du weißt genau, was ich meine.«

Sie fixierte ihn stumm mit unveränderter Miene.

»Hey, ich massiere jetzt schon seit über zehn Minuten deine übel riechenden Füße. Da solltest du mir eine fragwürdige Analogie verzeihen können.«

Sie drückte ihren Fuß in sein Gesicht und gegen seine Nase. Patrick drehte sich weg und ließ Würgegeräusche ertönen.

»Leck mich«, sagte sie.

»Du willst was bitte?«

»Träum weiter.« Sie stieß ihm neuerlich den Fuß ins Gesicht. Patrick lachte, packte ihren Knöchel und attackierte weitere Zehen.