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Steve Lucas wachte unbekleidet und desorientiert auf. Er stellte schnell fest, dass er sich in seinem eigenen Bett befand. Weitere Nachforschungen ergaben, dass in seinem Zimmer Chaos herrschte. Die Lampe lag auf dem Boden. Das Glas seines Spiegels hatte Sprünge wie ein Spinnennetz. Die Ablage seiner Kommode war komplett freigeräumt – die gerahmten Fotos waren über den Boden verteilt, einige davon verbogen und zerbrochen. Neben einem kaputten Rahmen lag eine fast leere Flasche Jim Beam, deren offener Hals von einem braunen Fleck umgeben war.

Wo war Samantha? Er hob die Laken vom Boden auf, umwickelte damit seine untere Leibeshälfte und rief nach ihr. »Hallo? Samantha?«

Nichts. Das Rufen ihres Namens schickte eine Stoßwelle von Schmerzen durch seinen Kopf, und er musste reflexartig die Augen zukneifen. Wie viel hatte er gestern getrunken, verdammt noch mal? Und wichtiger noch, dachte er, als er sich im Schlafzimmer umsah, was zur Hölle ist passiert?

Ein plötzlicher Schlag gegen die Haustür ließ ihn zusammenschrecken. Rasch schlüpfte er in die Klamotten vom letzten Abend und eilte ins Wohnzimmer. Er öffnete und hoffte, Samantha würde vor ihm stehen – was sie auch tat, allerdings in Begleitung eines sehr großen Mannes, der Steve an der Kehle packte, ihn zurück in seine Wohnung stieß und gegen die nächstliegende Wand wuchtete. Der Würgegriff des Mannes war übermenschlich stark; Steve fühlte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg, sein Gesicht heiß pulsieren ließ und seine Augen aus den Höhlen quetschte. Wenn der Mann seinen Griff nicht lockerte, würde er sehr bald das Bewusstsein verlieren. Der Riese schien dies ebenfalls zu bemerken, und seine Schraubstockfinger gaben Steves Hals ein bisschen mehr Spielraum. Er drückte seine Stirn gegen Steves und brüllte los.

»Du gestörtes Arschloch! Nenn mir einen einzigen Grund, warum ich dir nicht deinen verkackten Hals brechen soll!«

Steve war sprachlos. Er konnte lediglich darauf setzen, dass sein schockierter Gesichtsausdruck seine Ahnungslosigkeit deutlich machte.

»Denkst du etwa, du könntest meine kleine Schwester ungestraft schlagen?«

Als er die Tür aufgemacht hatte, war es Steve nicht aufgefallen, – es war alles zu schnell gegangen. Doch als er jetzt über die Schulter des großen Mannes sah, erblickte er eine wütende Samantha, die seinen Blick aus einem unversehrten und einem zugeschwollenen, violett verfärbten Auge erwiderte.

»Oh mein Gott … oh Scheiße, war ich das?«, platzte es abrupt aus Steve heraus. Er riss die Augen von Samantha los, richtete sie wieder auf den Riesen und betete, dass sie so reumütig leuchteten, wie er hoffte. »Es tut mir so leid … Ich habe keine Ahnung, was geschehen ist … Ich … Alles ist eine einzige Lücke. Totaler Filmriss. Ich kann mich an nichts erinnern, was …«

Die Hände des Hünen schlossen sich wieder fester um Steves Hals zusammen, was diesem die Stimme abschnürte. »Jetzt hör mir ganz genau zu, du kranker kleiner Scheißer. Wenn du meiner Schwester noch ein einziges Mal näher als hundert Meter kommst, werde ich dich erneut aufsuchen und dir höchst aktiv Sterbehilfe leisten.« Mit der Wucht eines Schrotflintenschusses durchschlug die rechte Faust des großen Mannes wenige Zentimeter neben Steves Kopf die Wand. Dann nahm er seine linke Hand von Steves Kehle und sah ihm zu, wie er die Wand hinabrutschte, um schließlich wie ein völlig verängstigtes Kind mit verschränkten Armen auf den Knien zu landen. Der Riese tätschelte Steves Schädel. »Haben wir uns verstanden?«

Steve nickte hastig. Er wagte nicht, den Kopf zu heben.

Der Hüne wandte sich zum Aufbruch um, und Steve richtete die Augen auf Samantha. Er war zu sehr eingeschüchtert, um sie anzusprechen; stattdessen bemühte er sich darum, all seine Reue durch seinen verzweifelt-flehenden Blick zu kommunizieren.

»Arschloch« war alles, was sie sagte, bevor sie auf dem Absatz kehrtmachte, dem Riesen folgte und die Tür zuschlug.

Steve Lucas schob den Kopf zwischen seine Knie und fing an zu weinen.

Monica steckte sich eine Zigarette an, sobald sie im Dakota saßen. »›Kleine Schwester‹?«, sagte sie.

»Was?«, fragte John zurück und öffnete das Fenster einen Spaltbreit. »Ich könnte als dein älterer Bruder durchgehen. Ein Daddy, der seine Tochter errettet, schien mir zu klischeehaft.«

»Aber du bist mein Daddy«, sagte sie mit ironischer Kinderstimme.

»Tja, dieses ganze Theater war ein einziger Haufen schwachsinniger Scheiße, wen also kratzt es?«

Sie inhalierte tief, grinste und blies ihm Rauch ins Gesicht. Er zog die Stirn in Falten und wedelte ihn aus dem Fenster.